Thesen zum (Ethischen) Konsum

I

Die Ethik des sogenannten Ethischen Konsums kann zweifelslos und ohne jede Ausnahme bloß jener kapitalistischen Ethik entsprechen, die den Konsum überhaupt erst erschaffen hat. Das ist unmittelbar einleuchtend, denn wenn es nicht die Handelsbeziehungen zwischen den Menschen sind, die in der Ethik des Konsumierens in den Vordergrund gerückt werden, welche Beziehungen wären es sonst? Folglich ist die Ethik des Ethischen Konsums (und wir können ihn ebenso “kritischen Konsum”, usw. nennen, das spielt keine Rolle) eben jene Ethik, die auch das bürgerliche Subjekt erschafft, jene Ethik, die durch die fortgesetzte Domestizierung durch Arbeit ebenso wie (koloniale) Genozide jene Subjekte erschafft, die der bürgerlichen Ordnung treu ergeben sind.

II

Den Ethischen Konsum als ein Mittel des Kampfes zu erwählen muss also letztlich, auch entgegen anderer Absichten, darin scheitern, den eigenen Kampf gegen den Kapitalismus (und sowieso nichts anderes) zu richten. Wenn der Kapitalismus darauf basiert, durch die Verdinglichung all unserer Bedürfnisse bis tief in die Beziehungen von Individuen vorzudringen, diese zu vergiften und sich selbst einzuverleiben, dann kann ein nach bestimmten Regeln irgendeiner Ethik praktizierter Konsum unmöglich dazu beitragen, den Kapitalismus, geschweige denn irgendein anderes Herrschaftssystem zu untergraben. Nein, vielmehr festigt der Konsum (ob mit Ethik, bzw. mit einer bestimmten Ethik, oder ohne) die Strukturen des Kapitalismus, indem er auch weiterhin die Handelsbeziehungen in den Vordergrund stellt, die sämtliche andere Beziehungen zwischen Individuen entweder verdrängen, oder aber vergiften. Dies gesagt, ist jedoch zugleich offensichtlich, dass auch ein Nicht-ethischer Konsum unsere Beziehungen vergiftet, uns durch die Verdinglichung die Logik des Kapitalismus auferlegt und uns an das kapitalistische System bindet.

III

Der Konsum ist die Gegenseite des Medallions der Arbeit. Während die Arbeit dazu dient, uns unserer Arbeitskraft zu berauben und mithilfe dieser die soziale, ebenso wie buchstäbliche Maschinerie des Kapitals zu ölen, sie zu erweitern und zu befeuern, so dient der Konsum dazu, die Erpressung der Arbeit vollständig zu machen. Sicher wäre ein Kapitalismus ohne Konsum denkbar, er würde jedoch die Form offener und alleine mit Mitteln der Repression im Zaum zu haltender Sklaverei annehmen. Der Feudalismus enteignete den Großteil seiner Subjekte eines Teils der Mittel, die diese benötigten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, also konkret jener Früchte der Felder, die diese bestellten, um sich selbst und ihre Sippe zu ernähren, und gab diese an seine Soldaten, die wegen ihrer Tätigkeit für die Herrschaft nicht in der Lage waren, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Der Kolonialismus deportiert(e) seine Sklav*innen aus jenen Gebieten, in denen diese in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, in die Minen und auf die Plantagen, wo sie einerseits gefangen gehalten wurden, andererseits jedoch dafür, dass sie das absolute Minimum an Nahrung erhielten, das sie benötigten, um zu überleben, jene beschwerlichen und schädlichen Arbeiten verrichten mussten, die ihren Herren ein Vermögen einbrachten. Faschismus (Arbeitslager) und Kommunismus (Gulags) bedienten sich dieses Prinzips ebenfalls. Der Kapitalismus jedoch vermochte aus den Bauern- und Sklavenrevolten zu lernen. Die Sklaverei vermochte zwar den Willen der brutal unterjochten Subjekte oft erfolgreich zu brechen, aber sie würde diese niemals zu begeisterten Anhängern der eigenen Ideologie machen. Er erfand also die Lohnsklaverei. Nun war es permanente Verhandlungssache zwischen den unterworfenen Subjekten und den Inhaber*innen der Fabriken, die Entlohnung für diese Sklaverei festzulegen. Man saß also, wenn schon nicht im gleichen Boot, immerhin schon einmal am selben Verhandlungstisch. Aber so ganz wollte das noch immer nicht funktionieren. Erst wollten die Arbeiter (will heißen, die widerwärtigen Politiker unter ihnen, die allzeit bereit waren, sich mit ein paar Brotkrummen für die Arbeiter und einer gehobenen Position für sich selbst abspeisen zu lassen) mehr als nur einen Kanten Brot zu essen, dann wollten sie weniger arbeiten. Und hier entsteht das, was wir heute als Konsum kennen. Weniger arbeiten, das hätte schließlich bedeutet, dass die Arbeiter sich ihrer Fähigkeit erinnert hätten, ihr Brot selbst zu backen und nicht mehr bei der Arbeit erschienen wären. Also bedurfte es einer schillernden Scheinwelt, mit der sich der Arbeiter die Illusion eines zufriedenstellenden Lebens ins eigene Heim holen konnte, für die es sich zu arbeiten lohnen würde. Vom Automobil über allerlei Haushaltsgeräte im Zuge der Elektrifizierung, bis hin zu den kleinen und großen Propagandamaschinchen des Rundfunks, Fernsehens, sowie des Internets kann man sagen, dass die Strategie des Konsums die bislang wohl erfolgreichste Kampagne gewesen ist, die Sklaven davon zu überzeugen, an ihren Plätzen zu bleiben. Zugleich entmündigt der Konsum uns Sklaven immer weiter, macht immer mehr Bereiche unseres Lebens abhängig von jenem System, das von Anfang an ausschließlich unserer Unterdrückung diente. Der Konsum macht die Sklav*innen also zu Komplizen des Systems. Er verleiht dem, was man Arbeit nennt, einen Sinn und zerstreut zudem sämtliche Bestrebungen, sich aus den Fängen dieses Systems zu befreien. Es mag absurd scheinen, dass die Lohnsklav*innen für nichts anderes arbeiten, als dass sie von ihren Herren besser indoktriniert werden könnten (denn das ist der Fall, wenn die Löhne für Fernseher, Smartphones und Computer ausgegeben werden), und doch ist es so.

