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These zum Covid-1984

Wenn sich mir etwas als Fortschritt vorstellt, frage ich mich vor allem, ob es uns menschlicher oder weniger menschlich macht.

George Orwell

Die unmenschlichsten Aktionen sind heute die Aktionen ohne Menschen.

Günther Anders

I. An der Oberfläche versteckte Wahrheiten

«Wie konnten sie es nicht bemerken und all das akzeptieren?». Das werden sich die Leser der Geschichtsbücher und die Zuschauer der Filme fragen, die in einigen Jahrzehnten die vielen Lügen erzählen werden, die die Epidemie des Covid-19 begleitet und die Herrschaftsprojekte gerechtfertigt haben, die mit dem Vorwand der Epidemiebekämpfung verwirklicht wurden. Und diese posthumen Betrachter werden sich bequem auf die Seite der Tugend schlagen, wie wir wenn wir ein Buch über den Kampf gegen die Nazis lesen oder einen Film über den Aufstand gegen die Sklaverei schauen. Etwas ähnliches wie eine vertiefte und glaubwürdige Rekonstruktion über die Verbreitung und die Auswirkung der sog. „Spanischen Grippe“ im vergangenen Jahrhundert wurde etwa 70 Jahre nach den Geschehnissen veröffentlicht. Man könnte argumentieren, dass die Gründe für eine solche Verspätung mit der Spezifität einer Pandemie verbunden sind, die das ungeheuerliche Gemetzel des 1. Weltkrieges noch tragischer beendete; und auch mit dem Gewicht, das die eisernen Ketten der militärischen Zensur auf die Zeitgenossen und die folgenden Generationen ausübten (bekanntlich kommt die Definition Spanische Grippe von der Tatsache her, dass nur die Presse des neutralen Spaniens darüber frei berichten durfte). Aber sind wir sicher, dass das aktuelle Wespennest an Quellen, zusammen mit dem präventiven und bösartigen Diskreditieren, das jede nicht linientreue Analyse traf und trifft, von den zukünftigen Historikern nicht ebenfalls als ein Käfig aus Silizium betrachtet wird? Seit nur einem Jahr nach dem Beginn des Covid greift man zur Analyse der online veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel auf die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz zurück, dermassen masslos ist deren Flut. Was werden diese Historiker davon als genügend gesichert erklären? Wahrscheinlich werden sich die Besten unter ihnen spalten und – wie es schon bei historisch weit wichtigeren Vorkommnissen geschehen ist, wie etwa der Kolonisierung Amerikas oder dem Nazismus – sich von zwei Ansätzen ausgehend streiten: einer funktionalistisch und ein anderer intentionalistisch, mit weiteren Historikern, die in der Folge eine Synthese der beiden Positionen versuchen werden. Der funktionalistische Ansatz bevorzugt die Analyse der sozialen Dynamiken; der intentionalistische gewichtet eher die erklärten Werte und Programme der Eliten. War die Ausrottung der indianischen Bevölkerung ein vorsätzliches Projekt oder das Resultat einer Gesamtheit an Mitursachen (an denen die durch die Eroberer unabsichtliche Verbreitung von für die Indigenen tödlichen Krankheiten mindesten ebenso beteiligt war wie die von der katholischen Doktrin gelieferte Darstellung der Eingeborenen als Völker ohne Seele)? War die Vernichtung der Juden das Resultat einer totalen Mobilisierung von industriellen und bürokratischen Apparaten und Kräften oder die Verwirklichung eines von Anfang an klaren Parteiprogramms? Bekanntlich können die auch von denselben, an sich niemals erschöpfenden, historischen Quellen ausgehenden Interpretierungen sehr stark divergieren, weil sie niemals von der heuristischen, ethischen und politischen Subjektivität des Historikers zu trennen sind. Z. B. ein liberaler Historiker, der den Nazismus als monströse Klammer im Fortschritt der 20. Jahrhunderts ansieht, wird dazu neigen, die Gaskammern von einem antisemitischen Wahnsinn ausgehend zu erklären, anstatt als eine Lösung, die von einem technischen und bürokratischen Apparat in den stählernen Stürmen eines besonders grausamen inter-imperialistischen Krieges produziert wurde. Denn sonst wären die Angeklagten seines persönlichen Nürnbergs nicht bloss die faschistischen Parteileiter, sondern auch die Industrieführer und nicht wenige wissenschaftliche Autoritäten (und die Verantwortung für die Vernichtungsfabriken würde den Ozean überqueren und den IBM-Koloss voll treffen…). Andersherum würde er dazu neigen, alles erblassen zu lassen, was der englischen Kolonisierung Nordamerikas die volle Absicht zur Ausrottung zuschreibt. Kann ein Bewunderer der US-amerikanischen Demokratie, als Historiker, ihren genozidären Ursprung behaupten? Die revolutionäre Kritik hat sich die funktionalistischen Erklärungen der historischen Phänomene zu eigen gemacht. Und das nicht nur, weil die materialistische Analyse immer multifaktoriell ist (heuristischer Grund), sondern auch (ethisch-politischer Grund) weil die intentionalistischen Lesarten mehr oder weniger absichtlich in der Entlastung des sozialen Systems enden und aus dem Horror eine Ausnahme und nicht die Regel und so aus gewissen strukturell dynamischen Formen der Unterdrückung politische Pathologien machen. Unter Anarchisten und Marxisten und innerhalb dieser zwei Strömungen der proletarischen Bewegung gab es immerhin auch immer eine Auseinandersetzung darüber, was wirklich strukturell und was irgendwie Nebenprodukt sei (und weiter, welchen Autonomiegrad die derivativen Elemente hätten). Um es schematisch zu sagen, für die Anarchisten entspricht die Macht nicht dem Profit, und es ist eher das Kommando, das das Privileg produziert, als das Gegenteil. Es gibt historische Momente, in denen der Wille nach Macht und seine politische Intentionalität die Dynamik der kapitalistischen Akkumulation überbieten. Ein offenkundiges Beispiel ist gerade der Nazismus. Die Endlösung wird auch dann weiter verfolgt, als ihre Logistik der deutschen Kriegsmaschine immer mehr Ressourcen entzieht. Wieso? Wegen einer Art geraden Linie zwischen den Seiten des Mein Kampf und den Gaskammern? Nein, weil das das funktionelle Resultat der gesamten technisch-bürokratischen Maschine war, die aus dem Antisemitismus ihr Treibmittel gemacht hatte. Wenn man sich, umgekehrt, darauf beschränkt die Dynamiken der “unpersönlichen Kräfte des Kapitals” (die folglich keine autonome politische Intentionalität aufweisen) zu betrachten, so ist die Vernichtung von ausbeutbarer Arbeitskraft eine nicht funktionale Verschwendung, folglich schwer zu erklären. Auch die revolutionäre Kritik der Verschwörungstheorie hat mit Funktionalismus und Intentionalität zu tun. Lange wurde unter Verschwörungstheorie (oder eine polizeiliche Anschauung der Geschichte) jede Erklärung verstanden, die, da sie die Dynamik der politisch-sozialen Auseinandersetzungen nicht mit einberechnete, die Ursachen der historischen Geschehnisse auf mehr oder weniger versteckte Pläne einer Elite oder auf die okkulten Manöver einer Lobby oder von Polizeien und Geheimdiensten zurückführte. Die faschistische These der hebräisch-freimaurerischen Spitze, die die Welt regiert, oder die stalinistische, der nach die Gruppen des bewaffneten Kampfes in Italien von den abweichenden Apparaten des Staates ferngelenkt waren, gehören zu den bekanntesten Beispielen. In beiden Fällen war die Verschwörungstheorie eine Waffe gegen die Bewegungen. Kein Staatsmann oder kein Journalist hat denn auch jemals jene als Verschwörungstheoretiker definiert, die behaupteten die Brigate Rosse seien gesteuert, denn das unzulässige war genau die Existenz einer unregierbaren Klassen-auseinandersetzung, worin es die autonome Aktion der kämpfenden politischen Gruppen gab; jegliche hinterhältige Erklärung, die dieses “öffentliche Geheimnis” verdrängte, war dem Staat zweckmässig. Sogar die Vermutung, Teile des staatlichen Apparates seien an der Entführung Moros beteiligt… Besser eine waghalsige spy story als die nackte Tatsache einer Gruppe von Arbeitenden, die sich organisieren und den Chef der Regierungspartei holen. Die obsessive Wiederholung der Ersten kann einen blühenden Verlagsmarkt jahrelang füttern und katatonisch-depressive soziale Effekte bewirken, während die einfache Verkündung der Zweiten genügt, um etliche geheime Politik des Imperiums ins Wanken zu bringen und, überdies, die Gefahr birgt, in den Köpfen den Samen gewisser schlechter Gedanken zu verbreiten. Aber die revolutionäre Kritik der Verschwörungstheorie hat tiefere und weniger zufällige Wurzeln: als erste, dass das, was in Erscheinung tritt, mehr als genug ist um diese Welt zu verabscheuen und ihren Umsturz zu versuchen. “Verschwörungstheorie“ war lange Zeit ein Begriff, der vor allem von den antagonistischen Bewegungen gebraucht wurde um die wahre Kritik von ihrer reaktionären Parodie zu unterscheiden und um die Polizei auf ihre traurige und untergeordnete Funktion zurückzuführen, anstatt aus ihr eine Hauptakteurin zu machen: der Unterschied zwischen den historischen Erinnerungen der Kämpfe und den Papieren der Polizeipräsidien ist abgrundtief! Den sog. einfachen Leuten sagte dieses Adjektiv-Substantiv wenig oder nichts.

II “Addà venì Garibaldi – Garibaldi muss kommen”

Die Armen und Ausgebeuteten haben im Verlauf der Geschichte versucht, sich die Welt mit den ihnen zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln zu erklären (und sich Mut zu machen). Die Folklore war immer eines davon. Volksglaube, Balladen, Rituale, Sprichwörter, Legenden und Erzählungen waren die spontanen Formen einer Kultur von unten, oral, unbelesen und lange Zeit in der Schule nicht vorkommend. Diese Folklore vermengte nicht wenige Elemente der Wahrheit (als Selbstverständnis der eigenen Erfahrung) in einem fatalistischen und kontemplativen Rahmen (gleichzeitig Ausdruck der Unterordnung unter die Darstellungen der herrschenden Klasse und Kehrseite eines Lebens als Gefangene). Gramsci – für den ich, das sei ganz klar gesagt, keinerlei politische Sympathie empfinde – sagte in treffender Eingebung, dass die proletarische Kultur keine überhebliche und besserwisserische Haltung gegenüber der Volkskultur haben solle, sondern deren Elemente der Wahrheit aufzunehmen und von den fatalistischen Darstellungen zu befreien habe. Der Togliattismus war die Parodie dieser Anweisung: er hat die folkloristischen Mythen mit politischen Mythen ersetzt, und hier meint man mit Mythos das, was gleichzeitig Passivität und Hoffnung einflösst. Wieso hat Togliatti auf Anweisung Moskaus den Mitgliedern der Partisanenbanden den Namen Garibaldini auferlegt? Nicht nur um das patriotische Wesen des Widerstandes zu unterstreichen (als “Zweites Risorgimento”), sondern auch um einen der Volksfolklore eigenen Befreiungsmythos (“Addà venì Garibaldi!”) zu technisieren – würde Károly Kerényi sagen. In der Volksfolklore gibt es sowohl die Idee einer Welt, die von irgendeinem Fluch ungerecht und unveränderlich gemacht wurde, als auch die Idee einer magischen und schmerzhaften Formel, die sie plötzlich befreien kann und alle Schulden und Ungleichheiten auslöscht (das Jubiläum). Wenn es etwas gibt, das nicht der Folklore gehört – und ihr von aussen eingeflüstert wurde – so genau die Idee von Fortschritt, der Glaube an eine allmähliche Befreiung im Sinne einer geschichtlichen Gesetzmässigkeit der kumulativen Zeitlichkeit und der aufsteigenden Dynamik.

