These zum Covid-1984

Wenn sich mir etwas als Fortschritt vorstellt, frage ich mich vor allem, ob es uns menschlicher oder weniger menschlich macht.

George Orwell

Die unmenschlichsten Aktionen sind heute die Aktionen ohne Menschen.

Günther Anders

I. An der Oberfläche versteckte Wahrheiten

«Wie konnten sie es nicht bemerken und all das akzeptieren?». Das werden sich die Leser der Geschichtsbücher und die Zuschauer der Filme fragen, die in einigen Jahrzehnten die vielen Lügen erzählen werden, die die Epidemie des Covid-19 begleitet und die Herrschaftsprojekte gerechtfertigt haben, die mit dem Vorwand der Epidemiebekämpfung verwirklicht wurden. Und diese posthumen Betrachter werden sich bequem auf die Seite der Tugend schlagen, wie wir wenn wir ein Buch über den Kampf gegen die Nazis lesen oder einen Film über den Aufstand gegen die Sklaverei schauen. Etwas ähnliches wie eine vertiefte und glaubwürdige Rekonstruktion über die Verbreitung und die Auswirkung der sog. „Spanischen Grippe“ im vergangenen Jahrhundert wurde etwa 70 Jahre nach den Geschehnissen veröffentlicht. Man könnte argumentieren, dass die Gründe für eine solche Verspätung mit der Spezifität einer Pandemie verbunden sind, die das ungeheuerliche Gemetzel des 1. Weltkrieges noch tragischer beendete; und auch mit dem Gewicht, das die eisernen Ketten der militärischen Zensur auf die Zeitgenossen und die folgenden Generationen ausübten (bekanntlich kommt die Definition Spanische Grippe von der Tatsache her, dass nur die Presse des neutralen Spaniens darüber frei berichten durfte). Aber sind wir sicher, dass das aktuelle Wespennest an Quellen, zusammen mit dem präventiven und bösartigen Diskreditieren, das jede nicht linientreue Analyse traf und trifft, von den zukünftigen Historikern nicht ebenfalls als ein Käfig aus Silizium betrachtet wird? Seit nur einem Jahr nach dem Beginn des Covid greift man zur Analyse der online veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel auf die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz zurück, dermassen masslos ist deren Flut. Was werden diese Historiker davon als genügend gesichert erklären? Wahrscheinlich werden sich die Besten unter ihnen spalten und – wie es schon bei historisch weit wichtigeren Vorkommnissen geschehen ist, wie etwa der Kolonisierung Amerikas oder dem Nazismus – sich von zwei Ansätzen ausgehend streiten: einer funktionalistisch und ein anderer intentionalistisch, mit weiteren Historikern, die in der Folge eine Synthese der beiden Positionen versuchen werden. Der funktionalistische Ansatz bevorzugt die Analyse der sozialen Dynamiken; der intentionalistische gewichtet eher die erklärten Werte und Programme der Eliten. War die Ausrottung der indianischen Bevölkerung ein vorsätzliches Projekt oder das Resultat einer Gesamtheit an Mitursachen (an denen die durch die Eroberer unabsichtliche Verbreitung von für die Indigenen tödlichen Krankheiten mindesten ebenso beteiligt war wie die von der katholischen Doktrin gelieferte Darstellung der Eingeborenen als Völker ohne Seele)? War die Vernichtung der Juden das Resultat einer totalen Mobilisierung von industriellen und bürokratischen Apparaten und Kräften oder die Verwirklichung eines von Anfang an klaren Parteiprogramms? Bekanntlich können die auch von denselben, an sich niemals erschöpfenden, historischen Quellen ausgehenden Interpretierungen sehr stark divergieren, weil sie niemals von der heuristischen, ethischen und politischen Subjektivität des Historikers zu trennen sind. Z. B. ein liberaler Historiker, der den Nazismus als monströse Klammer im Fortschritt der 20. Jahrhunderts ansieht, wird dazu neigen, die Gaskammern von einem antisemitischen Wahnsinn ausgehend zu erklären, anstatt als eine Lösung, die von einem technischen und bürokratischen Apparat in den stählernen Stürmen eines besonders grausamen inter-imperialistischen Krieges produziert wurde. Denn sonst wären die Angeklagten seines persönlichen Nürnbergs nicht bloss die faschistischen Parteileiter, sondern auch die Industrieführer und nicht wenige wissenschaftliche Autoritäten (und die Verantwortung für die Vernichtungsfabriken würde den Ozean überqueren und den IBM-Koloss voll treffen…). Andersherum würde er dazu neigen, alles erblassen zu lassen, was der englischen Kolonisierung Nordamerikas die volle Absicht zur Ausrottung zuschreibt. Kann ein Bewunderer der US-amerikanischen Demokratie, als Historiker, ihren genozidären Ursprung behaupten? Die revolutionäre Kritik hat sich die funktionalistischen Erklärungen der historischen Phänomene zu eigen gemacht. Und das nicht nur, weil die materialistische Analyse immer multifaktoriell ist (heuristischer Grund), sondern auch (ethisch-politischer Grund) weil die intentionalistischen Lesarten mehr oder weniger absichtlich in der Entlastung des sozialen Systems enden und aus dem Horror eine Ausnahme und nicht die Regel und so aus gewissen strukturell dynamischen Formen der Unterdrückung politische Pathologien machen. Unter Anarchisten und Marxisten und innerhalb dieser zwei Strömungen der proletarischen Bewegung gab es immerhin auch immer eine Auseinandersetzung darüber, was wirklich strukturell und was irgendwie Nebenprodukt sei (und weiter, welchen Autonomiegrad die derivativen Elemente hätten). Um es schematisch zu sagen, für die Anarchisten entspricht die Macht nicht dem Profit, und es ist eher das Kommando, das das Privileg produziert, als das Gegenteil. Es gibt historische Momente, in denen der Wille nach Macht und seine politische Intentionalität die Dynamik der kapitalistischen Akkumulation überbieten. Ein offenkundiges Beispiel ist gerade der Nazismus. Die Endlösung wird auch dann weiter verfolgt, als ihre Logistik der deutschen Kriegsmaschine immer mehr Ressourcen entzieht. Wieso? Wegen einer Art geraden Linie zwischen den Seiten des Mein Kampf und den Gaskammern? Nein, weil das das funktionelle Resultat der gesamten technisch-bürokratischen Maschine war, die aus dem Antisemitismus ihr Treibmittel gemacht hatte. Wenn man sich, umgekehrt, darauf beschränkt die Dynamiken der “unpersönlichen Kräfte des Kapitals” (die folglich keine autonome politische Intentionalität aufweisen) zu betrachten, so ist die Vernichtung von ausbeutbarer Arbeitskraft eine nicht funktionale Verschwendung, folglich schwer zu erklären. Auch die revolutionäre Kritik der Verschwörungstheorie hat mit Funktionalismus und Intentionalität zu tun. Lange wurde unter Verschwörungstheorie (oder eine polizeiliche Anschauung der Geschichte) jede Erklärung verstanden, die, da sie die Dynamik der politisch-sozialen Auseinandersetzungen nicht mit einberechnete, die Ursachen der historischen Geschehnisse auf mehr oder weniger versteckte Pläne einer Elite oder auf die okkulten Manöver einer Lobby oder von Polizeien und Geheimdiensten zurückführte. Die faschistische These der hebräisch-freimaurerischen Spitze, die die Welt regiert, oder die stalinistische, der nach die Gruppen des bewaffneten Kampfes in Italien von den abweichenden Apparaten des Staates ferngelenkt waren, gehören zu den bekanntesten Beispielen. In beiden Fällen war die Verschwörungstheorie eine Waffe gegen die Bewegungen. Kein Staatsmann oder kein Journalist hat denn auch jemals jene als Verschwörungstheoretiker definiert, die behaupteten die Brigate Rosse seien gesteuert, denn das unzulässige war genau die Existenz einer unregierbaren Klassen-auseinandersetzung, worin es die autonome Aktion der kämpfenden politischen Gruppen gab; jegliche hinterhältige Erklärung, die dieses “öffentliche Geheimnis” verdrängte, war dem Staat zweckmässig. Sogar die Vermutung, Teile des staatlichen Apparates seien an der Entführung Moros beteiligt… Besser eine waghalsige spy story als die nackte Tatsache einer Gruppe von Arbeitenden, die sich organisieren und den Chef der Regierungspartei holen. Die obsessive Wiederholung der Ersten kann einen blühenden Verlagsmarkt jahrelang füttern und katatonisch-depressive soziale Effekte bewirken, während die einfache Verkündung der Zweiten genügt, um etliche geheime Politik des Imperiums ins Wanken zu bringen und, überdies, die Gefahr birgt, in den Köpfen den Samen gewisser schlechter Gedanken zu verbreiten. Aber die revolutionäre Kritik der Verschwörungstheorie hat tiefere und weniger zufällige Wurzeln: als erste, dass das, was in Erscheinung tritt, mehr als genug ist um diese Welt zu verabscheuen und ihren Umsturz zu versuchen. “Verschwörungstheorie“ war lange Zeit ein Begriff, der vor allem von den antagonistischen Bewegungen gebraucht wurde um die wahre Kritik von ihrer reaktionären Parodie zu unterscheiden und um die Polizei auf ihre traurige und untergeordnete Funktion zurückzuführen, anstatt aus ihr eine Hauptakteurin zu machen: der Unterschied zwischen den historischen Erinnerungen der Kämpfe und den Papieren der Polizeipräsidien ist abgrundtief! Den sog. einfachen Leuten sagte dieses Adjektiv-Substantiv wenig oder nichts.

II “Addà venì Garibaldi – Garibaldi muss kommen”

Die Armen und Ausgebeuteten haben im Verlauf der Geschichte versucht, sich die Welt mit den ihnen zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln zu erklären (und sich Mut zu machen). Die Folklore war immer eines davon. Volksglaube, Balladen, Rituale, Sprichwörter, Legenden und Erzählungen waren die spontanen Formen einer Kultur von unten, oral, unbelesen und lange Zeit in der Schule nicht vorkommend. Diese Folklore vermengte nicht wenige Elemente der Wahrheit (als Selbstverständnis der eigenen Erfahrung) in einem fatalistischen und kontemplativen Rahmen (gleichzeitig Ausdruck der Unterordnung unter die Darstellungen der herrschenden Klasse und Kehrseite eines Lebens als Gefangene). Gramsci – für den ich, das sei ganz klar gesagt, keinerlei politische Sympathie empfinde – sagte in treffender Eingebung, dass die proletarische Kultur keine überhebliche und besserwisserische Haltung gegenüber der Volkskultur haben solle, sondern deren Elemente der Wahrheit aufzunehmen und von den fatalistischen Darstellungen zu befreien habe. Der Togliattismus war die Parodie dieser Anweisung: er hat die folkloristischen Mythen mit politischen Mythen ersetzt, und hier meint man mit Mythos das, was gleichzeitig Passivität und Hoffnung einflösst. Wieso hat Togliatti auf Anweisung Moskaus den Mitgliedern der Partisanenbanden den Namen Garibaldini auferlegt? Nicht nur um das patriotische Wesen des Widerstandes zu unterstreichen (als “Zweites Risorgimento”), sondern auch um einen der Volksfolklore eigenen Befreiungsmythos (“Addà venì Garibaldi!”) zu technisieren – würde Károly Kerényi sagen. In der Volksfolklore gibt es sowohl die Idee einer Welt, die von irgendeinem Fluch ungerecht und unveränderlich gemacht wurde, als auch die Idee einer magischen und schmerzhaften Formel, die sie plötzlich befreien kann und alle Schulden und Ungleichheiten auslöscht (das Jubiläum). Wenn es etwas gibt, das nicht der Folklore gehört – und ihr von aussen eingeflüstert wurde – so genau die Idee von Fortschritt, der Glaube an eine allmähliche Befreiung im Sinne einer geschichtlichen Gesetzmässigkeit der kumulativen Zeitlichkeit und der aufsteigenden Dynamik.

