Zu anarchistischem Antimilitarismus

[Die folgende Übersetzung wurde der beim Maschinenstürmer Distro erschienenen und äußerst empfehlenswerten Broschüre Inmitten der Nachschublinien des Krieges entnommen.]

In den vergangenen Monaten ist das Thema Krieg in beinahe jeder Publikation präsent gewesen, inklusive der anarchistischen. Krieg zieht herauf, ist kurz davor auszubrechen, die beiden großen internationalen Blöcke steuern auf den Krieg zu: wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um zu verhindern, dass die Welt durch einen wahnsinnigen Impuls unserer Herrschenden vollständig ausgelöscht wird.

Aber wie so oft, wenn wir uns eines Problems annehmen, das in unseren Inneren eine so komplexe Stimmungslage und Angst auslöst, sind wir nicht in der Lage dazu – oder zumindest erscheint mir das so – das Problem tiefgreifend genug zu verstehen.

Tatsächlich müssen wir uns, wenn wir uns darauf vorbereiten gegen einen Feind zu kämpfen, der uns bedroht, fragen, was dieser Feind beabsichtigt, so dass uns ein Maximum an Informationen erlaubt, zurückzuschlagen, uns zu verteidigen und zum Gegenangriff überzugehen. Folglich scheint mir, dass wir uns die grundlegendste Frage bislang nicht gestellt haben: Was ist Krieg? Wir haben das nicht getan, weil wir alle auf die eine oder andere Weise glauben, bereits ganz genau zu wissen, was Krieg ist und wir deshalb in der Lage wären das zu tun, was notwendig ist, um diejenigen zu bekämpfen, die ihn vom Zaune zu brechen beabsichtigen.

Tatsächlich jedoch sind unsere Ideen nicht so klar. Dass selbst die bourgeoise Presse keine klaren Vorstellungen vom Thema hat, ist für uns nur von geringem Interesse, da wir gewiss nicht von ihr erwarten sollten, dass wir dort das finden, was wir benötigen, um das Minimum an Analyse zu entwickeln, die unsere Handlungen kohärent und bedeutsam macht.

Die meisten anarchistischen Publikationen lesen sich jedoch wie überarbeitete und korrigierte Ausgaben der progressiven bourgeoisen Presse, wenn nicht wie irgendwelche internationalen Rechtsgutachten mit einigen Abwandlungen in der Sprache und etwas größerer Naivität in ihrer Perspektive.

Die Schwammigkeit bourgeoiser Vorstellungen ist sehr gut verständlich: Für die Verwalter der Herrschaft ist Krieg das Mittel, das ihre Fortsetzung garantiert, zumindest innerhalb bestimmter Grenzen. Aber was bedeutet Krieg für ihre Feinde?

Für die Bosse ist Krieg nichts anderes als der nachdrücklichere Gebrauch derselben Mittel, die sie immer schon angewandt haben. Es gibt Armeen, Bomben und auch Waffen. Kriege haben beständig stattgefunden und brechen noch immer hier und dort gemäß einer Geografie und Logik aus, die auf gewisse Weise den Regeln der Entwicklung und des Überlebens des Kapitalismus folgt. Für die Bosse gibt es kein großes Problem, das gelöst werden müsste. Sie können nicht damit beginnen Krieg zu führen, aus dem einfachen Grund, dass sie nie aufgehört haben, Krieg zu führen. Für diejenigen, die auf der anderen Seite beabsichtigen dagegen zu kämpfen, liegen die Dinge anders, da sich ihr Kampf durch eine Reihe von Interventionen und Aktionen verbreitet, die ihre Gültigkeit aus ihrer Beziehung zu ihrem eigenen Verständnis des Phänomens Krieg erlangen.

Das wiederum wird durch ihre eigenen Klasseninteressen bestimmt, durch ihr beschränktes Wissen über soziale und politische Phänomene, ideologische Interpretationen der Realität und so weiter, und das in einer Situation wie der derzeitigen, wo von der Möglichkeit eines nuklearen Krieges (wir wissen nicht wie nah oder fern) gesprochen wird, der in der Lage dazu ist, alles und jeden innerhalb weniger Sekunden zu vernichten.