IV

Der heutige Konsumbegriff hat jedoch eine gewisse Unschärfe. Egal ob ich mir etwas zu Essen kaufe, ob ich Miete bezahle, oder ob ich mir einen Fernseher anschaffe, all das gilt als Konsum. Das ist aus einem gewissen Blickwinkel verständlich, immerhin gibt es sowohl erheblich qualitative (bzw. teilweise auch nur stilistische) Unterschiede zwischen den einzelnen Waren, die die gleiche Ware entweder als Luxusgut oder aber als überlebensnotwendiges Gut erscheinen lassen – dazu gleich mehr. Zugleich gibt es nur sehr, sehr wenige etablierte Praxen zu leben, bei denen weder Essen, noch Obdach konsumiert werden müssten und so gut wie immer sind diese von der Gunst der Herrschenden und damit oft auch von einer anderen Art des konsumierens abhängig (Auf einem Stück Land zu leben, das man sich gekauft hat, lässt sich wohl kaum als frei von Konsum beschreiben). Und gewiss gibt es die Praxis für Waren nicht zu bezahlen und die Miete für zur Verfügung gestelltes Obdach nicht zu entrichten, aber es ist auch bekannt, dass man sehr wohl auch durch Diebstahl in der Lage ist, zu konsumieren und wenn schon der Erwerb von Brot als Konsum gilt, dann leuchtet es kaum ein, warum der Diebstahl von Kaviar beispielsweise nicht als solcher gelten sollte. Ich denke, die Probleme, die sich hier abzeichnen haben damit zu tun, dass man sich mit der Argumentation rund um Konsum bereits in der kapitalistischen Logik verirrt hat. Wenn das System Nahrung in verschiedene Klassen einteilt, von denen die günstigeren mehr vergiftet sind, während die teureren weniger Giftstoffe enthalten (zumindest wird das so behauptet), so ändert das doch nichts daran, dass der Zugang zu unvergifteter Nahrung weder eine Frage des finanziellen Vermögens, also zumeist des Grads der materiellen Involviertheit in das kapitalistische System, sein sollte – und wenn schon, dann eher im Gegenteil –, noch lässt sich die vergiftetere Nahrung als Befriedigung eines Grundbedürfnisses verkaufen, der Verzehr weniger vergifteter Nahrung jedoch als ein überflüssiges Bedürfnis, das durch die Propaganda des Konsums überhaupt erst geschaffen wurde. Und in beiden Fällen ist man selbst letztlich ohnehin abhängig von jenem System, das diese Nahrung produziert, nicht zuletzt auch deswegen, weil dieses System so total geworden ist, dass eine so simple Frage wie die Nahrungsbeschaffung außerhalb von ihm mindestens von der Duldung durch selbiges abhängig ist (etwas, was ohnehin selten ist).