III. Geheimdienste

Ein in der Handhabung der Covid-19 Epidemie ohne weiteres nie da gewesenes Element ist der mediale Einsatz des Begriffs „Verschwörungstheorie“, der jeglicher These zugeschrieben wird, die die offiziellen Wahrheiten in Frage stellt. Ein derartiges Trommelfeuer – und dermassen international – kann kein Zufall sein, und entspricht sowohl funktionalen als auch intentionalen Gründen. Um ein Beispiel dieses verkehrten Gebrauches eines in der Vergangenheit meistens von Revolutionären gebrauchten Begriffes zu geben, genügt die Zitierung aus dem Bericht 2020 der italienischen Geheimdienste, wo das Wort erscheint um die Thesen sowohl der extremen Rechten als auch des Antagonismus zu definieren. Ein Geheimdienstler, der jemanden als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, kann nicht voreilig als einfacher Zufall abgetan und auch nicht mit einem überhaupt nicht lustigen Witz verwechselt werden. So wie auch die Tatsache einer Erklärung würdig ist, dass die am meisten als Verschwörungstheorie bezichtigten Dinge die Ideen und die Aktionen gegen die 5G Antennen und die Positionierungen gegen die Massenimpfung waren. Vom Zusammenhang zwischen Waldrodung, industriellen Mastbetrieben und Artensprung der Viren konnte man am Anfang (dann immer weniger) auch im Radio reden hören, in Vertiefungen der unvermeidlichen Experten, deren Funktion gerade darin zu bestehen schien, die antikapitalistische Analyse auf allgemeiner Ebene scheinbar zu unterstützen, um sie dann in ihrer unmittelbaren Aktion abzutakeln. Jeglicher live Anruf, der an der Impfung Zweifel auch nur andeutete, oder die Nachricht einer angezündeten Telekommunikationsantenne rief, hingegen, aufgeregte Reaktionen oder die Abräumer-Etikette hervor: Verschwörungstheorie. Formulieren wir doch eine Hypothese über diese Parodie hoch zwei (der Verschwörungstheoretiker, als historischer Feind der revolutionären Bewegung, wird plötzlich zum Staatsfeind). Wahrscheinlich erwarteten die Regierungen, dass vor allem die Revolutionäre und Antagonisten den Sinn und die wirkliche Funktion ihrer “anti-Covid”-Massnahmen radikal in Frage stellen würden. In einer Mischung aus Intentionalität und erprobter Funktionalität mit dem Zwecke, gewisse Worte des Staates und gewisse Worte des Antagonismus (vor allem des am stärksten um die Gefährdung seines öffentlichen Images besorgten) auf eine gemeinsame Linie zu bringen, genügte es, den „Verschwörungstheoretiker“ als Feind der kollektiven Gesundheit und die Regierung als deren Garant (wenn noch so stümperhaft, unfähig und den Interessen der Confindustria – Arbeitsgeberverband – untergeordnet) darzustellen. Im Hintergrund, wie wir sehen werden, hat sich in all seiner Materialität ein ungelöster Knoten vieler Bewegungen des 20. Jahrhunderts verklumpt: die Frage des Staates. Wohin ist denn, unterdessen, der Glaube geraten, dass das, was sie uns im Fernsehen erzählen, alles Stuss ist? In die Volksfolklore, in die Formen, die sie in der digitalen Gesellschaft annimmt. Hat die „kritische Kultur“ – nach gramscianischer Annahme – die Elemente an Wahrheit beleuchtet und versucht, die fatalistisch-reaktionären zu zerpflücken? Nein. Um sich von der “Verschwörungstheorie”, den “fake news”, von der “Leugnung” fernzuhalten, hat sie absichtlich deren Gründe – so verwirrt, partiell, naiv und verseucht man auch will sie auch seien, aber auch verständliche und vernünftige – in einer Abwärtsdynamik ignoriert: wenn ich gestern nichts gegen den lockdown gesagt habe, was dann heute gegen die Ausgangssperre? Wenn ich nichts über die verweigerte Hauspflege gesagt habe, was dann über die Impfstoffe? So, während der Nebel sich verdichtete und der Käfig stärker wurde, ist jeder den Weg gegangen, auf dem er sich am sichersten fühlte: Antirepression für einige, Unterstützung der Arbeitskämpfe in der Logistik für andere, die Kämpfe gegen die Vernichtung der Umwelt für noch weitere. Richtige und notwendige Schlachten, wohlverstanden, aber irgendwie abseits des Terrains, auf dem der Staat und die Technokraten ihre Artillerie aufgestellt hatten.

IV. Giftgas

Die vorherrschenden Tendenzen in der proletarischen Bewegung des 20. Jahrhunderts – die nach dem Rücklauf der Kämpfe der 70. Jahre und dem Verschwinden der Sowjetunion nicht ganz weg sind, um hingegen larvale und gasförmige Formen anzunehmen – betrachteten den Staat entweder als neutrale politische Organisation oder als schlichtes Geschäftskomitee der Bourgeoisie. Im ersten Fall hätte der Eintritt der Arbeiterparteien in die Institutionen und die mit gewerkschaftlicher Macht erzwungenen Verbesserung der Bedingungen der Arbeitenden die Spielräume der Demokratie bis hin zum Sozialismus sukzessive vergrössert; im zweiten Fall hätte nur die gewaltsame Eroberung der politischen Macht einen antikapitalistischen Gebrauch des Staates erlaubt (als erster Schritt zu seiner Abschaffung). Der Stalinismus hat aus der ersten Vorstellung eine Taktik und aus der zweiten eine Strategie gemacht (oder, genauer, ein bestrickendes Versprechen zur Rechtfertigung der Allianz mit den „progressiveren“ Sektoren der Bourgeoisie). Mit der Zeit wurde die Taktik zur Strategie und der demokratisch-bürgerliche Staat zum unüberwindbaren Horizont. Die Interessen der armen Leute hätte man sichergestellt indem man der „privaten“ (und überdies „monopolistischen“) Kraft des Kapitals die „universelle“ Macht des Staates entgegengesetzt hätte. Die staatliche Planung der Wirtschaft und die öffentliche Finanzierung der Forschung waren also schon Vorposten des Sozialismus. Dieses Schema finden wir in den internationalen Mobilisierungen gegen die Globalisierung wieder: die neoliberale Politik besteht aus Entscheidungen von Institutionen, die nunmehr Geiseln der Multis (und des Finanzkapitals) und jeglicher “Souveränität” entleert sind. Muss man sich da wundern, wenn gewisse Sektoren des Volkes hinter der Handhabung der Covid-19 Epidemie die Regie von “Big Pharma” und in der Verfassung den einzigen Damm und auch die Legitimierung des eigenen “Widerstandes” sehen? Das Schema ist ähnlich: die wissenschaftliche Forschung ist den Interessen Weniger gebeugt, die universelle Aufgabe des Staates wird von Regierungen beeinträchtigt, die sich der grossen Finanz verkauft haben. Mehr oder weniger das, was jene behaupten, die sich, aber in einer viel weniger logischen und konsequenten Art und Weise, zum “Impfstoff Allgemeingut” bekennen: ein von “Big Pharma” entwickeltes und verkauftes Produkt – überdies von Kontrollorganen bewilligt, die es selbst finanziert – wird jemals ein “Allgemeingut” sein können? Nicht sehen, wie die Absichten der Pharmamultis (und des Digitalen) durch die Funktion der technologischen Entwicklung ermöglicht werden, bedingt eine enorme Vereinfachung (die das soziale System insgesamt entlastet und erneut den Staat anruft, die Richterschaft, eine neues Nürnberg…). Aber ist es vielleicht realistischer zu verlangen, dass dieselben Multis auf Patente verzichten und ihre Technologien an die armen Länder überführen? Und bezeugt das ein besseres Verständnis des Funktionierens des – privaten und staatlichen – industriellen Apparates der Technowissenschaften? Einige, sicher ein wenig einsichtiger was das Verhältnis zwischen Staat und Kapitalismus angeht, wünschen sich, dass die Massenimpfung von „proletarischen Komitees“ übernommen werden, da ja die bürgerlichen Institutionen sich nicht der Macht von “Big Pharma” entledigen können. Da haben aber die Stalinisten recht: für ein solches Unterfangen braucht es den Staat. Aber klarsichtiger als beide sind ohne weiteres die tausenden von Menschen – zum allergrössten Teil Frauen – die auf die Strasse gegangen sind und „wir sind keine Versuchskaninchen!“ geschrien haben. Die „folkloristische“ Idee, dass Bill Gates die Menschheit durch die Impfstoffe reduzieren will, ist sicherlich näher an der Wahrheit als die progressistische Illusion, die technowissenschaftliche Entwicklung sei nicht bloss neutral, sondern gar ein Emanzipationsfaktor…

Der grösste Teil der Krankheiten, der die Menschheit beutelt, erfordern sehr gering technologische Lösungen wie sauberes Wasser, genug Nahrung, anständige Löhne; alles Aspekte, die von der technologischen Entwicklung nicht gelöst, sondern verschlimmert werden, während sie alle mit ihren „baldigen, aber irgendwie immer um die Ecke liegenden“ Versprechen bezirzt. Bloss 2020 sind in Mosambik 500’000 Kinder an Hunger gestorben. Und was ist die Priorität für gewisse angebliche Internationalisten? Jener Bevölkerung GMO Impfstoffe bringen. Genau das, was die Eugeniker – sowie Sterilisierer armer Frauen – wollen, die den Impfstoff von AstraZeneca entwickelt haben… Nein, ihnen nicht bloss die Impfstoffe sondern auch die Technologien selbst bringen um sie autonom entwickeln und produzieren zu können. Bzw.: biotechnologische Forschungszentren einrichten – wo die in Künstlicher Intelligenz, in Bioinformatik, in Molekularbiologie und in Nanotechnologie hochspezialisierten Techniker einen neuen Jahrgang lokalen Personals ausbilden sollen, um denen in Nullkommanichts Hightech-Fabriken zu bauen, wo sie die Impfstoffe autonom produzieren können. Fabriken, klar doch, die an ein mächtiges digitales Netz angeschlossen sind. In diesem schönen Märchen – dessen Unterbewusstsein jenes des wohltätigen Imperialismus ist – würden solche Forschungszentren und Fabriken bei beendeter Impfung auf die Aufgaben verzichten, für die sie historisch geschaffen wurden: die Abhängigkeit (energetische, landwirtschaftliche, sanitäre, wirtschaftliche, soziale, politische) der lokalen Bevölkerung von einem zentralisierten und heteronomen Apparat zu vergrössern, dessen unersättlicher Rohstoffabbaumotor die Menschlichen auspresst, die Erde steril macht und Epidemien verursacht. Wäre es nicht viel praktischer, die Gelder der Impfstoffe für den Aufbau eines Netzes von kleinen Dorfambulatorien zu verwenden, um dort die Kranken rechtzeitig zu behandeln anstatt wahllos Millionen Personen zu impfen? Sicher wäre es das, aber der Zweck des Biotechmarktes ist ja gerade, die «prosaische Pflege- und Präventionsarbeit» obsolet und wenig profitabel zu machen.