In der Theorie sollte jede*r gegen den Krieg sein, ganz besonders gegen die Art von Krieg, die nun im Raum steht, da wir alle der Aussicht unserer Auslöschung entgegensehen. Wie kann es dann erklärt werden, dass nicht jede*r gegen Krieg ist? Wir lässt es sich erklären, dass Regierungen Unterstützer*innen und Vollstrecker*innen ihrer sogenannten Wahnsinnigkeit finden? Es kann durch die einfache und bedeutende Tatsache der Klasseneinteilung erklärt werden. Es ist offensichtlich, dass nicht alle Angst vor dem Krieg haben, oder zumindest nicht alle auf die gleiche Weise. Offensichtlich überwinden viele, vor allem jene, die den Hebeln der Macht und Ausbeutung am nächsten sind, wenn nicht die Bosse oder Inhaber der Macht selbst, ihre Angst vor dem Krieg durch die Aussicht auf eine Festigung ihrer privilegierten Situation.

Folglich können die Gedanken, die diese Personen in ihren Zeitungen und Programmen produzieren, nicht umhin das Verlangen widerzuspiegeln, Krieg als etwas Unmittelbares zu betrachten. Ich sage nicht, dass das nicht möglich wäre, sondern dass, im Gegenteil, wir diese Schlussfolgerung nicht akzeptieren sollten, sondern durch unsere Analyse den Schwindel darin enttarnen sollten, der von den Organen der Macht unterstützt wird.

Also kommen wir zurück zur grundlegenden Frage: Was ist Krieg? Die Publikationen, die sich derzeit diesem Thema annehmen, sowie unsere eigenen Seiten, enden oft darin bloß irgendwelche Mitläufer oder Verstärker der Propaganda des Regimes zu sein, wenn sie sagen, dass Krieg bevorstünde. Es wird dann behauptet, dass, vorausgesetzt dass Krieg droht, alles in unserer Macht Stehende getan werden müsse, um ihn zu verhindern, weil Anarchist*innen immer gegen Krieg waren, weil Krieg ein großes Unheil ist, das jeden treffe, keine Sieger, sondern nur Verlierer kennt und ein großes Verbrechen gegen die Menschheit ist.

Wunderschöne und zutiefst humanitäre Argumente, die nur eine Unvollkommenheit haben: Sie ändern nicht das geringste an den staatlichen Programmen des Genozids und sagen niemandem irgendetwas Neues.

Lasst uns eine Hypothese aufstellen, die sich auf das bezieht, was in der Vergangenheit passiert ist und was einst einige Anarchist*innen aus bester intellektueller Tradition infiziert hat (z. B. Kropotkin und das Manifest der Sechzehn). Wie gesagt, wir sind alle gegen Krieg (in Worten!). Selbst die überzeugtesten Unterstützer*innen der bewaffneten Lösungen für staatliche Konflikte haben niemals den Mut das offen zu sagen, abgesehen von ein paar delirerischen Wahnsinnigen, die sofort von ihren vorsichtigeren und gerisseneren Kollaborateuren in die Schranken gewiesen werden. Diejenigen, die sich auf den Krieg vorbereiten, sind stets die leidenschaftlichsten Propagandisten des Friedens. Zudem stützen sie ihre Friedenspropaganda auf die Behauptung, dass es um jeden Preis notwendig wäre, alles Menschenmögliche zu tun, um die Werte der Zivilisation zu bewahren, Werte, die systematisch von allem bedroht würden, was sich auf der Seite des Gegners abspielt. (Der Gegner umgekehrt, handelt und argumentiert auf die gleiche Weise). Wir müssen alles tun, um Krieg zu verhindern, und oft führt das dazu, dass die Menschen zu der Überzeugung gelangen, dass alles dafür zu tun, bedeuten könne, in den Krieg zu ziehen, um eine größere Katastrophe zu verhindern. Bei Ausbruch des ersten „Welt“kriegs gelangten Kropotkin, Grave, Malato und andere berühmte Anarchist*innen zu der Überzeugung, dass es notwendig wäre, sich am Krieg zu beteiligen, um die Demokratie (vor allem Frankreich) gegen die Bedrohung der zentralen Imperien (vor allem Deutschland) zu verteidigen. Dieser tragische Fehler war möglich und wird immer möglich sein, weil der gleiche Fehler gemacht wurde, der heute wieder gemacht wird: Sie haben keine anarchistische Analyse entwickelt, sondern haben auf eine anarchistische Aufbereitung der Analyse vertraut, die von den Intellektuellen und Boten im Dienste der Bosse erarbeitet worden war. Davon ausgehend war es für sie leicht zur Überzeugung zu gelangen, dass obwohl Krieg noch immer eine gewaltige und schreckliche Tragödie für sie war, er dem schwerwiegenderen Übel vorzuziehen sei, das aus dem Sieg des teutonischen Militarismus resultieren könne. Gewiss waren nicht alle Anarchist*innen blind gegenüber den schwerwiegenden Abweichungen von Kropotkin und Co.; Malatesta reagierte hefig, als er aus London dagegen schrieb, aber der angerichtete Schaden verursachte nicht unbedeutende Konsequenzen in der anarchistischen Bewegung überall auf der Welt.