V

Wenn man also davon spricht, dass der Konsum selbst, egal ob er als “ethisch” gilt oder nicht, unsere Beziehungen vergiftet und dem kapitalistischen System einverleibt, aber zugleich klar ist, dass wir dem Netz des Konsums, wie man ihn in einem strengen Sinne vielleicht definieren mag, nicht zu entrinnen vermögen, ohne das System ernsthaft herauszufordern, dann drängt sich vor allem die Frage auf, warum die Frage des Konsums überhaupt diskutiert wird und nicht vielmehr die universelle Frage dessen, wie eine ernsthafte Herausforderung des Systems organisiert werden könnte. Und gewiss lässt sich sagen, dass an dieser Frage häufig, wenn nicht so gut wie immer, zwei Fraktionen aneinander geraten, die sich auf zwei unterschiedliche Arten innerhalb des kapitalistischen Systems eingerichtet haben, sich aber gerne als Rebellen betrachten und folglich gezwungen sind, irgendeine Art von Dialektik zu produzieren, die die in ihrem Leben zutage tretenden Widersprüche in Einklang miteinander erscheinen lässt, sprich ihre Komplizenschaft mit dem System rechtfertigt. Die Fraktion ethischer Konsum errichtet in diesem Prozess die Illusion einer Welt, in der eine “faire” Bezahlung der – nicht weniger durch Erpressung abgerungenen – Arbeitskraft die dadurch verursachten Beschädigungen des Lebens kompensiere und deshalb erstrebenswert mache. Als “fair” gilt dabei meist jene Menge an Geld, die den Vorarbeitern in den Kolonien gerade so viel Geld beschert, dass sie das Leben eines westlichen, verarmten Kleinbauern nachahmen können, sprich dass sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang der Bewirtschaftung ihrer Felder nachgehen können und dadurch genug zu Essen für sich selbst, ihre Familie und ihre Knechte auf den Tisch stellen können. Damit man also jene “faire” Bezahlung entrichten kann, die immerhin oft nur unerheblich teurer ist, weil es ja ohnehin ein Interesse des Systems ist, dass sich die Arbeitskraft der Arbeiter*innen mit deren Hungertod nicht ständig in Luft auflöst, zumindest eben nicht die der “gelernten” Vorarbeiter, strebt man beispielsweise Karrieren in der Technologiebranche an oder – und das ist gewiss kein zu vernachlässigendes Phänomen – heiratet in diese Sphäre ein, die es einem erlauben, etwas weniger auf das eigene Geld schauen zu müssen. Die Fraktion Es gibt kein richtiges Leben im Falschen macht gewissermaßen einen richtigen Punkt wo sie die Fraktion ethischer Konsum als verlogene Heuchler kritisiert. Aus diesem Verdienst baut man sich dann jedoch oft akademische Karrieren auf, die das System legitimierende Scheiße hervorbringen, und konsumiert fortan weder nach dem Kriterium ob das nun richtig sei, oder falsch, eben genau das, wonach einem das Herz – oder ist es nicht vielleicht vielmehr das von der Werbung ebenso wie der Akademie weich gewaschene Gehirn? – begehrt. Was über all diese künstlichen Konflikte jedoch in Vergessenheit gerät: Die Frage des Konsums trägt überhaupt nichts zur Zerstörung des kapitalistischen Systems bei.