III. Geheimdienste

Ein in der Handhabung der Covid-19 Epidemie ohne weiteres nie da gewesenes Element ist der mediale Einsatz des Begriffs „Verschwörungstheorie“, der jeglicher These zugeschrieben wird, die die offiziellen Wahrheiten in Frage stellt. Ein derartiges Trommelfeuer – und dermassen international – kann kein Zufall sein, und entspricht sowohl funktionalen als auch intentionalen Gründen. Um ein Beispiel dieses verkehrten Gebrauches eines in der Vergangenheit meistens von Revolutionären gebrauchten Begriffes zu geben, genügt die Zitierung aus dem Bericht 2020 der italienischen Geheimdienste, wo das Wort erscheint um die Thesen sowohl der extremen Rechten als auch des Antagonismus zu definieren. Ein Geheimdienstler, der jemanden als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, kann nicht voreilig als einfacher Zufall abgetan und auch nicht mit einem überhaupt nicht lustigen Witz verwechselt werden. So wie auch die Tatsache einer Erklärung würdig ist, dass die am meisten als Verschwörungstheorie bezichtigten Dinge die Ideen und die Aktionen gegen die 5G Antennen und die Positionierungen gegen die Massenimpfung waren. Vom Zusammenhang zwischen Waldrodung, industriellen Mastbetrieben und Artensprung der Viren konnte man am Anfang (dann immer weniger) auch im Radio reden hören, in Vertiefungen der unvermeidlichen Experten, deren Funktion gerade darin zu bestehen schien, die antikapitalistische Analyse auf allgemeiner Ebene scheinbar zu unterstützen, um sie dann in ihrer unmittelbaren Aktion abzutakeln. Jeglicher live Anruf, der an der Impfung Zweifel auch nur andeutete, oder die Nachricht einer angezündeten Telekommunikationsantenne rief, hingegen, aufgeregte Reaktionen oder die Abräumer-Etikette hervor: Verschwörungstheorie. Formulieren wir doch eine Hypothese über diese Parodie hoch zwei (der Verschwörungstheoretiker, als historischer Feind der revolutionären Bewegung, wird plötzlich zum Staatsfeind). Wahrscheinlich erwarteten die Regierungen, dass vor allem die Revolutionäre und Antagonisten den Sinn und die wirkliche Funktion ihrer “anti-Covid”-Massnahmen radikal in Frage stellen würden. In einer Mischung aus Intentionalität und erprobter Funktionalität mit dem Zwecke, gewisse Worte des Staates und gewisse Worte des Antagonismus (vor allem des am stärksten um die Gefährdung seines öffentlichen Images besorgten) auf eine gemeinsame Linie zu bringen, genügte es, den „Verschwörungstheoretiker“ als Feind der kollektiven Gesundheit und die Regierung als deren Garant (wenn noch so stümperhaft, unfähig und den Interessen der Confindustria – Arbeitsgeberverband – untergeordnet) darzustellen. Im Hintergrund, wie wir sehen werden, hat sich in all seiner Materialität ein ungelöster Knoten vieler Bewegungen des 20. Jahrhunderts verklumpt: die Frage des Staates. Wohin ist denn, unterdessen, der Glaube geraten, dass das, was sie uns im Fernsehen erzählen, alles Stuss ist? In die Volksfolklore, in die Formen, die sie in der digitalen Gesellschaft annimmt. Hat die „kritische Kultur“ – nach gramscianischer Annahme – die Elemente an Wahrheit beleuchtet und versucht, die fatalistisch-reaktionären zu zerpflücken? Nein. Um sich von der “Verschwörungstheorie”, den “fake news”, von der “Leugnung” fernzuhalten, hat sie absichtlich deren Gründe – so verwirrt, partiell, naiv und verseucht man auch will sie auch seien, aber auch verständliche und vernünftige – in einer Abwärtsdynamik ignoriert: wenn ich gestern nichts gegen den lockdown gesagt habe, was dann heute gegen die Ausgangssperre? Wenn ich nichts über die verweigerte Hauspflege gesagt habe, was dann über die Impfstoffe? So, während der Nebel sich verdichtete und der Käfig stärker wurde, ist jeder den Weg gegangen, auf dem er sich am sichersten fühlte: Antirepression für einige, Unterstützung der Arbeitskämpfe in der Logistik für andere, die Kämpfe gegen die Vernichtung der Umwelt für noch weitere. Richtige und notwendige Schlachten, wohlverstanden, aber irgendwie abseits des Terrains, auf dem der Staat und die Technokraten ihre Artillerie aufgestellt hatten.

IV. Giftgas

Die vorherrschenden Tendenzen in der proletarischen Bewegung des 20. Jahrhunderts – die nach dem Rücklauf der Kämpfe der 70. Jahre und dem Verschwinden der Sowjetunion nicht ganz weg sind, um hingegen larvale und gasförmige Formen anzunehmen – betrachteten den Staat entweder als neutrale politische Organisation oder als schlichtes Geschäftskomitee der Bourgeoisie. Im ersten Fall hätte der Eintritt der Arbeiterparteien in die Institutionen und die mit gewerkschaftlicher Macht erzwungenen Verbesserung der Bedingungen der Arbeitenden die Spielräume der Demokratie bis hin zum Sozialismus sukzessive vergrössert; im zweiten Fall hätte nur die gewaltsame Eroberung der politischen Macht einen antikapitalistischen Gebrauch des Staates erlaubt (als erster Schritt zu seiner Abschaffung). Der Stalinismus hat aus der ersten Vorstellung eine Taktik und aus der zweiten eine Strategie gemacht (oder, genauer, ein bestrickendes Versprechen zur Rechtfertigung der Allianz mit den „progressiveren“ Sektoren der Bourgeoisie). Mit der Zeit wurde die Taktik zur Strategie und der demokratisch-bürgerliche Staat zum unüberwindbaren Horizont. Die Interessen der armen Leute hätte man sichergestellt indem man der „privaten“ (und überdies „monopolistischen“) Kraft des Kapitals die „universelle“ Macht des Staates entgegengesetzt hätte. Die staatliche Planung der Wirtschaft und die öffentliche Finanzierung der Forschung waren also schon Vorposten des Sozialismus. Dieses Schema finden wir in den internationalen Mobilisierungen gegen die Globalisierung wieder: die neoliberale Politik besteht aus Entscheidungen von Institutionen, die nunmehr Geiseln der Multis (und des Finanzkapitals) und jeglicher “Souveränität” entleert sind. Muss man sich da wundern, wenn gewisse Sektoren des Volkes hinter der Handhabung der Covid-19 Epidemie die Regie von “Big Pharma” und in der Verfassung den einzigen Damm und auch die Legitimierung des eigenen “Widerstandes” sehen? Das Schema ist ähnlich: die wissenschaftliche Forschung ist den Interessen Weniger gebeugt, die universelle Aufgabe des Staates wird von Regierungen beeinträchtigt, die sich der grossen Finanz verkauft haben. Mehr oder weniger das, was jene behaupten, die sich, aber in einer viel weniger logischen und konsequenten Art und Weise, zum “Impfstoff Allgemeingut” bekennen: ein von “Big Pharma” entwickeltes und verkauftes Produkt – überdies von Kontrollorganen bewilligt, die es selbst finanziert – wird jemals ein “Allgemeingut” sein können? Nicht sehen, wie die Absichten der Pharmamultis (und des Digitalen) durch die Funktion der technologischen Entwicklung ermöglicht werden, bedingt eine enorme Vereinfachung (die das soziale System insgesamt entlastet und erneut den Staat anruft, die Richterschaft, eine neues Nürnberg…). Aber ist es vielleicht realistischer zu verlangen, dass dieselben Multis auf Patente verzichten und ihre Technologien an die armen Länder überführen? Und bezeugt das ein besseres Verständnis des Funktionierens des – privaten und staatlichen – industriellen Apparates der Technowissenschaften? Einige, sicher ein wenig einsichtiger was das Verhältnis zwischen Staat und Kapitalismus angeht, wünschen sich, dass die Massenimpfung von „proletarischen Komitees“ übernommen werden, da ja die bürgerlichen Institutionen sich nicht der Macht von “Big Pharma” entledigen können. Da haben aber die Stalinisten recht: für ein solches Unterfangen braucht es den Staat. Aber klarsichtiger als beide sind ohne weiteres die tausenden von Menschen – zum allergrössten Teil Frauen – die auf die Strasse gegangen sind und „wir sind keine Versuchskaninchen!“ geschrien haben. Die „folkloristische“ Idee, dass Bill Gates die Menschheit durch die Impfstoffe reduzieren will, ist sicherlich näher an der Wahrheit als die progressistische Illusion, die technowissenschaftliche Entwicklung sei nicht bloss neutral, sondern gar ein Emanzipationsfaktor…

Der grösste Teil der Krankheiten, der die Menschheit beutelt, erfordern sehr gering technologische Lösungen wie sauberes Wasser, genug Nahrung, anständige Löhne; alles Aspekte, die von der technologischen Entwicklung nicht gelöst, sondern verschlimmert werden, während sie alle mit ihren „baldigen, aber irgendwie immer um die Ecke liegenden“ Versprechen bezirzt. Bloss 2020 sind in Mosambik 500’000 Kinder an Hunger gestorben. Und was ist die Priorität für gewisse angebliche Internationalisten? Jener Bevölkerung GMO Impfstoffe bringen. Genau das, was die Eugeniker – sowie Sterilisierer armer Frauen – wollen, die den Impfstoff von AstraZeneca entwickelt haben… Nein, ihnen nicht bloss die Impfstoffe sondern auch die Technologien selbst bringen um sie autonom entwickeln und produzieren zu können. Bzw.: biotechnologische Forschungszentren einrichten – wo die in Künstlicher Intelligenz, in Bioinformatik, in Molekularbiologie und in Nanotechnologie hochspezialisierten Techniker einen neuen Jahrgang lokalen Personals ausbilden sollen, um denen in Nullkommanichts Hightech-Fabriken zu bauen, wo sie die Impfstoffe autonom produzieren können. Fabriken, klar doch, die an ein mächtiges digitales Netz angeschlossen sind. In diesem schönen Märchen – dessen Unterbewusstsein jenes des wohltätigen Imperialismus ist – würden solche Forschungszentren und Fabriken bei beendeter Impfung auf die Aufgaben verzichten, für die sie historisch geschaffen wurden: die Abhängigkeit (energetische, landwirtschaftliche, sanitäre, wirtschaftliche, soziale, politische) der lokalen Bevölkerung von einem zentralisierten und heteronomen Apparat zu vergrössern, dessen unersättlicher Rohstoffabbaumotor die Menschlichen auspresst, die Erde steril macht und Epidemien verursacht. Wäre es nicht viel praktischer, die Gelder der Impfstoffe für den Aufbau eines Netzes von kleinen Dorfambulatorien zu verwenden, um dort die Kranken rechtzeitig zu behandeln anstatt wahllos Millionen Personen zu impfen? Sicher wäre es das, aber der Zweck des Biotechmarktes ist ja gerade, die «prosaische Pflege- und Präventionsarbeit» obsolet und wenig profitabel zu machen.

V. Ungelöste Knoten

Cui prodest? Wem nützt es? Diese Frage ist so notwendig wie ungenügend; und die Antworten manchmal irreführend. Es ist nicht gesagt, dass jene, die die Folgen eines Geschehnisses ausnützen, es auch verursacht haben. Unter den vielen möglichen historischen Beispielen wählen wir zwei, die zur Geschichte der revolutionären Bewegung gehören: der Reichstagsbrand und die Bombe am Theater Diana. Die erste Geste – ausgeführt vom holländischen Rätekommunisten Marinus Van der Lubbe – lieferte den Nazis die Rechtfertigung für eine grausame Hetzjagd gegen alle Dissidenten. Lange – und heute noch in nicht wenigen fälschlicherweise als glaubwürdig betrachteten Geschichtsbüchern – wurde der Brand des deutschen Parlaments als Naziverschwörung betrachtet (cui prodest?, eben) und der Genosse Van der Lubbe als Provokateur. Eine – aus naheliegenden Gründen – vor allem von den Stalinisten behauptete These. Der Brandstifter wurde damals bloss von einigen anarchistischen Gruppen (zum Beispiel “L’Adunata dei Refrattari”), von den deutsch-holländischen Rätekommunisten und von einigen Zeitschriften der „italienischen“ kommunistischen Linken verteidigt (und auch unter den wenigen Kommunisten, die ihn verteidigten, fühlten sich einige jedenfalls befleissigt, die Geste politisch zu kritisieren…). Das von der “nazistischen Verschwörung” war eine dermassen durchdringlich getrommelte historische Verfälschung, dass wir sie sogar in einem der allerersten Flugblätter vorfinden, die “sofort” die staatliche und unternehmerische Matrix der Bombe des 12. Dezember 1969 ausmachten. Besagter Text, der einige Wochen nach dem Massenmord der Piazza Fontana von “einigen Freunden der Internationale” veröffentlicht wurde, hatte denn auch den Titel Brennt der Reichstag? (implizit: der italienische Staat ist der Täter dieser blutige Provokation und hat als dafür Verantwortliche auf die Anarchisten gezeigt, genauso wie die Nazis das deutsche Parlament angezündet und die Verantwortung den Kommunisten unterschoben haben). Dass die beiden Gesten – im Falle des Reichstags das Organ der passiv machenden Vertretung des “arbeitenden Volkes” anzugreifen, ein Organ, das die Überbleibsel an Aktion des “arbeitenden Volkes” sterilisierte und dessen staatliche Unterdrückung validierte, und im anderen Falle wahllos in den Haufen der Landwirte zuzuschlagen – diametral entgegengesetzte Anwendungsmodalitäten von Brand- und Sprengsätzen darstellten, hat nicht verhindert, dass sie unter demselben Begriff eingeordnet wurden: Verschwörung. Man beobachtet die Wirkung, man denkt nicht über die Dynamiken nach (das Ganze vom Vorurteil geprägt, dass nur die kollektive Aktion eine legitime Antwort auf Unterdrückung sein kann). Da die Geschichte das Ergebnis eines Gewirrs an Kräften (und Unwägbarkeiten) ist, kann manchmal auch die Analyse der Dynamiken irreführend sein. Als sie am 23. März 1921 die Presseartikel zum Massenmord des Diana lasen, dachten nicht wenige Genossen sofort an eine Provokation der Polizei. Nicht nur wegen der darauf folgenden grausamen Jagd auf den Subversiven (eben: cui prodest?), sondern gerade wegen der Dynamik der Tat an sich: sowohl die Wahl des Zieles – ein auch von normalen Leuten besuchtes Theater – als auch die Modalität des Attentates (eine Bombe mit grosser Sprengkraft). Erst einmal war es schwierig zu verstehen, dass es sich, hingegen, um die unvorhergesehene Wirkung der Aktion einiger jungen und bekannten Genossen handelte, «nicht um das Theater, sondern das darüber liegende Hotel zu treffen – das, nach Infos, die damals die Attentäter hatten, regelmässig als Treffpunkt von Benito Mussolini und dem Polizeipräsident von Mailand, Gasti, diente, beides Erzfeinde der Anarchisten und von denen besonders gehasst, und man dachte, dass gerade an jenem Abend Gasti in jenem Hotel sein sollte» (Giuseppe Mariani). Das alles um zu sagen, dass gerade die Revolutionäre sich hüten sollten, die Logik des cui prodest? mechanisch anzuwenden. Würden wir eine solche Logik auf den Notstand Covid-19 anwenden, wäre die Schlussfolgerung eindeutig: vom Notstand haben vor allem die Digital- und Pharmamultis profitiert, folglich haben die ihn geplant. Post hoc, ergo propter hoc («Nach dem, folglich wegen dem»). Genau so naiv wäre jedoch zu meinen, dass der beschleunigte Anschub zur Digitalisierung der Gesellschaft und ein Programm wie die Impfung auf planetarischer Skala bloss zwei funktionale Antworten auf ein völlig unerwartetes Geschehnis wären: nämlich die Verbreitung des Sars-CoV-2. Um sich von was funktional und was intentional ist eine etwas umsichtigere Vorstellung machen zu können, müssen wir verstehen, wo die zwei grundlegenden Tendenzen unserer Zeit liegen. Bzw. uns erneut mit zwei ungelösten Knoten beschäftigen: die technologische Frage und die Frage des Staates.