Heute machen auf eine ähnliche Art und Weise viele anarchistische Gefährt*innen keinen Halt bei den unverzeihlichen Oberflächlichkeiten, die in einigen unserer Zeitungen und Zeitschriften gelesen werden können. Aber lasst uns für einen Moment zu den Verallgemeinerungen zurückkehren, die in unseren Analysen reichlich vorhanden sind. Es genügt gewiss nicht, zu universeller Brüderlichkeit, Menschlichkeit, Frieden, den Werten der Zivilisation aufzurufen, um jene Kräfte zu mobilisieren, die wirklich beabsichtigen, den Staat zu bekämpfen. Warum vermeiden wir sonst, wenn wir Probleme im Hinblick auf soziale und ökonomische Konflikte (Arbeitslosigkeit, Wohnen, Schulen, Krankenhäuser, etc.) behandeln, sonst die Zuflucht bei solchen Banalitäten? Nun, da wir uns mit Krieg beschäftigen, ist es uns plötzlich erlaubt, uns auf die Ebene der Verallgemeinerungen radikaler Humanist*innen zu begeben?

Tatsächlich flüchten wir uns in diese Gemeinplätze aus Angst, als kleinsten gemeinsamen Nenner, weil wir nicht wissen, was wir tun oder sagen sollen, und auch nicht, was das Phänomen des Kriegs in Wahrheit – in der derzeitigen Situation der Macht in Italien, Europa und der Welt – wirklich ist.

