Es fällt schwer, die aktuelle Lage in der Ukraine aus politischer Sicht zu beurteilen. Ist das Ganze bloß der altbekannte Schwanzvergleich, irgendwelcher größenwahnsinniger und kriegslustiger Militärs und Politiker oder wird es tatsächlich zum Krieg kommen? Dieser Text lässt solche Fragen außen vor und widmet sich stattdessen jenen Fragen, die aus unserer Sicht sehr viel mehr Sinn ergeben: Wie lässt sich ein militärischer Konflikt, ein Krieg, ein potenzieller NATO-Krieg sabotieren? Es entspricht der Natur der Sache, dass dieser Text höchstens ein paar Anregungen zu geben vermag und wir wollen auch alles andere, als fertige Lösungen präsentieren, sondern schlicht ein paar Ideen in den Raum stellen.
Wir veröffentlichen diesen Text im Internet, weil wir diese Gedanken mit möglichst vielen Gleichgesinnten teilen wollen, mit denen es uns unmöglich wäre, persönlich in Kontakt zu treten und diese Fragen zu diskutieren. Wir denken aber, dass jede (strategische) Vertiefung dieser Debatte vor allem deshalb nicht im Internet stattfinden sollte, weil dies bloß der Repression nützt, aber kaum einen Mehrwert für jene haben dürfte, die ebenfalls entschlossen sind, ihre kreative Energie dazu zu nutzen, einige der hier aufgeworfenen Gedanken weiter zu verfolgen.
Manch einer werden die hier präsentierten Informationen auch kaum neu sein. Letztlich ist das meiste klar und altbekannt. Wir denken dennoch, dass es sich lohnt, sich einiger Details der militärischen Logistik wieder zu erinnern, die in den Debatten um weit entfernte Kriege vielleicht ein wenig in den Hintergrund gerückt sind.
Ach ja: Und nur um eines vorwegzunehmen: Die Infrastruktur des Krieges anzugreifen bedeutet keineswegs eine Seite, in diesem Falle die von Russland, zu wählen. Wer nicht vollständig verblödet ist, weiß, dass Krieg immer die Bevölkerung trifft und so gut wie niemals die Herrschenden, die sie vom Zaun brechen. Als Antimilitarist*innen sind wir gegen jeden Krieg und alle Akteure, die ihn vom Zaun brechen wollen und als Antiautoritäre streben wir nach nichts weniger als der vollständigen Zerstörung aller Staaten!
Vor einigen Monaten haben wir mit einigem Interesse den Text „Fragmente für einen aufständischen Kampf gegen den Militarismus und die Welt, die ihn benötigt“ in Zündlumpen #083 (https://ia803402.us.archive.org/4/items/awb_nr083_web/awb_nr083_web.pdf, S. 30) gelesen. Unter der Überschrift „(ii) Die Infrastruktur des Krieges“ werden darin einige altbekannte Punkte aufgeworfen, etwa dass das einrückende Militrä sich Straßen, Schienen, Brücken, usw. bedient, ebenso wie Kartographieungen des Geländes und (auch zivile) Kommunikationsinfrastruktur dem Militär eine große Hilfe sind. Was dieser Punkt unserer Auffassung nach ein wenig vernachlässigt ist die Logistik der Nachschublinien. Zwar wird zuvor eifrig die Sabotage von Rüstungsproduktion diskutiert, allerdings bleibt der wohl wichtigste Rohstoff des Krieges mehr oder minder außen vor: Erdöl bzw. Energie im Allgemeinen. Gerade zu Beginn eines Krieges ist der zur Truppenverschiebung nötige Energiebedarf gigantisch, aber im Grund muss während des gesamten Krieges Treibstoff von irgendwelchen Vorratsstätten und/oder Rafinerien bis an die Front, wo er gebraucht wird, um die Motoren des Kriegsgeräts zu befeuern, transportiert werden. Und gerade wenn ein Krieg nicht unmittelbar im eigenen Territorium stattfindet, die Logistik der Energieversorgung der Truppen jedoch durch dieses Territorium verläuft, könnte es sich lohnen mit dieser Infrastruktur näher zu beschäftigen.
Wo derzeit sowohl Medienberichten, als auch diverser Beobachtungen aus der Bevölkerung zufolge, Truppen überall in Europa in Bereitschaft versetzt werden und Kriegsgerät mehr oder weniger fleißig bereits an strategisch günstige Standorte verschoben wird, ist natürlich auch damit zu rechnen, dass bereits der Transport von Erdölreserven in die jeweiligen Regionen in vollem Gange ist. Es erscheint uns daher keinen Grund zu geben, auf einen möglichen Ausbruch des Krieges zu warten, sondern alle im folgenden angestellten Überlegungen könnten bereits jetzt, im Vorfeld einer möglichen militärischen Auseinandersetzung einen großen Effekt verzeichnen. Und natürlich lässt sich just in diesem Moment auch die Verlegung von Kriegsgerät auf die ein oder andere Weise bereits im Voraus sabotieren.