V. Ungelöste Knoten

Cui prodest? Wem nützt es? Diese Frage ist so notwendig wie ungenügend; und die Antworten manchmal irreführend. Es ist nicht gesagt, dass jene, die die Folgen eines Geschehnisses ausnützen, es auch verursacht haben. Unter den vielen möglichen historischen Beispielen wählen wir zwei, die zur Geschichte der revolutionären Bewegung gehören: der Reichstagsbrand und die Bombe am Theater Diana. Die erste Geste – ausgeführt vom holländischen Rätekommunisten Marinus Van der Lubbe – lieferte den Nazis die Rechtfertigung für eine grausame Hetzjagd gegen alle Dissidenten. Lange – und heute noch in nicht wenigen fälschlicherweise als glaubwürdig betrachteten Geschichtsbüchern – wurde der Brand des deutschen Parlaments als Naziverschwörung betrachtet (cui prodest?, eben) und der Genosse Van der Lubbe als Provokateur. Eine – aus naheliegenden Gründen – vor allem von den Stalinisten behauptete These. Der Brandstifter wurde damals bloss von einigen anarchistischen Gruppen (zum Beispiel “L’Adunata dei Refrattari”), von den deutsch-holländischen Rätekommunisten und von einigen Zeitschriften der „italienischen“ kommunistischen Linken verteidigt (und auch unter den wenigen Kommunisten, die ihn verteidigten, fühlten sich einige jedenfalls befleissigt, die Geste politisch zu kritisieren…). Das von der “nazistischen Verschwörung” war eine dermassen durchdringlich getrommelte historische Verfälschung, dass wir sie sogar in einem der allerersten Flugblätter vorfinden, die “sofort” die staatliche und unternehmerische Matrix der Bombe des 12. Dezember 1969 ausmachten. Besagter Text, der einige Wochen nach dem Massenmord der Piazza Fontana von “einigen Freunden der Internationale” veröffentlicht wurde, hatte denn auch den Titel Brennt der Reichstag? (implizit: der italienische Staat ist der Täter dieser blutige Provokation und hat als dafür Verantwortliche auf die Anarchisten gezeigt, genauso wie die Nazis das deutsche Parlament angezündet und die Verantwortung den Kommunisten unterschoben haben). Dass die beiden Gesten – im Falle des Reichstags das Organ der passiv machenden Vertretung des “arbeitenden Volkes” anzugreifen, ein Organ, das die Überbleibsel an Aktion des “arbeitenden Volkes” sterilisierte und dessen staatliche Unterdrückung validierte, und im anderen Falle wahllos in den Haufen der Landwirte zuzuschlagen – diametral entgegengesetzte Anwendungsmodalitäten von Brand- und Sprengsätzen darstellten, hat nicht verhindert, dass sie unter demselben Begriff eingeordnet wurden: Verschwörung. Man beobachtet die Wirkung, man denkt nicht über die Dynamiken nach (das Ganze vom Vorurteil geprägt, dass nur die kollektive Aktion eine legitime Antwort auf Unterdrückung sein kann). Da die Geschichte das Ergebnis eines Gewirrs an Kräften (und Unwägbarkeiten) ist, kann manchmal auch die Analyse der Dynamiken irreführend sein. Als sie am 23. März 1921 die Presseartikel zum Massenmord des Diana lasen, dachten nicht wenige Genossen sofort an eine Provokation der Polizei. Nicht nur wegen der darauf folgenden grausamen Jagd auf den Subversiven (eben: cui prodest?), sondern gerade wegen der Dynamik der Tat an sich: sowohl die Wahl des Zieles – ein auch von normalen Leuten besuchtes Theater – als auch die Modalität des Attentates (eine Bombe mit grosser Sprengkraft). Erst einmal war es schwierig zu verstehen, dass es sich, hingegen, um die unvorhergesehene Wirkung der Aktion einiger jungen und bekannten Genossen handelte, «nicht um das Theater, sondern das darüber liegende Hotel zu treffen – das, nach Infos, die damals die Attentäter hatten, regelmässig als Treffpunkt von Benito Mussolini und dem Polizeipräsident von Mailand, Gasti, diente, beides Erzfeinde der Anarchisten und von denen besonders gehasst, und man dachte, dass gerade an jenem Abend Gasti in jenem Hotel sein sollte» (Giuseppe Mariani). Das alles um zu sagen, dass gerade die Revolutionäre sich hüten sollten, die Logik des cui prodest? mechanisch anzuwenden. Würden wir eine solche Logik auf den Notstand Covid-19 anwenden, wäre die Schlussfolgerung eindeutig: vom Notstand haben vor allem die Digital- und Pharmamultis profitiert, folglich haben die ihn geplant. Post hoc, ergo propter hoc («Nach dem, folglich wegen dem»). Genau so naiv wäre jedoch zu meinen, dass der beschleunigte Anschub zur Digitalisierung der Gesellschaft und ein Programm wie die Impfung auf planetarischer Skala bloss zwei funktionale Antworten auf ein völlig unerwartetes Geschehnis wären: nämlich die Verbreitung des Sars-CoV-2. Um sich von was funktional und was intentional ist eine etwas umsichtigere Vorstellung machen zu können, müssen wir verstehen, wo die zwei grundlegenden Tendenzen unserer Zeit liegen. Bzw. uns erneut mit zwei ungelösten Knoten beschäftigen: die technologische Frage und die Frage des Staates.

VI. Schmelzpunkte

Ich habe mich lange gefragt, auf welche Weise man das Verhältnis zwischen Technologie und kapitalistischer Entwicklung am präzisesten definieren könnte. Auf Grund des geschichtlichen Nachweises finde ich die beiden üblichen Vorstellungen zum Thema völlig falsch: eine entspricht sowohl der liberal-demokratischen als auch der marxistischen Vorstellung und besagt, die Technologie sei eine Gesamtheit an Mitteln zur Rationalisierung und zur Organisation in Bezug auf variable politisch-ökonomische Zwecke; und die andere betrachtet die Technik als autonomes Subjekt der Geschichte (die Geschichte eines Bruches zwischen dem Menschenwesen und seiner Prothese, worin der Unterschied zwischen einer Windmühle und einem AKW nur ein Stufenunterschied wäre). Bis jetzt habe ich zur Definition dieses Verhältnisses das zutreffendste Adjektiv in einem schönen Buch über den luddhistischen Aufstand gefunden: konsubstantiell. Wenn die Einzäunung der gemeinschaftlichen Ländereien und die Ausraubung der kolonialen Reichtümer die zwei Quellen der ursprünglichen Akkumulation des englischen Kapitalismus waren, so wurden die Grundlagen zur Entwicklung der Manufaktur und des Maschinentums von der Stärke des britischen Staates im Krieg zuerst gegen den spanischen Staat und dann gegen den französischen Staat geliefert: aus den Notwendigkeiten der Kriegsführung entstehen denn auch sowohl die Eisenbahn als auch die Ausbeutung der Kohlengruben. Die Elektrizität wurde zur Waffenproduktion entwickelt, bevor sie private Häuser erhellte, diente sie dazu, die Manufakturen auch in der Nacht zu betreiben. Dieses Verhältnis der gegenseitigen Verwicklung von militärischer Macht, Entwicklung der Industrie und Beschleunigung der Technik hat einen Sprung erzeugt: die Technologie, bzw. die Anwendung von immer spezialisierteren wissenschaftlichen Kenntnissen auf eine industrielle Produktion, die nach und nach alle gemeinschaftlichen und nicht zentralisierten Produktionsformen verdrängte. Die zwei Weltkriege waren in der Folge das Labor einer neuen Fusion: zwischen wissenschaftlicher Forschung, Militärapparat, industrieller Planung und Staatsbürokratie. Der zweite Weltkrieg hat der Verschmelzung nicht nur die Massen-kommunikationsmittel hinzugefügt; sondern, dank den gigantischen Rüstungs-, medizinischen und toxikologischen Experimenten auch das eingeläutet, was man als Technowissenschaft bezeichnen kann, und damit auch deren politisch-soziale Form: die Technokratie. So wie die totalisierende Logik des Profits ein Element ist, das in der feudalen Gesellschaft wächst und sich verselbstständigt, wird die technologische Entwicklung, als wirkende Kraft der kapitalistischen Akkumulation, immer mehr zum Motor der wirtschaftlichen Konkurrenz (sowie zur Fortführung der Politik mit anderen Mitteln). «Die politischen Regimes gehen vorüber, die Technokratie bleibt». Innerhalb der Konfrontation der Macht der Staaten – als direkte Akteure der industriellen Planung – der vierziger und fünfziger Jahre, werden die Paradigmen (Kybernetik) ausgearbeitet und die Forschungsprogramme lanciert (Informatik und Gentechnologie, neben dem Nuklearen), ohne die es weder die darauf folgende Finanzialisierung der Wirtschaft (mit den entsprechenden neoliberalen Politiken) noch den Eintritt in die menschlichen Körper als weiteres kapitalistisches Eroberungsterrain gegeben hätte. Diese Verschmelzungsprozesse von privat und staatlich – die jemand Technobürokratie genannt hat – wurden klarsichtig von den weniger von den Sirenen des Fortschritts und der angeblich „emanzipatorischen“ Entwicklung der Produktivkräfte verzauberten Geister begriffen: Simone Weil, George Orwell, Dwight Macdonald, Georges Henein… alle mehr oder weniger verspottet weil sie sich für die „sekundären“ Aspekte interessierten und die unpersönlichen Gesetzmässigkeiten des Kapitals vernachlässigten. Diese Analysen haben sowohl das innewohnend hierarchische und anti-egalitäre Wesen der Grossindustrie (egal wer die Produktionsmittel juristisch besitzt) als auch die omnivore Ausbreitung der staatlichen Bürokratie exakt beschrieben. Was immerhin als selbstverständlich galt, war, dass die industrielle Planung in der dem Kapital untergeordneten Wissenschaft ihren Kern hatte, und dass die logischste Artikulierung dieses Kerns das long range planning sei. Nur ist dieser Kern – dank den enormen staatlichen Finanzierungen – nicht nur völlig eins mit der Kommandoschaltzentrale geworden, um so das Verhältnis zwischen Mittel und Zweck umzukehren; die “technologische Revolution” hat auch jegliche Planung, die in Bezug auf die Innovationen der angewandten Wissenschaft immer zu langsam und zu kostspielig ist, platzen lassen. Wahr bleibt, dass «das Umfeld, wo die Technik ihre Macht über die Gesellschaft erlangt, die Macht jener ist, die über die Gesellschaft selbst die wirtschaftlich stärksten sind» (M. Horkheimer, T.W. Adorno, Dialektik der Aufklärung). Mit folgendem grundlegenden Zusatz: «Die technokratische ist keine „Revolution“, sondern ein permanenter Putsch». Gerade weil die technische Rationalität der, «wenn man es so sagen kann, zwangsmässige Charakter der sich selbst entfremdeten Gesellschaft ist», trifft ihre Autonomisierung in der Dynamik dieser Entfremdung auf keinerlei Grenzen. Die technologische Entwicklung hat einen relativen Gegensatz (die Kämpfe der Lohnempfänger) und einen absoluten Gegensatz (dass die Menschenwesen und das Lebende nicht zur Maschine reduziert werden können): die Technokratie umschifft den ersten immer stärker und zielt direkt auf den anderen. So wie es die staatliche Repression der revolutionären Bewegung der Sechziger und Siebziger Jahre war, die die Einführung der Telematik in die Produktion ermöglichte und begleitete, so bereitet der aktuelle Angriff der Herrschenden und der Polizei auf den Widerstand der in den Logistiksektoren Arbeitenden die generelle Durchsetzung des “Modells Amazon” vor. Um den proletarischen Angriff der Sechziger und Siebziger Jahre zu liquidieren, haben Staat und Arbeitgeber (durch den gekreuzten Einsatz der Durchsetzungsmacht und des technologischen Sprunges) die „Verhandlungs“-Kraft einer Arbeiterklasse als Produkt eines bestimmten Produktionsmodells (Standortgebundenheit der Anlagen, Warenlagerungskosten, kapitalistischer Bedarf nach einer sehr zahlreichen und gering qualifizierten Arbeitskraft, die gerade deswegen zum „wissenschaftlichen“ Einsatz des Absentismus und der Sabotage fähig war) beseitigen müssen. In sehr reduziertem Verhältnis zielt auch die Digitalisierung der Logistik auf die Beseitigung ihres eigenen relativen Gegensatzes: die Blockaden und die Streikposten der Arbeitenden (genau jene Kampfformen, die der Staat mit seinen „Sicherheitsdekreten“ illegalisiert hat). Zu meinen, die technologische Entwicklung sei heute eine sekundäre Variante der Klassenauseinandersetzung, heisst auf einem anderen Planeten zu leben. Wenn etwelche besonders besser wissende Marxisten über unsere – typisch “kleinbürgerlichen“! –„Ängste“ über die laufende Techno-totalitäre Wende spotten und behaupten, der “technologische Dynamismus” (der eher angekündigt als real sei!) sei bloss das Symptom einer kurzatmigen kapitalistischen Aufwertung, beweisen sie voll und ganz ihren eigenen Realitätsverlust. Genauso wie die dementsprechende Ortung dessen unrealistisch ist, was der wahre Einsatz im Spiel wäre: der Kampf um eine generalisierte Verkürzung des Arbeitstages, als “Minimalprogramm”, das von den neuen Technologien ermöglicht würde. Wenn überhaupt, dann belegt die Geschichte, dass ein Kampf um die Verringerung der Arbeitslast jener ausdauernden Selbstorganisationskraft bedarf, der die Robotik und die Automatisierung jegliche Grundlage entziehen. Die heute und zukünftig noch stärker von der Digitalisierung verursachte Massenarbeitslosigkeit produziert eine immer gefügigere Lohnarbeiterschaft. Das Märchen, dass die technologische Entwicklung das Menschenwesen vom Mühsal befreien würde – wenn nicht automatisch, so wenigstens durch die Schubkraft des Klassenkonfliktes –, war schon immer ein technokratisches Märchen. Die lebendige Arbeit nimmt exponentiell zu – der materielle Apparat des Digitalen gründet auf der erzwungenen Aktivität von Millionen von Menschenwesen –, aber er ist technologisch dermassen verknüpft wie er, andersherum, sozial fragmentiert ist. Somit ist die Forderung eines kürzeren Arbeitstages eminent politisch (und prallt mit einer anderen politischen Option zusammen: mit dem gewährleisteten Mindesteinkommen). Wäre es wirklich unrealistischer, sofort die Schliessung der Produktionen zu fordern, die die Menschen und ihre Umwelt vernichten, bzw. gegen unseren Ausschluss aus der Welt zu protestieren?