Von der Panik unserer Unfähigkeit erfasst, zutiefst der Tatsache bewusst, dass weder unsere glorreiche antimilitaristische Tradition (mit oben genannter Ausnahme) noch das ebenso glorreiche Gepäck anarchistischer Ideen uns retten kann, suchen wir Zuflucht in den analytischen Laboratorien der Macht. Und so verwandeln wir uns in stümperhafte Gelehrte internationaler Konflikte. Unsere Magazine füllen ihre Seiten mit Betrachtungen, bestenfalls lächerlich zu nennen, der Beziehung zwischen USA und UDSSR, zwischen der NATO und dem Pakt von Warschau, zwischen den Ländern des Mittleren Ostens und Europa; ökonomische Probleme überlappen sich mit militärischen Strategien; technische Daten hinsichtlich der Atom-, Wasserstoff- und Neutronenbomben finden den Weg in unsere Seiten (und Köpfe) und haben den Effekt psychologischer Propaganda. Was folgt ist eine große Verwirrung, die das eigentliche Maß dafür ist, wie weit wir von der Realität des Kampfes entfernt sind und wie sehr jeder unserer Versuche ihm näher zu kommen, uns weiter vom Ziel entfernt. Also werden wir prahlerisch. Wir bestehen darauf, unsere Analysen mit mehr und mehr Daten zu untermauern, die wir aus den staatlich produzierten Handbüchern entliehen haben, und wir erklären den Menschen mit Angst als dem zentralen Argument unserer Erklärung. Wir erkennen nicht, dass wir dadurch dem Teil der Ausrichtung der Bosse dienen, der genau auf diese Angst setzt, um zwei entscheidende Ergebnisse zu erzielen: die ausgebeuteten Massen von der zunehmenden, schwerwiegenden Ausbeutung, die sie erwartet, abzulenken und sie, warum nicht, auf Krieg vorzubereiten. Lasst uns nicht vergessen, dass der beste Weg die Massen zur Akzeptanz von Krieg zu drängen, darin besteht, die Angst vor dem Krieg zu verbreiten. Morgen wird sich diese Angst vor totalem Krieg mit wenigen Anpassungen in der Propaganda des Regimes leicht in den Willen und das Verlangen nach einem begrenzten Krieg verwandeln, um einen totalen Krieg zu verhindern, und wer weiß schon, ob nicht ein neuer Kropotkin auftauchen (aus den Reihen der vielen Neo-Kropotkinianer, die unsere Seiten heimsuchen) und die Notwendigkeit eines kleinen Krieges angesichts des totalen unterstützen wird. (Nicht zuletzt gilt doch „small is beautiful“.)

Natürlich sind wir Anarchist*innen gegen alle Kriege, so klein oder groß sie auch sein mögen, aber wenn wir uns einmal darauf beschränken unser Argument exklusiv oder fundamental auf Angst basieren zu lassen, dann stellen wir uns auf die extrem linke Seite des Kapitals und verschaffen ihm den Türöffner, den es braucht, um den Dissens abzuschwächen, der automatisch innerhalb der Massen der Ausgebeuteten erzeugt wird.

Schlimmer noch, wenn wir erst einmal unsere Kritik eines totalen Atomkriegs voll entwickeln und zeigen – wodurch wir zum Sprachrohr der extremen Linken des Kapitals werden –, wie schwerwiegend die Auswirkungen jeder Art und Stufe von Atombombe sind und wir einmal hinzufügen, als einfacher Nebensatz, dass wir nicht nur gegen Atomkrieg sind, sondern gegen jede Art von Krieg zwischen Staaten, weil jede Art von Krieg Genozid ist, ein furchtbares Verbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschheit, und so weiter mit ähnlichen Gemeinplätzen, dann werden wir äußerst widersprüchlich und schädlich. Tatsächlich unterstützen wir wohlausgearbeitete, wissenschaftliche und konkrete Elemente gegen Atomkrieg (weil diese vom Kapital selbst vorgebracht werden), aber beschränken uns auf die üblichen humanitären Allgemeinplätze hinsichtlich eines nicht-atomaren Krieges und bringen die Menschen (die von humanitären Gemeinplätzen zu Recht angwidert sind) damit unfreiwillig dazu, sich einer Ablehung von Atomkrieg und einer möglichen Akzeptanz des „kleinere Kriegs“ anzuschließen. Und wer weiß, ob es nicht genau das ist, was das Kapital von uns will.

Da jedoch unsere guten Absichten nicht bezweifelt werden können, bleibt nur tiefer vorzudringen und uns zu fragen, ob wir unsere Anti-Kriegspropaganda nicht besser entwickeln sollten.

Und hier kommen wir auf das ursprüngliche Problem zurück: Wir wissen nicht wirklich, was Krieg ist. Denn in dem Moment indem wir uns darauf vorbereiten uns des Problems anzunehmen, begreifen wir, dass Krieg nur einen bestimmten Aspekt der Gesamtstrategie der Ausbeutung, die vom Kapital verfolgt wird, ausmacht.

