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[Jänschwalde] Sabotage an Tagebau von Jänschwalde

Am Abend des 23. April bohrten wir im Tagebau Jänschwalde auf einer Länge von fast 500 Metern etwa 20 Löcher in mehrere Wasserleitungen.

Um Kohle im Tagebau abbauen zu können, muss der Grundwasserspiegel abgesenkt werden. Dazu werden große Mengen Wasser an die Oberfläche gepumpt und abgeleitet. In Jänschwalde sind es jährlich 114 Milliarden Liter. Die Wasserleitungen, in die wir gebohrt haben, dienen der Ableitung des Wassers. Deshalb haben wir die LEAG vor die Wahl gestellt, entweder alle Pumpen abzuschalten, bis die Rohre repariert sind, oder aber große Mengen Wasser zurück in die Natur fließen zu lassen. Wir wissen, dass Aktionen wie diese den Tagebau nicht für immer stoppen können, aber wir hoffen, dass die extrem hohen Kosten es irgendwann unmöglich machen, den Betrieb fortzusetzen, wenn wir ihn nur oft genug stören.

Die Verbrennung von Braunkohle zerstört das gesamte Ökosystem und unsere Lebensgrundlage.

Außerdem ist sie nicht einmal legal: Die LEAG pumpt in Jänschwalde viel mehr Wasser ab, als gesetzlich erlaubt ist, weshalb sie den Tagebau am 15. Mai stilllegen muss (DUH am 17. März https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/umweltverb…)

Trotzdem hat die LEAG angekündigt, in Zukunft 500 Milliarden Liter mehr abzupumpen (LEAG am 17. März https://www.leag.de/de/news/details/gericht-entscheidet-leag-muss-tageba…). Es ist völlig absurd, dass es dafür keine Konsequenzen gibt. Also ziehen wir mit unserer Aktion selbst die Konsequenzen.

Die Bergbaugesetze stammen größtenteils aus der Nazizeit und sind sehr konzernfreundlich, aber sie schaffen es nicht einmal, diese einzuhalten.

Wenn Konzerne gegen das Gesetz verstoßen, wie in diesem Fall, gibt es einen langwierigen Gerichtsprozess, der von Umwelt-NGOs geführt wird, und schließlich müssen sie ihr Tun stoppen, aber die Verantwortlichen für den Schaden werden nicht bestraft, und die Konzerne bekommen immer noch tonnenweise Geld vom Staat, als wäre nichts passiert.

Unserer Meinung nach zeigt dies, dass der Rechtsstaat nicht einmal seine eigenen Versprechen einhalten kann (die von vornherein nicht so überzeugend sind) und dass Gerechtigkeit von unten erkämpft werden muss.

Nachdem die Mine geschlossen wurde, wird sie nicht wieder in Betrieb genommen. Das ist ein Versprechen. Es ist klar, dass unsere Gruppe das nicht alleine schaffen kann, deshalb sagen wir euch, wie es geht.

Die Wasserrohre verlaufen über mehrere Kilometer parallel zum Rand der Mine. An einigen Stellen gibt es zwar Kameras und Sicherheitspatrouillen, aber es ist nicht möglich, die gesamte Länge der Rohre zu überwachen. Wählt also einen ruhigen Bereich, nehmt einen Akkubohrer und legt los! Die Rohre sind aus HDPE und haben einen Durchmesser von etwa 1 m und eine Wandstärke von etwa 3 cm. Mit einem Metall- oder Holzbohrer lässt es sich sehr leicht durchbohren. Wir haben einen 10-mm-Bohrer verwendet und brauchten etwa 10 Sekunden pro Loch.

Aus dem Loch wird Wasser herausspritzen, und das ist nicht die beste Behandlung für euren Akkubohrer, daher empfehlen wir, einen Schutz zwischen dem Rohr und dem Bohrer zu verwenden, wie auf dem Bild unten.

Die Rohre stehen unter einem gewissen Druck, nicht genug, um euch zu verletzen, aber genug, um ziemlich nass zu werden. Wenn ihr oberhalb der Mitte bohrt, erzeugt ihr eine mehrere Meter hohe Fontäne, die sehr hübsch ist, aber wahrscheinlich auch nicht unbemerkt bleibt.

Tipps, wie man vorgeht, ohne erwischt zu werden, und andere nützliche Informationen findet ihr unter:

Alle Kohletagebaue verbrauchen viel zu viel Wasser. Wir können sie nicht alle sabotieren, also macht mit!

Wir begrüßen es, dass Klimaaktivist*innen in letzter Zeit zu direkten Aktionen übergehen. Allerdings denken wir, dass der Ausdruck „friedliche Sabotage“ keine hilfreiche Kategorie für die Diskussion ist. Wir sehen uns als eine Bewegung mit allen, die für Klimagerechtigkeit von unten kämpfen.


Übernommen von de.indymedia.org

Was an dem Aufruf zum Angriff der Kommunisateur*innen und Tiqqunist*innen so unappetitlich ist …

[ …] Die Kommunisateur*innen unterscheiden sich von Wilson in dieser Hinsicht, da sie die Kommunen allesamt als eine Startrampe für den zentralisierten kommunistischen Angriff wollen. Angriff ist etwas, über das Wilson kaum spricht, wenn überhaupt, was schade ist, denn ich liebe Angriff ebenso wie mein Gegenüber! Was aber an dem Aufruf zum Angriff der Kommunisateur*innen und Tiqqunist*innen so unappetitlich ist ist eben, dass sie Kommunisateur*innen sind – sie sind Marxist*innen –, sie wollen die Kommunen, damit sie Räume haben, in denen sie ihre Partei oder irgendeine ihrer Organisationen aufbauen können, um in blankem Oportunismus die Macht zu zentralisieren und zu „vergrößern“ (Anonym, 2009). Dies geschieht zu ihrer Vorbereitung, um ihren unausweichlichen revolutionären Krieg gegen die Bourgeoisie zu starten und im Anschluss an ihren Sieg würden die Kommunisateur*innen natürlich auch danach streben, die Diktatur des Proletariats (in manchen Kreise der marxistischen radikalen Linken wird sich daruf auch als den proletarischen Halb-Staat bezogen) zu errichten.

Ich bin nicht allgemein dagegen, jemandem die Beine zu brechen, zumindest nicht in der typischen moralischen Opposition zu einer bestimmten Aktion, oder abseits dessen, dass mir die Beine gebrochen werden. Und gewiss bin ich nicht gegen Taktiken, die Parteien zerstören. Ich bin ein*e Individualist*in und im Hinblick auf die Anwendung von Gewalt bin ich in vielerlei Hinsicht ein*e gelegentliche*r Nihilist*in. Aber ich würde Gewalt niemals mit dem Ziel gebrauchen, andere zu kontrollieren. Mein Angriff ist direkt und zweckdienlich. Gewalt darf meiner Meinung nach nur dann und dort angewendet werden, wo sie sein muss, im entsprechenden Grad in dem sie gerechtfertigt ist, ohne Vergnügen oder das Ziel im Sinne, andere zu kontrollieren. Dies gesagt bedeutet nicht, all die Gründe zu ignorieren, aus denen Gewalt geschieht. Aber es gilt anzugreifen, um zu zerstören, weil man nicht anders kann. Ich gebrauche Gewalt zur Selbstverteidigung und vielleicht auch aus Eigeninteresse, aber ich unterscheide mich von den Kommunisateur*innen dadurch, dass wenn ich Gewalt anwende, meine Absichten und Handlungen zentrifugaler Natur sind. Sie richten sich von einem bestimmten Pol oder Fokus oder Anliegen weg. Deshalb habe ich keinerlei Interesse an bolschewistischen Coups; ebensowenig wie ich Interesse an direkter Aktion habe, die darauf abzielt, die Menschen in Diktaturen zu zwingen, in die Partei oder in das Denken der Partei. Diese Art der Homogenität ist ein Grundpfeiler des Staates, der Zivilisation und des Kapitals. Ich bin nicht daran interessiert, in irgendeiner Art von Gemeinschaft, Netzwerk oder Arbeitsnetz involviert zu sein, die/das darauf abzielt auf eine quantitative Art und Weise voranzuschreiten, in Zahlen zu wachsen oder einem das eine Mitgliedschaft beinhaltet. Meine Beziehungen zu anderen zielen niemals darauf ab, Zwang zu beinhalten. Ich trage meine Absichten offen vor mir her. […]“

Aus: Communes & Land Projects: A Nomadic Critique of Communization von Zhachev, erschienen im Warzone Distro.

Thesen zum (Ethischen) Konsum

I

Die Ethik des sogenannten Ethischen Konsums kann zweifelslos und ohne jede Ausnahme bloß jener kapitalistischen Ethik entsprechen, die den Konsum überhaupt erst erschaffen hat. Das ist unmittelbar einleuchtend, denn wenn es nicht die Handelsbeziehungen zwischen den Menschen sind, die in der Ethik des Konsumierens in den Vordergrund gerückt werden, welche Beziehungen wären es sonst? Folglich ist die Ethik des Ethischen Konsums (und wir können ihn ebenso “kritischen Konsum”, usw. nennen, das spielt keine Rolle) eben jene Ethik, die auch das bürgerliche Subjekt erschafft, jene Ethik, die durch die fortgesetzte Domestizierung durch Arbeit ebenso wie (koloniale) Genozide jene Subjekte erschafft, die der bürgerlichen Ordnung treu ergeben sind.