VII. Blitzkrieg

In der Geschichte werden die Wirkungen ihrerseits nicht selten zu Ursachen. Die Finanzialisierung der Wirtschaft – unmöglich ohne Informatik, Künstliche Intelligenz, Data Science und die gigantischen Apparate, auf denen sie gründen – wirkt sich ebenfalls auf die technoindustrielle Entwicklung aus. Eine Binsenwahrheit. «Die Entscheidungen scheinen automatisch der “black box” eines „objektiven“ Rechnungsmechanismus zu entspringen». Die technologische Lösung neigt somit zur Abschaffung jeglicher ethischen Einschätzung und politischen Aktion. Kehren wir ein Moment zum Verhältnis zwischen permanenter Innovation und industrieller Planung zurück. Die Atomindustrie – Ergebnis des Machtkrieges unter den Staaten und des kolossalen wissenschaftlichen Finanzierungsprogramms, das sie ermöglicht hat – ist das riesigste Beispiel von staatlicher Planung einer zentralisierten, militarisierten und vor allem ortsfesten Einrichtung. Auf diese staatliche Produktion pfropfen sich sowohl weitere stationäre Infrastrukturen auf – wie die Hochgeschwindigkeitslinien – als auch die high tech Labore, die andauernd Formen und Weisen der Warenproduktion, des Abbaus und der Bearbeitung der Rohstoffe, der urbanen Ordnungen, der Kontrolle des Territoriums, die Formen und Weisen der Kriegsführung umkrempeln. Dasselbe kann von den Tiefseekabeln gesagt werden, deren Legung und Verteidigung selbst Gegenstand geopolitischer und militärischer Auseinandersetzung ist. Wenn, ohne einen radikalen Umsturz der Gesellschaft, man eher sicher sein kann, dass es in einigen Jahrzehnten immer noch Atomkraftwerke, Bahnlinien und Tiefseekabel wie wir sie heute kennen geben wird, haben wir nicht die geringste Ahnung – ausser mit etwelchen Übungen in kritischer Futurologie – wie wohl das Brot oder die Autos produziert werden, und auch nicht davon, wie man Einzahlungen tätigen oder die Körper pflegen wird. Diese totalitäre Beschleunigung ist genau das, was permanenter technologischer Putsch genannt wurde. Wenn das Imperativ der Verbreitung und das Imperativ der Tiefe den technowissenschaftlichen Apparat dazu drängen, jeden Fetzen menschlicher Erfahrung zu erobern um ihn in Daten zu verwandeln, ist es einfach lächerlich darüber zu streiten, ob eine Politik neoliberal oder neukeynesianisch ist. Erstens weil klar ist, dass die Digitalisierung – mit ihrem blutsaugerischen Apparat der Intelligenz der Maschinen – die Flucht nach vorne der Finanz (mit den entsprechenden materiellen Auswirkungen: Eröffnung und Schliessung just in time der Führungs- Logistik- und Produktionszentralen) bloss beschleunigen kann; zweitens, weil die staatliche Planung derselben Logik folgt und ebenfalls die technologische Verwaltung der Territorien und der Bevölkerungen anstrebt. Um sich dessen gewahr zu werden, genügt die Lektüre der Weissbücher der Armee als planende Institution schlechthin. Da die high tech Innovation – von den Drohnen bis zu den Killer-Robots, vom digitalen Schlachtfeld bis zu den genetisch gesteigerten Körper der Soldaten – die Verteidigungsinstitutionen und Forschungszentren schon miteinander verschmolzen hat, wurde der militärischen Bürokratie – die so ortsgebunden wie ein AKW ist – die politische Führung der Programme immer stärker entzogen und den inter-universitären Departementen anvertraut, die ihrerseits den Bedürfnissen der 4.0 Industrie immer stärker verbunden sind. Was die Feinde des Neoliberalismus auch sagen mögen, die high tech Wirtschaft ist eine resolut dirigistische Wirtschaft. Die medialen Verbreiter des technokratischen Wortes haben auf den Notstand Covid-19 gewartet um es begeistert zu verkünden: der Staat ist zurück. (Um zu verstehen, dass er niemals von dannen ging, hätte die Verfolgung des konstanten Wachstums der sog. Staatsverschuldung, um von anderem gar nicht zu reden, genügt). Nicht zufällig haben die verschiedenen auf der Lohnliste stehenden Soziologen und Wirtschaftler als Präzedenzfall des aktuellen staatlichen Eingriffes in die industrielle Finanzierung die kriegerische Organisationsanstrengung der USA im Zweiten Weltkrieg zitiert. Was ansteht ist genau das, eine Kriegswirtschaft. Aber bedeutet das vielleicht auch eine Rückkehr der Planung? Sozialdemokraten und Stalinisten hoffen darauf und drängen die „Bewegungen“ zum Kampf um den staatlichen Planungen etwas Sozialismus beizufügen. Die etwas kritischeren Marxisten entlarven den ideologischen Betrug, weil es für einen New Deal kein Geld gibt, da der Kapitalismus nicht in einer Phase der Expansion sondern der Krise steckt. In Wirklichkeit ist die “Rückkehr des Staates” überhaupt nicht die Rückkehr zum industriellen long range planning: es ist die Beseitigung manu militari aller Behinderungen auf dem Weg zum permanenten technologischen Putsch, bzw. zur Diktatur der Maschinen, der Experten und der Militärs. Wie jemand gut zusammengefasst hat, was beschleunigt vorbereitet wird, ist die Epoche der Fehler und des Unglücks. Ja, die “technologische Revolution”, die alle alten Produktionsweisen gleichmässig verdrängt, ist ein Mythos. Die Technologie hat den Gang eines Blitzkriegs. Dieser Blitzkrieg wird nicht nur unaufhörlich von der übergreifenden Arbeit der Forschungszentren, der Industrie, der Massenmedien und der öffentlichen Institutionen (mit der unauffälligen Präsenz der Militärs) vorbereitet, sondern beeinflusst auch entscheidend alle wirtschaftlichen und sozialen Bereiche. Wenn im globalen Markt die Waren mit der höchsten Aufwertungsrate jene sind, die mehr Daten und mehr wissenschaftliche Entwicklung beinhalten, so müssen die anderen – die weniger oder überhaupt nicht high tech sind – die unbezahlte Arbeit verstärken um den Konkurrenzkrieg zu überstehen: nur so bleibt das Menschenwesen allgemein vorteilhafter als das technologische Investment. Das Beispiel des chinesischen Staates ist emblematisch. Die smart cities und die Zwangsarbeitslager sind zwei kommunizierende Gefässe derselben Technokratie. Sagt es doch den in jeder Fortbewegung aufgezeichneten Chinesen, dass die Digitalisierung der Welt ein Mythos ist, weil Milliarden anti-Covid Masken tagtäglich eigentlich wie im 19. Jahrhundert produziert werden!

VIII. Gramm und Tonnen

Wenn man totalitär sagt, meint man vor allem polizeilich. Das ist ein irreführender Reduktionismus. Eine totalitäre Wirtschaft ist eine Wirtschaft, die keinerlei menschliche Erfahrung ihrem Zugriff entgehen lässt. Auf die Polizei verzichten – oder besser, aus der Polizei die hindernisfreie Organisation der Stadt zu machen, die citizen science – ist die Utopie der Technokraten. Aber gerade weil die Technologisierung der Welt so versteckte wie masslose menschliche und ökologische Kosten hat, ist das, was sie produziert, eine differenzierte Apokalypse. Für einige die Auszehrung in den Coltanminen und den Mangel an Wasser und Nahrung; für andere die Telearbeit und das Risiko der Fettleibigkeit. Für Millionen Frauen im Süden der Welt die verkappten Programme der Zwangssterilisation; für tausende Frauen des Nordens der Welt der Zugang zur medizinisch betreuten Fortpflanzung. Für die Arbeiter, die die Smartphones zusammenbauen, das Arbeitslager und die Maschinenpistolen im Rücken; für die Mitglieder der upper-class der Videoanruf mit dem eigenen genetischen Berater vom Rande des Schwimmbeckens aus. Was aber ein totalitäres System am stärksten charakterisiert, ist das Verschwinden der Kriterien zur Bewertung der Tatsachen (und zur Unterscheidung zwischen den Tatsachen und ihrer Manipulation), die Liquidierung der Fähigkeit, die eigene Erfahrung auszuwerten, die Obsoleszenz der Fähigkeit, mit den Sinnen und dem Intellekt jenes “solide Rätsel” des Produktes der eigenen sozialen Aktivität zu erfassen. Die Leser von 1984 werden sich sehr wohl an die Seiten erinnern, die Orwell den Verkündungen des Grossen Bruders über die Schokoladenrationen widmet. Dank der permanenten Auslöschung der Vergangenheit wird die Verkündung der Zunahme der Ration, die in Wirklichkeit eine Verringerung gegenüber der vor einer Wochen verkündeten Ration ist, von den Parteimitgliedern mit hysterischen Begeisterungsstürmen empfangen. Unmöglich für die Dissidenten, das Gegenteil zu beweisen, da die Daten nach und nach aus den Archiven gelöscht werden. 1984 ist kein “dystopischer Roman”. Um zu beweisen, dass in der Sowjetunion (angeblich Sowjet) das Problem der Arbeitslosigkeit dank den staatlichen Wirtschaftsplänen gelöst worden sei, liess Stalin die Arbeitslosengelder abschaffen. Die Abschaffung der Arbeitslosengelder war doch der objektive Beweis, dass es keine Arbeitslosigkeit mehr gab! Im Zeitalter des Internets kann man vielleicht keine Archive mehr löschen, aber es ist, ausser die Nachforschungen mit entsprechenden Algorithmen zu orientieren, sehr einfach die Konsultationen der Archive gründlich zu vermiesen. Wie viele haben angesichts der triumphalistischen Verkündungen, die Sars-CoV-2 Ansteckungen und Toten seien dank den Impfungen zurückgegangen, Lust darauf, die entsprechenden Daten derselben Periode vor einem Jahr zu verifizieren? Überdies, da auch die Geimpften sich anstecken können – in welchem Masse und mit welchen Konsequenzen sehen wir dann wahrscheinlich im Herbst und Winter, wenn die Zirkulation des Virus zunehmen wird –, hat die WHO in der Zwischenzeit die Instrumente zur Feststellung der „Fälle“ modifiziert und einen maximalen Schwellenwert für die Vermehrungszyklen für die PCR Tests festgelegt, und darüber hinaus ein Kriterium der doppelten Verifizierung für die Verfügung der Positivität eingeführt. Kurz, man schafft also nicht das Arbeitslosengeld ab um die Arbeitslosen verschwinden zu lassen, aber man erklärt einen Teil davon als glückliche Beschäftigte. Wenn dann, angesichts der offensichtlichen Misserfolge ihrer Lösungen, die technokratische Maschine dem Dissens Terrain abgeben müsste, wird ihr Blitzkrieg gegen die Natur schon eine weitere Bedrohung zur Schmierung ihrer Getriebe gefunden haben: es ist sehr unsicher, dass die in der Massentierhaltung der halben Welt (auch Italien) laufende breite und industrielle Massenschlächterei des Geflügels den Sprung des Vogelgrippevirus auf den Menschen aufhalten kann… Es ist eine so unmenschliche wie unverwirklichbare Utopie, aus einer immer stärker krank machenden Welt «eine perfekt hygienisierte Wüste zu machen». Gibt es etwas undurchsichtigeres als diese “black box”, die die Entscheidungen von den Algorithmen ausgehend, die von der Intelligenz der Maschinen erarbeitet werden, orientiert? Gibt es etwas, das einen vollständigeren moralischen Amorphismus verursacht als jener, zu dem die Tyrannei der Effizienz erzieht? In einem Artikel mit dem aussagekräftigen Titel Man sucht einen Menschen ohne praktischen Sinn sagte der exzentrische Konservative G. K. Chesterton, dass die technologischen Lösungen sinnvoll sein können wenn etwas nicht funktioniert; wenn nichts mehr funktioniert, schrieb er, muss nicht ein Techniker sondern ein Theoretiker her, und noch besser wenn «ergraut und gedankenverloren». Die Effizienz an sich ist ein trügerisches Kriterium. «Wenn ein Mensch ermordet wurde, war der Mord effizient. Eine tropische Sonne ist so wirksam um die Menschen faul zu machen, wie ein brutaler Abteilungschef des Lancashire um sie energisch zu machen». Und weiter: «Die Effizienz ist bedeutungslos, so wie die “starken Männer”, der “Wille” und Superman unbedeutend sind. Sie ist unbedeutend, weil sie sich nur für schon vollbrachte Taten interessiert. Sie verfügt über keinerlei Philosophie für das, was noch nicht geschehen ist; sie besitzt, folglich, keinerlei Entscheidungsfreiheit». Dies haben Millionen Menschen während der Handhabung der Covid-19 Epidemie erfahren. Die Techno-bürokratischen Hierarchien (die sog. Experten) haben, eher als eine «epistemologische Dunkelheit», nicht nur eine regelrechte «kognitive Paralyse» verursacht, «eine furchterregende Situation, die daran erinnert, was in den absichtlich konstruierten Umständen zur Ent-menschlichung der Subjekte durch die Spaltung der Worte von den Dingen, der Sprache und der Welt geschieht,» (Stefania Consigliere und Cristina Zavaroni, Ammalarsi di paura – An Angst erkranken); sondern haben auch dazu beigetragen, eine Überfülle an „starken Männern“ zu produzieren (Gouverneure, die dazu bereit waren, die Studenten, die sich zur Hochschulabschlussfeier „zusammengerottet“ hatten, mit dem Flammenwerfer zu verbrennen, oder Ministerberater, die die Impfung obligatorisch machen und alle via Gesetz bestrafen wollen, die sie kritisieren…). Wer sagt, dass die Tatsache, dass der Staat und die Regionen sich in gestreuter Ordnung bewegt haben, der Beweis einer Abwesenheit von Führungszentren im Notstand sei, hat wenig über die spiral- und kaskadenartigen Effekte reflektiert, von denen das technokratische Kommando in der Geschichte schon immer gekennzeichnet war: im Namen einer übergeordneten Sache oder der gebieterischen Notwendigkeit der Effizienz über die Freiheit tausender Menschen zu verfügen, steigert den Wetteifer zwischen nationalen und lokalen Führern im Wettlauf der Entscheidungsfreudigkeit. Das Gefühl zu den wenigen zu gehören, die von der Wissenschaft – oder von der Politik, die im Namen der Wissenschaft handelt – zu Erwachsenen erklärt wurden, führt unweigerlich zur Verachtung und Infantilisierung aller anderen. Das hatte Nietzsche gut begriffen: die Mechanisierung der Untermenschen findet ihre geschichtliche Vollendung und moralische Rechtfertigung im Übermenschen. Die Medienkommunikation, sobald weltweit den Weg der kriegerischen Rhetorik eingeschlagen wurde, hat die Linie des von der Kommandoschaltzentrale Angeordneten eifrig übernommen. Und das nicht nur wegen den erhaltenen Finanzierungen und dem auf sie ausgeübten Druck, sondern auch wegen einer sich selbst nährenden Nachahmungsmacht: wie fühlt er sich wichtig, und sogar den so wie er selbst moralisch doch so mittelmässigen Mitbürgern überlegen, wenn er, der unbekannte und provinzielle Schreiberling sie zur Einhaltung der Regierungsdekrete aufruft! In der totalen Mobilisierung, wenn man alles tun muss was die Autorität sagt um Verantwortlichkeit zu zeigen, fühlt sich auch der Denunziant als Agent des Guten. Vor einer genügend schreckenerregenden Gefahr verursacht die «Totalisierung des öffentlichen Diskurses» in der Gesellschaft zwei kombinierte Effekte: einerseits eine Verstärkung der nationalen Volkseinheit, die den Einzelnen dazu drängt, sich nicht mehr als unbedeutendes «Gramm» sondern als «der millionste Teil einer Tonne» zu fühlen (E. I. Zamjátin, Wir); andererseits ein paralysierendes Gefühl der individuellen Machtlosigkeit: es gibt nichts, aber auch gar nichts, was du angesichts des Covid-19 tun könntest, du kannst weder etwas verstehen noch deine Immunkräfte stärken und wenn die Symptome auftreten, kannst du dich umso weniger noch behandeln. (In den täglichen Chroniken der Angst gibt es nie einen „Experten“, der einen minimalen medizinischen Hinweis geben würde ausser «zieht die Maske an, haltet die Distanz ein und wascht euch die Hände», eine Leier, die ein Postbote ebenso gut hätte wiederholen können oder, nach Lenins Verheissung, eine Köchin.)