VI

Weil eigentlich niemand, der an der Zerstörung des kapitalistischen Systems interessiert ist, irgendeine dieser beiden herkömmlichen Fraktionen ernst nehmen kann, hat man die Frage des Konsums in bestimmten Kreisen in einem neuen Gewand aufgeworfen. Dass man essen muss, will man nicht verhungern, das ist den meisten Vertretern einer neuen Form des ethischen Konsums immerhin bewusst, aber es gibt da ja noch ein weites Spektrum der Produktpalette an Nahrungsmitteln, an dem man sich abarbeiten kann. Indem sie letztlich den Habitus der über alle weniger “ethischen” Konsumenten die Nase rümpfenden, bürgerlichen Mittelschicht übernehmen – immerhin entspricht das in vielen Fällen eben auch der Herkunft dieser Zeitgenossen –, moralisieren die neuen Verfechter*innen des ethischen Konsums, nennen wir sie Veganer*innen, fortan darüber, ob Menschen Waren essen, die aus Tier bestehen. Und wie die Fairtrade-Bewegung nehmen sie dabei an der Erschaffung einer ganzen neuen Industrie teil. Nun, man muss der Fairtrade-Bewegung vielleicht zugute halten, dass sie immerin “bloß” eine beschönigende Form des Kolonialismus hervorgebracht haben. Das kann man den Veganer*innen gewiss nicht zugute halten: Die von ihnen erschaffene Industrie lässt sich vielmehr als eine neue Welle des Kolonialismus beschreiben, in deren Rahmen neue Plantagen angelegt werden, denen ganze Ökosysteme weichen müssen und auf denen neue Sklav*innen schuften, um dann zu allem Überfluss auch noch eine ganz neue Form industriell produzierter Scheiße auf den Markt zu werfen, die als Fleischersatzproduktpalette ganze Supermarktregale füllt. Und weil dieser Prozess beim besten Willen nicht als “ethisch” beschrieben werden kann, schafft sich diese Bewegung ein neues Vokabular, dass sich rund um den Begriff Tierquälerei ansiedelt. Sicher gibt es solche und solche Veganer*innen, aber von Leuten, die sich aus lauter Tierliebe (in einer Stadtwohnung) einen Hund anschaffen, braucht sich gewiss keine*r etwas über Tierquälerei erzählen lassen. Außer vielleicht diese Leute würden beginnen, aus der Sicht notorischer Sadisten von Tierquälerei zu berichten. Nun wie dem auch sei. Verlogen und heuchlerisch ist das Ganze mit Hund als Haustier, ebenso wie ohne. Denn zweifelslos ist die (industrielle) Tierhaltung eine widerliche Abart des kapitalistischen Systems, die angegriffen und zerstört gehört, aber zu glauben, dass dies irgendetwas mit dem Verzehr von Fleisch – das es im Kapitalismus ebensowenig ohne Tierqäulerei gibt, wie vegane Fleischersatzprodukte, pflanzliche Nahrungsmittel, Kosmetika, Medizin und alle möglichen anderen Produkte – zu tun hat, grenzt an Blödheit. Und blöd sind sie ja nicht, unsere lieben Veganer*innen, oder? Vielmehr produzieren auch sie eine gewisse Dialektik, die eben die Widersprüchlichkeiten des eigenen Lebens in Komplizenschaft mit dem System überdecken soll und die hauptsächlich darin besteht, ihren Veganismus zur rebellischen Handlung zu erklären. Im Übrigen lohnt es sich vielleicht zu betonen, dass ich mich weder dafür interessiere, wer was isst, noch irgendeine Haltung dazu habe, was Veganer*innen essen sollten. Sonst wäre ich sicher Foodblogger geworden und nicht Anarchist.

VII

Wenn sich also zu ethischem Konsum bestenfalls feststellen lässt, dass er dazu dient, eine bestimmte Art von Subjekt, jene, die angesichts eines gewissen Elends ein Gewissen entwickelt, wieder fest innerhalb des kapitalistischen Systems zu verwurzeln und sich von Konsum im Allgemeinen bloß sagen lässt, dass er, wo er entsprechend darüber hinausgeht, dass wir uns das nehmen, was wir brauchen, um zu Überleben, tendenziell unsere Beziehungen vergiftet und – sofern er etwa nicht durch Diebstahl begünstigt wird – uns zudem anfälliger macht (weil man mehr Geld braucht) für die Erpressung durch die Arbeit, zugleich aber klar ist, dass die Wiederaneignung der Fähigkeit das eigene Leben jenseits von Konsum zu bestreiten nur in absoluter Feindschaft und im erbitterten Kampf gegen das kapitalistische System überhaupt denkbar ist, dann muss die Tatsache, dass die Frage des (ethischen) Konsums doch wieder und wieder aufgeworfen und diskutiert wird, den Verdacht erregen, dass es sich dabei vielmehr um ein Instrument der Aufstandsbekämpfung handeln könnte. Und tatsächlich scheinen die Bedingung dafür günstig zu sein. Gewiss spricht nichts dagegen zu verstehen, wie der Konsum – seinerseits eine Strategie der präventiven Aufstandsbekämpfung – unsere Beziehungen zueinander und zu der uns umgebenden Welt vergiftet. Aber wann nimmt die Frage nach dem “richtigen” Konsum jemals die Form an, zu diskutieren, welche Waren es (neben Nahrung, Waffen und Obdach) vielleicht wert sind, enteignet zu werden und welche nicht? Und ich will nicht vorschlagen diese Frage in den Mittelpunkt zu stellen. Vielmehr denke ich, das dies die einzig kohärente Frage wäre, wenn man schon so einen Wirbel um Konsum macht. Die Tatsache jedoch, dass diese Frage kaum Gegenstand der Debatte ist, lässt mich vermuten, dass die Debatte um den “richtigen” Konsum vielmehr eine Kampagne für Konsum ist. Mit den selben Absichten, die schon früher hinter der Entwicklung von Konsum gestanden haben mögen. Ich schlage also vielmehr vor, die Moralerei über den richtigen Konsum zu unterlassen und stattdessen die viel wichtigeren Debatten darum zu befeuern, wie sich unsere Leben wahrlich gegen das kapitistische System führen lassen, wie wir uns die Fähigkeiten unseren eigenen Lebensunterhalt (und zwar nicht in Form von Geld und Waren) zu bestreiten, wieder aneignen können und wie wir die Scheinwelt des Konsums ein für alle Mal zerstören können.