Lasst uns das genauer erklären. Für Staaten existieren formale Aspekte, die den Unterschied zwischen einem Zustand des Krieges und einem Zustand des Friedens auf der Ebene internationalen Rechts erfassen können. Es ist offensichtlich, dass diese Unterscheidung für Anarchist*innen nicht von Interesse sein kann, die, um den wahren Zustand des Krieges zu verstehen, gewiss nicht darauf warten müssen, dass Staat A Staat B den Krieg erklärt. Die Aufgabe von Anarchist*innen besteht prinzipiell darin, so weit möglich und so lange wie möglich den formalen Schleier aufzubrechen, den Staaten vor die Augen der Menschen ziehen, um sie auszubeuten und sie zur Schlachtbank zu führen. Um das zu tun, können wir folglich nicht darauf warten, dass die Formalitäten internationalen Rechts abgearbeitet werden, wir müssen der Zeit voraus sein und die wahre Situation des Krieges in Aktion anprangern, selbst wenn kein offiziell erklärter Zustand des Krieges existiert.

Um die Wahrheit zu sagen: Der Verdacht, dass es unmöglich ist, eine klare Grenze zwischen Krieg und Frieden zu ziehen, existiert auch unter den Theoretikern der Unterdrückung selbst. Zu seiner Zeit fühlte sich Clausewitz dazu genötigt, eine Analyse des Kriegs als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu entwickeln. Auf die gleiche Weise ist zeitgenössischen Gelehrten (Bouthoul, Aron, Sereni, Fornari, etc.) das Problem bewusst geworden und sie haben versucht, die Elemente zusammenzustellen, die wenigstens eine minimale Unterscheidung zwischen einem Zustand des Krieges und einem Zustand des Friedens möglich machen. Nach der Erkundung der Elemente, die einen bewaffneten Konflikt ausmachen, dem Massenphänomen und der Spannung, die durch die öffentliche Meinung verursacht wird – Elemente, die nicht exklusiv einen Zustand des Krieges ausmachen – mussten diese Gelehrten schlussfolgern, dass das, was Krieg ausmacht, sein rechtlicher Charakter wäre und dass dieser rechtliche Charakter darauf hinausläuft, atypisch gegenüber der juristischen Strukturen zu sein, die die kriegsführenden Staaten üblicherweise, in „Zeiten des Friedens“ bestimmen. In anderen Worten: Krieg wird als die Legitimation von Mord durch die Justiz charakterisiert, welche in Zeiten des „Friedens“ weder Morde noch Massaker erlaubt.

Daran können wir klar sehen, dass die Kriterien, die den Krieg vom Frieden unterscheiden, keine sind, die von Anarchist*innen für gültig erachtet werden können. Wir sind nicht bereit zu akzeptieren, dass der formell von der Staatsmacht erklärte Zustand des Krieges unverzichtbar ist, um eine tatsächliche Situation des Krieges zu unterscheiden, anzuprangern und anzugreifen. Und der Staat seinerseits weiß sehr gut, dass der formale Aspekt einer Kriegs-„Erklärung“ nur ein einfaches juristisches Alibi ausstellt für eine Ausweitung des Todesprozesses, den er normalerweise durch den spezifischen Charakter seiner schieren Existenz ausübt. Der Staat ist ein Instrument der Ausbeutung und des Todes und folglich ein Instrument des Kriegs. Staat bedeutet Krieg. Es existieren keine Staaten im Krieg und Staaten im Frieden. Staaten, die Krieg wollen und Staaten, die Frieden wollen, exisitieren nicht. Alle Staaten sind aufgrund der einfachen Tatsache ihrer Existenz Instrumente des Krieges. Um uns davon zu überzeugen und um den Einwand derjenigen, die uns des Maximalismus beschuldigen, oder die um jeden Preis einen Unterschied sehen wollen, wo nichts als Gleichförmigkeit ist, zu widerlegen, genügt es, sich an die offensichtliche Tatsache zu erinnern, dass es gewiss nicht die Zahl der Toten, die eingesetzten Mittel, das Schlachtfeld oder die Ziele der Soldaten sind, die den Unterschied zwischen einem Zustand des Krieges und einem Zustand des Friedens ausmachen. Systematisch ein Dutzend Arbeiter jeden Tag an ihrem Arbeitsplatz zu töten ist ein Phänomen des Krieges, das sich aus unserer Sicht bloß numerisch von den Toten auf dem Schlachtfeld unterscheidet, die in die tausende gehen. Darüber hinaus ist es nicht möglich, eine tatsächliche Situation des Friedens unter der kapitalistischen Herrschaft herauszugreifen, sondern nur den scheinbaren Zustand des Friedens, der im Endeffekt identisch mit einer tatsächlichen Situation des Krieges ist.