II

Den Ethischen Konsum als ein Mittel des Kampfes zu erwählen muss also letztlich, auch entgegen anderer Absichten, darin scheitern, den eigenen Kampf gegen den Kapitalismus (und sowieso nichts anderes) zu richten. Wenn der Kapitalismus darauf basiert, durch die Verdinglichung all unserer Bedürfnisse bis tief in die Beziehungen von Individuen vorzudringen, diese zu vergiften und sich selbst einzuverleiben, dann kann ein nach bestimmten Regeln irgendeiner Ethik praktizierter Konsum unmöglich dazu beitragen, den Kapitalismus, geschweige denn irgendein anderes Herrschaftssystem zu untergraben. Nein, vielmehr festigt der Konsum (ob mit Ethik, bzw. mit einer bestimmten Ethik, oder ohne) die Strukturen des Kapitalismus, indem er auch weiterhin die Handelsbeziehungen in den Vordergrund stellt, die sämtliche andere Beziehungen zwischen Individuen entweder verdrängen, oder aber vergiften. Dies gesagt, ist jedoch zugleich offensichtlich, dass auch ein Nicht-ethischer Konsum unsere Beziehungen vergiftet, uns durch die Verdinglichung die Logik des Kapitalismus auferlegt und uns an das kapitalistische System bindet.

III

Der Konsum ist die Gegenseite des Medallions der Arbeit. Während die Arbeit dazu dient, uns unserer Arbeitskraft zu berauben und mithilfe dieser die soziale, ebenso wie buchstäbliche Maschinerie des Kapitals zu ölen, sie zu erweitern und zu befeuern, so dient der Konsum dazu, die Erpressung der Arbeit vollständig zu machen. Sicher wäre ein Kapitalismus ohne Konsum denkbar, er würde jedoch die Form offener und alleine mit Mitteln der Repression im Zaum zu haltender Sklaverei annehmen. Der Feudalismus enteignete den Großteil seiner Subjekte eines Teils der Mittel, die diese benötigten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, also konkret jener Früchte der Felder, die diese bestellten, um sich selbst und ihre Sippe zu ernähren, und gab diese an seine Soldaten, die wegen ihrer Tätigkeit für die Herrschaft nicht in der Lage waren, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Der Kolonialismus deportiert(e) seine Sklav*innen aus jenen Gebieten, in denen diese in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, in die Minen und auf die Plantagen, wo sie einerseits gefangen gehalten wurden, andererseits jedoch dafür, dass sie das absolute Minimum an Nahrung erhielten, das sie benötigten, um zu überleben, jene beschwerlichen und schädlichen Arbeiten verrichten mussten, die ihren Herren ein Vermögen einbrachten. Faschismus (Arbeitslager) und Kommunismus (Gulags) bedienten sich dieses Prinzips ebenfalls. Der Kapitalismus jedoch vermochte aus den Bauern- und Sklavenrevolten zu lernen. Die Sklaverei vermochte zwar den Willen der brutal unterjochten Subjekte oft erfolgreich zu brechen, aber sie würde diese niemals zu begeisterten Anhängern der eigenen Ideologie machen. Er erfand also die Lohnsklaverei. Nun war es permanente Verhandlungssache zwischen den unterworfenen Subjekten und den Inhaber*innen der Fabriken, die Entlohnung für diese Sklaverei festzulegen. Man saß also, wenn schon nicht im gleichen Boot, immerhin schon einmal am selben Verhandlungstisch. Aber so ganz wollte das noch immer nicht funktionieren. Erst wollten die Arbeiter (will heißen, die widerwärtigen Politiker unter ihnen, die allzeit bereit waren, sich mit ein paar Brotkrummen für die Arbeiter und einer gehobenen Position für sich selbst abspeisen zu lassen) mehr als nur einen Kanten Brot zu essen, dann wollten sie weniger arbeiten. Und hier entsteht das, was wir heute als Konsum kennen. Weniger arbeiten, das hätte schließlich bedeutet, dass die Arbeiter sich ihrer Fähigkeit erinnert hätten, ihr Brot selbst zu backen und nicht mehr bei der Arbeit erschienen wären. Also bedurfte es einer schillernden Scheinwelt, mit der sich der Arbeiter die Illusion eines zufriedenstellenden Lebens ins eigene Heim holen konnte, für die es sich zu arbeiten lohnen würde. Vom Automobil über allerlei Haushaltsgeräte im Zuge der Elektrifizierung, bis hin zu den kleinen und großen Propagandamaschinchen des Rundfunks, Fernsehens, sowie des Internets kann man sagen, dass die Strategie des Konsums die bislang wohl erfolgreichste Kampagne gewesen ist, die Sklaven davon zu überzeugen, an ihren Plätzen zu bleiben. Zugleich entmündigt der Konsum uns Sklaven immer weiter, macht immer mehr Bereiche unseres Lebens abhängig von jenem System, das von Anfang an ausschließlich unserer Unterdrückung diente. Der Konsum macht die Sklav*innen also zu Komplizen des Systems. Er verleiht dem, was man Arbeit nennt, einen Sinn und zerstreut zudem sämtliche Bestrebungen, sich aus den Fängen dieses Systems zu befreien. Es mag absurd scheinen, dass die Lohnsklav*innen für nichts anderes arbeiten, als dass sie von ihren Herren besser indoktriniert werden könnten (denn das ist der Fall, wenn die Löhne für Fernseher, Smartphones und Computer ausgegeben werden), und doch ist es so.

IV

Der heutige Konsumbegriff hat jedoch eine gewisse Unschärfe. Egal ob ich mir etwas zu Essen kaufe, ob ich Miete bezahle, oder ob ich mir einen Fernseher anschaffe, all das gilt als Konsum. Das ist aus einem gewissen Blickwinkel verständlich, immerhin gibt es sowohl erheblich qualitative (bzw. teilweise auch nur stilistische) Unterschiede zwischen den einzelnen Waren, die die gleiche Ware entweder als Luxusgut oder aber als überlebensnotwendiges Gut erscheinen lassen – dazu gleich mehr. Zugleich gibt es nur sehr, sehr wenige etablierte Praxen zu leben, bei denen weder Essen, noch Obdach konsumiert werden müssten und so gut wie immer sind diese von der Gunst der Herrschenden und damit oft auch von einer anderen Art des konsumierens abhängig (Auf einem Stück Land zu leben, das man sich gekauft hat, lässt sich wohl kaum als frei von Konsum beschreiben). Und gewiss gibt es die Praxis für Waren nicht zu bezahlen und die Miete für zur Verfügung gestelltes Obdach nicht zu entrichten, aber es ist auch bekannt, dass man sehr wohl auch durch Diebstahl in der Lage ist, zu konsumieren und wenn schon der Erwerb von Brot als Konsum gilt, dann leuchtet es kaum ein, warum der Diebstahl von Kaviar beispielsweise nicht als solcher gelten sollte. Ich denke, die Probleme, die sich hier abzeichnen haben damit zu tun, dass man sich mit der Argumentation rund um Konsum bereits in der kapitalistischen Logik verirrt hat. Wenn das System Nahrung in verschiedene Klassen einteilt, von denen die günstigeren mehr vergiftet sind, während die teureren weniger Giftstoffe enthalten (zumindest wird das so behauptet), so ändert das doch nichts daran, dass der Zugang zu unvergifteter Nahrung weder eine Frage des finanziellen Vermögens, also zumeist des Grads der materiellen Involviertheit in das kapitalistische System, sein sollte – und wenn schon, dann eher im Gegenteil –, noch lässt sich die vergiftetere Nahrung als Befriedigung eines Grundbedürfnisses verkaufen, der Verzehr weniger vergifteter Nahrung jedoch als ein überflüssiges Bedürfnis, das durch die Propaganda des Konsums überhaupt erst geschaffen wurde. Und in beiden Fällen ist man selbst letztlich ohnehin abhängig von jenem System, das diese Nahrung produziert, nicht zuletzt auch deswegen, weil dieses System so total geworden ist, dass eine so simple Frage wie die Nahrungsbeschaffung außerhalb von ihm mindestens von der Duldung durch selbiges abhängig ist (etwas, was ohnehin selten ist).

