Im November 2021 erhielten drei Hamburger Anarchist*innen die Benachrichtigung, in zwei verschiedenen Zeiträumen vom Hamburger Staatsschutz des LKAs observiert worden zu sein. Die Maßnahmen stehen in Kontinuität des sogenannten „Parkbankverfahrens“. Auch ist es wahrscheinlich, dass die Betroffenen von den Behörden als „Gefährder“ betrachtet werden.
Die Benachrichtigung enthielt neben den Zeiträumen – einige Monate im Winter 2020/2021 und zwei Wochen im Spätsommer 2021 – auch die jeweiligen Aktenzeichen und Informationen über die Maßnahmen. Dies waren laut dem Schreiben die „längerfristige Observation“ und die „Datenverarbeitung durch technische Mittel“, den angeführten Paragrafen zufolge lediglich „ausserhalb von Wohnungen“.
Es wurde daraufhin Akteneinsicht beantragt – das Ersuchen wurde beantwortet durch die unter anderem aus dem Parkbank-Verfahren bereits bekannte Polizeibeamtin Rönck vom Staatsschutz beim LKA Hamburg, die einem Briefkopf zufolge beim Staatsschutz für „Operatives und Gefährdermanagement“ zuständig ist.
Die Maßnahmen waren präventive Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Sinne des „Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG)“. Die Polizei ist theoretisch (also gesetzlich) verpflichtet, Betroffene innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Maßnahme zu informieren – es sei denn, ein Gericht genehmigt den Aufschub der Benachrichtigung nach 12 Monaten oder aus der Maßnahme hat sich ein Ermittlungsverfahren „entwickelt“. Oder die Cops wollen die Benachrichtigung einfach unterlassen – dann benachrichtigen sie eben nicht, können die Erkenntnisse dann zwar (theoretisch) nicht offiziell verwenden, aber dass sie sich an ihre eigenen Gesetze halten ist weder zu erwarten noch wäre es beruhigend.
Den in den Benachrichtigungen enthaltenen Informationen ist ebensowenig zu trauen wie denen, die wir dann in zur Einsicht beantragten Akten vorfinden – insbesondere weil des Informationen sind, die uns die Bullen schlussendlich freiwillig geben, also geben wollen. Es ist also davon auszugehen, dass weder Zeiträume, eingesetzte Mittel noch Umfang der erhobenen Daten (Observationsprotokolle etc) tatsächlich vollständig oder korrekt sind. In einer der uns vorliegenden Akten war zum Beispiel keine einzige Seite Observationsprotokoll vorhanden – deswegen davon auszugehen, dass die Bullen eine gerichtlich genehmigte Maßnahme einfach sein haben lassen wäre ziemlich naiv.
Mit den Akten, die auf diesem Wege erlangt werden ist unserer Meinung nach entsprechend vorsichtig umzugehen.
Es darf unserer Ansicht nach ganz grundsätzlich die Frage gestellt werden, ob sich solche Polizeiprosa überhaupt in vollem Umfang angesehen werden sollte. Was erhoffen wir uns von der Lektüre des Ergebnisses so schmutziger Eingriffe in unsere Leben? Welchen Raum wollen wir Dingen geben, die die Bullen für uns zusammengestellt haben? Was schauen wir uns an, was lassen wir auch gezielt aus, um diesen Dingen das vorgesehene „Publikum“ zu verweigern?
Klar, es können aus den meisten Akten Informationen gewonnen werden, wie die Behörden gegen uns und damit vermutlich auch andere Vorgehen, dieses
Wissen ist wichtig weiterzugeben. Gleichzeitig geben sie natürlich auch nur das weiter, was sie weitergeben wollen. Wie aber mit dem Spagat umgehen, dass es einmal sehr eklig sein kann, solche Texte über das eigene Leben zu lesen, es ihr Blick auf unser Leben ist, es etwas mit uns machen kann und gleichzeitig aber wichtig ist, die Informationen, die sich aus genau diesen Zusammenstellungen gewinnen lassen, weiterzugeben?
Immerhin handelt es sich um gegen den Willen von Individuen festgehaltene, durch Bullen interpretierte Momente, die eigentlich nur zwischen den Menschen existieren, die sie erlebt und miteinander geteilt haben.
Wir wollen im Folgenden versuchen, einen Einblick in die uns vorliegenden Informationen zu geben. Nicht nur weil wir denken, dass die Informationen hilfreich sein können – sondern auch, um mit einem kollektiven Umgang mit der Betroffenheit von solchen An- und Eingriffen zu experimentieren.