VI. Schmelzpunkte

Ich habe mich lange gefragt, auf welche Weise man das Verhältnis zwischen Technologie und kapitalistischer Entwicklung am präzisesten definieren könnte. Auf Grund des geschichtlichen Nachweises finde ich die beiden üblichen Vorstellungen zum Thema völlig falsch: eine entspricht sowohl der liberal-demokratischen als auch der marxistischen Vorstellung und besagt, die Technologie sei eine Gesamtheit an Mitteln zur Rationalisierung und zur Organisation in Bezug auf variable politisch-ökonomische Zwecke; und die andere betrachtet die Technik als autonomes Subjekt der Geschichte (die Geschichte eines Bruches zwischen dem Menschenwesen und seiner Prothese, worin der Unterschied zwischen einer Windmühle und einem AKW nur ein Stufenunterschied wäre). Bis jetzt habe ich zur Definition dieses Verhältnisses das zutreffendste Adjektiv in einem schönen Buch über den luddhistischen Aufstand gefunden: konsubstantiell. Wenn die Einzäunung der gemeinschaftlichen Ländereien und die Ausraubung der kolonialen Reichtümer die zwei Quellen der ursprünglichen Akkumulation des englischen Kapitalismus waren, so wurden die Grundlagen zur Entwicklung der Manufaktur und des Maschinentums von der Stärke des britischen Staates im Krieg zuerst gegen den spanischen Staat und dann gegen den französischen Staat geliefert: aus den Notwendigkeiten der Kriegsführung entstehen denn auch sowohl die Eisenbahn als auch die Ausbeutung der Kohlengruben. Die Elektrizität wurde zur Waffenproduktion entwickelt, bevor sie private Häuser erhellte, diente sie dazu, die Manufakturen auch in der Nacht zu betreiben. Dieses Verhältnis der gegenseitigen Verwicklung von militärischer Macht, Entwicklung der Industrie und Beschleunigung der Technik hat einen Sprung erzeugt: die Technologie, bzw. die Anwendung von immer spezialisierteren wissenschaftlichen Kenntnissen auf eine industrielle Produktion, die nach und nach alle gemeinschaftlichen und nicht zentralisierten Produktionsformen verdrängte. Die zwei Weltkriege waren in der Folge das Labor einer neuen Fusion: zwischen wissenschaftlicher Forschung, Militärapparat, industrieller Planung und Staatsbürokratie. Der zweite Weltkrieg hat der Verschmelzung nicht nur die Massen-kommunikationsmittel hinzugefügt; sondern, dank den gigantischen Rüstungs-, medizinischen und toxikologischen Experimenten auch das eingeläutet, was man als Technowissenschaft bezeichnen kann, und damit auch deren politisch-soziale Form: die Technokratie. So wie die totalisierende Logik des Profits ein Element ist, das in der feudalen Gesellschaft wächst und sich verselbstständigt, wird die technologische Entwicklung, als wirkende Kraft der kapitalistischen Akkumulation, immer mehr zum Motor der wirtschaftlichen Konkurrenz (sowie zur Fortführung der Politik mit anderen Mitteln). «Die politischen Regimes gehen vorüber, die Technokratie bleibt». Innerhalb der Konfrontation der Macht der Staaten – als direkte Akteure der industriellen Planung – der vierziger und fünfziger Jahre, werden die Paradigmen (Kybernetik) ausgearbeitet und die Forschungsprogramme lanciert (Informatik und Gentechnologie, neben dem Nuklearen), ohne die es weder die darauf folgende Finanzialisierung der Wirtschaft (mit den entsprechenden neoliberalen Politiken) noch den Eintritt in die menschlichen Körper als weiteres kapitalistisches Eroberungsterrain gegeben hätte. Diese Verschmelzungsprozesse von privat und staatlich – die jemand Technobürokratie genannt hat – wurden klarsichtig von den weniger von den Sirenen des Fortschritts und der angeblich „emanzipatorischen“ Entwicklung der Produktivkräfte verzauberten Geister begriffen: Simone Weil, George Orwell, Dwight Macdonald, Georges Henein… alle mehr oder weniger verspottet weil sie sich für die „sekundären“ Aspekte interessierten und die unpersönlichen Gesetzmässigkeiten des Kapitals vernachlässigten. Diese Analysen haben sowohl das innewohnend hierarchische und anti-egalitäre Wesen der Grossindustrie (egal wer die Produktionsmittel juristisch besitzt) als auch die omnivore Ausbreitung der staatlichen Bürokratie exakt beschrieben. Was immerhin als selbstverständlich galt, war, dass die industrielle Planung in der dem Kapital untergeordneten Wissenschaft ihren Kern hatte, und dass die logischste Artikulierung dieses Kerns das long range planning sei. Nur ist dieser Kern – dank den enormen staatlichen Finanzierungen – nicht nur völlig eins mit der Kommandoschaltzentrale geworden, um so das Verhältnis zwischen Mittel und Zweck umzukehren; die “technologische Revolution” hat auch jegliche Planung, die in Bezug auf die Innovationen der angewandten Wissenschaft immer zu langsam und zu kostspielig ist, platzen lassen. Wahr bleibt, dass «das Umfeld, wo die Technik ihre Macht über die Gesellschaft erlangt, die Macht jener ist, die über die Gesellschaft selbst die wirtschaftlich stärksten sind» (M. Horkheimer, T.W. Adorno, Dialektik der Aufklärung). Mit folgendem grundlegenden Zusatz: «Die technokratische ist keine „Revolution“, sondern ein permanenter Putsch». Gerade weil die technische Rationalität der, «wenn man es so sagen kann, zwangsmässige Charakter der sich selbst entfremdeten Gesellschaft ist», trifft ihre Autonomisierung in der Dynamik dieser Entfremdung auf keinerlei Grenzen. Die technologische Entwicklung hat einen relativen Gegensatz (die Kämpfe der Lohnempfänger) und einen absoluten Gegensatz (dass die Menschenwesen und das Lebende nicht zur Maschine reduziert werden können): die Technokratie umschifft den ersten immer stärker und zielt direkt auf den anderen. So wie es die staatliche Repression der revolutionären Bewegung der Sechziger und Siebziger Jahre war, die die Einführung der Telematik in die Produktion ermöglichte und begleitete, so bereitet der aktuelle Angriff der Herrschenden und der Polizei auf den Widerstand der in den Logistiksektoren Arbeitenden die generelle Durchsetzung des “Modells Amazon” vor. Um den proletarischen Angriff der Sechziger und Siebziger Jahre zu liquidieren, haben Staat und Arbeitgeber (durch den gekreuzten Einsatz der Durchsetzungsmacht und des technologischen Sprunges) die „Verhandlungs“-Kraft einer Arbeiterklasse als Produkt eines bestimmten Produktionsmodells (Standortgebundenheit der Anlagen, Warenlagerungskosten, kapitalistischer Bedarf nach einer sehr zahlreichen und gering qualifizierten Arbeitskraft, die gerade deswegen zum „wissenschaftlichen“ Einsatz des Absentismus und der Sabotage fähig war) beseitigen müssen. In sehr reduziertem Verhältnis zielt auch die Digitalisierung der Logistik auf die Beseitigung ihres eigenen relativen Gegensatzes: die Blockaden und die Streikposten der Arbeitenden (genau jene Kampfformen, die der Staat mit seinen „Sicherheitsdekreten“ illegalisiert hat). Zu meinen, die technologische Entwicklung sei heute eine sekundäre Variante der Klassenauseinandersetzung, heisst auf einem anderen Planeten zu leben. Wenn etwelche besonders besser wissende Marxisten über unsere – typisch “kleinbürgerlichen“! –„Ängste“ über die laufende Techno-totalitäre Wende spotten und behaupten, der “technologische Dynamismus” (der eher angekündigt als real sei!) sei bloss das Symptom einer kurzatmigen kapitalistischen Aufwertung, beweisen sie voll und ganz ihren eigenen Realitätsverlust. Genauso wie die dementsprechende Ortung dessen unrealistisch ist, was der wahre Einsatz im Spiel wäre: der Kampf um eine generalisierte Verkürzung des Arbeitstages, als “Minimalprogramm”, das von den neuen Technologien ermöglicht würde. Wenn überhaupt, dann belegt die Geschichte, dass ein Kampf um die Verringerung der Arbeitslast jener ausdauernden Selbstorganisationskraft bedarf, der die Robotik und die Automatisierung jegliche Grundlage entziehen. Die heute und zukünftig noch stärker von der Digitalisierung verursachte Massenarbeitslosigkeit produziert eine immer gefügigere Lohnarbeiterschaft. Das Märchen, dass die technologische Entwicklung das Menschenwesen vom Mühsal befreien würde – wenn nicht automatisch, so wenigstens durch die Schubkraft des Klassenkonfliktes –, war schon immer ein technokratisches Märchen. Die lebendige Arbeit nimmt exponentiell zu – der materielle Apparat des Digitalen gründet auf der erzwungenen Aktivität von Millionen von Menschenwesen –, aber er ist technologisch dermassen verknüpft wie er, andersherum, sozial fragmentiert ist. Somit ist die Forderung eines kürzeren Arbeitstages eminent politisch (und prallt mit einer anderen politischen Option zusammen: mit dem gewährleisteten Mindesteinkommen). Wäre es wirklich unrealistischer, sofort die Schliessung der Produktionen zu fordern, die die Menschen und ihre Umwelt vernichten, bzw. gegen unseren Ausschluss aus der Welt zu protestieren?

VII. Blitzkrieg

In der Geschichte werden die Wirkungen ihrerseits nicht selten zu Ursachen. Die Finanzialisierung der Wirtschaft – unmöglich ohne Informatik, Künstliche Intelligenz, Data Science und die gigantischen Apparate, auf denen sie gründen – wirkt sich ebenfalls auf die technoindustrielle Entwicklung aus. Eine Binsenwahrheit. «Die Entscheidungen scheinen automatisch der “black box” eines „objektiven“ Rechnungsmechanismus zu entspringen». Die technologische Lösung neigt somit zur Abschaffung jeglicher ethischen Einschätzung und politischen Aktion. Kehren wir ein Moment zum Verhältnis zwischen permanenter Innovation und industrieller Planung zurück. Die Atomindustrie – Ergebnis des Machtkrieges unter den Staaten und des kolossalen wissenschaftlichen Finanzierungsprogramms, das sie ermöglicht hat – ist das riesigste Beispiel von staatlicher Planung einer zentralisierten, militarisierten und vor allem ortsfesten Einrichtung. Auf diese staatliche Produktion pfropfen sich sowohl weitere stationäre Infrastrukturen auf – wie die Hochgeschwindigkeitslinien – als auch die high tech Labore, die andauernd Formen und Weisen der Warenproduktion, des Abbaus und der Bearbeitung der Rohstoffe, der urbanen Ordnungen, der Kontrolle des Territoriums, die Formen und Weisen der Kriegsführung umkrempeln. Dasselbe kann von den Tiefseekabeln gesagt werden, deren Legung und Verteidigung selbst Gegenstand geopolitischer und militärischer Auseinandersetzung ist. Wenn, ohne einen radikalen Umsturz der Gesellschaft, man eher sicher sein kann, dass es in einigen Jahrzehnten immer noch Atomkraftwerke, Bahnlinien und Tiefseekabel wie wir sie heute kennen geben wird, haben wir nicht die geringste Ahnung – ausser mit etwelchen Übungen in kritischer Futurologie – wie wohl das Brot oder die Autos produziert werden, und auch nicht davon, wie man Einzahlungen tätigen oder die Körper pflegen wird. Diese totalitäre Beschleunigung ist genau das, was permanenter technologischer Putsch genannt wurde. Wenn das Imperativ der Verbreitung und das Imperativ der Tiefe den technowissenschaftlichen Apparat dazu drängen, jeden Fetzen menschlicher Erfahrung zu erobern um ihn in Daten zu verwandeln, ist es einfach lächerlich darüber zu streiten, ob eine Politik neoliberal oder neukeynesianisch ist. Erstens weil klar ist, dass die Digitalisierung – mit ihrem blutsaugerischen Apparat der Intelligenz der Maschinen – die Flucht nach vorne der Finanz (mit den entsprechenden materiellen Auswirkungen: Eröffnung und Schliessung just in time der Führungs- Logistik- und Produktionszentralen) bloss beschleunigen kann; zweitens, weil die staatliche Planung derselben Logik folgt und ebenfalls die technologische Verwaltung der Territorien und der Bevölkerungen anstrebt. Um sich dessen gewahr zu werden, genügt die Lektüre der Weissbücher der Armee als planende Institution schlechthin. Da die high tech Innovation – von den Drohnen bis zu den Killer-Robots, vom digitalen Schlachtfeld bis zu den genetisch gesteigerten Körper der Soldaten – die Verteidigungsinstitutionen und Forschungszentren schon miteinander verschmolzen hat, wurde der militärischen Bürokratie – die so ortsgebunden wie ein AKW ist – die politische Führung der Programme immer stärker entzogen und den inter-universitären Departementen anvertraut, die ihrerseits den Bedürfnissen der 4.0 Industrie immer stärker verbunden sind. Was die Feinde des Neoliberalismus auch sagen mögen, die high tech Wirtschaft ist eine resolut dirigistische Wirtschaft. Die medialen Verbreiter des technokratischen Wortes haben auf den Notstand Covid-19 gewartet um es begeistert zu verkünden: der Staat ist zurück. (Um zu verstehen, dass er niemals von dannen ging, hätte die Verfolgung des konstanten Wachstums der sog. Staatsverschuldung, um von anderem gar nicht zu reden, genügt). Nicht zufällig haben die verschiedenen auf der Lohnliste stehenden Soziologen und Wirtschaftler als Präzedenzfall des aktuellen staatlichen Eingriffes in die industrielle Finanzierung die kriegerische Organisationsanstrengung der USA im Zweiten Weltkrieg zitiert. Was ansteht ist genau das, eine Kriegswirtschaft. Aber bedeutet das vielleicht auch eine Rückkehr der Planung? Sozialdemokraten und Stalinisten hoffen darauf und drängen die „Bewegungen“ zum Kampf um den staatlichen Planungen etwas Sozialismus beizufügen. Die etwas kritischeren Marxisten entlarven den ideologischen Betrug, weil es für einen New Deal kein Geld gibt, da der Kapitalismus nicht in einer Phase der Expansion sondern der Krise steckt. In Wirklichkeit ist die “Rückkehr des Staates” überhaupt nicht die Rückkehr zum industriellen long range planning: es ist die Beseitigung manu militari aller Behinderungen auf dem Weg zum permanenten technologischen Putsch, bzw. zur Diktatur der Maschinen, der Experten und der Militärs. Wie jemand gut zusammengefasst hat, was beschleunigt vorbereitet wird, ist die Epoche der Fehler und des Unglücks. Ja, die “technologische Revolution”, die alle alten Produktionsweisen gleichmässig verdrängt, ist ein Mythos. Die Technologie hat den Gang eines Blitzkriegs. Dieser Blitzkrieg wird nicht nur unaufhörlich von der übergreifenden Arbeit der Forschungszentren, der Industrie, der Massenmedien und der öffentlichen Institutionen (mit der unauffälligen Präsenz der Militärs) vorbereitet, sondern beeinflusst auch entscheidend alle wirtschaftlichen und sozialen Bereiche. Wenn im globalen Markt die Waren mit der höchsten Aufwertungsrate jene sind, die mehr Daten und mehr wissenschaftliche Entwicklung beinhalten, so müssen die anderen – die weniger oder überhaupt nicht high tech sind – die unbezahlte Arbeit verstärken um den Konkurrenzkrieg zu überstehen: nur so bleibt das Menschenwesen allgemein vorteilhafter als das technologische Investment. Das Beispiel des chinesischen Staates ist emblematisch. Die smart cities und die Zwangsarbeitslager sind zwei kommunizierende Gefässe derselben Technokratie. Sagt es doch den in jeder Fortbewegung aufgezeichneten Chinesen, dass die Digitalisierung der Welt ein Mythos ist, weil Milliarden anti-Covid Masken tagtäglich eigentlich wie im 19. Jahrhundert produziert werden!