IX. Männer auf der Brücke

Nehmen wir den Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza – Nationaler Plan zur Wiederaufnahme und Resilienz –, der von der Regierung Draghi verabschiedet wurde. Wenn wir das von ihm verfolgte Gesellschaftsprojekt verstehen wollen – nicht nur weil es uns nahe betrifft ein grundlegendes Ding, sondern auch weil es die Tendenzen der Epoche, in der wir leben, bestens erklärt – müssen wir unnütze und irreführende Interpretationsschemas an den Nagel hängen. Der PNRR – der sich in den umfassenderen Next Generation EU einfügt, der seinerseits die vergrösserte Version des europäischen Plans Horizon 2020 ist – ist ein explizites Beispiel eines technokratischen Programms. Ist die Technokratie klassistisch und anti-ökologisch? Ohne weiteres – und in höchstem Masse. Aber nicht alle klassistischen und anti-ökologischen Politiken – die die gesamte Geschichte des Kapitalismus begleitet haben – sind gleichfalls technokratisch. Die Technokratie ist heute die politische Organisation der konvergenten Technologien: Informatik, Gentechnik, Nanotechnologien und Neurotechnologien. Von den 50 Milliarden Euro unter dem Posten “energetischer und digitaler Übergang” sind gar 25 nicht rückerstattungspflichtige Finanzierungen für die Industrie. “Öffentliche Gelder an die Unternehmer: die Fortführung der neoliberalen Rezepte” sagt und sagt sich der Linksmilitante. Eine völlig falsche Auslegung. Nicht nur weil eine solche Behauptung nichts darüber sagt, wohin diese Finanzierungen gehen – Robotik, Automatisierung, Quanteninformatik, Künstliche Intelligenz, data science usw. –, sondern weil sie die Tatsache vernachlässigt, dass die Finanzierungen zur Restrukturierung der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitswesens, der Hochschulen und der Universität in dieselbe Richtung gehen. Darauf aufmerksam machen, dass die Industrie (und die Landwirtschaft) 4.0 die Herrschenden mit “unserem Geld” machen, ist sicher kein Blödsinn. Blöde ist hingegen zu denken, dass die Unterscheidung zwischen privat und öffentlich zur Beurteilung eines staatlichen Programms relevant sei. “Unser Geld”, ja, aber um uns aus der Welt auszustossen. Wie geschrieben wurde, die Masslosigkeit der Technokraten wächst mit ihren Mitteln. Je mehr sie dürfen, desto mehr wollen sie. Es braucht keine “Verschwörungen”. «Es genügt, die Brücke zu überqueren nachdem man sie erreicht hat». Der PNRR systematisiert – mit dem Vorwand, aus dem Notstand zu kommen – all das, was vom Notstand beschleunigt wurde. Es genügt zu beobachten, mit welchem Optimismus die wissenschaftlichen Publizisten (ein Beruf mit schöner Zukunft, angesichts der Tatsache, dass plötzlich entsprechende Hochschulabschlusskurse und post universitäre Master wie Giftpilze aus dem Boden geschossen sind) verkünden, die Covid-19 Epidemie habe die kulturellen Barrieren, die uns von der Welt auf Distanz trennten, gesprengt. Klar, es gibt noch «Taliban der körperlichen Erfahrung», aber die Politik der vollendeten Tatsachen (auch der verbrannten Erde genannt) wird sich schon um sie kümmern: entweder Techno-Bürger oder illegal. Die Lektion mal gelernt, wie sehr die Technologie uns das Leben in der Verbannung verbessert hat, wieso sie nicht auf alles anwenden? «Es wäre nicht das Ende der Welt – versichert uns der Professor Derrick De Kerchove –, bloss das Ende unserer illusorischen und angenehmen Autonomie». Eine Lappalie, in der Kosten-Nutzen Rechnung. Wie hätten wir es nur geschafft, während der Einsperrung, ohne Internet, ohne Telearbeit, Teleschule, Telemedizin, psychologische Teleberatungen, Teleeinkäufe, Künstliche Intelligenz, Genomforschung, Bio- und Nanotechnologien? Tja, wie hätten wir es geschafft?

X. Treibjagd

Vor mehr als einem Jahrhundert schrieb der französische Arzt René Leriche: «die Gesundheit ist ein Leben im Schweigen der Organe» während die Krankheit «das ist, was die Menschen daran hindert, ihrem üblichen Leben und ihren üblichen Beschäftigungen nachzugehen und, vor allem, was sie Leiden macht». Vor etwa 15 Jahren unterstrich ein Soziologe die Tendenz der Konzepte wie “Risikoprofil” und “Empfindlichkeit” Richtung «molekulare Genauigkeit», womit man dank der Entwicklung der Gentechnik Millionen von «Vorpatienten» schuf, die mit «Protokrankheiten» behaftet und «asymptomatisch krank» sind. Und dieser Soziologe schloss mit der Frage: «Welches moralische Urteil würde man über jene sprechen, die sich entscheiden würden im „Schweigen der Organe“ zu leben?».

Die Quarantäne ist eine Praxis, die historisch sowohl der Entwicklung des Kapitalismus als auch dem Entstehen des modernen Staates vorangeht. Vor Ansteckungsherden so zu handeln, dass diese sich nicht ausbreiten, war eine Massnahme, die auch in Zeiten als sinnvoll betrachtet wurde, wo die Medizin sich nicht der Benennung Wissenschaft rühmte, sondern sehr schlichter als Kunst angesehen war (wie die Malerei, die Skulptur, die Musik oder die Architektur). Eine Kunst, die, genau wie heute die Wissenschaft, den herrschenden Vorstellungen unterworfen war. Es gab nicht viele Ärzte, die es wagten ihre eigenen Kongregationen herauszufordern; darunter Hippokrates und Paracelsus, der erste indem er behauptete, die Epilepsie sei keine Krankheit göttlichen Ursprungs, der zweite, dass die Pest nicht von den Juden verbreitet werde; während in jüngerer Zeit an jene erinnert werden muss, die beizeiten die Schädlichkeit von Asbest, radioaktiver Strahlung und GVO in der Landwirtschaft erkannt und angezeigt haben. Und auch diese Weisen und Mutigen gab es nicht scharenweise. Bekanntlich wurde die Pest nicht mit besonderen medizinischen Behandlungen besiegt, sondern durch die Verbesserung der hygienischen Bedingungen. Gleichfalls, ohne dem industriellen Krieg gegen die Natur und dem Lebendigen ein Ende zu bereiten, ist das «pandemische Jahrhundert» weder die Prophezeiung eines Unglücks noch ein sanitärer Alarm, sondern “Kollateralschaden” und gleichzeitig eine Chance für eine weitere Flucht nach vorne der Technokratie. Im Ansteckungsfall wurden in prä-genomischen Zeiten die Kranken von den Gesunden Isoliert. Da es weder die Sequenzierung der Viren noch die Molekulartests gab, gab es auch keine „Fälle”, keine “Positiven”, keine “Asymptomatischen”. In der auf der sozialen Ebene gelebten und nicht auf molekularer Skala diagnostizierten Erfahrung gab es das Schweigen der Organe oder das Leiden und der Tod. Was hat, hingegen, diese wundersame technologische Zivilisation angesichts einer Epidemie getan, die weder Pest noch Ebola ist? Hat sie mit den dank den eigenen Innovationen perfektionierten Instrumenten sofort auf die Stimme der Organe gehört? Nein. Sie hat Millionen Individuen – die zum grössten Teil «im Schweigen der Organe» lebten – als potentiell Angesteckte behandelt, die Angesteckten als schon krank, die Kranken als schon fast Tote, die nur eine heroische Kriegsmedizin imstande wäre, einem unglücklichen Schicksal zu entreissen. Nicht nur. Sie hat in den RSA (Residenze Sanitarie Assistenziali – Pflegeheime) die Kranken nicht von den Gesunden getrennt, und auch in den Spitalzugängen hat sie die Covidkranken nicht von den Patienten mit anderen Pathologien getrennt; sie hat auf Teufel komm raus den sehr nüchternen und wenig innovativen Eingriff der Territorialmedizin entmutigt, hat zeitlich begrenzte Einsperrungen und Ausgangssperren erneuert – auch nachdem das Virus schon ein Jahr im Umlauf war und Millionen Personen angesteckt hatte – und weiter zugelassen, dass die Kranken im Spital landeten und an Sauerstoff angeschlossen wurden. Panik, unvorbereitet sein, das Gewicht der neoliberalen Politik? Auch das, sicher. Aber in geringerem Masse. Der Apparat hat das getan, wofür er programmiert wurde: die Innovation nicht an die Gesundheit anwenden, sondern aus der Krankheit eine Möglichkeit machen, die Innovation zu steigern. Dank der Gentechnik wurde eine erste Variante des Virus (die von Wuhan) sequenziert. Auf jene Sequenzierung wurden schon einige Monate danach – dank der Künstlichen Intelligenz, der Bioinformatik, der Molekularbiologie und der Nanotechnologie – Impfstoffe entwickelt. Da sie sowohl nicht daran interessiert war zu verstehen, wie das Virus um sich greift (über die Atemwege oder durch Darminfektion: nicht einmal das weiss man) als auch nicht wie man die natürliche Antwort des Organismus unterstützen kann, hat sie auf Massenskala das kybernetische Paradigma angewendet, um das herum sie sich entwickelt hat: das Individuum ist auf die Informationen reduzierbar, die seine Zellen mit der Umgebung austauschen. Die Empfindlichkeit auf die Krankheit – unabhängig vom Alter, vom psychophysischen Zustand, usw. – hat die Masseneinsperrung in Erwartung des ebenso Massenmittels gerechtfertigt, (das abgesehen von den schon von den Subjekten entwickelten natürlichen Antikörpern angewendet werden muss). Warum? Wegen den gigantischen Profiten der Pharmaindustrie, ohne weiteres. Aber auch wegen der Überzeugung, dass die dank den Nanotechnologien in den Körper eingeführten “genetischen Informationen” leistungsstärker sind als die spontane Antwort des Körpers. Aber auch weil die Geno-Industrie aus „Körperjägern“ besteht (die Genetisten wurden in der “Washington Post” im Jahr 2000 als The body hunters definiert), die kaum glauben konnten, dass sie ihre Treibjagd nun auf den gesamten Planeten ausweiten konnten. Aber auch weil die Massenimpfung – sehr viel mehr als die Hauspflege ohne Klamauk, ohne Generäle und ohne Helden – dem Staat erlauben, sich als Heilsbringer und Garant der öffentlichen Gesundheit zu präsentieren; bzw. die eigene Macht zu vergrössern und sie der Gesellschaft überzustülpen, zuerst als polizeiliche Massnahme und dann als programmatische Ausweitung zur “Normalität” dessen, was er im „Notstand“ experimentiert hat.