NATO-Pipelinesystem
Die NATO betreibt zum Zwecke der Versorgung ihrer Truppen innerhalb einiger europäischer Bündnisländer ein aus 10 Pipelinenetzen bestehendes Pipelinesystem. Dieses verbindet im Grunde militärisch genutzte/nutzbare Häfen mit diversen (teilweise geheimen, teilweise zivilen) Öllagerstädten (Tanklagern) in ganz Europa, sowie mit Umschlagbahnhöfen, (zivilen und militärischen) Flughäfen und bestimmten Truppenstandorten. In Deutschland sind dabei vor allem zwei dieser Pipelinenetze von Bedeutung: Das Central Europe Pipeline System (CEPS), das sich durch Teile Belgiens, Frankreichs, Deutschlands, den Niederlanden und Luxemburg erstreckt und auf einer Streckenlänge von 5300 Kilometern 29 NATO-Depots, sechs nicht-Militärische Depots, militärische und zivile Flughäfen, Rafinerien und Seehäfen im Nordseeraum miteinander verbindet und das North European Pipeline System (NEPS), das im Grunde Frederikshavn in Dänemark mit der deutschen Grenze verbindet.
Mitte der 80er Jahre verübten übrigens zahlreiche Gruppen der RZ, RAF und weitere Sprengstoffanschläge auf vorwiegend Pumpstationen des CEPS.
Das CEPS wird vor allem auch zivil genutzt, im Falle einer Militäroperation sind jedoch die dafür erforderlichen Kapazitäten dem Militär zugesichert. Dank diverser ziviler Akteur*innen ergeben sich jedoch zum Teil bessere Einblicke in die Infrastruktur. Stand 2018 sind auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland noch folgende Einrichtungen des CEPS in Betrieb:
- 14 Tanklager
- 22 Hochdruckpumpen
- 1765 Kilometer unterirdische Leitungen, deren Verlauf anhand der typischen oberirdischen Vermessungsspunkte recherchierbar/abschätzbar ist, sowie daugehörige Pumpstationen und Schieberschächte
- 11 Tankkraftwagen-Befüllanlagen
- 2 Eisenbahnkesselwagen-Befüllanlagen
Schienennetze
Einige Tanklager sind nicht durch Pipelines oder zumindest zusätzlich auch über den Schienenweg erreichbar. Generell bieten die europäischen Schinennetze den Militärkräften der Nato eine gute Infrastruktur um schnell und effizient große Mengen an Treibstoff und/oder Kriegsgerät zu verschieben. Das Ganze lässt sich jedoch auch entsprechend leicht lahmlegen. Egal ob durch Blockaden der Gleise, kleine unauffällig und nur vorrübergehende Sabotagen, wie etwa kürzlich in Kanada umgesetzt und vorgeschlagen wurde, oder indem Schienen gewaltsam zerstört, Stromversorgung (allerdings gibt es auch Diesellokomotiven) unterbrochen und wichtige Signalinfrastruktur zerstört wird.
Gleisanlagen sind eigentlich grundsätzlich auf sämtlichem verfügbaren Kartenmaterial eingezeichnet. Von besonderem Interesse sind in diesem Fall möglicherweise nicht nur die stark frequentierten Hauptstrecken, sondern vor allem auch jene Strecken, die Tanklager ansteuern, sowie jene, die die Grenzen des Landes in Richtung Ukraine passieren, aber auch die Verbindungsstrecken zu Häfen und/oder Tankkraftwagen-Befüllanlagen, wo der Transport von den Schienen auf die Straßen gebracht werden kann.
Weitere Anregungen liefert hier möglicherweise die Broschüre TRAINSTOPPING.
Straßen & Häfen
Natürlich lassen sich auch Straßen und Häfen blockieren. Hier wäre es jedoch möglicherweise von Vorteil zuvor sehr konkret herauszufinden, wann und wo damit auch entsprechende militärische Nachschublieferungen blockiert werden, weil derartige Blockaden in der Regel nicht von langer Dauer sind. Für jene, die lieber zivilen Ungehorsam leisten, anstatt im Schutz der Dunkelheit anzugreifen, wäre das jedoch möglicherweise ein interessanterer Ansatzpunkt.
Der mögliche Krieg in der Ukraine, er beginnt hier und jetzt. Lasst ihn uns gemeinsam hier und jetzt stoppen!
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