Wir behaupten daher, dass Krieg eine Aktivität des Staates ist, die nicht eine vorübergehende und eingegrenzte Periode seiner Handlungen ausmacht, sondern Teil der Essenz seiner Strukturen während des ganzen Verlaufs der Ausbeutung war, soweit wir wissen. Die sozialdemokratischen Illusionen einseitiger Abrüstung, der achtbare Pazifismus und die bourgeoise Gewaltfreiheit brechen also in sich zusammen. Wer auch immer pazifistische Theorien unterstützt und diese dazu nutzt, den Staat vom Kriegführen abzuhalten, ist im wesentlichen selbst ein Krieger, ein Reaktionär, der den fortgesetzten Zustand des Krieges des Staats unterstützt und ihn einem anderen Zustand des Krieges vorzieht, der als unterschiedlich betrachtet wird, aber im Grunde das Gleiche ist, und in der Praxis nicht mehr als eine Ausweitung des bereits im Gange befindlichen Konflikts ist.

Das erklärt, wie die Parteien in der Regierung und diejenigen, die die Ideale der Arbeiter verraten haben, oder die die humanitären Marotten der radikalen Bourgeouisie nähren, mit so großer Unverschämtheit oder durch dumme Ignoranz der Realität große Reden gegen den Krieg schwingen können. Eigentlich sind es ihre Reden, die die Struktur des eigentlichen Krieges garantieren, die die Massen darauf einstimmen, eine zukünftige (immer mögliche) Ausweitung des kleinen Krieges zu akzeptieren, um einen größeren zu vermeiden, der auf ewig verschoben wird, während der wirkliche Zustand des Konflikts aufrechterhalten und weiterentwickelt wird.

Diese Konzepte sollten – und im Grunde werden sie es – mehr oder weniger von allen Anarchist*innen akzeptiert werden. Aber wie es angesichts vieler in den letzten paar Monaten in unserer Presse veröffentlichten Artikel scheint, ist es beim Thema Krieg zu leicht, in eine Dimension abzurutschen, die diesen als etwas betrachtet, das vermieden werden kann oder das alleine als eine Form des Kampfes begriffen werden kann, die in der Lage ist, die revolutionären Kräfte zu vereinen.

Es wurde gesagt, dass wir uns plötzlich, aus allen Wolken fallend, mit der Gefahr eines weltweiten Konflikts konfrontiert sehen würden, der alles in der Vergangenheit Vorstellbare übersteigt. Es wurde gesagt, dass wir sofort etwas unternehmen müssten, um den bevorstehenden Weltkrieg zu verhindern, gegen die Zunahme der Atomwaffen sowohl auf Seiten der USA, als auch der UDSSR. Es wurde gesagt, dass es Augenblicke im Leben eines Volkes oder eines Kontintents gäbe, in denen soziale, ökonomische und politische Probleme weitaus drängendere und wichtigere Bedürfnisse überwiegen würden, indem sich auf absolute Kategorien wie Überleben, Frontopposition und verrückte mörderische Hegemonie, etc. bezogen wurde.

