[Villepinte (Seine-Saint-Denis), Frankreich] Brief aus dem Knast von Ivan, „Solidarität heißt Angriff“

Brief von Ivan aus seiner Zelle. Er sitzt seit einigen Tagen in Untersuchungshaft in der JVA von Villepinte. Hier ist sein erster Brief…

15 VI 2022

Ich heiße Ivan, ich bin Anarchist.
Ich wurde am Samstag, den 11. Juni, gegen 3 Uhr 30,  als ich gerade auf dem Heimweg war, nicht weit von mir vom SDAT [französische Anti-Terror-Einheit der Bullen] verhaftet.
Mir werden sechs Fahrzeugbrandstiftungen vorgeworfen, die zwischen Januar und Juni in Paris und Montreuil stattgefunden haben und zu denen sich häufig in Solidarität mit anarchistischen Gefangenen bekannt wurde (die letzte war ein Botschaftsfahrzeug, das am Abend meiner Festnahme im 17. Bezirk angezündet wurde).

Mehrere Monate lang haben mich die Bullen observiert und mein Telefon überwacht, sie haben am Eingang meines Wohngebäudes eine Kamera installiert, sie haben meine Post abgefangen (insbesondere die Briefe von Gefährten aus dem Knast) und mein Bankkonto angesehen. Eine andere Person (wir kennen uns nur vom Sehen, doch er hat meine ganze Achtung) wurde ebenfalls verfolgt, abgehört, etc., jedoch nicht beschuldigt. Halte durch, Alter!

Die Ermittlungen der SDAT begannen im Februar 2022 auf Anordnung der Staatsanwältin Laure-Anne Boulanger der Staatsanwaltschaft von Bibigny.
Sie haben auch eine andere, bereits abgeschlossene Ermittlung aus der Schublade gezaubert, die von anderen Bullen geführt worden war, über um die fünfzig Fahrzeugbrandstiftungen zwischen Juni 2017 und 2021 in Paris, zu denen sich Anarchisten bekannt haben. Das SDAT hat die beiden Ermittlungen „vereint“, doch die Untersuchungsrichterin (Stéphanie Lahaye vom Gericht von Bobigny) hat nur die letzten sechs Aktionen behalten. Für alle anderen bin ich „témoin assisté“ [im französischen Recht ein Zwischenstatus zwischen Zeuge und Beschuldigtem, wenn es zwar Hinweise auf eine mögliche Täterschaft gibt, jedoch keine belastenden Beweise, Anm. d. Übs.].

Zusätzlich zur „Zerstörung mit gefährlichen Mitteln“ gibt es auch den Vorwurf der Gefährdung des Lebens anderer, die Verweigerung der ED-Behandlung (Fotos, DNA, Fingerabdrücke, sie haben mich nicht zur Abgabe gezwungen, trotz Drohungen), die Weigerung die Verschlüsselungen meiner Computer preiszugeben und die Passwörter meiner Telefone.

Momentan bin ich in der JVA von Villepinte in Untersuchungshaft. Ich bin fit, mir geht es gut, auch wenn mir die, die mir nahestehen, sehr fehlen.
Was natürlich normal ist, das ist halt der Knast, damit muss man rechnen, wenn man ein Feind dieser Gesellschaft ist.
Vom Hofgang zurückzukommen ist hier der schwerste Moment. Wenn sich die Tür bis zum nächsten Tag schließt. Doch ich drehe mich zum Fenster und sehe nach draußen. Dort draußen irgendwo kämpfen Gefährten weiter. Nichts ist vorbei.
Sobald ich mehr Informationen zu dieser Angelegenheit habe, werde ich mehr darüber schreiben (ich habe nicht viel anderes zu tun!).
Meine Gedanken sind bei den Anarchisten im Gefängnis überall auf der Welt: Alfredo, Anna, Juan, Toby, Giannis Michailidis im Hungerstreik… und bei euch allen da draußen!

Solidarität heißt Angriff!
Es lebe die Anarchie!
IVAN

Man kann ihm schreiben:
Ivan hat seinen Namen und seine Gefangenennummer geschreiben, damit man ihm solidarisch schreiben kann:

Ivan Alocco
n°46355 MA de Villepinte
Avenue Vauban
93420 Villepinte
FRANCE

[Gefunden auf Paris-Luttes, 27. Juni 2022]


Übernommen von Sans Nom