V

Wenn man also davon spricht, dass der Konsum selbst, egal ob er als “ethisch” gilt oder nicht, unsere Beziehungen vergiftet und dem kapitalistischen System einverleibt, aber zugleich klar ist, dass wir dem Netz des Konsums, wie man ihn in einem strengen Sinne vielleicht definieren mag, nicht zu entrinnen vermögen, ohne das System ernsthaft herauszufordern, dann drängt sich vor allem die Frage auf, warum die Frage des Konsums überhaupt diskutiert wird und nicht vielmehr die universelle Frage dessen, wie eine ernsthafte Herausforderung des Systems organisiert werden könnte. Und gewiss lässt sich sagen, dass an dieser Frage häufig, wenn nicht so gut wie immer, zwei Fraktionen aneinander geraten, die sich auf zwei unterschiedliche Arten innerhalb des kapitalistischen Systems eingerichtet haben, sich aber gerne als Rebellen betrachten und folglich gezwungen sind, irgendeine Art von Dialektik zu produzieren, die die in ihrem Leben zutage tretenden Widersprüche in Einklang miteinander erscheinen lässt, sprich ihre Komplizenschaft mit dem System rechtfertigt. Die Fraktion ethischer Konsum errichtet in diesem Prozess die Illusion einer Welt, in der eine “faire” Bezahlung der – nicht weniger durch Erpressung abgerungenen – Arbeitskraft die dadurch verursachten Beschädigungen des Lebens kompensiere und deshalb erstrebenswert mache. Als “fair” gilt dabei meist jene Menge an Geld, die den Vorarbeitern in den Kolonien gerade so viel Geld beschert, dass sie das Leben eines westlichen, verarmten Kleinbauern nachahmen können, sprich dass sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang der Bewirtschaftung ihrer Felder nachgehen können und dadurch genug zu Essen für sich selbst, ihre Familie und ihre Knechte auf den Tisch stellen können. Damit man also jene “faire” Bezahlung entrichten kann, die immerhin oft nur unerheblich teurer ist, weil es ja ohnehin ein Interesse des Systems ist, dass sich die Arbeitskraft der Arbeiter*innen mit deren Hungertod nicht ständig in Luft auflöst, zumindest eben nicht die der “gelernten” Vorarbeiter, strebt man beispielsweise Karrieren in der Technologiebranche an oder – und das ist gewiss kein zu vernachlässigendes Phänomen – heiratet in diese Sphäre ein, die es einem erlauben, etwas weniger auf das eigene Geld schauen zu müssen. Die Fraktion Es gibt kein richtiges Leben im Falschen macht gewissermaßen einen richtigen Punkt wo sie die Fraktion ethischer Konsum als verlogene Heuchler kritisiert. Aus diesem Verdienst baut man sich dann jedoch oft akademische Karrieren auf, die das System legitimierende Scheiße hervorbringen, und konsumiert fortan weder nach dem Kriterium ob das nun richtig sei, oder falsch, eben genau das, wonach einem das Herz – oder ist es nicht vielleicht vielmehr das von der Werbung ebenso wie der Akademie weich gewaschene Gehirn? – begehrt. Was über all diese künstlichen Konflikte jedoch in Vergessenheit gerät: Die Frage des Konsums trägt überhaupt nichts zur Zerstörung des kapitalistischen Systems bei.

VI

Weil eigentlich niemand, der an der Zerstörung des kapitalistischen Systems interessiert ist, irgendeine dieser beiden herkömmlichen Fraktionen ernst nehmen kann, hat man die Frage des Konsums in bestimmten Kreisen in einem neuen Gewand aufgeworfen. Dass man essen muss, will man nicht verhungern, das ist den meisten Vertretern einer neuen Form des ethischen Konsums immerhin bewusst, aber es gibt da ja noch ein weites Spektrum der Produktpalette an Nahrungsmitteln, an dem man sich abarbeiten kann. Indem sie letztlich den Habitus der über alle weniger “ethischen” Konsumenten die Nase rümpfenden, bürgerlichen Mittelschicht übernehmen – immerhin entspricht das in vielen Fällen eben auch der Herkunft dieser Zeitgenossen –, moralisieren die neuen Verfechter*innen des ethischen Konsums, nennen wir sie Veganer*innen, fortan darüber, ob Menschen Waren essen, die aus Tier bestehen. Und wie die Fairtrade-Bewegung nehmen sie dabei an der Erschaffung einer ganzen neuen Industrie teil. Nun, man muss der Fairtrade-Bewegung vielleicht zugute halten, dass sie immerin “bloß” eine beschönigende Form des Kolonialismus hervorgebracht haben. Das kann man den Veganer*innen gewiss nicht zugute halten: Die von ihnen erschaffene Industrie lässt sich vielmehr als eine neue Welle des Kolonialismus beschreiben, in deren Rahmen neue Plantagen angelegt werden, denen ganze Ökosysteme weichen müssen und auf denen neue Sklav*innen schuften, um dann zu allem Überfluss auch noch eine ganz neue Form industriell produzierter Scheiße auf den Markt zu werfen, die als Fleischersatzproduktpalette ganze Supermarktregale füllt. Und weil dieser Prozess beim besten Willen nicht als “ethisch” beschrieben werden kann, schafft sich diese Bewegung ein neues Vokabular, dass sich rund um den Begriff Tierquälerei ansiedelt. Sicher gibt es solche und solche Veganer*innen, aber von Leuten, die sich aus lauter Tierliebe (in einer Stadtwohnung) einen Hund anschaffen, braucht sich gewiss keine*r etwas über Tierquälerei erzählen lassen. Außer vielleicht diese Leute würden beginnen, aus der Sicht notorischer Sadisten von Tierquälerei zu berichten. Nun wie dem auch sei. Verlogen und heuchlerisch ist das Ganze mit Hund als Haustier, ebenso wie ohne. Denn zweifelslos ist die (industrielle) Tierhaltung eine widerliche Abart des kapitalistischen Systems, die angegriffen und zerstört gehört, aber zu glauben, dass dies irgendetwas mit dem Verzehr von Fleisch – das es im Kapitalismus ebensowenig ohne Tierqäulerei gibt, wie vegane Fleischersatzprodukte, pflanzliche Nahrungsmittel, Kosmetika, Medizin und alle möglichen anderen Produkte – zu tun hat, grenzt an Blödheit. Und blöd sind sie ja nicht, unsere lieben Veganer*innen, oder? Vielmehr produzieren auch sie eine gewisse Dialektik, die eben die Widersprüchlichkeiten des eigenen Lebens in Komplizenschaft mit dem System überdecken soll und die hauptsächlich darin besteht, ihren Veganismus zur rebellischen Handlung zu erklären. Im Übrigen lohnt es sich vielleicht zu betonen, dass ich mich weder dafür interessiere, wer was isst, noch irgendeine Haltung dazu habe, was Veganer*innen essen sollten. Sonst wäre ich sicher Foodblogger geworden und nicht Anarchist.

VII

Wenn sich also zu ethischem Konsum bestenfalls feststellen lässt, dass er dazu dient, eine bestimmte Art von Subjekt, jene, die angesichts eines gewissen Elends ein Gewissen entwickelt, wieder fest innerhalb des kapitalistischen Systems zu verwurzeln und sich von Konsum im Allgemeinen bloß sagen lässt, dass er, wo er entsprechend darüber hinausgeht, dass wir uns das nehmen, was wir brauchen, um zu Überleben, tendenziell unsere Beziehungen vergiftet und – sofern er etwa nicht durch Diebstahl begünstigt wird – uns zudem anfälliger macht (weil man mehr Geld braucht) für die Erpressung durch die Arbeit, zugleich aber klar ist, dass die Wiederaneignung der Fähigkeit das eigene Leben jenseits von Konsum zu bestreiten nur in absoluter Feindschaft und im erbitterten Kampf gegen das kapitalistische System überhaupt denkbar ist, dann muss die Tatsache, dass die Frage des (ethischen) Konsums doch wieder und wieder aufgeworfen und diskutiert wird, den Verdacht erregen, dass es sich dabei vielmehr um ein Instrument der Aufstandsbekämpfung handeln könnte. Und tatsächlich scheinen die Bedingung dafür günstig zu sein. Gewiss spricht nichts dagegen zu verstehen, wie der Konsum – seinerseits eine Strategie der präventiven Aufstandsbekämpfung – unsere Beziehungen zueinander und zu der uns umgebenden Welt vergiftet. Aber wann nimmt die Frage nach dem “richtigen” Konsum jemals die Form an, zu diskutieren, welche Waren es (neben Nahrung, Waffen und Obdach) vielleicht wert sind, enteignet zu werden und welche nicht? Und ich will nicht vorschlagen diese Frage in den Mittelpunkt zu stellen. Vielmehr denke ich, das dies die einzig kohärente Frage wäre, wenn man schon so einen Wirbel um Konsum macht. Die Tatsache jedoch, dass diese Frage kaum Gegenstand der Debatte ist, lässt mich vermuten, dass die Debatte um den “richtigen” Konsum vielmehr eine Kampagne für Konsum ist. Mit den selben Absichten, die schon früher hinter der Entwicklung von Konsum gestanden haben mögen. Ich schlage also vielmehr vor, die Moralerei über den richtigen Konsum zu unterlassen und stattdessen die viel wichtigeren Debatten darum zu befeuern, wie sich unsere Leben wahrlich gegen das kapitistische System führen lassen, wie wir uns die Fähigkeiten unseren eigenen Lebensunterhalt (und zwar nicht in Form von Geld und Waren) zu bestreiten, wieder aneignen können und wie wir die Scheinwelt des Konsums ein für alle Mal zerstören können.

Anarchie in der Spiegelwelt?