Es ist ja schön und gut, gegen Krieg, Militarismus, Bomben, Armeen, Generäle, Raketenbasen zu kämpfen. Aber wenn der Grund sein soll, dass dies die einzige Ebene der Intervention ist, die die anarchistische Bewegung aufwirft, dass alle anderen Interventionen unmöglich sind, dann müssen wir uns selbst fragen, was passiert. Es genügt nicht, sich Hals über Kopf in die einzige Aktivität zu stürzen, die uns offen bleibt, weil wir Schwierigkeiten in anderen Bereichen haben. Wir sollten uns fragen, ob die Anerkennung des Themas Krieg und die Unfähigkeit, dieses Thema innerhalb der spezifischen Logik des States zu verorten, nicht vielleicht eine Konsequenz unserer Unfähigkeit ist, uns an die eigentlichen im Gange befindlichen Kämpfe zu richten? Und ob, wenn wir unsere Köpfe in den Sand unserer Schwäche stecken und das Problem des Kampfes gegen Krieg ohne ein Minimum an militanten Strukturen angehen, wir nicht Gefahr laufen, die phantasiereichen Träger einer maximalistischen Ideologie zu werden, die darin endet, bequem für den Staat zu sein?

Diese Fragen mögen von vielen Kamaraden nicht geteilt werden, aber sie bleiben dennoch bestehen, wie so viele Punkte, die es erforderlich machen, überdacht und diskutiert zu werden. Es genügt nicht, sie zu leugnen, mit der Schulter zu zucken und weiterzumachen.

Unserer Meinung nach ist es notwendig, die allgemeinen Bedingungen des heutigen Klassenkonflikts zu untersuchen und die Funktion, die Anarchist*innen innerhalb des Konflikts selbst entwickeln können, neu zu überprüfen, entweder als eine spezifische Bewegung oder als eine organisierende Kraft, die in der Lage ist, sich innerhalb der allgemeinen Bewegung der Ausgebeuteten auszudrücken. Es ist dringend notwendig, dass wir unsere Schwächen sofort und ohne Kompromisse ausfindig machen, ohne die Hartnäckigkeit unserer alten Laster, dem auf der Stelle tretenden Ideologisieren, das so viele Bereiche unserer Bewegung verpestet, der sozialdemokratischen Infiltration, Ernsthaftigkeit, Zögern angesichts des Handelns, dem Wahn von a priori Beurteilungen und kirchlicher Verschlossenheit, dem aristokratischen Überbleibsel, das uns dazu bringt, uns als die einzigen Träger von Wahrheit zu betrachten.

Die extremen Konsequenzen unserer effektiven Möglichkeiten des Kampfes zu analysieren bedeutet keineswegs das Problem des Krieges beiseite zu legen und wir sollten in der Lage dazu sein, eine weitaus präzisere und bedeutungsvollere Antwort zu geben, ein weitaus detaillierteres Herausarbeiten und Projekt der Intervention, als das was gerade passiert und was uns nur als Unterstützer aufbereiteter Theorien der Bourgeoisie und vulgäre Propagandisten eines humanitären Maximalismus, der von allen geteilt werden kann und aus genau diesem Grund niemand geneigt ist, ihn zu unterstützen, betrachtet.

Vielmehr, indem wir unsere Anstrengungen auf die Neuorganisierung der Bewegung richten und auf die Erkenntnis dessen, was nötig ist, um diesen Rückfall zu überwinden, sollten wir vermeiden unseren Diskurs schlicht auf die Angst vor dem Krieg zu beschränken, der durch seine Schwammigkeit und seine Gemeinplätze fortwährend Gefahr läuft, in einen Interklassismus zu verfallen.

Wir sollten nicht vergessen, dass unsere Beurteilungen eines Problems – und Krieg ist da keine Ausnahme – oft auf den materiellen Bedingungen basiert, in denen wir uns persönlich und die Bewegung im Allgemeinen befinden.

 


Aus: Insurrection Dossier COMISO: Towards anarchist antimilitarism. Original: La guerra, la pace e l’azione anarchica oggi, A.M. Bonanno, in Elementi per la ripresa di un una pratica anarchica dell’antimilirarismo rivoluzionario. Edizioni Anarchismo 1980. Diese Übersetzung folgt der englischen Fassung in Insurrection.

Deutsche Übersetzung entnommen aus „Inmitten der Nachschublinien des Krieges“.