Die Krankheit «ist das, was die Menschen daran hindert, ihrem üblichen Leben und ihren üblichen Beschäftigungen nachzugehen», schrieb obg. Leriche, und passt diese Definition etwa nicht perfekt zur Art und Weise, wie der Staat die Epidemie verwaltet hat? Was die zusätzlichen Leiden angeht, was soll man von den Alten sagen, die man sterben liess, ohne sie nicht einmal von ihren Lieben verabschieden zu lassen? Was soll man von der Unmöglichkeit sagen, die Trauer teilen und bewältigen zu können? Was über die zusätzliche häusliche Gewalt gegen die Frauen? Was zu den Selbstmorden? Und von den vielen Jugendlichen und Jungen, die sich immer noch nicht ohne Panik vorstellen können, ausser Haus zu gehen? Nur eine Zivilisation, die den Körper vom Geist trennt, und das Individuum von seinen Beziehungen, kann denken, dass die Isolierung und die völlige Überschüttung mit Angst nicht dazu beitragen würden, die Immunabwehr der Menschenwesen zu schwächen, und so Krankheiten zu verursachen («die Vorstellung und die Arten und Weisen von Gesundheit sind variabel und hängen direkt von der Kosmovision ab, in der sie ihren Platz finden»). In der sich im Aufbau befindenden Welt der genetischen Diagnosen, der voraussagenden Screenings und der einnehmbaren Nanosensoren um damit die “Protokrankheiten” aus der Ferne zu kontrollieren, «was für ein moralisches Urteil würde man über jene sprechen, die sich entscheiden würden, im „Schweigen der Organe“ zu leben?». Wir können schon antworten wenn wir an diejenigen denken, die – in voller Pandemie! – eher den Symptomen vertraut haben als den Tampons oder an jene, die die Impfstoffe der biotechnologischen Bastelei ablehnen. Unverantwortliche, Verschwörungstheoretiker, Leugner, Taliban der körperlichen Erfahrung, Anti-nationale, Deserteure vor dem Feinde in der Stunde der Gefahr.

XI. Avantgarde-Unmenschliche

Die von den (artistischen, politischen, wissenschaftlichen) Avantgarden lancierten Manifeste verkündeten generell deren programmatische Zwecke. Wer den Anspruch stellt, den Zeitgeist seiner Zeit zu interpretieren und den zukünftigen vorauszusagen, bejubelt fast immer die historische Bewegung, die seine eigene Existenz als Avantgarde produziert hat, und die historischen Gesetzmässigkeiten, die seine Rolle rechtfertigen. Progressismus und Futurologie integrieren einander sehr gut. (Die Tatsache, dass die Anarchisten sich als agierende Minderheit und nicht als Avantgarde begriffen haben, ist eine alles anders als zufällige ethische und „politische“ Geste; die Aufforderung Benjamins, die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit durch die revolutionäre Aktion zu rehabilitieren anstatt zuversichtlich auf eine strahlende Zukunft zu warten, ist eine alles anders als zufällige ethische und „politische“ Geste; überhaupt kein Zufall, dass ein Poet wie Iosif Brodskij – vom „sowjetischen“ Regime, unter dem «man nie wusste, was die Vergangenheit uns bescheren könnte», wegen „sozialem Parasitismus“ eingekerkert – schreiben konnte: «Die Zukunft, in ihrer Gesamtheit, ist Lüge».) Auch die historische Entwicklung der Technowissenschaften hat die zu ihr passende Avantgarde: die transhumanistische Bewegung. Die Transhumanisten behaupten auf programmatische Weise das, was der technologische Apparat stumm verwirklicht. Als Avantgarde beansprucht der Transhumanesimus für sich die Rolle, alle Hindernisse zu überwinden, die das bewusst zu vollbringen verhindern, was die Menschheit – selbstverständlich die westliche, die für die gesamte Menschheit massgebend ist – bis jetzt meistens unbewusst verfolgt hat. Hat sie nicht schon immer die Materie und die eigene Umwelt verändert? Hat ihre Religion ihr nicht etwa den Fluch zu leben als Frucht der Schuld dargestellt: “du wirst das Brot im Schweisse deines Angesichts essen” und “unter Schmerzen wirst du Kinder gebären”? Haben ihre hervorragendsten Philosophen ihr nicht etwa die Lehre erteilt, dass der Körper das Grab der Seele ist? Versuchte sie nicht schon immer, die Angst vor dem Tode mit dem Versprechen des Paradieses zu besiegen? Na bitte: dank den technologischen Entwicklungen können diese Fluche besiegt und jene Versprechen endlich verwirklicht werden. Die Lebensprozesse können im Labor neu kombiniert werden. Die allgemeine Automatisierung kann die körperliche Mühe der Arbeit abschaffen. Die Reproduktion kann künstlich werden. Leistungen und Wahrnehmungen können gesteigert werden. Die Gliedmassen und das Gehirn können mit den Maschinen hybridisiert werden. Der Tod kann besiegt werden. Die Mittel für dieses gesamtheitliche Programm sind schon da: die gesteigerte Wirklichkeit, die Gentechnik, die Neurotechnologien, die Nanotechnologien, die synthetische Biologie. Um angemessen zu funktionieren, müssen sie aber grenzenlos implementiert und vor allem in einem intelligenten Planeten miteinander verbunden sein.

Wieso gleichen die Massnahmen, mit denen die Sars-Cov-2 Epidemie in Angriff genommen wurde und die Programme, mit denen der Neuanfang verkündet wird, in bedrohlicher Art und Weise dem, was sich der Transhumanesimus vornimmt? Eine Antwort darauf kann man in der Konferenz – Titel: Nanotechnologie für das Menschenwesen – von Roberto Cingolani 2014 in der Università degli Studi von Mailand finden (auch im Internet). Was er heute als Minister des „ökologischen Übergangs“ zu finanzieren und zu organisieren beschäftigt ist, sind genau jene Forschungsprogramme, die er dermassen inspiriert förderte, als er Leiter des Istituto Italiano di Tecnologia war. Die Konferenz, ein 35 minütiges Kommentar zu einem Videospot von Microsoft, das in den Stadien projiziert wird, erklärt wasserklar, dass die (transhumane) Zukunft der ineinander greifenden Entwicklung der Informatik und der Bio-Nano-Neurotechnologien gehört. Der Zuhörerschaft jenes technowissenschaftlichen Kaffeekränzchens verschweigt der zukünftige Minister nicht, dass der Weg zum vollständigen Verbund Mensch-Maschine noch lange ist, aber er erinnert auch daran, dass «der Appetit mit dem Essen kommt». Die nazistische Biopolitik war im 20. Jh. Avantgarde in der Aufstellung der Theorien über die “Rassische Degeneration”, die von der angelsächsischen eugenischen Bewegung des 19. Jh. ausgearbeitet wurden und die, ihrerseits, ihre Wurzeln in der Praxis auf dem Felde des britischen Kolonialismus hatten. Ohne den Machtkrieg zwischen Staaten wären gewisse Experimente nie aus den Labors heraus gekommen (weder aus jenen Berlins noch aus jenen von Los Alamos). Mit seiner sehr bekannten Technik der Übertreibung, um das “sovraliminare”, bzw. etwas, dessen Effekte so masslos sind, dass sie von den Sinnen und der Vorstellungskraft gar nicht mehr wahrgenommen werden können, fassbar zu machen, definierte Günther Anders das technologische System als «national-sozialistische Gemeinschaft der Apparate». Er meinte damit, dass die Apparate in ihren umfassend kombinierten Effekten begriffen werden müssen, aber auch, dass, wenn wir auf das Geräusch achten, «das von den stählernen Lippen der Maschinen» kommt, wir denselben Slogan hören können wie jener der Braunhemden («… und morgen die ganze Welt!»). Welcher Tatsache ist es zu verdanken, dass der Transhumanesimus – dessen erstes Manifest 1983 von Natascha Vita-More lanciert wird, im selben Jahr, in dem es zur ersten Speicherung von informatischen Daten kommt – aufgehört hat eine Übung in anti-humanistischer Futurologie zu sein, um zum regelrechten Direktionszentrum zu werden? Schon wieder dank dem Machtkrieg zwischen den Staaten. Nach dem 11 September 2001 wird dann auch die Fusion zwischen den start ups der Silicon Valley – die von den brillantesten aus der MIT hervorgekommenen Nerds geschaffen wurden –, der CIA und den Forschungsdepartementen des Pentagons realisiert. Der erste Sprung nach vorne – finanziell und folglich als Infrastruktur (intelligentere Maschinen weil mit mehr Daten gefüttert, leistungsstärkere Server usw.) – machen die Gründer von Google, indem sie Keyhole, eine von der CIA kontrollierte Gesellschaft, übernehmen um sie in Google Earth zu verwandeln. Gesteigerte Wirklichkeit, 5G, Internet der Dinge, Drohnen, Gesichtserkennung, Intrusions-Software, Quantenkryptographie, die ersten m-RNA Impfstoffe… sind alles Wunderwerke, die aus der Zusammenarbeit zwischen Digitalgesellschaften, den Bio- und Nanotechlaboren und dem militärisch-industriellen Komplex entstanden sind. Dasselbe gilt für das Projekt Humangenom, für deCode in Island, UmanGenomics in Schweden, UKBiobank in Grossbritannien oder CeleraDiagnostics in den USA. “Marktsozialismus” anstatt “Liberal-Demokratie”, nichts anderes ist auch der in China stattgefundene Fusionsprozess. Als, schon im April des vergangenen Jahres, etwelche Professoren des MIT – ein Institut, das ein regelrechter Inkubator für Transhumanisten ist – prophezeiten, dass es keinerlei “Post-Pandemie” geben würde und wir uns an die digitalen Passierscheine gewöhnen müssten um Zugang zu gewissen Lokalen oder Dienstleistungen zu haben, was taten sie denn anderes als uns zu informieren, womit ihre Kollegen des Labors nebenan beschäftigt waren! Dasselbe gilt für die „Prophezeiungen“ von Bill Gates, die Projekte von Amazon oder die Ankündigungen von IBM. «Wenn der Transhumanesimus ohne Behinderungen voranschreitet, dann weil die Technokratie sie unter den Farben der wirtschaftlichen Rationalität verkauft» (und, könnten wir anfügen, der medizinischen Hoffnung). «Das transhumanistische Projekt ist der andere Name des Wachstum».