Warum das Internet als ein “Ort” für die anarchistische Debatte für den Zündlappen nur von mäßigem Interesse ist und worauf wir unseren Fokus richten, wenn wir an den dort stattfindenden Debatten dennoch teilnehmen

In unterschiedlichem Maße und von unterschiedlichen Standpunkten aus haben wir uns in den vergangenen Jahren an anarchistischen Diskussionen, die im Internet stattfanden, beteiligt, diese beobachtet und uns über unsere Erfahrungen mit dieser Art von Diskussion ausgetauscht. Dabei stellte sich für uns immer wieder die Sinnfrage, denn entgegen den oft viel fruchtbareren Diskussionen, die wir von Angesicht zu Angesicht führen, lässt sich von einem Austausch im Internet, wie er derzeit stattfindet, kaum erwarten, dass daraus Spannungen entstehen, aus denen Affinitäten, ebenso wie Feindschaften – wobei letztere vielleicht in einer sehr absonderlichen Social-Media-Gossip-Form schon – entstünden, dass eine*n diese Diskussionen irgendwie in der eigenen Analyse weiter brächten oder dass diese wenigstens Spaß machen würden. Und obwohl man dem Internet ja nachsagt, Menschen von überall auf der ganzen weiten Welt miteinander in Austausch zu bringen, so fällt doch – und wen überrascht das wirklich? – vielmehr auf, dass jene wenigen Beziehungen, die letztlich in einer durch das Internet vermittelten Annäherung ihren Anfang gefunden haben, ebensogut sich hätten in der realen Welt anbahnen können, weil man ihnen hier und dort – ohne es zu wissen – eh schon über den Weg gelaufen war.

Zugleich lässt sich jedoch auch beobachten, dass in den Tiefen des Internets, oft in jenen Tiefen, in die keine*r von uns je vorgedrungen ist, dann doch die eine oder andere auch für uns weniger fortschrittliche, der Technologie grundsätzlich feindlich gegenüberstehenden Spießer*innen spannende Diskussion abzulaufen scheint, die sich um die gleichen oder sehr ähnliche Themen dreht, die auch uns beschäftigen. Interessant dabei ist, dass diese Diskussionen oft in völliger Unkenntnis voneinander stattfinden. Teilweise entstehen im Internet Übersetzungen von Texten, die schon vor Jahren oder Jahrzehnten übersetzt wurden, die jedoch außer in den sehr realen anarchistischen Archiven kaum wo zu finden sind, teilweise entstehen sogar Übersetzungen von Texten, die in Print auch heute noch aktiv distributiert werden. Aber auch wenn die hier skizzierte Tendenz, dass nämlich das Internet und die darin stattfindenden Diskussionen vor allem diejenigen sind, die in Unkenntnis der Diskussionen eines Außerhalb stattfinden, mir durchaus dominant zu sein scheint, so gibt es umgekehrt schon auch eine Unkenntnis dessen, was da den lieben langen Tag so im Internet veröffentlicht und diskutiert wird und was bis auf die vereinzelten Ausdrucke derjenigen Weirdos, die zwar das Internet konsultieren, aber nicht am Bildschirm lesen, niemals die Druckpressen erreichen wird. Kurz gesagt: Es sind zwei Welten. Eine, in der sich von Angesicht zu Angesicht begegnet wird, in der Zeitungen, Broschüren und Bücher von Hand zu Hand gehen, in der Plakate geklebt und Graffiti gemalt werden, in der sich beleidigt wird, und in der man – und man sollte diesen Aspekt nicht unterschätzen – seinem Gegenüber in die Augen blicken muss, ebenso wie man sich statt der Worte oder ergänzend zu ihnen, eben auch anderer Mittel der Kommunikation bedienen kann. Und eine, in der Texte, Bilder und Videos vorrangig algorithmisch zu ihren Leser*innen und Betrachter*innen gelangen, in der immer potentiell alles zugleich verfügbar ist und daher schnell der Eindruck entsteht, eben auch alles zu kennen, eine in der vieles auf Memes und Slogans gebracht wird, in der es Taten nur in Form ihres videographischen Abbildes gibt, in der es zwar Beleidigungen gibt, aber man einander weder hinterher noch in die Augen sehen muss, noch die Möglichkeit hat, seinen Emotionen mit handfesteren Argumenten Ausdruck zu verleihen. Eine Welt, die einmal ein Spiegel der anderen gewesen sein mag, die nun jedoch ein Eigenleben entwickelt hat, sich von ihrem materiellen Ballast vielfach getrennt hat und in der dennoch rege auch über anarchistische Positionen diskutiert wird. Obwohl es viele Versuche gegeben hat, die Grenzen, die die eine Welt von der anderen trennen, zu verwischen und manche Projekte darin sicherlich auch gewisse Erfolge verzeichnen konnten, bleiben Diskussionen zunehmend in ihren jeweiligen Sphären. Sei es aus Bequemlichkeit – oder weil einen eben doch mehr trennt, als es manchmal vielleicht den Anschein hat. Ob es von einer Debatte im Internet ausgehend, nicht vielleicht auch Aufbruchmomente gegeben haben mag, gibt oder geben wird, die zu etwas Realem führen, das lässt sich aus unserer Sicht sicherlich nicht abschließend beurteilen, wir haben daran jedoch erhebliche Zweifel.

Zugleich bestätigte sich in der jüngeren Vergangenheit zweifellos das, was irgendwo immer schon gewiss war: Das Internet zu nutzen, um seine Ideen zu verbreiten eröffnet den diversen Formen der Repression viele neue Einfalls-Möglichkeiten. Weil unterschiedslos jede*r, nicht zuletzt auch unabhängig vom eigenen Standort, an das dort veröffentlichte gelangen kann, von der Anarchistin bis zur Bullin, vom linken bis zum rechten Feind, vom Journalist bis zur Hobby-Detektivin, von der Geheimagentin bis zum sozialen Gerechtigkeitskrieger, und all das ohne auch nur den Mut aufbringen zu müssen, den Fuß über die Schwelle eines jener Räume zu setzen, in denen man waschechten Anarchist*innen begegnet, lassen sich die im Internet veröffentlichten Texte eben auch sehr viel leichter auf alle erdenklichen Arten und Weisen analysieren, einordnen, bewerten und im Anschluss diffamieren, verfolgen, (scheinbar) distinkten Millieus und Personen zuordnen, usw., während zugleich auch die Hemmschwellen zu sinken scheinen, haltlose Anschuldigungen vorzubringen oder gar Denunziation in Form von (nur scheinbar informierten) Spekulationen oder auch den aus dem im Internet noch zunehmenden Gossip bestimmter Subkulturen gewonnenen Informationen zu betreiben, bzw. diese Hemmschwellen sowieso niemals bei allen erreichten Personen existiert haben. Aber auch wenn jene eindeutig negativen Aspekte einer Verlagerung der anarchistischen Diskussion ins Netz sicherlich eine Rolle dabei spielen, wenn wir das Interesse daran verloren haben, so sollen diese Überlegungen hier nicht weiter verfolgt werden. Wer sich für dieses Thema interessiert, wird vielleicht im ebenfalls hier veröffentlichten Artikel Snitch-Technologie fündig.

Wir jedenfalls haben erhebliche Zweifel daran, dass sich das kybernetische Netz für unsere Ziele, nämlich den Kampf gegen die Herrschaft zu intensivieren und dabei Beziehungen zu knüpfen, die uns darin bestärken, uns Kraft geben und einander auffangen lassen, in jenen Momenten, in denen uns die eigene Kraft verlässt, nutzen lässt. Ja selbst zu einer Entwicklung unserer Analysen haben die Diskussionen des Internets in all den Jahren nur wenig beigetragen. Es ist nicht unsere Welt, die da durch die Glasfaserleitungen flimmert und wir haben deshalb nur wenig Interesse, unsere Ideen selbst zu einem matten Flackern am Ende der Leitung verkommen zu lassen.

Und doch: Die Realität ist … digital? Kybernetisch? Nein, noch nicht. Noch begegnen wir realen Menschen und nicht bloß Robortern und Drohnen, wenn wir unsere Ideen als Zeitungen und Flyer auf den Straßen in den Städten verteilen, noch blickt die eine oder andere von ihrem Smartphone auf, wenn wir Plakate kleistern, hält für einen Moment inne, um zu lesen, was da steht, noch führen wir Diskussionen nicht ausschließlich im Kreis der wenigen verbliebenen Technologieverweigerer. Aber wenn man realistisch bleiben will, so ist es auch Teil der Realität, dass viele potentielle Gefährt*innen das was jenseits des kybernetischen Netzes stattfindet, gar nicht mehr mitbekommen, während wir selbst – nicht dass wir daran etwas ändern wollen würden – deren Diskussionen dort immer nur aus den Erzählungen derer erfahren, die das Internet auf der (verzweifelten) Suche nach anderen Anarchist*innen enthusiastisch durchforsten.

Wenn wir also heute, wie in Zukunft das Internet nicht mit letzter Konsequenz meiden werden, so nur deshalb, weil wir darauf hoffen, in diesem technologischen Minenfeld doch noch die eine oder andere Gefährt*in zu finden oder von ihr*ihm gefunden zu werden. Wobei für uns unmissverständlich klar ist: Anarchie bleibt etwas Reales, Anarchie lässt sich nicht digitalisieren und schon gar nicht virtualisieren.

Deshalb gibt es den Zündlappen mit Ausnahme dieser Ausgabe auch ausschließlich gedruckt. Weitergegeben von Hand zu Hand, von Gefährt*in zu Gefährt*in und manchmal vielleicht auch über den Umweg durch die Hand des Postboten. Allerdings werden wir einzelne Artikel, von denen wir denken, dass sie zu jenen Diskussionen passen, die wir in den Untiefen des kybernetischen Netzes aufspüren, auch auf einem Blog veröffentlichen. Denn wer weiß, manchmal entspringen doch einige der größten Spannungen hin zur Revolte aus dem Unerwarteten …

So nicht!