VIII. Gramm und Tonnen

Wenn man totalitär sagt, meint man vor allem polizeilich. Das ist ein irreführender Reduktionismus. Eine totalitäre Wirtschaft ist eine Wirtschaft, die keinerlei menschliche Erfahrung ihrem Zugriff entgehen lässt. Auf die Polizei verzichten – oder besser, aus der Polizei die hindernisfreie Organisation der Stadt zu machen, die citizen science – ist die Utopie der Technokraten. Aber gerade weil die Technologisierung der Welt so versteckte wie masslose menschliche und ökologische Kosten hat, ist das, was sie produziert, eine differenzierte Apokalypse. Für einige die Auszehrung in den Coltanminen und den Mangel an Wasser und Nahrung; für andere die Telearbeit und das Risiko der Fettleibigkeit. Für Millionen Frauen im Süden der Welt die verkappten Programme der Zwangssterilisation; für tausende Frauen des Nordens der Welt der Zugang zur medizinisch betreuten Fortpflanzung. Für die Arbeiter, die die Smartphones zusammenbauen, das Arbeitslager und die Maschinenpistolen im Rücken; für die Mitglieder der upper-class der Videoanruf mit dem eigenen genetischen Berater vom Rande des Schwimmbeckens aus. Was aber ein totalitäres System am stärksten charakterisiert, ist das Verschwinden der Kriterien zur Bewertung der Tatsachen (und zur Unterscheidung zwischen den Tatsachen und ihrer Manipulation), die Liquidierung der Fähigkeit, die eigene Erfahrung auszuwerten, die Obsoleszenz der Fähigkeit, mit den Sinnen und dem Intellekt jenes “solide Rätsel” des Produktes der eigenen sozialen Aktivität zu erfassen. Die Leser von 1984 werden sich sehr wohl an die Seiten erinnern, die Orwell den Verkündungen des Grossen Bruders über die Schokoladenrationen widmet. Dank der permanenten Auslöschung der Vergangenheit wird die Verkündung der Zunahme der Ration, die in Wirklichkeit eine Verringerung gegenüber der vor einer Wochen verkündeten Ration ist, von den Parteimitgliedern mit hysterischen Begeisterungsstürmen empfangen. Unmöglich für die Dissidenten, das Gegenteil zu beweisen, da die Daten nach und nach aus den Archiven gelöscht werden. 1984 ist kein “dystopischer Roman”. Um zu beweisen, dass in der Sowjetunion (angeblich Sowjet) das Problem der Arbeitslosigkeit dank den staatlichen Wirtschaftsplänen gelöst worden sei, liess Stalin die Arbeitslosengelder abschaffen. Die Abschaffung der Arbeitslosengelder war doch der objektive Beweis, dass es keine Arbeitslosigkeit mehr gab! Im Zeitalter des Internets kann man vielleicht keine Archive mehr löschen, aber es ist, ausser die Nachforschungen mit entsprechenden Algorithmen zu orientieren, sehr einfach die Konsultationen der Archive gründlich zu vermiesen. Wie viele haben angesichts der triumphalistischen Verkündungen, die Sars-CoV-2 Ansteckungen und Toten seien dank den Impfungen zurückgegangen, Lust darauf, die entsprechenden Daten derselben Periode vor einem Jahr zu verifizieren? Überdies, da auch die Geimpften sich anstecken können – in welchem Masse und mit welchen Konsequenzen sehen wir dann wahrscheinlich im Herbst und Winter, wenn die Zirkulation des Virus zunehmen wird –, hat die WHO in der Zwischenzeit die Instrumente zur Feststellung der „Fälle“ modifiziert und einen maximalen Schwellenwert für die Vermehrungszyklen für die PCR Tests festgelegt, und darüber hinaus ein Kriterium der doppelten Verifizierung für die Verfügung der Positivität eingeführt. Kurz, man schafft also nicht das Arbeitslosengeld ab um die Arbeitslosen verschwinden zu lassen, aber man erklärt einen Teil davon als glückliche Beschäftigte. Wenn dann, angesichts der offensichtlichen Misserfolge ihrer Lösungen, die technokratische Maschine dem Dissens Terrain abgeben müsste, wird ihr Blitzkrieg gegen die Natur schon eine weitere Bedrohung zur Schmierung ihrer Getriebe gefunden haben: es ist sehr unsicher, dass die in der Massentierhaltung der halben Welt (auch Italien) laufende breite und industrielle Massenschlächterei des Geflügels den Sprung des Vogelgrippevirus auf den Menschen aufhalten kann… Es ist eine so unmenschliche wie unverwirklichbare Utopie, aus einer immer stärker krank machenden Welt «eine perfekt hygienisierte Wüste zu machen». Gibt es etwas undurchsichtigeres als diese “black box”, die die Entscheidungen von den Algorithmen ausgehend, die von der Intelligenz der Maschinen erarbeitet werden, orientiert? Gibt es etwas, das einen vollständigeren moralischen Amorphismus verursacht als jener, zu dem die Tyrannei der Effizienz erzieht? In einem Artikel mit dem aussagekräftigen Titel Man sucht einen Menschen ohne praktischen Sinn sagte der exzentrische Konservative G. K. Chesterton, dass die technologischen Lösungen sinnvoll sein können wenn etwas nicht funktioniert; wenn nichts mehr funktioniert, schrieb er, muss nicht ein Techniker sondern ein Theoretiker her, und noch besser wenn «ergraut und gedankenverloren». Die Effizienz an sich ist ein trügerisches Kriterium. «Wenn ein Mensch ermordet wurde, war der Mord effizient. Eine tropische Sonne ist so wirksam um die Menschen faul zu machen, wie ein brutaler Abteilungschef des Lancashire um sie energisch zu machen». Und weiter: «Die Effizienz ist bedeutungslos, so wie die “starken Männer”, der “Wille” und Superman unbedeutend sind. Sie ist unbedeutend, weil sie sich nur für schon vollbrachte Taten interessiert. Sie verfügt über keinerlei Philosophie für das, was noch nicht geschehen ist; sie besitzt, folglich, keinerlei Entscheidungsfreiheit». Dies haben Millionen Menschen während der Handhabung der Covid-19 Epidemie erfahren. Die Techno-bürokratischen Hierarchien (die sog. Experten) haben, eher als eine «epistemologische Dunkelheit», nicht nur eine regelrechte «kognitive Paralyse» verursacht, «eine furchterregende Situation, die daran erinnert, was in den absichtlich konstruierten Umständen zur Ent-menschlichung der Subjekte durch die Spaltung der Worte von den Dingen, der Sprache und der Welt geschieht,» (Stefania Consigliere und Cristina Zavaroni, Ammalarsi di paura – An Angst erkranken); sondern haben auch dazu beigetragen, eine Überfülle an „starken Männern“ zu produzieren (Gouverneure, die dazu bereit waren, die Studenten, die sich zur Hochschulabschlussfeier „zusammengerottet“ hatten, mit dem Flammenwerfer zu verbrennen, oder Ministerberater, die die Impfung obligatorisch machen und alle via Gesetz bestrafen wollen, die sie kritisieren…). Wer sagt, dass die Tatsache, dass der Staat und die Regionen sich in gestreuter Ordnung bewegt haben, der Beweis einer Abwesenheit von Führungszentren im Notstand sei, hat wenig über die spiral- und kaskadenartigen Effekte reflektiert, von denen das technokratische Kommando in der Geschichte schon immer gekennzeichnet war: im Namen einer übergeordneten Sache oder der gebieterischen Notwendigkeit der Effizienz über die Freiheit tausender Menschen zu verfügen, steigert den Wetteifer zwischen nationalen und lokalen Führern im Wettlauf der Entscheidungsfreudigkeit. Das Gefühl zu den wenigen zu gehören, die von der Wissenschaft – oder von der Politik, die im Namen der Wissenschaft handelt – zu Erwachsenen erklärt wurden, führt unweigerlich zur Verachtung und Infantilisierung aller anderen. Das hatte Nietzsche gut begriffen: die Mechanisierung der Untermenschen findet ihre geschichtliche Vollendung und moralische Rechtfertigung im Übermenschen. Die Medienkommunikation, sobald weltweit den Weg der kriegerischen Rhetorik eingeschlagen wurde, hat die Linie des von der Kommandoschaltzentrale Angeordneten eifrig übernommen. Und das nicht nur wegen den erhaltenen Finanzierungen und dem auf sie ausgeübten Druck, sondern auch wegen einer sich selbst nährenden Nachahmungsmacht: wie fühlt er sich wichtig, und sogar den so wie er selbst moralisch doch so mittelmässigen Mitbürgern überlegen, wenn er, der unbekannte und provinzielle Schreiberling sie zur Einhaltung der Regierungsdekrete aufruft! In der totalen Mobilisierung, wenn man alles tun muss was die Autorität sagt um Verantwortlichkeit zu zeigen, fühlt sich auch der Denunziant als Agent des Guten. Vor einer genügend schreckenerregenden Gefahr verursacht die «Totalisierung des öffentlichen Diskurses» in der Gesellschaft zwei kombinierte Effekte: einerseits eine Verstärkung der nationalen Volkseinheit, die den Einzelnen dazu drängt, sich nicht mehr als unbedeutendes «Gramm» sondern als «der millionste Teil einer Tonne» zu fühlen (E. I. Zamjátin, Wir); andererseits ein paralysierendes Gefühl der individuellen Machtlosigkeit: es gibt nichts, aber auch gar nichts, was du angesichts des Covid-19 tun könntest, du kannst weder etwas verstehen noch deine Immunkräfte stärken und wenn die Symptome auftreten, kannst du dich umso weniger noch behandeln. (In den täglichen Chroniken der Angst gibt es nie einen „Experten“, der einen minimalen medizinischen Hinweis geben würde ausser «zieht die Maske an, haltet die Distanz ein und wascht euch die Hände», eine Leier, die ein Postbote ebenso gut hätte wiederholen können oder, nach Lenins Verheissung, eine Köchin.)