XII. Das grosse Arsenal

Als 2003 der Neokonservative George Bush Jr. und der Neolabourist Tony Blair dem Irak unter dem Vorwand der Massenvernichtungsmassen des Regimes von Saddam Hussein den Krieg erklärten, und die “Koalition der Willigen” mit der Unterstützung der westlichen Medien an den Bombardements der Operation Enduring Freedom teilnahm, sprach die Oppositionsbewegung auf den Strassen und Plätzen von einer Lüge, um die wirklichen Ziele des Krieges zu verdecken, und von einer auf internationaler Ebene geplanten Medienstrategie. Es war für alle eine sinnvolle und materialistische Erklärung. Niemand sprach von “Verschwörung” und kein Kriegsgegner wurde mit “Verschwörungstheoretiker” beschimpft. Dasselbe geschah vor einigen Monaten mit dem Aufstand der Palästinenser gegen die Apartheidpolitik Israels. Dass alle Massenmedien die Bombardierung Gazas als Antwort auf die Raketen von Hamas darstellten – Bombardements, wovon, wenn überhaupt, deren Verhältnismässigkeit oder nicht diskutiert werden könnte – und dass die Massenkundgebungen in Solidarität mit dem palästinensischen Kampf in der halben Welt weitgehend verschwiegen wurden, ist sicher nicht als “Verschwörung” wahrgenommen worden, und als “Verschwörungstheoretiker” wurde auch nicht definiert, wer eine sehr klare politisch-mediale Strategie angeprangert hat. Niemand hat an eine Art obskuren Führungsbunker gedacht, der Regierungen, Politiker und Journalisten auf seine Lohnliste setzt, sondern an eine Konvergenz von Interessen. Wenn man sagt, dass die Art und Weise der Verwaltung der Epidemie Covid-19 durch fast alle Regierungen nicht nur funktionalen Elementen, sondern auch einer sehr klaren Strategie entspreche, wieso dann behaupten es sei, in diesem Fall, eine “Verschwörungstheorie”? Das Programm einige Milliarden Menschen zu impfen – ein Programm, das die Inokulierung in massiven Dosen der Idee impliziert, dass es die einzige Lösung sei um den “Krieg gegen das Virus zu gewinnen“ – kommt von derselben Konvergenz von Mächten, die zur Rechtfertigung der Bombardements den “Krieg gegen den Terrorismus” lanciert haben. Bomben oder Impfstoffe, es handelt sich um zwei Züge aus derselben Kommandoschaltzentrale. Die Erklärung Jo Bidens am kürzlich stattgefundenen G7 hätte klarer nicht sein können: «Wir sind das grösste Arsenal, das uns erlauben wird, die weltweite Schlacht gegen das Virus zu gewinnen». Eine Schlacht, in der die kurzsichtige Konkurrenz unter den verschiedenen Pharmamultis und die geopolitische Auseinandersetzung unter den Staaten allerdings dazu neigen, deren Wert zu beeinträchtigen. Dazu haben die Redakteure des “The Economist” folgendes geschrieben: «Stellt euch ein Investment vor, das einen Gewinn von 17.900% in vier Jahren fruchten könnte. Nicht nur, das auch noch mit einer absolut zugänglichen Geldanlage. Wer wohl auf der Erden hätte sich eine solche Chance entgehen lassen? Die Antwort sind, anscheinend, die Leader der Gruppe der Sieben (G7), ein Klub reicher Demokratien, der diese Woche sein jährliches Spitzentreffen in Grossbritannien abgehalten hat. Da es ihnen nicht gelingt, schnell genug zu handeln um die Welt gegen Covid-19 zu inokulieren, verpassen sie das Geschäft des Jahrhunderts». In der Zeit seit 2003 bis heute, hat es der Feind, offensichtlich, «weder verschlafen noch gespielt». Die Mechanisierung der Entscheidungsmacht – informatische Datensammlung, Ausarbeitung der Algorithmen und automatisierte Ausführung der Befehle – bedingt eine unausweichliche Reduktion der Anzahl Entscheidungsträger. «Die Wissenschaft befiehlt es uns» heisst hauptsächlich das. Die Tatsache ist dermassen notorisch, dass sogar fahlen Bürokraten der EU gelungen ist, es niederzuschreiben: «Die Entwicklung der Robotik kann als Folge haben, dass sich das Reichtum und die Macht in signifikanter Weise in den Händen einer Minderheit konzentrieren» (Resolution des EU-Parlaments zur Robotik, 16. Februar 2017). Gewisse Namen – zuoberst die Bill & Melinda Gates Foundation – oder gewisse Entitäten – Big Pharma – scheinen dann im Umlauf zu sein um absichtlich Elemente der Wahrheit zu vermischen und gleichzeitig eine okkulte private Regie hinter dem Notstand zu suggerieren. Die These eines Gates als grosser Führer – die zweifellos Bresche schlägt – wird von denselben Regierungschefs als “verschwörungstheoretisches Delirium” bezeichnet, die den Gründer von Microsoft dann als externen Berater des G20 für Gesundheit und Impfstoffe einladen… Von Gates reden kann eine optimale Art und Weise sein, um die Erkennung der kleinen und konkreten Vernichter des Menschlichen zu umgehen, die in den universitären Departementen mit der Künstlichen Intelligenz oder in den rigoros mit öffentlichen Geldern finanzierten bio- und nano-technologischen Labors am Werkeln sind. Wenn man Lust hat, die imposante The Palgrave Encyclopedia of Imperialism and Anti-Imperialism zu konsultieren, kann man sehen, dass die Kritik des «Imperialismus der Gesundheit und der Impfstoffe» – vor allem durch die LARC, die “Verhütungsmittel” mit langsamer Ausschüttung, deren Zweck die jahrelange Verhinderung der Schwangerschaft für arme Frauen ist –, der von der Bill & Melinda Gates Foundation praktiziert wird, schon vor vielen Jahren sowohl von akademischen als auch von militanten Intellektuellen und Historikern angebracht wurde. Dieselbe Vandana Shiva hat sicher nicht auf das Covid-19 gewartet um den “wohltätigen” Imperialismus anzuprangern, dessen Ziel ist, aus unseren Körpern die neuen Kolonien für die digitale und pharmazeutische Industrie zu machen. Und doch genügt es Bill Gates zu sagen und der Linksmilitante – mit dabei auch einige Compas – runzelt die Stirn, wenn dann nicht gar der brillante Theoretiker mit seinem Sarkasmus über die Pläne Satanas einfährt… Wenn das kein Kommunikationskrieg ist! Nun, die erklärte Anstrengung des Chefs von Microsoft in neo-malthusischem Sinne ist unbestreitbar (und schau welch ein Zufall, die überflüssigen Wesen auf diesem Planeten sind farbig, wie auch die zu sterilisierenden Frauen farbig sind…); unbestreitbar ist seine Finanzierung aller Unternehmen, die mit der Entwicklung der Impfstoffe letzter Generation beschäftigt sind; unbestreitbar ist sein Programm ID2020 mit dem Zweck, jedem Menschenwesen eine digitale Identität durch die sogenannten Quanten-Tatoos zuzuordnen; unbestreitbar seine Projekte, Körperaktivitäten in patentierbares Eigentum zu verwandeln; unbestreitbar wie sehr seine “Prophezeiungen” – die in Wirklichkeit Baustellen sind – den von den NATO-Staaten getroffenen “anti-Covid”-Massnahmen überraschend ähnlich sind. Das sind Wahrheiten im Sinne Orwells (2+2=4), was die Technokraten des Westens und des Ostens auch dazu sagen mögen. Wann werden diese partiellen Wahrheiten zu totalen Lügen? Wenn man die Intentionalität einiger Machtzentren von der Funktionalität – für alle Mächte – der technologischen Flucht nach vorne voneinander trennt. Wenn die Staaten als Schachfiguren der Technokratie betrachtet werden, während sie schon sowohl deren historische Inkubatoren als auch die politischen und militärischen Organisatoren sind. Wer das Internet der Dinge verwaltet, regiert die Menschen. Wer die Menschen regiert, verwaltet das Internet der Dinge.

XIII. Kleine Neuigkeiten

Ein Kapitel für sich – das wir hier nur andeuten können – ist jenes zur revolutionären Theorie in Zeiten des Notstandes. Wer radikale “ethisch-politische” Interpretationsraster hatte, hat darin die kleine Neuigkeit der sozialen Einsperrung von Milliarden Menschen ohne grosse Mühe eingefügt. Im Grunde hat die Sars-CoV-2 Epidemie die Krise der kapitalistischen Produktionsweise und ihre anti-ökologische Wechselwirkung mit der Natur bloss verschärft; die technokratische Verwaltung ist bloss ein Epiphänomen (wird als eine Entität bezeichnet, die kausal verursacht wird, aber selbst keine oder nur eine unbedeutende Wirkung auf das System hat. d.Üb.) des Krieges des Kapitals gegen die Lohnempfänger und das Ökosystem… Für viele “einfache Leute”, die keine vorgefassten theoretischen Filter haben, war diese Erfahrung hingegen ein Schock – und nicht nur wegen den mit dem wirtschaftlichen Überleben verbundenen Sorgen. Nicht alle haben die durch die „harte Notwendigkeit“ auferlegten Massnahmen widerstandslos introjiziert (fremde Anschauungen, Ideale usw. in die eigenen einbeziehen). Für tausende Menschen war es ein Test für „Faschismus“, eine „sanitäre Diktatur“, dass der Staat ihnen verbot ausser Haus zu gehen und ihre Freunde und Verwandten zu treffen, dass er sie dazu zwang, normale alltägliche Gesten bürokratisch zu rechtfertigen oder über Notstandsdekrete bestimmte, wie viele zusammen essen konnten und welche Häuser man betreten durfte. Dass der Gebrauch von Kategorien davon abhängt, wie sehr diese Personen der politisch-medialen Propaganda ausgesetzt sind oder sich eher an den “Gegen-Erzählungen” im Netz orientieren, ist eigentlich klar. Sowie auch klar ist, dass der Reaktionsmodus auf eine nie dagewesene Lage von verschiedenen Faktoren abhängt: Klassenzugehörigkeit, verfügbare kulturelle Instrumente, frühere Protesterfahrungen, Beziehungsnetz usw. Was wir feststellen können ist, dass sich den Regierungsmassnahmen vor allem Menschen mit mittlerem Bildungsstand und Linke am überzeugendsten angepasst haben. Wahrscheinlich weil empfänglicher gegenüber den institutionellen Aufrufen zum Verantwortungssinn und dem eingehämmerten Argument “tun wir es für die Schwächeren”. Aber auch wegen der introjizierten Vorstellung, der Staat sei Ausdruck des Allgemeininteresses oder jedenfalls die einzige Kraft – so sehr von den wirtschaftlichen Interessen auch geschwächt und behindert –, die imstande ist, es zu erzwingen. Die Angst – zu erkranken oder eine Busse zu bekommen – erklärt nur zum Teil das, was geschehen ist, denn Divergenzen und Konflikte blieben nicht einmal den Szenen erspart, die an den Kampf und an die Repression gewöhnt sind. Die mit der Einsperrung begonnene Spaltung hat sich längs mehr oder weniger denselben Linien mit der Impfung noch vergrössert. Für jemanden war die Spur schon gezogen. Viele Familien – oft mittelständische und mittlerer Bildung, die achtsam auf die Ernährung der Kinder und für die alternative Medizin, umweltfreundlich, mit Bezug auf gewaltlose Modelle usw. sind – verlangten vom Staat grundsätzlich bloss, sich nicht in die Erziehung und Gesundheitspflege einzumischen. Das “Gesetz Lorenzin”, das 2017 die Impfpflicht im Auftrag von Glaxo eingeführt hat, war für sie eine Art Schnellkurs in Staatsdoktrin gewesen. Sie haben entweder vor der Logik der vollendeten Tatsache (bzw. der Macht) kapituliert oder alternative Schulen ins Leben gerufen, und am Rande ihrer nunmehr integrierten Zeitgenossen ihre Bindungen gestärkt. Der Covid-19 Notstand hat diese Gräben vertieft. Die Verweigerung der Didaktik auf Distanz hat einen weiteren Grund zum Protest und zur Bildung von Mikrogemeinschaften geliefert. Das Paradoxon ist, dass diese Personen, die ziemlich über die Impfstoffe, die GVO, die verweigerte Hauspflege, die gesundheitlichen Auswirkungen des 5G informiert sind, die antagonistischen Szenen allzu sehr auf Linie mit der herrschenden Medizin finden, und betrachten jene, die sich nicht gegen die Einsperrung und die neue Impfpflicht aufgestellt haben, als Hörige des “sanitären Faschismus”. Gerade weil die Massnahmen der Regierung jene «apokalyptische Vorstellung, die schon seit Jahrzehnten im sozialen Unterbewusstsein liegt» – das Gefühl von etwas Dräuendem ist die Art und Weise, wie die Körper auf das laufende ökologische Desaster reagieren –, für sich ausgenützt hat, hat die Erfahrung dieser anderthalb Jahren als ideologische Wasserscheide funktioniert. Tausende Proletarier und Arme rebellieren gegen eine Welt, in der es für sie keinen Platz hat. Andere, Privilegiertere und in ihren Ansprüchen bis anhin moderat, wollen nicht länger auf dem ihnen auf der Welt zugewiesenen Platz bleiben. Ein Teil der revolutionären Theorie, die ideell auf das Desaster vorbereitet war, hat als Beruhigungsmittel (die strukturellen Ursachen der Epidemie, die Krise des Kapitals… alles wie erwartet) anstatt als Initialzünder des gekränkten und verminderten Lebens agiert. Über ein Ding haben die Technokraten recht: Morgen fängt man nicht von vorne an.