Es zeigt sich in den Akten abermals, dass die Bullen und der VS wesentlich damit befasst sind, unsere Beziehungen zu durchleuchten, zu katalogisieren und sich zu bemühen, aus ihnen Gefährdungspotenziale zu konstruieren.
Die Information hierüber kann als Versuch gewertet werden, uns einzuschüchtern und Beziehungen schlussendlich zu kriminalisieren – für uns ein Grund mehr, gefährliche Freundschaften zu pflegen, zu intensivieren und der Herrschaft ins Gesicht zu spucken.
Die uns vorliegenden Akten bestehen einerseits aus den Anträgen auf „Datenverarbeitung durch Observation“ (§20 PolDVG) und „Datenverarbeitung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel“ (§21 PolDVG) durch Cops vom LKA namens Rönck, Stacke, Carstensen und Malick und richterlichen Anordnungen durch die Richterin Röckel, die Richter Notmann und Hagge am Amtsgericht. Das Gericht hat in diesem Fall die beantragten Maßnahmen der Bullen ohne Ausnahme genehmigt. Mit einer Neuerung des PolDVG im Jahr 2019 haben längerfristige Observationen nun eine richterliche Anordnung zur Voraussetzung – was offensichtlich keine Hürde für die Bullen darstellt, die Begründungen für die Maßnahmen sind ausgesprochen abstrus, dem Gericht aber mehr als ausreichend.
Als wesentliche Begründungen kristallisieren sich vor allem spezifische Daten, Events und Anlässe heraus, zu denen die Bullen von Leuten wie uns Straftaten zu erwarten scheinen. War das im Parkbank-Verfahren der sich jährende G20-Gipfel, sind es in den vorliegenden Schreiben Anlässe wie Prozessauftakte, Räumungen, die IAA in München, der Brand in der Zelle des französischen Anarchisten Boris – sogar der 13.12. wird als Tag mit „Reizwirkung“ angeführt.
Ferner enthalten sie eine ganze Menge Anlagen, auf die sich in den Anträgen bezogen wird – darunter bereits bekannte Inhalte von Ermittlungsakten vergangener Verfahren, Anklageschriften, Gerichtsurteile, aber auch Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, die z.B. auf der Auswertung von im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen beschlagnahmten Datenträgern beruhen.
Insgesamt ist, wie bei solchen Akten üblich, sehr viel geschwärzt. Vor allem Passagen, die sich nicht auf die Betroffenen beziehen oder Verweise auf Dritte. Das natürlich unter dem Vorwand des „Datenschutzes“ – zynischerweise nachdem ohne das Wissen all der betroffenen Individuen in deren Leben eingedrungen, ihnen hintergeschnüffelt wurde.
Wie angesprochen besteht ein großer Teil der Arbeit aus dem Nachvollziehen von Reisebewegungen und Beziehungen. In unserem Fall wurde klar, dass schon seit einigen Jahren eine sogenannte „beobachtende Fahndung“ über das „Schengen-Informationssystem“ (SIS II) läuft und auch andere Informationen über beispielsweise Veranstaltungen im europäischen Ausland an die deutschen Bullen übermittelt wurden. In der Praxis führt so eine beobachtende Fahndung nach dem SISII öfter dazu, dass Bullen im Ausland einen Meldebogen ausfüllen müssen auf dem Dinge wie Zweck und Dauer der Reise, Begleitpersonen und genutzte Fahrzeuge vermerkt werden müssen, ein Prozedere, von dem nicht wenige Menschen betroffen sind und von dem wir immer wieder berichtet bekommen.
Auffallend ist, dass wir zwar sehr sicher sind, dass von uns gebuchte
Flüge beim BKA aufleuchten, sich diese aber nicht in den Akten
wiederfinden. Ob diese Daten nicht automatisch zum LKA gelangen, vom LKA nicht abgefragt werden oder einfach nur nicht in die Akten gelangt sind wurden – wir wissen es nicht und halten alles davon für möglich.