IX. Männer auf der Brücke

Nehmen wir den Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza – Nationaler Plan zur Wiederaufnahme und Resilienz –, der von der Regierung Draghi verabschiedet wurde. Wenn wir das von ihm verfolgte Gesellschaftsprojekt verstehen wollen – nicht nur weil es uns nahe betrifft ein grundlegendes Ding, sondern auch weil es die Tendenzen der Epoche, in der wir leben, bestens erklärt – müssen wir unnütze und irreführende Interpretationsschemas an den Nagel hängen. Der PNRR – der sich in den umfassenderen Next Generation EU einfügt, der seinerseits die vergrösserte Version des europäischen Plans Horizon 2020 ist – ist ein explizites Beispiel eines technokratischen Programms. Ist die Technokratie klassistisch und anti-ökologisch? Ohne weiteres – und in höchstem Masse. Aber nicht alle klassistischen und anti-ökologischen Politiken – die die gesamte Geschichte des Kapitalismus begleitet haben – sind gleichfalls technokratisch. Die Technokratie ist heute die politische Organisation der konvergenten Technologien: Informatik, Gentechnik, Nanotechnologien und Neurotechnologien. Von den 50 Milliarden Euro unter dem Posten “energetischer und digitaler Übergang” sind gar 25 nicht rückerstattungspflichtige Finanzierungen für die Industrie. “Öffentliche Gelder an die Unternehmer: die Fortführung der neoliberalen Rezepte” sagt und sagt sich der Linksmilitante. Eine völlig falsche Auslegung. Nicht nur weil eine solche Behauptung nichts darüber sagt, wohin diese Finanzierungen gehen – Robotik, Automatisierung, Quanteninformatik, Künstliche Intelligenz, data science usw. –, sondern weil sie die Tatsache vernachlässigt, dass die Finanzierungen zur Restrukturierung der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitswesens, der Hochschulen und der Universität in dieselbe Richtung gehen. Darauf aufmerksam machen, dass die Industrie (und die Landwirtschaft) 4.0 die Herrschenden mit “unserem Geld” machen, ist sicher kein Blödsinn. Blöde ist hingegen zu denken, dass die Unterscheidung zwischen privat und öffentlich zur Beurteilung eines staatlichen Programms relevant sei. “Unser Geld”, ja, aber um uns aus der Welt auszustossen. Wie geschrieben wurde, die Masslosigkeit der Technokraten wächst mit ihren Mitteln. Je mehr sie dürfen, desto mehr wollen sie. Es braucht keine “Verschwörungen”. «Es genügt, die Brücke zu überqueren nachdem man sie erreicht hat». Der PNRR systematisiert – mit dem Vorwand, aus dem Notstand zu kommen – all das, was vom Notstand beschleunigt wurde. Es genügt zu beobachten, mit welchem Optimismus die wissenschaftlichen Publizisten (ein Beruf mit schöner Zukunft, angesichts der Tatsache, dass plötzlich entsprechende Hochschulabschlusskurse und post universitäre Master wie Giftpilze aus dem Boden geschossen sind) verkünden, die Covid-19 Epidemie habe die kulturellen Barrieren, die uns von der Welt auf Distanz trennten, gesprengt. Klar, es gibt noch «Taliban der körperlichen Erfahrung», aber die Politik der vollendeten Tatsachen (auch der verbrannten Erde genannt) wird sich schon um sie kümmern: entweder Techno-Bürger oder illegal. Die Lektion mal gelernt, wie sehr die Technologie uns das Leben in der Verbannung verbessert hat, wieso sie nicht auf alles anwenden? «Es wäre nicht das Ende der Welt – versichert uns der Professor Derrick De Kerchove –, bloss das Ende unserer illusorischen und angenehmen Autonomie». Eine Lappalie, in der Kosten-Nutzen Rechnung. Wie hätten wir es nur geschafft, während der Einsperrung, ohne Internet, ohne Telearbeit, Teleschule, Telemedizin, psychologische Teleberatungen, Teleeinkäufe, Künstliche Intelligenz, Genomforschung, Bio- und Nanotechnologien? Tja, wie hätten wir es geschafft?

X. Treibjagd

Vor mehr als einem Jahrhundert schrieb der französische Arzt René Leriche: «die Gesundheit ist ein Leben im Schweigen der Organe» während die Krankheit «das ist, was die Menschen daran hindert, ihrem üblichen Leben und ihren üblichen Beschäftigungen nachzugehen und, vor allem, was sie Leiden macht». Vor etwa 15 Jahren unterstrich ein Soziologe die Tendenz der Konzepte wie “Risikoprofil” und “Empfindlichkeit” Richtung «molekulare Genauigkeit», womit man dank der Entwicklung der Gentechnik Millionen von «Vorpatienten» schuf, die mit «Protokrankheiten» behaftet und «asymptomatisch krank» sind. Und dieser Soziologe schloss mit der Frage: «Welches moralische Urteil würde man über jene sprechen, die sich entscheiden würden im „Schweigen der Organe“ zu leben?».

Die Quarantäne ist eine Praxis, die historisch sowohl der Entwicklung des Kapitalismus als auch dem Entstehen des modernen Staates vorangeht. Vor Ansteckungsherden so zu handeln, dass diese sich nicht ausbreiten, war eine Massnahme, die auch in Zeiten als sinnvoll betrachtet wurde, wo die Medizin sich nicht der Benennung Wissenschaft rühmte, sondern sehr schlichter als Kunst angesehen war (wie die Malerei, die Skulptur, die Musik oder die Architektur). Eine Kunst, die, genau wie heute die Wissenschaft, den herrschenden Vorstellungen unterworfen war. Es gab nicht viele Ärzte, die es wagten ihre eigenen Kongregationen herauszufordern; darunter Hippokrates und Paracelsus, der erste indem er behauptete, die Epilepsie sei keine Krankheit göttlichen Ursprungs, der zweite, dass die Pest nicht von den Juden verbreitet werde; während in jüngerer Zeit an jene erinnert werden muss, die beizeiten die Schädlichkeit von Asbest, radioaktiver Strahlung und GVO in der Landwirtschaft erkannt und angezeigt haben. Und auch diese Weisen und Mutigen gab es nicht scharenweise. Bekanntlich wurde die Pest nicht mit besonderen medizinischen Behandlungen besiegt, sondern durch die Verbesserung der hygienischen Bedingungen. Gleichfalls, ohne dem industriellen Krieg gegen die Natur und dem Lebendigen ein Ende zu bereiten, ist das «pandemische Jahrhundert» weder die Prophezeiung eines Unglücks noch ein sanitärer Alarm, sondern “Kollateralschaden” und gleichzeitig eine Chance für eine weitere Flucht nach vorne der Technokratie. Im Ansteckungsfall wurden in prä-genomischen Zeiten die Kranken von den Gesunden Isoliert. Da es weder die Sequenzierung der Viren noch die Molekulartests gab, gab es auch keine „Fälle”, keine “Positiven”, keine “Asymptomatischen”. In der auf der sozialen Ebene gelebten und nicht auf molekularer Skala diagnostizierten Erfahrung gab es das Schweigen der Organe oder das Leiden und der Tod. Was hat, hingegen, diese wundersame technologische Zivilisation angesichts einer Epidemie getan, die weder Pest noch Ebola ist? Hat sie mit den dank den eigenen Innovationen perfektionierten Instrumenten sofort auf die Stimme der Organe gehört? Nein. Sie hat Millionen Individuen – die zum grössten Teil «im Schweigen der Organe» lebten – als potentiell Angesteckte behandelt, die Angesteckten als schon krank, die Kranken als schon fast Tote, die nur eine heroische Kriegsmedizin imstande wäre, einem unglücklichen Schicksal zu entreissen. Nicht nur. Sie hat in den RSA (Residenze Sanitarie Assistenziali – Pflegeheime) die Kranken nicht von den Gesunden getrennt, und auch in den Spitalzugängen hat sie die Covidkranken nicht von den Patienten mit anderen Pathologien getrennt; sie hat auf Teufel komm raus den sehr nüchternen und wenig innovativen Eingriff der Territorialmedizin entmutigt, hat zeitlich begrenzte Einsperrungen und Ausgangssperren erneuert – auch nachdem das Virus schon ein Jahr im Umlauf war und Millionen Personen angesteckt hatte – und weiter zugelassen, dass die Kranken im Spital landeten und an Sauerstoff angeschlossen wurden. Panik, unvorbereitet sein, das Gewicht der neoliberalen Politik? Auch das, sicher. Aber in geringerem Masse. Der Apparat hat das getan, wofür er programmiert wurde: die Innovation nicht an die Gesundheit anwenden, sondern aus der Krankheit eine Möglichkeit machen, die Innovation zu steigern. Dank der Gentechnik wurde eine erste Variante des Virus (die von Wuhan) sequenziert. Auf jene Sequenzierung wurden schon einige Monate danach – dank der Künstlichen Intelligenz, der Bioinformatik, der Molekularbiologie und der Nanotechnologie – Impfstoffe entwickelt. Da sie sowohl nicht daran interessiert war zu verstehen, wie das Virus um sich greift (über die Atemwege oder durch Darminfektion: nicht einmal das weiss man) als auch nicht wie man die natürliche Antwort des Organismus unterstützen kann, hat sie auf Massenskala das kybernetische Paradigma angewendet, um das herum sie sich entwickelt hat: das Individuum ist auf die Informationen reduzierbar, die seine Zellen mit der Umgebung austauschen. Die Empfindlichkeit auf die Krankheit – unabhängig vom Alter, vom psychophysischen Zustand, usw. – hat die Masseneinsperrung in Erwartung des ebenso Massenmittels gerechtfertigt, (das abgesehen von den schon von den Subjekten entwickelten natürlichen Antikörpern angewendet werden muss). Warum? Wegen den gigantischen Profiten der Pharmaindustrie, ohne weiteres. Aber auch wegen der Überzeugung, dass die dank den Nanotechnologien in den Körper eingeführten “genetischen Informationen” leistungsstärker sind als die spontane Antwort des Körpers. Aber auch weil die Geno-Industrie aus „Körperjägern“ besteht (die Genetisten wurden in der “Washington Post” im Jahr 2000 als The body hunters definiert), die kaum glauben konnten, dass sie ihre Treibjagd nun auf den gesamten Planeten ausweiten konnten. Aber auch weil die Massenimpfung – sehr viel mehr als die Hauspflege ohne Klamauk, ohne Generäle und ohne Helden – dem Staat erlauben, sich als Heilsbringer und Garant der öffentlichen Gesundheit zu präsentieren; bzw. die eigene Macht zu vergrössern und sie der Gesellschaft überzustülpen, zuerst als polizeiliche Massnahme und dann als programmatische Ausweitung zur “Normalität” dessen, was er im „Notstand“ experimentiert hat.

Die Krankheit «ist das, was die Menschen daran hindert, ihrem üblichen Leben und ihren üblichen Beschäftigungen nachzugehen», schrieb obg. Leriche, und passt diese Definition etwa nicht perfekt zur Art und Weise, wie der Staat die Epidemie verwaltet hat? Was die zusätzlichen Leiden angeht, was soll man von den Alten sagen, die man sterben liess, ohne sie nicht einmal von ihren Lieben verabschieden zu lassen? Was soll man von der Unmöglichkeit sagen, die Trauer teilen und bewältigen zu können? Was über die zusätzliche häusliche Gewalt gegen die Frauen? Was zu den Selbstmorden? Und von den vielen Jugendlichen und Jungen, die sich immer noch nicht ohne Panik vorstellen können, ausser Haus zu gehen? Nur eine Zivilisation, die den Körper vom Geist trennt, und das Individuum von seinen Beziehungen, kann denken, dass die Isolierung und die völlige Überschüttung mit Angst nicht dazu beitragen würden, die Immunabwehr der Menschenwesen zu schwächen, und so Krankheiten zu verursachen («die Vorstellung und die Arten und Weisen von Gesundheit sind variabel und hängen direkt von der Kosmovision ab, in der sie ihren Platz finden»). In der sich im Aufbau befindenden Welt der genetischen Diagnosen, der voraussagenden Screenings und der einnehmbaren Nanosensoren um damit die “Protokrankheiten” aus der Ferne zu kontrollieren, «was für ein moralisches Urteil würde man über jene sprechen, die sich entscheiden würden, im „Schweigen der Organe“ zu leben?». Wir können schon antworten wenn wir an diejenigen denken, die – in voller Pandemie! – eher den Symptomen vertraut haben als den Tampons oder an jene, die die Impfstoffe der biotechnologischen Bastelei ablehnen. Unverantwortliche, Verschwörungstheoretiker, Leugner, Taliban der körperlichen Erfahrung, Anti-nationale, Deserteure vor dem Feinde in der Stunde der Gefahr.

XI. Avantgarde-Unmenschliche

Die von den (artistischen, politischen, wissenschaftlichen) Avantgarden lancierten Manifeste verkündeten generell deren programmatische Zwecke. Wer den Anspruch stellt, den Zeitgeist seiner Zeit zu interpretieren und den zukünftigen vorauszusagen, bejubelt fast immer die historische Bewegung, die seine eigene Existenz als Avantgarde produziert hat, und die historischen Gesetzmässigkeiten, die seine Rolle rechtfertigen. Progressismus und Futurologie integrieren einander sehr gut. (Die Tatsache, dass die Anarchisten sich als agierende Minderheit und nicht als Avantgarde begriffen haben, ist eine alles anders als zufällige ethische und „politische“ Geste; die Aufforderung Benjamins, die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit durch die revolutionäre Aktion zu rehabilitieren anstatt zuversichtlich auf eine strahlende Zukunft zu warten, ist eine alles anders als zufällige ethische und „politische“ Geste; überhaupt kein Zufall, dass ein Poet wie Iosif Brodskij – vom „sowjetischen“ Regime, unter dem «man nie wusste, was die Vergangenheit uns bescheren könnte», wegen „sozialem Parasitismus“ eingekerkert – schreiben konnte: «Die Zukunft, in ihrer Gesamtheit, ist Lüge».) Auch die historische Entwicklung der Technowissenschaften hat die zu ihr passende Avantgarde: die transhumanistische Bewegung. Die Transhumanisten behaupten auf programmatische Weise das, was der technologische Apparat stumm verwirklicht. Als Avantgarde beansprucht der Transhumanesimus für sich die Rolle, alle Hindernisse zu überwinden, die das bewusst zu vollbringen verhindern, was die Menschheit – selbstverständlich die westliche, die für die gesamte Menschheit massgebend ist – bis jetzt meistens unbewusst verfolgt hat. Hat sie nicht schon immer die Materie und die eigene Umwelt verändert? Hat ihre Religion ihr nicht etwa den Fluch zu leben als Frucht der Schuld dargestellt: “du wirst das Brot im Schweisse deines Angesichts essen” und “unter Schmerzen wirst du Kinder gebären”? Haben ihre hervorragendsten Philosophen ihr nicht etwa die Lehre erteilt, dass der Körper das Grab der Seele ist? Versuchte sie nicht schon immer, die Angst vor dem Tode mit dem Versprechen des Paradieses zu besiegen? Na bitte: dank den technologischen Entwicklungen können diese Fluche besiegt und jene Versprechen endlich verwirklicht werden. Die Lebensprozesse können im Labor neu kombiniert werden. Die allgemeine Automatisierung kann die körperliche Mühe der Arbeit abschaffen. Die Reproduktion kann künstlich werden. Leistungen und Wahrnehmungen können gesteigert werden. Die Gliedmassen und das Gehirn können mit den Maschinen hybridisiert werden. Der Tod kann besiegt werden. Die Mittel für dieses gesamtheitliche Programm sind schon da: die gesteigerte Wirklichkeit, die Gentechnik, die Neurotechnologien, die Nanotechnologien, die synthetische Biologie. Um angemessen zu funktionieren, müssen sie aber grenzenlos implementiert und vor allem in einem intelligenten Planeten miteinander verbunden sein.