XIV. Ökologische Massnahmen

Nehmen wir auf unsere Art und Weise die treffende Eingebung Chestertons wieder auf. Wenn “nichts funktioniert”, nützt das Inventar der wirksamsten Lösungen nichts. Was nützt, ist die Definition selbst der Probleme zu ändern. Was dient ist die Utopie. So haben angesichts des Notstandes Gruppen und Bewegungen begonnen, ihre Programme zu verkünden, die vorher im Hintergrund der unmittelbaren Kämpfe gelassen wurden. Und hier ist die entscheidende Frage aufgekommen: die Frage des Staates. Da der Kapitalismus seine die Umwelt offen vernichtende Route niemals ändern wird, was tun? Die Macht des Staates einsetzen um jene Förderungswut aufzuhalten, die der energetische und „ökologische“ Übergang bloss verschlimmern kann. Auf diesen programmatischen Punkt konvergieren jene, die für den Rückgang sind und die Stalinisten und die Leninisten, sobald die Umstände sie dazu zwingen, Klartext zu reden. Während die weniger Radikalen sich vormachen, dass der staatlichen Planung eine „gutkommunistische“ Richtung von Unten einzuflössen möglich wäre – und hier trennen sich die Schulen: muss die Entwicklung angehalten oder nationalisiert werden? –, setzen die kohärentesten auf einen «ökologischen Leninismus». Nur wenn der Staat gänzlich seines kapitalistischen Wesens entkleidet ist, kann die Macht des Staates den privaten Profit aufhalten und wirklich ökologische Pläne erzwingen. Lassen wir mal die Kleinigkeit der revolutionären Eroberung der politischen Macht beiseite (proletarische Bewaffnung, Aufstand, Verbindung zwischen den revolutionären Bewegungen in den verschiedenen Ländern usw.); sehen wir auch davon ab, uns vorzustellen welche Massnahmen diese Revolutionäre getroffen hätten, wenn sie während der aktuellen Epidemie an der Macht gewesen wären… und gehen zum Kern der Frage. Wer die Macht will, will die Mittel der Macht. Die technologische Maschine – Zentralisierung des Wissens, hierarchische und funktionale Trennung der Rollen, Wirksamkeit als Wert an sich, Konkurrenz in der Suche nach den wirksamsten Lösungen usw. – entwickelt man weil das die Zwangskraft der Regierenden über die Gesellschaft vergrössert. Diese Kraft, wie die Geschichte des 20. Jh. grosszügig illustriert, beutet die Menschlichen im selben Masse aus, in dem sie die Natur ausraubt, und vice versa. Da nützt es wenig, sich zu Antikolonialisten zu erklären und, weil es Mode ist, etwelche indigene Aufstände zu begrüssen, wenn man im eigenen Geiste die Geschichte des Kolonialismus nicht demontiert. Die indigenen Gemeinschaften, die in einem Verhältnis des Gleichgewichts mit ihrer Umgebung leben, waren und sind Gemeinschaften ohne Staat. So wie das Märchen des zeitlich beschränkten und transitorischen Gebrauchs der politischen Macht sich noch nie verwirklicht hat, würde eine Revolution, die in ihrem eigenen Verlauf die Ursachen des ökologischen Desasters nicht zerstört, dem Staat sowohl die Mittel um den revolutionären Elan zu brechen als auch die Hebel einer Förderungsmaschine anvertrauen, die notwendig ist, um die neue soziale Trennung zwischen Anführern und Ausführenden zu gewährleisten. Ergebnis: eine grün angemalte Technokratie. Die Vernichtung des Staates ist die ökologische Massnahme, die alle anderen möglich macht.

XV. Prinzipiell

Wahrscheinlich hängt die theoretische Unzulänglichkeit im Verständnis der laufenden historischen Transformation – worin die Notstand genannte Beschleunigung angesiedelt ist – sowohl von veralteten Interpretationsschemas als auch von einem Rest an Gläubigkeiten ab, die durch das theoretische Bewusstsein alleine nicht zu überwinden sind. Wir wissen – wenn wir die Aktion des Staates im Verlauf der Geschichte oder der aktuellen Kriegs- und neokolonialen Herrschaftsszenarien beobachten – dass für seine (heute technokratische) Machtpolitik keinerlei ethische, politische oder juristische Grenzen existieren. Und doch scheinen uns gewisse Schlussfolgerungen übertrieben zu sein. Möglich, dass unmittelbar so viele wirtschaftliche Interessen geopfert wurden, um die Bedingungen für den Grossen Übergang aufzutischen? Ist es möglich, dass man so viele Menschen sterben liess um die öffentliche Überzeugung durchzusetzen, Covid-19 sei unheilbar und damit die „Wiedereröffnungen“, die „Wiederaufnahme“ und das „Zurück zur Normalität“ von der biotechnologischen Massenimpfung abhängig? Die Praktiken der sozialen Technik und der Ausrottung, die von den Staaten im Verlaufe des 20. Jh. getätigt wurden (Durchschnitt der Ermordeten: 30’000 Personen am Tag), haben vielleicht nicht schon zur Genüge geantwortet: «Ja, es ist möglich»? Und die Mittel, über die sie verfügen, haben sich bloss vermehrt und radikalisiert. Wenn in den achtziger Jahren eine Gruppe wie die Rote Zora – als Ausdruck einer breiteren revolutionären und feministischen radikalen Bewegung – unter anderem die Wissenschaftszentren und Gentechlabore angriff, dann weil sie in jenen Forschern und Instituten die Fortführung der nazistischen Eugenik sahen. Wo nicht nur eine biografische (unter den Führungskräften befanden sich hervorragende Figuren der national-sozialistischen wissenschaftlichen Programme) sondern auch eine planmässige Kontinuität festzustellen war. Um die Kontinuität in den Projekten zu begreifen, war der Antifaschismus jedoch eine stumpfe Waffe. Über die Geschichte hinaus, musste man auch auf die geographischen Dynamiken der Herrschaft schauen. Nur so konnte man die Verbindung zwischen den in der Landwirtschaft angewendeten Biotechnologien und der auf die Menschenwesen angewendeten Gentechnik, zwischen der Zwangssterilisierung der armen Frauen in Porto Rico, Brasilien oder in Afrika und der medizinisch betreuten Fortpflanzung für die Frauen in den Ländern mit fortgeschrittenem Kapitalismus, zwischen dem Imperialismus der Bomben und dem Imperialismus der Impfstoffe begreifen. Die Überzeugung, dass diese unmenschlichen Programme sehr real waren, hing nicht bloss von der gesammelten Dokumentation ab, sondern auch von der Tatsache, dass die Mengeles und das Programm Aktion T4 als wissenschaftlich-staatliche Beispiele noch frisch in Erinnerung waren. Der Angriff und die Sabotage gegen eine Gentechnik, die nunmehr im Namen des demokratischen Wohlstandes und der Gesundheit der Bevölkerungen voranschritt, war ein konkreter Widerstand gegen die neuen sich in Vorbereitung befindenden Schrecken und gleichzeitig eine ethische Positionierung gegen die Befehle, die schon ausgeführt wurden: bzw. ein Akt des Bruches mit den Grossvätern und Grossmüttern, den Väter und den Müttern, die kollaboriert oder alles stillschweigend zugelassen hatten. Die Botschaft dieser Spreng- und Brandsätze war auch: Nie Wieder. Wieso scheint uns, heute, die Dokumentierung zur Tatsache, dass die Chefs der wichtigsten Informatikmultis bekennende und aktive Transhumanisten sind, nicht viel mehr als ein Stichwort im Eintrag Profit zu sein? Wieso scheint uns die Nachricht, dass der Chefentwickler des Impfstoffes von Oxford-AstraZeneca ein bekannter Eugeniker und Förderer der Sterilisierung der Frauen Afrikas ist, dubios oder übertrieben zu sein? Sicherlich weil uns die Infoflut, die im Netz zirkuliert, nicht nur passiver sondern auch misstrauischer gemacht hat. Aber vor allem wegen dem relativen Komfort, in dem wir grossgezogen wurden, als Betäubungsmittel gegen jegliches geschichtliche Bewusstsein. Wegen ihrer direkten Erfahrung weniger narkotisiert, hier die extremen Worte, die 1980 zwei nicht besonders extremistische Historiker zu schreiben gewagt haben: «Innerhalb gewisser Grenzen, die durch Abschätzungen politischen oder militärischen Charakters gezogen werden, kann der moderne Staat mit jenen, die seiner Kontrolle unterstellt sind, alles tun, was er will. Es gibt keine ethisch-moralische Grenze, die der Staat, wenn er es tun will, nicht überschreiten darf, weil über dem Staat keinerlei ethisch-moralische Macht existiert. Auf der ethischen und moralischen Ebene entspricht die Lage des Individuums im modernen Staat, prinzipiell, in etwa jener der in Auschwitz Internierten» (George M. Krent, Leon Rappoport, The Holocaust and the Crisis of Human Behavior).

XVI. Loslassen

«Die Medizin bildet einen der eindeutigsten Angriffsmomente auf den menschlichen Körper. Das Kapital äussert sich durch seine Doktoren und Wissenschafter, Armee an der echten Endlösungsfront im Krieg, den das Kapital gegen das Lebewesen führt. Eine Krankheit, die wirklich terminal ist. Noch einmal, und wir werden nicht aufhören es zu flüstern und zu rufen, stehen wir vor einem entweder oder: entweder mit dem Menschen, oder mit dem Kapital. Entweder mit dem Menschen, oder mit der Medizin». So schrieben vor dreissig Jahren in Verfluchte und mörderische Medizin Simone Peruzzi und mein Freund Riccardo d’Este. Kriegsmedizin ist nicht nur eine kriegerische Metapher, womit man die soziale Militarisierung und die Ernennung eines NATO-Generals als Sonderkommissär für den Notstand gerechtfertigt hat, sondern auch die Beschreibung einer effektiven Realität. Die Metaphern für die Darstellung der Körper und der Krankheiten sind seit jeher ein wichtiger sozialer Indikator. Sie sagen uns nicht, was den lebendigen Körpern konkret geschieht, informieren uns aber bestens über die Veränderungen der Produktionsweisen und der wissenschaftlichen Paradigmen. Im Rahmen einiger Konstanten – die Viruskrankheit als Feind, die Körper als Trutzburgen unter Belagerung, das Immunsystem als polizeiliches Kontroll- und Repressionsorgan – innerhalb einer Kosmovision, die das Menschenwesen von der Natur trennt, den Mann von der Frau, den Erwachsenen vom Kind, den Körper vom Geist, gehen die herrschenden Darstellungen mit der Zeit und schichten sich auf. Die Vorstellung des Körpers als Maschine und seiner Organen als Ventile, Kolben, Pumpen usw. kennzeichnet das Aufkommen des industriellen Kapitalismus. Die Idee, dass die Organe Ersatzteile sind, begleitet sowohl den Fordismus als auch die Geburt der Transplantationswissenschaft. Zu was wird der Körper in der digitalen Gesellschaft, wenn nicht zum Informationsfluss? Das fordistische Paradigma geht im informatischen nicht unter: es radikalisiert sich. Entnehmbar, auswechsel- und neu zusammensetzbar sind heute die Gewebe, die Flüssigkeiten, die Moleküle, die Gene, die Zellen. Und da die gesamte Wirklichkeit ein Informationsfluss ist, kann das Lebendige nicht bloss neu zusammengesetzt (Biotechnologien), sondern auch durch Brücken (Nanotechnologie) miteinander verbunden (digitale Therapien) werden. Das Ziel – das schon 2004 durch die medizintechnische Sensorik vom Projekt Ubimon des Imperial College von London verfolgt wird – ist schnell gesagt: «die universale Überwachung für den sanitären Beistand in der Gemeinschaft». Maschinen-Körper in einer Maschinen-Gesellschaft. Oder, falls man organischere Metaphern vorzieht: periodisch zu impfende Hühner damit sie in einer Aufzucht-Welt überleben und produzieren können.

Hier das anti-programmatischste aller Programme: anstatt das x-te Grosse Werk zu vollbringen (politisch, wirtschaftlich, technologisch, medizinisch), loslassen. Uns selbst, unsere Artgenossen, die Tiere, die Pflanzen, die Erde. Die Ziele der Macht sabotieren um nicht unter ihren Mitteln zu zerbrechen. Die Zerstörung des Menschlichen zerstören, indem ihre Avantgarden aufgehalten und ihre Diener entlarvt werden.

Planet Erde, Anfangs Juni 2021

Anmerkung

Jenseits der im Text genannten Bezüge, stammen die Ansätze und Zitate für die Niederschreibung dieser These aus den folgenden Büchern:

  • Nikolas Rose, La politica della vita. Biomedicina, potere e soggettività nel XXI secolo, Einaudi, Torino, 2008 (Die Politik des Lebens. Biomedizin, Macht und Subjektivität im XXI Jahrhundert)

  • Pièces et main d’œuvre, Manifeste des chimpanzés du futur. Contre le transhumanisme, Service compris, Paris, 2017 (Manifest des Schimpansen der Zukunft. Gegen den Transhumanismus, Bedienung miteinbegriffen)

  • Adam Greenfield, Tecnologie radicali. Il progetto della vita quotidiana, Einaudi, Torino, 2017 (Radikale Technologien. Das Projekt des täglichen Lebens)