Einen weit kleineren Anteil an dem Aktenmaterial haben dann die Überwachungsprotokolle. Bei diesen handelt es sich zum Teil um Observationsprotokolle, zum Teil um Videoauswertungen. Aus diesen Videoauswertungen wird klar, dass Kameras vor den Wohnsitzen der Betroffenen installiert wurden, um das Kommen und Gehen nachvollziehen zu können. Hier geht es also offensichtlich nicht um die „Live-Überwachung“ zum Zweck der Verhinderung von Straftaten, sondern um das Ausforschen von Alltag und Umfeld. Die Kameras waren mit großer Wahrscheinlichkeit in Fahrzeugen untergebracht, der Winkel eines Fotos lässt zum Beispiel die Vermutung zu, dass eventuell die Rückfahrkamera eines geparkten Fahrzeuges umgebaut und zur Überwachung des Eingangsbereichs verwendet wurde. Die Anzahl dokumentierter tatsächlicher Observationen mit Begleitung durch die Stadt ist verdächtig gering und beschränkt sich auf recht banale Vorgänge. Hier ist von Lücken auszugehen. Zum Teil fanden die Observationen vermutlich per Fahrrad statt, aber genauere Informationen zu beteiligten Anzahl von Cops, Fahrzeugen und so weiter konnten wir den Protokollen nicht entnehmen, lediglich, dass unterwegs auch Fotos angefertigt wurden und dies vermutlich mit einer hochauflösenden Kamera.
Die uns gegebenen Informationen und vor allem diejenigen, die uns vorenthalten werden geben natürlich vorzüglich viel Interpretationsspielraum. Wir raten dringend dazu, damit ausgesprochen vorsichtig umzugehen. Spekulationen, Vermutungen, steile Thesen schaden mehr als sie nützen. Die Bullen und andere Behörden schauen uns beim Leben und Kämpfen zu – sie observieren uns und sammeln Daten, wo sie nur können, bzw. wo wir sie lassen. Das sind keine neuen Erkenntnisse. Die Einstufung als „Gefährder“ ist keine juristische Kategorie, sondern eine Schublade der Ermittlungsbehörden. Die Maßnahmen, die ergriffen werden, scheinen die glichen zu bleiben. Weder in den Anträgen noch in den Akten fällt dieser Begriff auch nur ein einziges Mal.
Wir schlagen vor, auch angesichts solcher An- und Eingriffe vor allem Handlungsfähigkeit zu entwickeln – wir ziehen einen offensiven, kollektiven Umgang mit solchen Maßnahmen eindeutig der Variante vor, den Mist einfach mit uns selbst auszumachen. Es ist wichtig, dass wir einander über Einblicke in Vorgehensweisen der Ermittlungsbehörden informieren – auch wenn diese Informationen lückenhaft und mit Vorsichtig zu genießen sind. Es ist wichtig, dass wir Repression auch auf dieser Ebene nicht als individuelles Problem begreifen und verhandeln – sie ist nicht bloß ein Angriff auf einzelne, mit bestimmten Fantasiebegriffen der Bullen gekennzeichnete Personen, sondern auf alle, die rebellische Beziehungen und Projekte pflegen. Und es ist wichtig, sich von der Repression nicht verrückt machen zu lassen, gemeinsam einen bewussten, klaren Umgang mit ihr zu entwickeln. Wir wollen uns von der uns betreffenden Repression nicht bestimmen lassen – dazu zählt auch, dass wir nicht in die Rolle von vermeintlichen Expert*innen gedrängt werden wollen. Und ein Mittel hierbei ist es eben, dass auch andere von Repression betroffene Mitstreiter*innen ihre Erfahrungen und Prozesse teilen, wir eben einen kollektiven Umgang mit diesen Dingen entwickeln.
Genauso wie wir uns nicht einschüchtern lassen werden, wollen wir auch nicht abstumpfen und verrohen im Angesicht der Repression. Bleiben wir im Austausch, hören wir einander zu und seien wir füreinander da. Wir halten es für wichtig, eine klare Position zu beziehen: Wir verstehen die Überwachung unserer und der Leben von Mitstreiter*innen, Freund*innen, Familie, Nachbar*innen… als Angriffe! Uns ist klar, dass diese eine Konsequenz der herrschenden Verhältnisse und unserer Kämpfe gegen diese sind. Und doch bleiben es kontinuierliche Grenzüberschreitungen und Eingriffe in unsere Leben, die uns Angst machen und uns unsere Ideen und Entscheidungen überdenken lassen sollen. Es geht um das Unterbinden von sozialen, von revolutionären Kämpfen. Sie werden scheitern!
Übernommen von de.indymedia.org