Editorial zur Nullnummer des Zündlappens

Zuerst überrascht, dann mehr und mehr verärgert haben wir jüngst den Abgesang der Zündlumpen-Redaktion zur Kenntnis genommen. 85 Ausgaben lang haben diese Opfer ausgeteilt, um dann nicht einmal ein bisschen Gehetze irgendwelcher dahergelaufenen linken Wirrköpfe auszuhalten und unfähig jenen Leuten, die sich als Snitches hervortun, die passende Ansage zu machen? Wir hätten mehr erwartet!

Aber wenn sich auch die einstige Redaktion des Zündlumpens nachhaltig als untauglich erwiesen hat, so stimmen wir mit ihr doch darin überein, dass 85 Ausgaben Zündlumpen noch nicht genug sind, dass es noch das eine oder andere zu sagen gibt, bevor dieses Projekt den Rubikon endgültig überschritten haben wird. Und nur weil die Schiffscrew beschlossen hat, sich kopfüber vom Schiff zu stürzen, so wäre es doch gelacht, wenn wir deshalb nicht damit fortfahren würden, den Schiffsrumpf zu zerstören. Reißt vom Kadaver los, was ihr könnt, so sagt man doch. Also übernimmt jetzt die Chaoscrew! Und weil sich nach diesem Abgang kein vernünftiger Mensch jemals wieder wird positiv auf den Zündlumpen beziehen können, taufen wir unsere Reise eben auf den Namen Zündlappen. Da müssen wir immerhin nur zwei neue Buchstaben malen.

Verändern wird sich aber so einiges. Ihr werdet schon sehen. Nachdem die Feiglinge über Bord gegangen sind, wird hier nun ein rauerer Wind wehen. Und wir fangen gleich damit an, klarzustellen, was die Redaktion des Zündlumpens hätte besser gleich tun sollen: Wer auch immer meint jenseits des Kreises vertrauter Gefährt*innen – und es ist das Resultat dieses Vertrauens, an dem ihr euch messen lassen müsst, jaja, haha –, Spekulationen darüber anstellen zu müssen, wer den Zündlappen herausgebe, der ist ein*e Snitch [1] und wird von uns als solche*r behandelt werden! Und auch wenn man meinen sollte, man müsste es nicht erwähnen, sei hier gleich klargestellt, dass das auch für alle gilt, die sich in dieser Sache dem kybernetischen Netz anvertrauen, sei es in den „sozialen“ Netzwerken oder anderswo. Und wer in Anlehnung an das, was einst dem Zündlumpen vorgeworfen wurde, nun auch den Zündlappen als „sozialdarwinistisch“ und „nazi“ diffamieren zu gedenkt, die*der denke sich besser vorher ein gutes Argument dafür aus. Denn entweder hat man triftige Argumente für derlei Behauptungen oder es gibt bei der erstbesten Gelegenheit und ohne weitere Ankündigung/Vorwarnung eins mitten in die Fresse rein [2].

Ach ja. Es ist im übrigen nicht unser Anliegen, mit dem Zündlappen ein Blatt um seiner selbst willen, also der Nostalgie wegen, über seinen Zenit hinaus fortzuführen. Wir werden das mit dem Zündlumpen begonnene Projekt nur zu seinem unausweichlichen Ende bringen, danach treten wir ab oder es ist an euch zu meutern!

Aber bevor wir nun Kurs nehmen auf dieses unausweichliche Ende – und wir legen uns da jetzt nicht fest, wo wir selbiges vermuten –, da wollen wir einen Blick zurück werfen. Um zu sehen, wo wir stehen, drucken wir in dieser Nullnummer des Zündlappens neben einigen Übersetzungen vor allem jene Artikel aus den 85 Ausgaben Zündlumpen ab, von denen aus wir unsere Fahrt in Richtung Abgrund beginnen werden. Manchmal mit, manchmal ohne Kommentar.


[1] Nun, dieser Aspekt wurde von manch eine*m für unklar befunden und wir machen uns selbstverständlich gerne die Mühe das weiter auszuführen und eventuelle Unklarheiten auszuräumen: Gemeint sind hier selbstverständlich alle Spekulationen darüber, die darauf abzielen, eine*n andere*n persönlich in die Herausgabe des Zündlappens involvierte Person zu benennen, als unsere ehrenwerte, „presserechtlich verantwortliche“ B. Anke Nraub. Spekulationen darüber ob es olle Egoisten seien, die den Zündlappen machen oder „die Insus“ sind uns einerlei, soetwas finden wir je nach Stimmungslage entweder gähnend langweilig oder aber ziemlich amüsant; es ist uns vielmehr daran gelegen, die Anonymität der Herausgeber*innen zu wahren, bzw. eben selbst zu entscheiden, wem wir uns möglicherweise offenbaren und wem nicht. Und ganz gewiss geht es etwa Linke nichts an, wer wir sein könnten, so wie wir mal annehmen, dass auch ohne jede Willensbekundung unsererseits ein gewisser Konsens darüber herrschen würde, dass man Rechten und Bullen nicht an seinen Spekulationen und seinem (möglichen) Wissen über die Urheber*innenschaft anarchistischer Zeitungen teilhaben ließe. Und bei dieser Gelegenheit lohnt es sich vielleicht auch, daran zu erinnern, dass es für die Repression oft einerlei ist, ob etwas ein gesichertes Faktum ist, oder aber ob irgendjemand, dem man eine gewisse „Szenekundigkeit“ unterstellt (und sei es auch nur, weil es eben praktisch ist), etwas vermutet. Und dank abgehörten Räumen, Telefonen, etc. ist es oft auch gar nicht unbedingt notwendig, dass eine solche Unterstellung direkt an die Repression herangetragen wird. Ja wollt ihr uns nun das tratschen verbieten, oder was? Ja und Nein. Verbote provozieren dazu, gebrochen zu werden, das weiß jedes Kind und außerdem wollen wir kein Klima der Angst schaffen, in dem keine*r mehr weiß was sie*er sagen darf und was nicht und deshalb keine*r mehr etwas sagt. Es ist ja wohl klar, dass man hier und dort ein bisschen neugierig ist und auch wenn es vielleicht ein Unding ist, dass Klatsch und Tratsch zuweilen zur Tugend geworden zu sein scheinen, können wir sehr wohl zwischen jenen unterscheiden, die im Wesentlichen wissen, mit wem sie da tratschen und jenen, die sich einfach aus Ignoranz („Ist mir doch scheiß egal, ob Leute wegen meinem Gelaber in den Knast kommen, ist ja deren Problem und Sache“, „Ich rede worüber ich will, mit wem ich will“) oder sogar in der Absicht Repression zu begünstigen  das Maul zerreißen. Und eben letztere nennen wir Snitches und wenn wir von euch erfahren, werden wir alles daran setzen, euch das Handwerk zu legen!

[2] Von wem? Nun, von allen, die Lust haben, die Ehre  des Zündlappens zu verteidigen, möchte man meinen …

 

Journalistenpack

Jaja, unsere lieben Tagebuchschmierfinken, was kann man nicht alles über sie sagen? Würden sie, wie jeder wenigstens halbwegs auf dem Boden gebliebene Mensch ihr Tagebuch für sich alleine führen, so wäre das mitunter vielleicht noch immer ein gewisses Problem und man würde sie in jenen kriminellen Kreisen, in denen sie sich so gerne bewegen würden, aus naheliegenden Gründen noch immer nicht dulden können; Aber den allzu eitlen und aufmerksamkeitsheischenden Journalist*innen genügt das einsame Tagebuchschreiben ja nicht. Von der Langeweile des eigenen Lebens angeödet, suchen sie das Abenteuer im Leben anderer, eilen von einem Ereignis oder auch Spektakel zum Nächsten und, vielleicht um für sich selbst – vielleicht aber auch um auf andere – wenigstens ein klein wenig interessant zu erscheinen, ertragen sie es nicht, nur ein*e Teilnehmer*in oder – was in ihrem Fall vielleicht treffender ist – Beobachter*in zu sein. Nein, sie müssen das, was sie sehen, jedoch niemals begreifen werden, nichtsdestotrotz abstrahieren, einordnen, bewerten, kommentieren oder zumindest dokumentieren und sie drängt es danach, ihre Sicht der Dinge als die objektive, die einzig Richtige nicht nur auf die Seiten ihrer Tagebücher zu bannen, sondern sie auch, immer gemäß der technologischen Möglichkeiten, mithilfe von Boten, Druckpressen, Mattscheiben, Radiowellen und Glasfaserleitungen hinauszuplärren in die Welt, einzig und alleine in dem Bestreben, dass ihre Schilderung, ihre Bewertung des Spektakels, das Geschehene selbst verdrängt. Dabei stehen sie – und zwar ausnahmslos – mindestens durch ihren Gebrauch, dessen, was sie selbst Medien nennen, im Dienste der Herrschaft, stilisieren sich stolz selbst zu einer “Vierten Staatsgewalt” und können daher niemals als etwas anderes als unsere Feind*innen begriffen werden.

Doch was eigentlich so einfach und offensichtlich ist, das ist nicht zuletzt dadurch, dass diverse selbsternannte Anarchist*innen sich selbst als Journalist*innen bezeichne(te)n, dass angeblich anarchistische Publikationen die Form von Medien annehmen und ihre Herausgeber*innen und Redakteur*innen Journalist*innen sind, dass Anarchist*innen von Zeit zu Zeit Journalist*innen Einblicke in ihr Leben und ihre Kämpfe und dabei auch gleich das/die von anderen Anarchist*innen gewähren und diese (Zeitungs-) Spitzel dabei gar als Verbündete begreifen, ein wenig in Vergessenheit geraten und wird heute ohne weitere Erläuterungen kaum allgemeinen Zuspruch selbst innerhalb authentischer anarchistischer Kreise finden. Es bedarf also möglicherweise einer erneuten Analyse eines insgesamt sehr verwirrenden Geflechts, um heute wieder klar zu sehen, was einst offensichtlich gewesen sein mag.