Wieso gleichen die Massnahmen, mit denen die Sars-Cov-2 Epidemie in Angriff genommen wurde und die Programme, mit denen der Neuanfang verkündet wird, in bedrohlicher Art und Weise dem, was sich der Transhumanesimus vornimmt? Eine Antwort darauf kann man in der Konferenz – Titel: Nanotechnologie für das Menschenwesen – von Roberto Cingolani 2014 in der Università degli Studi von Mailand finden (auch im Internet). Was er heute als Minister des „ökologischen Übergangs“ zu finanzieren und zu organisieren beschäftigt ist, sind genau jene Forschungsprogramme, die er dermassen inspiriert förderte, als er Leiter des Istituto Italiano di Tecnologia war. Die Konferenz, ein 35 minütiges Kommentar zu einem Videospot von Microsoft, das in den Stadien projiziert wird, erklärt wasserklar, dass die (transhumane) Zukunft der ineinander greifenden Entwicklung der Informatik und der Bio-Nano-Neurotechnologien gehört. Der Zuhörerschaft jenes technowissenschaftlichen Kaffeekränzchens verschweigt der zukünftige Minister nicht, dass der Weg zum vollständigen Verbund Mensch-Maschine noch lange ist, aber er erinnert auch daran, dass «der Appetit mit dem Essen kommt». Die nazistische Biopolitik war im 20. Jh. Avantgarde in der Aufstellung der Theorien über die “Rassische Degeneration”, die von der angelsächsischen eugenischen Bewegung des 19. Jh. ausgearbeitet wurden und die, ihrerseits, ihre Wurzeln in der Praxis auf dem Felde des britischen Kolonialismus hatten. Ohne den Machtkrieg zwischen Staaten wären gewisse Experimente nie aus den Labors heraus gekommen (weder aus jenen Berlins noch aus jenen von Los Alamos). Mit seiner sehr bekannten Technik der Übertreibung, um das “sovraliminare”, bzw. etwas, dessen Effekte so masslos sind, dass sie von den Sinnen und der Vorstellungskraft gar nicht mehr wahrgenommen werden können, fassbar zu machen, definierte Günther Anders das technologische System als «national-sozialistische Gemeinschaft der Apparate». Er meinte damit, dass die Apparate in ihren umfassend kombinierten Effekten begriffen werden müssen, aber auch, dass, wenn wir auf das Geräusch achten, «das von den stählernen Lippen der Maschinen» kommt, wir denselben Slogan hören können wie jener der Braunhemden («… und morgen die ganze Welt!»). Welcher Tatsache ist es zu verdanken, dass der Transhumanesimus – dessen erstes Manifest 1983 von Natascha Vita-More lanciert wird, im selben Jahr, in dem es zur ersten Speicherung von informatischen Daten kommt – aufgehört hat eine Übung in anti-humanistischer Futurologie zu sein, um zum regelrechten Direktionszentrum zu werden? Schon wieder dank dem Machtkrieg zwischen den Staaten. Nach dem 11 September 2001 wird dann auch die Fusion zwischen den start ups der Silicon Valley – die von den brillantesten aus der MIT hervorgekommenen Nerds geschaffen wurden –, der CIA und den Forschungsdepartementen des Pentagons realisiert. Der erste Sprung nach vorne – finanziell und folglich als Infrastruktur (intelligentere Maschinen weil mit mehr Daten gefüttert, leistungsstärkere Server usw.) – machen die Gründer von Google, indem sie Keyhole, eine von der CIA kontrollierte Gesellschaft, übernehmen um sie in Google Earth zu verwandeln. Gesteigerte Wirklichkeit, 5G, Internet der Dinge, Drohnen, Gesichtserkennung, Intrusions-Software, Quantenkryptographie, die ersten m-RNA Impfstoffe… sind alles Wunderwerke, die aus der Zusammenarbeit zwischen Digitalgesellschaften, den Bio- und Nanotechlaboren und dem militärisch-industriellen Komplex entstanden sind. Dasselbe gilt für das Projekt Humangenom, für deCode in Island, UmanGenomics in Schweden, UKBiobank in Grossbritannien oder CeleraDiagnostics in den USA. “Marktsozialismus” anstatt “Liberal-Demokratie”, nichts anderes ist auch der in China stattgefundene Fusionsprozess. Als, schon im April des vergangenen Jahres, etwelche Professoren des MIT – ein Institut, das ein regelrechter Inkubator für Transhumanisten ist – prophezeiten, dass es keinerlei “Post-Pandemie” geben würde und wir uns an die digitalen Passierscheine gewöhnen müssten um Zugang zu gewissen Lokalen oder Dienstleistungen zu haben, was taten sie denn anderes als uns zu informieren, womit ihre Kollegen des Labors nebenan beschäftigt waren! Dasselbe gilt für die „Prophezeiungen“ von Bill Gates, die Projekte von Amazon oder die Ankündigungen von IBM. «Wenn der Transhumanesimus ohne Behinderungen voranschreitet, dann weil die Technokratie sie unter den Farben der wirtschaftlichen Rationalität verkauft» (und, könnten wir anfügen, der medizinischen Hoffnung). «Das transhumanistische Projekt ist der andere Name des Wachstum».

XII. Das grosse Arsenal

Als 2003 der Neokonservative George Bush Jr. und der Neolabourist Tony Blair dem Irak unter dem Vorwand der Massenvernichtungsmassen des Regimes von Saddam Hussein den Krieg erklärten, und die “Koalition der Willigen” mit der Unterstützung der westlichen Medien an den Bombardements der Operation Enduring Freedom teilnahm, sprach die Oppositionsbewegung auf den Strassen und Plätzen von einer Lüge, um die wirklichen Ziele des Krieges zu verdecken, und von einer auf internationaler Ebene geplanten Medienstrategie. Es war für alle eine sinnvolle und materialistische Erklärung. Niemand sprach von “Verschwörung” und kein Kriegsgegner wurde mit “Verschwörungstheoretiker” beschimpft. Dasselbe geschah vor einigen Monaten mit dem Aufstand der Palästinenser gegen die Apartheidpolitik Israels. Dass alle Massenmedien die Bombardierung Gazas als Antwort auf die Raketen von Hamas darstellten – Bombardements, wovon, wenn überhaupt, deren Verhältnismässigkeit oder nicht diskutiert werden könnte – und dass die Massenkundgebungen in Solidarität mit dem palästinensischen Kampf in der halben Welt weitgehend verschwiegen wurden, ist sicher nicht als “Verschwörung” wahrgenommen worden, und als “Verschwörungstheoretiker” wurde auch nicht definiert, wer eine sehr klare politisch-mediale Strategie angeprangert hat. Niemand hat an eine Art obskuren Führungsbunker gedacht, der Regierungen, Politiker und Journalisten auf seine Lohnliste setzt, sondern an eine Konvergenz von Interessen. Wenn man sagt, dass die Art und Weise der Verwaltung der Epidemie Covid-19 durch fast alle Regierungen nicht nur funktionalen Elementen, sondern auch einer sehr klaren Strategie entspreche, wieso dann behaupten es sei, in diesem Fall, eine “Verschwörungstheorie”? Das Programm einige Milliarden Menschen zu impfen – ein Programm, das die Inokulierung in massiven Dosen der Idee impliziert, dass es die einzige Lösung sei um den “Krieg gegen das Virus zu gewinnen“ – kommt von derselben Konvergenz von Mächten, die zur Rechtfertigung der Bombardements den “Krieg gegen den Terrorismus” lanciert haben. Bomben oder Impfstoffe, es handelt sich um zwei Züge aus derselben Kommandoschaltzentrale. Die Erklärung Jo Bidens am kürzlich stattgefundenen G7 hätte klarer nicht sein können: «Wir sind das grösste Arsenal, das uns erlauben wird, die weltweite Schlacht gegen das Virus zu gewinnen». Eine Schlacht, in der die kurzsichtige Konkurrenz unter den verschiedenen Pharmamultis und die geopolitische Auseinandersetzung unter den Staaten allerdings dazu neigen, deren Wert zu beeinträchtigen. Dazu haben die Redakteure des “The Economist” folgendes geschrieben: «Stellt euch ein Investment vor, das einen Gewinn von 17.900% in vier Jahren fruchten könnte. Nicht nur, das auch noch mit einer absolut zugänglichen Geldanlage. Wer wohl auf der Erden hätte sich eine solche Chance entgehen lassen? Die Antwort sind, anscheinend, die Leader der Gruppe der Sieben (G7), ein Klub reicher Demokratien, der diese Woche sein jährliches Spitzentreffen in Grossbritannien abgehalten hat. Da es ihnen nicht gelingt, schnell genug zu handeln um die Welt gegen Covid-19 zu inokulieren, verpassen sie das Geschäft des Jahrhunderts». In der Zeit seit 2003 bis heute, hat es der Feind, offensichtlich, «weder verschlafen noch gespielt». Die Mechanisierung der Entscheidungsmacht – informatische Datensammlung, Ausarbeitung der Algorithmen und automatisierte Ausführung der Befehle – bedingt eine unausweichliche Reduktion der Anzahl Entscheidungsträger. «Die Wissenschaft befiehlt es uns» heisst hauptsächlich das. Die Tatsache ist dermassen notorisch, dass sogar fahlen Bürokraten der EU gelungen ist, es niederzuschreiben: «Die Entwicklung der Robotik kann als Folge haben, dass sich das Reichtum und die Macht in signifikanter Weise in den Händen einer Minderheit konzentrieren» (Resolution des EU-Parlaments zur Robotik, 16. Februar 2017). Gewisse Namen – zuoberst die Bill & Melinda Gates Foundation – oder gewisse Entitäten – Big Pharma – scheinen dann im Umlauf zu sein um absichtlich Elemente der Wahrheit zu vermischen und gleichzeitig eine okkulte private Regie hinter dem Notstand zu suggerieren. Die These eines Gates als grosser Führer – die zweifellos Bresche schlägt – wird von denselben Regierungschefs als “verschwörungstheoretisches Delirium” bezeichnet, die den Gründer von Microsoft dann als externen Berater des G20 für Gesundheit und Impfstoffe einladen… Von Gates reden kann eine optimale Art und Weise sein, um die Erkennung der kleinen und konkreten Vernichter des Menschlichen zu umgehen, die in den universitären Departementen mit der Künstlichen Intelligenz oder in den rigoros mit öffentlichen Geldern finanzierten bio- und nano-technologischen Labors am Werkeln sind. Wenn man Lust hat, die imposante The Palgrave Encyclopedia of Imperialism and Anti-Imperialism zu konsultieren, kann man sehen, dass die Kritik des «Imperialismus der Gesundheit und der Impfstoffe» – vor allem durch die LARC, die “Verhütungsmittel” mit langsamer Ausschüttung, deren Zweck die jahrelange Verhinderung der Schwangerschaft für arme Frauen ist –, der von der Bill & Melinda Gates Foundation praktiziert wird, schon vor vielen Jahren sowohl von akademischen als auch von militanten Intellektuellen und Historikern angebracht wurde. Dieselbe Vandana Shiva hat sicher nicht auf das Covid-19 gewartet um den “wohltätigen” Imperialismus anzuprangern, dessen Ziel ist, aus unseren Körpern die neuen Kolonien für die digitale und pharmazeutische Industrie zu machen. Und doch genügt es Bill Gates zu sagen und der Linksmilitante – mit dabei auch einige Compas – runzelt die Stirn, wenn dann nicht gar der brillante Theoretiker mit seinem Sarkasmus über die Pläne Satanas einfährt… Wenn das kein Kommunikationskrieg ist! Nun, die erklärte Anstrengung des Chefs von Microsoft in neo-malthusischem Sinne ist unbestreitbar (und schau welch ein Zufall, die überflüssigen Wesen auf diesem Planeten sind farbig, wie auch die zu sterilisierenden Frauen farbig sind…); unbestreitbar ist seine Finanzierung aller Unternehmen, die mit der Entwicklung der Impfstoffe letzter Generation beschäftigt sind; unbestreitbar ist sein Programm ID2020 mit dem Zweck, jedem Menschenwesen eine digitale Identität durch die sogenannten Quanten-Tatoos zuzuordnen; unbestreitbar seine Projekte, Körperaktivitäten in patentierbares Eigentum zu verwandeln; unbestreitbar wie sehr seine “Prophezeiungen” – die in Wirklichkeit Baustellen sind – den von den NATO-Staaten getroffenen “anti-Covid”-Massnahmen überraschend ähnlich sind. Das sind Wahrheiten im Sinne Orwells (2+2=4), was die Technokraten des Westens und des Ostens auch dazu sagen mögen. Wann werden diese partiellen Wahrheiten zu totalen Lügen? Wenn man die Intentionalität einiger Machtzentren von der Funktionalität – für alle Mächte – der technologischen Flucht nach vorne voneinander trennt. Wenn die Staaten als Schachfiguren der Technokratie betrachtet werden, während sie schon sowohl deren historische Inkubatoren als auch die politischen und militärischen Organisatoren sind. Wer das Internet der Dinge verwaltet, regiert die Menschen. Wer die Menschen regiert, verwaltet das Internet der Dinge.