Aber was ist eigentlich ein*e Journalist*in? In diesem Artikel werden darunter all jene verstanden, die sich (beruflich oder aus Idealismus) an der Verbreitung von Informationen, Meinungen und Unterhaltungen in Medien beteiligen, wobei unter Medien alle Kommunikationsmittel verstanden werden, die als Instrumente dienen, die Massen zu erreichen mit dem letztlichen Ziel einen bestimmten sozialen Konsens herzustellen. Freilich lässt sich dabei hervorragend darüber streiten, welche (auch anarchistischen) Zeitungen, Magazine und Co. nun als Medien und ihre Autor*innen somit als Journalist*innen gelten müssen. Im Zweifel wäre ich geneigt, mich hier an das entsprechende Selbstverständnis dieser Veröffentlichungen zu halten. In jedem Fall müssen jedoch kommerzielle Publikationen als Medien gelten, denn die Entscheidung, finanzielle Absichten zumindest zu einem Entscheidungskriterium für die publizierten Inhalte zu machen, erfordert es, im Großen und Ganzen dem Unterfangen verschrieben zu sein, einen sozialen Konsens herzustellen und diesen im eigenen Medium auch zu reproduzieren.

Es mag stimmen, dass es sogenannte “harmlose” Journalist*innen gibt, die einst die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen haben, Geld mit dem zu verdienen, was sie sonst so in ihr Tagebuch geschrieben hätten. Möglicherweise können Journalist*innen, die Tag für Tag der Frage nachgehen, welche Farbe ihr eigener Stuhlgang hat, oder meinetwegen auch jene, die Tag um Tag ihr Essen fotografieren und damit die Zeitungsseiten zuscheißen, sprich jene, die Fragen erörtern, die nicht nur völlig belanglos, sondern zugleich auch unter keinen Umständen interessant genug sind, um Leser*innen für das Medium zu gewinnen, in dem sie publizieren, als solche gelten. Diese Art von Journalist*innen will ich im folgenden außen vor lassen. Ich glaube auch kaum, dass diese die Bezeichnung Journalist*in mit Stolz vor sich hertragen und wenn doch, so vielleicht nur, um diesen Berufsstand nachhaltiger zu verhöhnen, als es von außen vielleicht möglich wäre.

Und was ist mit jenen Journalist*innen, die in den Medien die Sache der Anarchist*innen positiv diskutieren?, mag man mich nun fragen. Ich bin der Meinung, dass genau diese zu den Schlimmsten von allen gehören. Abgesehen davon, dass ich persönlich noch nie gelesen hätte, wie ein Journalist in einer Zeitung, einem Magazin, Radio, Fernsehen oder auch nur auf einem Blog für die totale Zerstörung jeder Herrschaft plädiert hätte, dafür die Politiker*innen, Bull*innen und Richter*innen, sowie seinen eigenen Berufsstand abzuknallen und fortan ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ein solches Plädoyer habe ich von einem Journalisten noch nie gelesen. Aber wie dem auch sei, was ist von jenen zu halten, die das vielleicht nicht in dieser (notwendigen?) Radikalität tun, aber die dennoch immer wieder aufs Neue ihre Sympathien für Anarchist*innen ausdrücken. Ich denke die Frage lautet, und die Antwort ist in ihr möglicherweise vorweggenommen: Kann die Anarchie neben der Herrschaft existieren? Kann wenn in dem selben Medium diese oder jene Reform der Herrschaft begrüßt, andere gefordert und wieder andere als rückschrittlich kritisiert werden, die Anarchie als das was sie ist überhaupt begriffen werden, oder ist es nicht vielmehr der Versuch, die Anarchie in einem liberalen, demokratischen Meinungsfreiheitskonzept einzufangen, bei der die Frage nach der Herrschaft zur Meinungssache wird, während die realen Verhältnisse unangetastet bleiben?

Aber es scheint mir ohnehin ein Phantom zu sein, dem wir hier nachjagen. Sicher, ob Kropotkin oder Erich Mühsam, ja sogar der Bombenbauanleitungs-Verleger Johann Most (eigentlich ja ohnehin Sozialdemokrat) und die Ikone der (anarchistischen) Feminist*innen, Emma Goldman, über die meisten bekannteren Anarchist*innen der Vergangenheit liest man heute Reportagen in den Feuilletons, selbst auf Galleani darf sich bezogen werden, zumindest wenn es um die liberale Unschuldskampagne von Sacco und Vanzetti geht. Aber hat man in der Presse jemals etwas Positives über Luigi Lucheni gelesen, oder über Sholem Schwarzbard, ja selbst über Fanny Kaplan schweigt sich die bürgerliche Presse lieber aus, denn wer eine Kaiserin, einen Politiker oder einen kommunistischen Despoten zu ermorden trachtet, die*der könnte ja auch auf die Idee kommen … Und das ist es eben. Keinesfalls werden in den Medien jemals antiautoritäre Ideen verfochten werden, ohne dass diese dabei in einen Herrschaftsdiskurs eingeebnet werden, weil eben das Projekt der Medien selbst ein propagandistisches ist, ein Projekt das dazu dient, die Herrschaft zu verteidigen und zu legitimieren. Und ehrlich gesagt: Es wäre auch ein so eklatanter Widerspruch, den Menschen Anarchie mithilfe von Medien anerziehen zu wollen, dass ich dazu wohl kaum ein Wort zu verlieren brauche. Nein, ich will nicht anklagen, dass die Taten von Anarchist*innen, wo sie sich kompromisslos gegen die Herrschaft wenden, von Journalist*innen nicht rezipiert werden. Es mag die Zeit kommen, wo die Propaganda Wege gefunden haben wird, selbst diese Taten zu integrieren, dank irgendwelcher pseudo-anarchistischen Journalist*innen, denen dazu irgendein “ja aber heute ist das ja ganz anders”-Gelaber einfällt, aber ich könnte nichts weniger wollen, als mir diesen Tag herbeizusehnen. Und doch jagen wir hier heute ein Phantom, denn der Journalist, der das versucht, den müsste man mir erst noch vorstellen. Vielmehr hat man es heute eher mit “sympathisierenden” Journalist*innen zu tun, die versuchen, die Anarchie zur (Basis-)Demokratie, also zur Archie (Herrschaft), zu erklären und damit versuchen, sie zahn- (und sinn-)los zu machen und in den demokratischen Diskurs zu integrieren [1].

Die meisten Journalist*innen jedoch, sie dürften der Ideologie ihrer “Neutralität”, sprich ihrer Kompliz*innenschaft mit der Herrschaft, verbunden sein und folglich, wenn sie sich dem Thema der Anarchie annähern, vor allem auf die angeblichen “Problematiken” von unkontrollierten Menschen, die tun und lassen was ihnen gefällt, verweisen, wenn sie nicht gleich vom Terrorismus der Anarchist*innen sprechen. Recht so, irgendetwas hätte man schließlich falsch gemacht, wenn eine*n die Verteidiger*innen des Bestehenden nicht als Bedrohung betrachten würden. Und doch gibt es immer wieder jene selbsternannten Anarchist*innen, deren beste Freunde Journalist*innen sind und die sich wohl deshalb eher so verhalten, als hätten sie eine gründliche Gehirnwäsche bekommen. Sie streben danach, den Medien das freundliche Gesicht des Anarchismus zu präsentieren, indem sie Interviews geben, in denen sie sich als karitative Köch*innen, idealistische Träumer*innen und reformistische Politiker*innen präsentieren, während sie ganz nebenbei die hässliche Fratze des Anarchismus, also die aufständischen Projekte derer, die sich zu Recht als Anarchist*innen bezeichnen durch den Dreck ziehen und verharmlosen. Den Journalist*innen tun sie damit freilich einen Riesengefallen. Sie helfen aktiv dabei mit, Anarchist*innen entweder gemeinhin als naive Idioten (deren Vertreter*innen sie zweifelslos sind) zu portraitieren, oder aber den guten Anarchisten von der schlechten Anarchistin abzugrenzen. Und es passiert gar nicht so selten, da geben diese Idioten sogar jenen Journalistenschnüfflern Interviews (oder auch nur Tipps), denen es weniger um diese ideologische Trennung geht, als um das konkrete Profiling jener Anarchist*innen, die eben als die schlechten gelten, in dem Bestreben Repression vorzubereiten und zu legitimieren.

Zuweilen gibt es sogar Journalist*innen, die für eine “Anarchistische Presse” (wie die Graswurzelrevolution) arbeiten, die sich dieser schmutzigen Aufgabe annehmen. Manchmal sogar ohne dafür bezahlt zu werden – zumindest nicht von den Profiteur*innen ihres Mediums. Die meiner Meinung nach absurdeste Ausprägung einer Verflechtung von angeblich anarchistischen Millieus mit Journalist*innen firmiert unter der Bezeichnung “Demofotografie”. The Revolution will not be televised. Aber was, wenn einem irgendwelche Journalist*innen selbiges versprechen? Was wenn Journalist*innen dich bei (illegalen) Handlungen filmen und fotografieren und diese Bilder dann an die Medien verkaufen? Nun, es verwundert doch sehr, dass es heute zum guten Ton gehört, diese Journalist*innen zu hofieren, anstatt sie zusammenzuschlagen und ihr Equipment zu zerstören. Während (schlecht) verpixelte Bilder von Personen, die irgendetwas Strafbares tun, von diesen rücksichtslosen Arschlöchern anderen (möchtegern) Anarchist*innen das Spektakel vor dem Bildschirm erfahrbar machen und entsprechend sogar wertgeschätzt werden, riskieren sie die spätere Verurteilung der Täter*innen aufgrund genau dieser Bilder. Dabei sind es nicht einmal nur die veröffentlichten Bilder. Auch unveröffentlichte Bilder können von Bullen beschlagnahmt werden und es kommt zuweilen auch vor, dass man als Täter*in später in irgendwelchen Akten liest, dass irgendein*e ach so solidarische Fotograf*in sich freiwillig bei den Bullen eingefunden hatte und mit diesen lang und breit über ihre Arbeit und die Objekte der eigenen Fotografie geplaudert hatte. Aber warum? Warum ist es gerade diese Snitch-Praxis von aufmerksamkeitsheischenden und rücksichtslosen Fotograf*innen, die die wohl größte Wertschätzung unter Anarchist*innen genießt? Eine Praxis, die niemandem irgendetwas nützt, außer Bullen und den Konsumenten von Riot-Porn. “Solidarische Journalisten” werden diese Snitches genannt, aber was ist solidarisch daran, Denunziation zu betreiben? Und dieser Doppelsprech ist nebenbei bemerkt prä-pandemischen Ursprungs.

Aber bedarf es wirklich so viel Entwirrung, um das Spiel aufzudecken, das Journalist*innen immer schon trieben? Genügt es nicht zu wissen, dass Journalist*innen sich stolz als die sogenannte “vierte Gewalt” des Staates wähnen, um zu wissen, was von ihnen zu halten ist?

“Zweifellos werden die Medien den AnarchistInnen weiterhin hinterher jagen, solange die Anarchie ein vermarktbares Ding ist. Daher ist es notwendig, dass wir als AnarchistInnen erkennen, dass die Medien ebenso Teil der Machtstruktur sind wie Staat, Kapital, Religion, Justiz… In anderen Worten: Die Medien sind unser Feind und wir sollten sie entsprechend behandeln. In diesem Licht betrachtet ist die Aktion von drei italienischen AnarchistInnen – Arturo, Luca und Drew – beispielhaft. Als ein Journalist auf der Suche nach einem saftigen Happen Neuigkeit bei der Bestattung ihres Genossen aufkreuzt, schlagen sie zu.”


[1] Natürlich mag das auch die irrende Ansicht irgendwelcher selbsternannter “Anarchist*innen” sein, aber nur weil auch jene die gleichen Methoden der Aufstandsbekämpfung praktizieren, wie ihre Journalistenfreund*innen, ändert das freilich nichts an dem Unterfangen selbst.

Wer schreibt denn da?

Ein kleiner Überblick über Methoden der modernen Forensischen Linguistik zur Autorschaftsbestimmung

Der folgende Artikel versucht aus einer nicht fachlichen Perspektive einen Überblick zu geben und eine entsprechende Einordnung vorzunehmen. Es gibt einige wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema, die für eine bessere Einschätzung ausgewertet werden könnten. Es geht mir hier aber vor allem darum, das Thema einmal aufzuwerfen und nicht darum, eine fundierte und abschließende Betrachtung zu liefern. Wenn du also irgendetwas besser weißt, dann immer her mit den Informationen!

Spuren vermeiden, die einer später einmal – vielleicht noch nach Jahren und Jahrzehnten – zum Verhängnis werden könnten, das dürfte wohl für die Meisten von Interesse sein, die ab und an zur Tat schreiten und dabei in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Fingerabdrücke vermeiden, DNA-Hinterlassenschaften vermeiden, Schuhabdrücke und Textilfaser-Spuren vermeiden oder zumindest getragene Kleidung im Anschluss entsorgen, Videoaufnahmen vermeiden, Werkzeugspuren vermeiden, Aufzeichnungen jeder Art vermeiden, Observationen erkennen usw., all das dürfte dabei zumindest mehr oder weniger jeder, die des öfteren Verbrechen begeht und sich dabei vor Identifizierung schützen will, ein Anliegen sein. Aber wie steht es mit jenen Spuren, die oft erst im Nachhinein eines Verbrechens aus dem Drang heraus, die eigene Tat wenigstens anonym oder auch unter Verwendung eines wiederkehrenden Pseudomyms zu erklären, entstehen? Beim Verfassen und Publizieren eines Communiqués oder eines Bekenner*innenschreibens?

Mein Eindruck ist, dass diesen Spuren trotz einer rasanten technologischen Entwicklung der Analysekapazitäten in vielen Fällen keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Das kann Absicht sein, Nachlässigkeit oder auch ein Kompromiss aus miteinander konkurrierenden Bedürfnissen. Ohne hier einen allgemeinen Vorschlag zum Umgang mit diesen Spuren unterbreiten zu wollen – das muss schließlich jede für sich wissen –, möchte ich vor allem skizzieren, mit welchen Methoden die Ermittlungsbehörden in Deutschland und anderswo derzeit (wahrscheinlich) arbeiten, was grundsätzlich möglich scheint und was in Zukunft möglich werden könnte.

Vielleicht sollte ich vorab noch bemerken, dass freilich alles oder zumindest das allermeiste, was ich hier vorstelle wissenschaftlich ebenso wie juristisch umstritten ist. Ich bin auch weniger an der juristischen Verwertbarkeit von Sprachanalysen interessiert – und an der wissenschaftlichen sowieso nicht –, als daran, ob es plausibel erscheint, dass diese Ermittler*innen einer auf die Spur bringen, denn selbst wenn eine Spur gerichtlich nicht verwertbar ist, so kann es dennoch dazu führen, dass diese zur Ermittlung einer anderen, verwertbaren Spur führt.

Autorenerkennung beim BKA

Das Bundeskriminalamt unterhält eigenen Angaben zufolge eine Abteilung, die sich der Ermittlung der Autor*innenschaft bei Texten widmet. Im Fokus stehen dabei Texte mit einem Bezug zu Straftaten wie Bekenner*innenschreiben, aber auch „Positionspapiere“ unter anderem aus dem „linksextremistischen Spektrum“. Alle gesammelten Texte werden aufbereitet durch sprachwissenschaftliche Untersuchungen in einer sogenannten Tatschreibensammlung erfasst und sind mit dem Kriminaltechnischen Informationssystem Texte (KISTE) vergleich- und durchsuchbar. Den Angaben des BKA zufolge werden die Texte unter anderem klassifiziert nach den folgenden biografischen Merkmalen ihrer (vermeintlichen) Autor*innen: Herkunft, Alter, Bildung und Tätigkeit.

Alle eingehenden Texte werden zudem mit bereits erfassten Texten verglichen, um zu bestimmen, ob mehrere Texte möglicherweise von der gleichen Autor*in verfasst wurden.

Im Rahmen fallspezifischer Ermittlungen können die gespeicherten Texte zudem mit Texten, deren Autor*innenschaft bekannt ist verglichen werden, um zu bestimmen, ob diese von der gleichen Autor*in verfasst wurden, oder ob dies ausgeschlossen werden kann.

Soweit die offiziellen Angaben des BKA zu dieser Abteilung. Was bedeutet das in der Praxis?

Ich denke, dass man davon ausgehen kann, dass zumindest alle Bekenner*innenschreiben in dieser Datenbank erfasst werden und daraufhin analysiert werden, ob von der/den gleichen Autor*in(en) noch weitere Bekenner*innenschreiben vorhanden sind. Aber die Feststellung, dass auch „Positionspapiere“ erfasst werden, lässt noch weitere Schlüsse zu: Zumindest erscheint es möglich, dass neben Texten mit strafrechtlicher Relevanz auch andere Texte eingespeichert werden, die einer bestimmten Szene zugeordnet werden. Beispielsweise Texte aus entsprechenden Zeitungen, Erklärungen von politischen Gruppen/Organisationen, Aufrufe, Blogbeiträge, usw. Im schlimmsten Fall würde ich also davon ausgehen, dass alle publizierten Texte auf bekannten „linksextremistischen“ Webseiten (da ist es schließlich recht einfach, an diese ranzukommen), sowie den Ermittlungsbehörden interessant erscheinende Texte aus Printpublikationen in diese Datenbank eingespeist werden.

Das würde bedeuten, dass dem BKA zu jedem Bekenner*innenschreiben ein Cluster aus Texten mit vermeintlich gleicher Autor*innenschaft vorliegt. Diese können dabei aus anderen Bekenner*innenschreiben bestehen sowie eben auch aus jenen Texten, die sonst noch so in die Datenbank eingespeist wurden. Neben Tatserien können so also auch weitere Hinweise auf Täter*innen gewonnen werden, etwa Pseudonyme, Gruppenbezeichnungen – oder schlimmstenfalls Namen – unter denen eine Verfasser*in eines Bekenntnisses andere womöglich andere Texte verfasst hat, aber je nach Text auch alle möglichen anderen Informationen, die dieser liefert, darunter häufig Hinweise auf Wohn- und Wirkungsort einer Person, thematische Schwerpunkte, biografische Charakteristika, Bildungsweg, usw. Allesamt Informationen, die mindestens dazu genutzt werden können, um den Kreis der Verdächtigen einzuschließen.