XIII. Kleine Neuigkeiten

Ein Kapitel für sich – das wir hier nur andeuten können – ist jenes zur revolutionären Theorie in Zeiten des Notstandes. Wer radikale “ethisch-politische” Interpretationsraster hatte, hat darin die kleine Neuigkeit der sozialen Einsperrung von Milliarden Menschen ohne grosse Mühe eingefügt. Im Grunde hat die Sars-CoV-2 Epidemie die Krise der kapitalistischen Produktionsweise und ihre anti-ökologische Wechselwirkung mit der Natur bloss verschärft; die technokratische Verwaltung ist bloss ein Epiphänomen (wird als eine Entität bezeichnet, die kausal verursacht wird, aber selbst keine oder nur eine unbedeutende Wirkung auf das System hat. d.Üb.) des Krieges des Kapitals gegen die Lohnempfänger und das Ökosystem… Für viele “einfache Leute”, die keine vorgefassten theoretischen Filter haben, war diese Erfahrung hingegen ein Schock – und nicht nur wegen den mit dem wirtschaftlichen Überleben verbundenen Sorgen. Nicht alle haben die durch die „harte Notwendigkeit“ auferlegten Massnahmen widerstandslos introjiziert (fremde Anschauungen, Ideale usw. in die eigenen einbeziehen). Für tausende Menschen war es ein Test für „Faschismus“, eine „sanitäre Diktatur“, dass der Staat ihnen verbot ausser Haus zu gehen und ihre Freunde und Verwandten zu treffen, dass er sie dazu zwang, normale alltägliche Gesten bürokratisch zu rechtfertigen oder über Notstandsdekrete bestimmte, wie viele zusammen essen konnten und welche Häuser man betreten durfte. Dass der Gebrauch von Kategorien davon abhängt, wie sehr diese Personen der politisch-medialen Propaganda ausgesetzt sind oder sich eher an den “Gegen-Erzählungen” im Netz orientieren, ist eigentlich klar. Sowie auch klar ist, dass der Reaktionsmodus auf eine nie dagewesene Lage von verschiedenen Faktoren abhängt: Klassenzugehörigkeit, verfügbare kulturelle Instrumente, frühere Protesterfahrungen, Beziehungsnetz usw. Was wir feststellen können ist, dass sich den Regierungsmassnahmen vor allem Menschen mit mittlerem Bildungsstand und Linke am überzeugendsten angepasst haben. Wahrscheinlich weil empfänglicher gegenüber den institutionellen Aufrufen zum Verantwortungssinn und dem eingehämmerten Argument “tun wir es für die Schwächeren”. Aber auch wegen der introjizierten Vorstellung, der Staat sei Ausdruck des Allgemeininteresses oder jedenfalls die einzige Kraft – so sehr von den wirtschaftlichen Interessen auch geschwächt und behindert –, die imstande ist, es zu erzwingen. Die Angst – zu erkranken oder eine Busse zu bekommen – erklärt nur zum Teil das, was geschehen ist, denn Divergenzen und Konflikte blieben nicht einmal den Szenen erspart, die an den Kampf und an die Repression gewöhnt sind. Die mit der Einsperrung begonnene Spaltung hat sich längs mehr oder weniger denselben Linien mit der Impfung noch vergrössert. Für jemanden war die Spur schon gezogen. Viele Familien – oft mittelständische und mittlerer Bildung, die achtsam auf die Ernährung der Kinder und für die alternative Medizin, umweltfreundlich, mit Bezug auf gewaltlose Modelle usw. sind – verlangten vom Staat grundsätzlich bloss, sich nicht in die Erziehung und Gesundheitspflege einzumischen. Das “Gesetz Lorenzin”, das 2017 die Impfpflicht im Auftrag von Glaxo eingeführt hat, war für sie eine Art Schnellkurs in Staatsdoktrin gewesen. Sie haben entweder vor der Logik der vollendeten Tatsache (bzw. der Macht) kapituliert oder alternative Schulen ins Leben gerufen, und am Rande ihrer nunmehr integrierten Zeitgenossen ihre Bindungen gestärkt. Der Covid-19 Notstand hat diese Gräben vertieft. Die Verweigerung der Didaktik auf Distanz hat einen weiteren Grund zum Protest und zur Bildung von Mikrogemeinschaften geliefert. Das Paradoxon ist, dass diese Personen, die ziemlich über die Impfstoffe, die GVO, die verweigerte Hauspflege, die gesundheitlichen Auswirkungen des 5G informiert sind, die antagonistischen Szenen allzu sehr auf Linie mit der herrschenden Medizin finden, und betrachten jene, die sich nicht gegen die Einsperrung und die neue Impfpflicht aufgestellt haben, als Hörige des “sanitären Faschismus”. Gerade weil die Massnahmen der Regierung jene «apokalyptische Vorstellung, die schon seit Jahrzehnten im sozialen Unterbewusstsein liegt» – das Gefühl von etwas Dräuendem ist die Art und Weise, wie die Körper auf das laufende ökologische Desaster reagieren –, für sich ausgenützt hat, hat die Erfahrung dieser anderthalb Jahren als ideologische Wasserscheide funktioniert. Tausende Proletarier und Arme rebellieren gegen eine Welt, in der es für sie keinen Platz hat. Andere, Privilegiertere und in ihren Ansprüchen bis anhin moderat, wollen nicht länger auf dem ihnen auf der Welt zugewiesenen Platz bleiben. Ein Teil der revolutionären Theorie, die ideell auf das Desaster vorbereitet war, hat als Beruhigungsmittel (die strukturellen Ursachen der Epidemie, die Krise des Kapitals… alles wie erwartet) anstatt als Initialzünder des gekränkten und verminderten Lebens agiert. Über ein Ding haben die Technokraten recht: Morgen fängt man nicht von vorne an.

XIV. Ökologische Massnahmen

Nehmen wir auf unsere Art und Weise die treffende Eingebung Chestertons wieder auf. Wenn “nichts funktioniert”, nützt das Inventar der wirksamsten Lösungen nichts. Was nützt, ist die Definition selbst der Probleme zu ändern. Was dient ist die Utopie. So haben angesichts des Notstandes Gruppen und Bewegungen begonnen, ihre Programme zu verkünden, die vorher im Hintergrund der unmittelbaren Kämpfe gelassen wurden. Und hier ist die entscheidende Frage aufgekommen: die Frage des Staates. Da der Kapitalismus seine die Umwelt offen vernichtende Route niemals ändern wird, was tun? Die Macht des Staates einsetzen um jene Förderungswut aufzuhalten, die der energetische und „ökologische“ Übergang bloss verschlimmern kann. Auf diesen programmatischen Punkt konvergieren jene, die für den Rückgang sind und die Stalinisten und die Leninisten, sobald die Umstände sie dazu zwingen, Klartext zu reden. Während die weniger Radikalen sich vormachen, dass der staatlichen Planung eine „gutkommunistische“ Richtung von Unten einzuflössen möglich wäre – und hier trennen sich die Schulen: muss die Entwicklung angehalten oder nationalisiert werden? –, setzen die kohärentesten auf einen «ökologischen Leninismus». Nur wenn der Staat gänzlich seines kapitalistischen Wesens entkleidet ist, kann die Macht des Staates den privaten Profit aufhalten und wirklich ökologische Pläne erzwingen. Lassen wir mal die Kleinigkeit der revolutionären Eroberung der politischen Macht beiseite (proletarische Bewaffnung, Aufstand, Verbindung zwischen den revolutionären Bewegungen in den verschiedenen Ländern usw.); sehen wir auch davon ab, uns vorzustellen welche Massnahmen diese Revolutionäre getroffen hätten, wenn sie während der aktuellen Epidemie an der Macht gewesen wären… und gehen zum Kern der Frage. Wer die Macht will, will die Mittel der Macht. Die technologische Maschine – Zentralisierung des Wissens, hierarchische und funktionale Trennung der Rollen, Wirksamkeit als Wert an sich, Konkurrenz in der Suche nach den wirksamsten Lösungen usw. – entwickelt man weil das die Zwangskraft der Regierenden über die Gesellschaft vergrössert. Diese Kraft, wie die Geschichte des 20. Jh. grosszügig illustriert, beutet die Menschlichen im selben Masse aus, in dem sie die Natur ausraubt, und vice versa. Da nützt es wenig, sich zu Antikolonialisten zu erklären und, weil es Mode ist, etwelche indigene Aufstände zu begrüssen, wenn man im eigenen Geiste die Geschichte des Kolonialismus nicht demontiert. Die indigenen Gemeinschaften, die in einem Verhältnis des Gleichgewichts mit ihrer Umgebung leben, waren und sind Gemeinschaften ohne Staat. So wie das Märchen des zeitlich beschränkten und transitorischen Gebrauchs der politischen Macht sich noch nie verwirklicht hat, würde eine Revolution, die in ihrem eigenen Verlauf die Ursachen des ökologischen Desasters nicht zerstört, dem Staat sowohl die Mittel um den revolutionären Elan zu brechen als auch die Hebel einer Förderungsmaschine anvertrauen, die notwendig ist, um die neue soziale Trennung zwischen Anführern und Ausführenden zu gewährleisten. Ergebnis: eine grün angemalte Technokratie. Die Vernichtung des Staates ist die ökologische Massnahme, die alle anderen möglich macht.

XV. Prinzipiell

Wahrscheinlich hängt die theoretische Unzulänglichkeit im Verständnis der laufenden historischen Transformation – worin die Notstand genannte Beschleunigung angesiedelt ist – sowohl von veralteten Interpretationsschemas als auch von einem Rest an Gläubigkeiten ab, die durch das theoretische Bewusstsein alleine nicht zu überwinden sind. Wir wissen – wenn wir die Aktion des Staates im Verlauf der Geschichte oder der aktuellen Kriegs- und neokolonialen Herrschaftsszenarien beobachten – dass für seine (heute technokratische) Machtpolitik keinerlei ethische, politische oder juristische Grenzen existieren. Und doch scheinen uns gewisse Schlussfolgerungen übertrieben zu sein. Möglich, dass unmittelbar so viele wirtschaftliche Interessen geopfert wurden, um die Bedingungen für den Grossen Übergang aufzutischen? Ist es möglich, dass man so viele Menschen sterben liess um die öffentliche Überzeugung durchzusetzen, Covid-19 sei unheilbar und damit die „Wiedereröffnungen“, die „Wiederaufnahme“ und das „Zurück zur Normalität“ von der biotechnologischen Massenimpfung abhängig? Die Praktiken der sozialen Technik und der Ausrottung, die von den Staaten im Verlaufe des 20. Jh. getätigt wurden (Durchschnitt der Ermordeten: 30’000 Personen am Tag), haben vielleicht nicht schon zur Genüge geantwortet: «Ja, es ist möglich»? Und die Mittel, über die sie verfügen, haben sich bloss vermehrt und radikalisiert. Wenn in den achtziger Jahren eine Gruppe wie die Rote Zora – als Ausdruck einer breiteren revolutionären und feministischen radikalen Bewegung – unter anderem die Wissenschaftszentren und Gentechlabore angriff, dann weil sie in jenen Forschern und Instituten die Fortführung der nazistischen Eugenik sahen. Wo nicht nur eine biografische (unter den Führungskräften befanden sich hervorragende Figuren der national-sozialistischen wissenschaftlichen Programme) sondern auch eine planmässige Kontinuität festzustellen war. Um die Kontinuität in den Projekten zu begreifen, war der Antifaschismus jedoch eine stumpfe Waffe. Über die Geschichte hinaus, musste man auch auf die geographischen Dynamiken der Herrschaft schauen. Nur so konnte man die Verbindung zwischen den in der Landwirtschaft angewendeten Biotechnologien und der auf die Menschenwesen angewendeten Gentechnik, zwischen der Zwangssterilisierung der armen Frauen in Porto Rico, Brasilien oder in Afrika und der medizinisch betreuten Fortpflanzung für die Frauen in den Ländern mit fortgeschrittenem Kapitalismus, zwischen dem Imperialismus der Bomben und dem Imperialismus der Impfstoffe begreifen. Die Überzeugung, dass diese unmenschlichen Programme sehr real waren, hing nicht bloss von der gesammelten Dokumentation ab, sondern auch von der Tatsache, dass die Mengeles und das Programm Aktion T4 als wissenschaftlich-staatliche Beispiele noch frisch in Erinnerung waren. Der Angriff und die Sabotage gegen eine Gentechnik, die nunmehr im Namen des demokratischen Wohlstandes und der Gesundheit der Bevölkerungen voranschritt, war ein konkreter Widerstand gegen die neuen sich in Vorbereitung befindenden Schrecken und gleichzeitig eine ethische Positionierung gegen die Befehle, die schon ausgeführt wurden: bzw. ein Akt des Bruches mit den Grossvätern und Grossmüttern, den Väter und den Müttern, die kollaboriert oder alles stillschweigend zugelassen hatten. Die Botschaft dieser Spreng- und Brandsätze war auch: Nie Wieder. Wieso scheint uns, heute, die Dokumentierung zur Tatsache, dass die Chefs der wichtigsten Informatikmultis bekennende und aktive Transhumanisten sind, nicht viel mehr als ein Stichwort im Eintrag Profit zu sein? Wieso scheint uns die Nachricht, dass der Chefentwickler des Impfstoffes von Oxford-AstraZeneca ein bekannter Eugeniker und Förderer der Sterilisierung der Frauen Afrikas ist, dubios oder übertrieben zu sein? Sicherlich weil uns die Infoflut, die im Netz zirkuliert, nicht nur passiver sondern auch misstrauischer gemacht hat. Aber vor allem wegen dem relativen Komfort, in dem wir grossgezogen wurden, als Betäubungsmittel gegen jegliches geschichtliche Bewusstsein. Wegen ihrer direkten Erfahrung weniger narkotisiert, hier die extremen Worte, die 1980 zwei nicht besonders extremistische Historiker zu schreiben gewagt haben: «Innerhalb gewisser Grenzen, die durch Abschätzungen politischen oder militärischen Charakters gezogen werden, kann der moderne Staat mit jenen, die seiner Kontrolle unterstellt sind, alles tun, was er will. Es gibt keine ethisch-moralische Grenze, die der Staat, wenn er es tun will, nicht überschreiten darf, weil über dem Staat keinerlei ethisch-moralische Macht existiert. Auf der ethischen und moralischen Ebene entspricht die Lage des Individuums im modernen Staat, prinzipiell, in etwa jener der in Auschwitz Internierten» (George M. Krent, Leon Rappoport, The Holocaust and the Crisis of Human Behavior).