Was bei all dem noch unklar bleibt ist, welche weiteren Vergleichsproben das BKA möglicherweise vorhält. Von den meisten Personen gibt es sicher eine ganze Reihe Texte, auf die Ermittlungsbehörden Zugriff haben (könnten) und die im Falle eines Verdachts oder möglicherweise zum Teil auch vorsorglich – wenn eine Person etwa mit einem Eintrag wie „Gewalttäter linksextrem“, etc. bekannt ist – in die Datenbank eingespeist werden könnten. Das kann alles sein, wo dein Name drunter steht, vom Schreiben an eine Behörde bis hin zu einem Leserbrief in der Zeitung unter deinem Namen. Ich will hier absichtlich nur die offensichtlichsten Quellen nennen, um nicht versehentlich den Ermittlungsbehörden die entscheidende Inspiration zu verschaffen, aber ich bin sicher du kannst für dich selbst beantworten, welche Texte von dir zugänglich sein könnten. Gelingt es den Profilern des BKA erst einmal den Verdächtigenkreis auf ein spezifisches Charakteristikum einzugrenzen, das den Abgleich mit massenhaft vorhandenen Textproben ermöglicht (Wenn beispielsweise davon ausgegangen wird, dass ein*e Wissenschaftler*in einer bestimmten Disziplin für ein Schreiben verantwortlich ist, könnten alle Publikationen in diesem Fachbereich als Vergleichsproben herhalten. Das wäre zum Beispiel eine mögliche (Teil-)Erklärung dafür, wie das mit Andrej Holm im Verfahren gegen die militante Gruppe gelaufen sein könnte, zumindest wenn man unterstellt, dass das BKA nicht nur nach „Gentrifizierung“ gegooglet hat), so halte ich es durchaus für möglich, dass solche Analysen auch durchgeführt werden.

Methoden der Autorenerkennung und des Autoren-Profilings

All das betrachtet aber nur, was das BKA von sich behauptet zu können und führt diese Überlegungen weiter. Aber wie funktioniert denn nun eigentlich die Autorenerkennung, bzw. das Autorenprofiling?

Wer kennt sie nicht, die Angst davor, dass eine*n vielleicht der*die Deutschlehrer*in enttarnen wird, nachdem auf der Toilette eine Spottdichtung über eine*n Lehrer*in aufgetaucht ist und sich die ganze Schule darüber lustig macht, wie man nur „Leerer“ statt „Lehrer“ schreiben könne. Aber glücklicherweise ist dann doch das gesamte Deutschkollegium darauf hereingefallen, das Narrativ vom Fehler zu übernehmen und die Augen vor einem nur allzu treffenden Wortspiel zu verschließen. Die Forensische Linguistik scheint doch ein wenig Übung oder zumindest eine kriminalistische Motivation zu erfordern, wer weiß. Jedenfalls war die Fehleranalyse, von der wohl die meisten schon einmal gehört haben dürften, zusammen mit der Stilanalyse einem Werbeartikel der Sprachbullin Christa Baldauf zufolge um 2002 herum eines der wichtigsten Analyseinstrumente des BKA. Rechtschreibfehler, Grammatikfehler, Interpunktion, aber auch Tippfehler, Neue oder Alte Rechtschreibung, Hinweise auf Tastatureigenheiten, usw., all das dient den Sprachbullen dazu, Hinweise auf den*die Autor*in zu sammlen. Wenn ich beispielsweise „muß“ statt „muss“ schreibe, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass ich zu Schulzeiten einige der jüngeren Rechtschreibreformen nicht mehr mitbekommen habe. Wenn ich dagegen Begriffe, die man der Rechtschreibung zufolge mit „ß“ schreibt, ständig mit „ss“ schreibe, könnte das bedeuten, dass auf meiner Tastatur kein „ß“ vorhanden ist. Wenn ich zum Beispiel von „dem Butter“ spreche, könnte das ein Hinweis darauf sein, dass ich in Bayern aufgewachsen bin, usw. Ich könnte all diese Dinge aber auch nur vortäuschen, um die Sprachbullen in die Irre zu führen. Auch das, also die Plausibilität meines Fehlerprofils, ist Teil einer solchen Analyse. Ähnlich untersucht auch die Stilanalyse Eigenheiten meines Schreibstils. Was für Begriffe verwende ich, weist mein Satzbau spezifische Muster auf, gibt es wiederholt auftretende Begriffskonstellationen, die vielleicht sogar in verschiedenen Texten auftauchen, usw. Ich denke jede*r, die*der sich seine*ihre Texte genauer ansieht, wird einige eigene stilistische Charakteristika erkennen.

Solche qualitativen Analysen dienen vor allem dem Profiling der Verfasser*innen. Zwar können auf diese Art und Weise sicher auch unterschiedliche Texte einander zugeordnet werden, aber der eigentliche Wert solcher Analysen liegt darin, Dinge wie, Alter, „Bildungsgrad“, „Szenezugehörigkeit“, regionale Herkunft, ja manchmal vielleicht sogar Hinweise auf Berufstätigkeiten/Ausbildung, usw. bestimmen zu können. Auch Versuche, Dinge wie Geschlecht zu bestimmen, sind bekannt, scheinen aber in der Regel nicht ganz so einfach zu sein.

Demgegenüber gibt es auch eher quantitative und statistische Analysen, die von Worthäufigkeiten über Wortkonstellationen bis hin zur syntaktischen Satzstruktur alle quantitativ messbaren Sprachcharakteristika untersuchen. Diese unter dem Begriff Stilometrie geführten Verfahren sind teilweise sehr umstritten, weil nicht genau gesagt werden kann, was mit ihnen eigentlich gemessen wird/werden soll, liefern gerade in Kombination mit Ansätzen des Machine Learnings aber zum Teil erstaunliche Ergebnisse. Ich denke, dass diese Ansätze daher vor allem dazu genutzt werden dürften, verschiedene Texte nach ihren Ähnlichkeiten zu clustern.

Der klare Vorteil solcher quantitativen Analysen ist, dass diese massenhaft durchgeführt werden können. Sämtliche digital verfügbaren oder digitalisierbaren Texte lassen sich so analysieren. Vom Posting in sozialen Medien bis hin zum Buch können mit diesen Verfahren Texte erfasst werden. Zwar ist der Erfolg dieser Verfahren derzeit noch relativ bescheiden und vielfach hat sich herausgestellt, dass angeblich ähnliche Texte sich häufig mehr in ihrer Gattung geähnelt haben, als in ihrer Autor*innenschaft, aber wenn man davon ausgeht, dass individuelle Schreibstile durchaus quantitative Muster hinterlassen könnten, so heißt das im Umkehrschluss, dass wenn diese Muster erst einmal bekannt sind, eine massenhafte Zuordnung von Texten zu Autor*innen möglich sein wird.

Und was nun?

Es gab und gibt natürlich verschiedene Lösungsansätze mit diesem Wissen umzugehen und vermutlich kann man von keinem sagen, er sei besser oder schlechter als ein anderer. Wer ohnehin keine Communiqués verfasst, die*der geht diesem Problem großteils aus dem Weg, ist aber insoweit trotzdem von dem Problem betroffen, dass Beteiligungen an Publikationen und Urheberschaften von anderen Texten auf gleiche Art und Weise ermittelt werden können. Wer Texte vor Veröffentlichung verfremdet, etwa indem mehrere Personen nacheinander Passagen daraus neu- und umformulieren, etc. läuft Gefahr, bei wiederholt ähnlichen Konstellationen ebenfalls verwertbare sprachliche und stilistische Charakteristika herauszubilden oder auch daran zu scheitern, Charakteristika erfolgreich zu verschleiern. Wer meint, er*sie könne auf das Ganze scheißen, weil ohnehin keine Textproben von einer*m vorliegen oder auch, weil er*sie überzeugt ist, dass die juristische Beweiskraft der Autorenerkennung zu wacklig ist, die*der riskiert, dass in Zukunft doch irgendwie Textproben von einer*einem verfügbar sein könnten (etwa weil sie*er erfolgreich einer Autor*innenschaft überführt wird) oder sich die juristische Würdigung des Verfahrens ändert. Wer darauf vertraut, dass die Technologie (noch) nicht gut genug ist, kann durch zukünftige Entwicklungen überrascht werden. Wer technische Lösungen nutzt, um seine*ihre Autor*innenschaft zu verfremden läuft Gefahr, dabei neue Charakteristika und Spuren zu hinterlassen und zudem schlecht geschriebene Communiqués zu produzieren, die ohnehin keine*r lesen will. Wer sowieso nie irgendwelche Texte schreibt, die*der schreibt eben keine Texte.

Also tue, was immer dir am meisten zusagt, nur tue es ab nun – sofern du das nicht ohnehin schon tatest – eben mit dem Wissen um diese Spuren und dem mulmigen Gefühl im Bauch, das schon so manch eine*n im richtigen Moment davor bewahrt haben soll, einen leichtfertigen Fehler zu begehen.

Übernommen von Zündlumpen #076.