XVI. Loslassen

«Die Medizin bildet einen der eindeutigsten Angriffsmomente auf den menschlichen Körper. Das Kapital äussert sich durch seine Doktoren und Wissenschafter, Armee an der echten Endlösungsfront im Krieg, den das Kapital gegen das Lebewesen führt. Eine Krankheit, die wirklich terminal ist. Noch einmal, und wir werden nicht aufhören es zu flüstern und zu rufen, stehen wir vor einem entweder oder: entweder mit dem Menschen, oder mit dem Kapital. Entweder mit dem Menschen, oder mit der Medizin». So schrieben vor dreissig Jahren in Verfluchte und mörderische Medizin Simone Peruzzi und mein Freund Riccardo d’Este. Kriegsmedizin ist nicht nur eine kriegerische Metapher, womit man die soziale Militarisierung und die Ernennung eines NATO-Generals als Sonderkommissär für den Notstand gerechtfertigt hat, sondern auch die Beschreibung einer effektiven Realität. Die Metaphern für die Darstellung der Körper und der Krankheiten sind seit jeher ein wichtiger sozialer Indikator. Sie sagen uns nicht, was den lebendigen Körpern konkret geschieht, informieren uns aber bestens über die Veränderungen der Produktionsweisen und der wissenschaftlichen Paradigmen. Im Rahmen einiger Konstanten – die Viruskrankheit als Feind, die Körper als Trutzburgen unter Belagerung, das Immunsystem als polizeiliches Kontroll- und Repressionsorgan – innerhalb einer Kosmovision, die das Menschenwesen von der Natur trennt, den Mann von der Frau, den Erwachsenen vom Kind, den Körper vom Geist, gehen die herrschenden Darstellungen mit der Zeit und schichten sich auf. Die Vorstellung des Körpers als Maschine und seiner Organen als Ventile, Kolben, Pumpen usw. kennzeichnet das Aufkommen des industriellen Kapitalismus. Die Idee, dass die Organe Ersatzteile sind, begleitet sowohl den Fordismus als auch die Geburt der Transplantationswissenschaft. Zu was wird der Körper in der digitalen Gesellschaft, wenn nicht zum Informationsfluss? Das fordistische Paradigma geht im informatischen nicht unter: es radikalisiert sich. Entnehmbar, auswechsel- und neu zusammensetzbar sind heute die Gewebe, die Flüssigkeiten, die Moleküle, die Gene, die Zellen. Und da die gesamte Wirklichkeit ein Informationsfluss ist, kann das Lebendige nicht bloss neu zusammengesetzt (Biotechnologien), sondern auch durch Brücken (Nanotechnologie) miteinander verbunden (digitale Therapien) werden. Das Ziel – das schon 2004 durch die medizintechnische Sensorik vom Projekt Ubimon des Imperial College von London verfolgt wird – ist schnell gesagt: «die universale Überwachung für den sanitären Beistand in der Gemeinschaft». Maschinen-Körper in einer Maschinen-Gesellschaft. Oder, falls man organischere Metaphern vorzieht: periodisch zu impfende Hühner damit sie in einer Aufzucht-Welt überleben und produzieren können.

Hier das anti-programmatischste aller Programme: anstatt das x-te Grosse Werk zu vollbringen (politisch, wirtschaftlich, technologisch, medizinisch), loslassen. Uns selbst, unsere Artgenossen, die Tiere, die Pflanzen, die Erde. Die Ziele der Macht sabotieren um nicht unter ihren Mitteln zu zerbrechen. Die Zerstörung des Menschlichen zerstören, indem ihre Avantgarden aufgehalten und ihre Diener entlarvt werden.

Planet Erde, Anfangs Juni 2021

Anmerkung

Jenseits der im Text genannten Bezüge, stammen die Ansätze und Zitate für die Niederschreibung dieser These aus den folgenden Büchern:

  • Nikolas Rose, La politica della vita. Biomedicina, potere e soggettività nel XXI secolo, Einaudi, Torino, 2008 (Die Politik des Lebens. Biomedizin, Macht und Subjektivität im XXI Jahrhundert)

  • Pièces et main d’œuvre, Manifeste des chimpanzés du futur. Contre le transhumanisme, Service compris, Paris, 2017 (Manifest des Schimpansen der Zukunft. Gegen den Transhumanismus, Bedienung miteinbegriffen)

  • Adam Greenfield, Tecnologie radicali. Il progetto della vita quotidiana, Einaudi, Torino, 2017 (Radikale Technologien. Das Projekt des täglichen Lebens)

Auf dem Schiff der Irren

Trentino, November 2021

Auf dem Schiff der Irren

Nie wie in dieser Periode fühlen wir uns wie der Schiffsjunge, von dem Theodore Kaczynski in seiner Erzählung Das Schiff der Irren redete. Die Geschichte ist bekannt. Das Schiff – Metapher für die technoindustrielle Gesellschaft – fährt auf Eisberge zu, an denen sie zerschellen wird. Der Schiffsjunge warnt seine Mitreisenden und versucht ihnen zu verstehen zu geben, dass eine Routenänderung die einzige Wahl ist, die alle anderen enthält (wo andocken gleich eine Veränderung der Beziehungen unter der Crew ist; also jene Fragen der Freiheit, Gleichheit und Solidarität, die sich den Menschenwesen seit der Existenz von Herrschaft, Hierarchie und Ausbeutung stellen). Der Rest der Crew zählt die Probleme auf, die ihrer Ansicht nach viel schwerwiegender und dringender zu lösen sind: die Lohnunterschiede, Rassismus, Sexismus, Homophobie und die Brutalität gegenüber den Tieren. Da er auf der Notwendigkeit beharrt, dass es überhaupt noch ein Schiff geben muss um darauf das Leben zu verändern – bzw. dass die Priorität einer Routenänderung alle anderen richtigen Forderungen sekundär macht – gerät der Schiffsjunge ins Kreuzfeuer der Beschimpfungen der Crew: reaktionär, spezieistisch, homophob, sexistisch! Die Beschimpfungen ertönen noch während das Schiff an den Eisbergen zerschellt und versinkt.

Wie im vorhergehenden Die Industriegesellschaft und ihre Zukunft (das sog. Manifest des Unabomber, dessen Autorschaft Kaczynski in Wahrheit weder bestritten noch bestätigt hat*) und in den darauffolgenden Zuschlagen wo es am meisten schadet und Anti-tech revolution wird vor allem die Linke aufs Korn genommen, die bis zum Paroxysmus von der Crew des Schiffes dargestellt wird. Wegen ihrem “über-sozialisierten”, reformistischen und progressistischen Wesen ist die Linke Kaczynski nach dazu konditioniert, zur Hauptstütze des Techno-Kapitalismus zu werden, der seine Programme zur Entmenschlichung hinter seinen verlockenden Versprechungen zur Überwindung jeglicher Grenzen und der Expansion des Ichs versteckt. Dass wir nun voll und ganz darin stecken, ist heutzutage sogar banal.

Der heutige intellektuelle, ethische und praktische Schiffbruch der Linken und der extremen Linken vor dem Notstand – als Regierungssystem, das als regelrechter Beschleuniger der technokratischen Programme funktioniert – hat tiefe Wurzeln. Dass die Entwicklung der Technowissenschaften lange als eine sekundäre Variable des Klassenkampfes angesehen wurde – wenn nicht gar als Apparat des Wissens und der Mittel, den man in eine emanzipatorische Richtung lenken kann – erlaubt jetzt nicht, die konkreten Produkte hinter ihrer Etikette, unter der sie uns verkauft werden, zu begreifen. Da auf der Etikette “Impfstoff” steht, denkt man davon weiter, was man über die Impfstoffe gegen Pocken oder Kinderlähmung dachte. Die Tatsache, dass die m-RNA-Impfstoffe biotechnologische Plattformen sind (software of life, in der Sprache der Genetiker), die genetische Informationen in die Körper einführen – und kein desaktiviertes oder abgeschwächtes Virus – erscheint als völlig irrelevant. Denn ist die Kritik an der Wissenschaft nicht etwa eine reaktionäre Verhaltensweise? Sie haben uns gesagt, der “green pass” diene zur Eindämmung der Covid-19-Ansteckungen, und in diesem Rahmen wird das pro oder contra diskutiert. Dass die Projekte der Techno-sanitären Pässe – und allgemeiner die Herstellung einer jedem Menschenwesen zu verpassende digitale Identität – sowohl der Sars-Cov-2-Epidemie als auch der Massenimpfung vorangehen, sind „Details“ die ausserhalb der Debatte bleiben. Dasselbe kann man von den Analysen zum Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza (Nationaler Plan zur Neubelebung und Resilienz) sagen. Man liest darin die Weiterführung der üblichen neoliberalen Politik, wo die Digitalisierung der Industrie, der Landwirtschaft, der öffentlichen und sanitären Verwaltung locker dabei ist. Und doch bräuchte es nicht viel um zu verstehen, dass heutzutage die Künstliche Intelligenz und ihre Algorithmen der Motor der Finanz, der Produktion, der Kommunikation, der Logistik, der medizinischen Forschung und des Agrobusiness sind. Hier einige Beispiele.

«Mehr als 40% der Onlineaktivitäten werden schon von Automaten betrieben. Das Internet der Dinge beschleunigt natürlich die nicht menschliche Aktivität: 2023 sollten die Verbindungen unter Maschinen (man sagt auch M2M, “machine to machine”), insbesondere in den hyper-verbundenen Wohnungen und in den intelligenten Fahrzeugen, die Hälfte der Verbindungen im Netz ausmachen».

«Im Finanzsektor macht die automatisierte Spekulation 70% der globalen Transaktionen und bis zu 40% des Wertes der gehandelten Titel aus. Wir gehen von einem von und für Menschen gebrauchtem Netz zu einem von und vielleicht für Maschinen verwendetem Internet über [ökologische Begleiterscheinung: «Tatsache ist, dass die von den Maschinen gesteuerten Fonds die Umwelt stärker zerstören als die von Menschen gesteuerten»]».

«2017 hat ein Fonds in Hong Kong, Deep Knowledge Ventures, die Ernennung eines Vital genannten Roboters in seinen Verwaltungsrat verkündet. Es wird keine Entscheidung mehr ohne eine Auseinandersetzung mit seiner Analyse getroffen».

(Zitierungen aus L’Enfer numérique. Voyage au bout d’un like von Guillaume Pitron).

Der Eisberg, an dem das Schiff zerschellen wird, ist also nicht nur der ökologische Kollaps sondern auch der Ausschluss der Menschlichen aus dem Bereich der Entscheidungen und der Konflikte des Lebens. Mehr noch, der Erste wird durch den Zweiten beschleunigt, während der Zweite den Ersten hinter einem green Mäntelchen versteckt.

Kaczynskis Erzählung, obwohl sie ein tragisches Finale hat, ist eine sowohl karikaturartige als auch beruhigende Darstellung des sozialen Konfliktes. Die Hauptfiguren der Erzählung sind drei: die technoindustrielle Masslosigkeit, die Klarsichtigkeit des Schiffsjungen und die zänkische Kurzsichtigkeit des progressistischen Feldes. Auf dem realen Schiff der Irren stehen die Dinge jedoch ganz anders, wie es sich in diesen vergangenen Monaten in Italien und in der Welt besonders krass gezeigt hat. Ein Teil der Crew beschimpft den Schiffsjungen nicht, um ihn hingegen mit obszönen Worten zu ermutigen: «Du hast recht, wir müssen die Route ändern! Wir müssen das Schiff dem Schicksal entziehen, das von der globalistischen Elite auferlegt wird und die Crew – Kapitäne, Köche und Deckwischer – wieder zur authentischen Nation machen!». Während andere wiederum den sich beschwerenden Seeleuten einen drauflegen: «Eure Ideen über die Geschlechter und gegen die traditionelle Familie sind es, die uns schnurstracks auf den Eisberg zu bringen!». Es ist also in der realen Welt der Konflikte sehr viel schwieriger, sich in die Lage des (noch so tragischen) Helden zu versetzen. Die von Kaczynski getätigte Vereinfachung ist kein Versäumnis, sondern eine sehr genaue Wahl. Denn in seinen Texten ist der an die Rechte gewendete Vorwurf, dass sie nicht wirklich gegen den Techno-industriellen Fortschritt ist, sondern bloss gegen einige seiner Ausdrücke. Nun, Kaczynski ist aber kein Anarchist, was durch seine historischen Beispiele belegt wird, an denen sich eine anti-technologische Revolution orientieren sollte: die politischen Modelle der Jakobiner und der Bolschewisten. Kurzum, mal das Ziel festgelegt (Die Niederschlagung des technologischen Systems), wird der Weg zum Ziel durch ein einziges Kriterium bestimmt: Effizienz, unter totaler Missachtung der ethisch-praktischen Kohärenz des Verhältnisses zwischen Mittel und Zweck. Was nicht bloss den typischen Machiavellismus der autoritären Revolutionären vollständig reproduziert, sondern unbewusst eine der Grundlagen desselben Apparates der Technowissenschaften akzeptiert, nämlich die Wirksamkeit der Resultate als Wert an sich. Es ist sehr seltsam, dass dieser Gegensatz von den Verlegern seiner Texte wenig in Betracht gezogen wurde (ob von den Surrealisten, der Encyclopédie des Nuisances, den anarchistischen Primitivisten oder der Anarchisten tout court). Es stimmt wohl, dass das Zentrum der Analysen von Kaczynski jene Gesamtheit an Problemen betrifft, die kein Mensch, der nach einer radikalen Veränderung der Gesellschaft strebt, ignorieren kann. Aber das Problem des wie und mit wem diese Veränderung zu tätigen ist, ist sicher nicht weniger wichtig. Da heute viele Linke ihr Hirn wortwörtlich in den Lockdown-Modus geschaltet haben, akzeptieren wir darum eine Zusammenarbeit mit den Reaktionären? Und wer sind, heute, die Reaktionären?

Die radikale Kritik der Techno-Industrie präzisiert und aktualisiert die historische anarchistische Kritik des Staates, der Klassen, der Hierarchie. Aber sie ersetzt sie nicht.

Heute ist der Kontext überaus morastig. Wenn einerseits sogar Teile der libertären Bewegung aufs Terrain des Transhumanesimus hineinschliddern (es gibt sogar Techno-Dummköpfe, die ein regelrechtes Anarcho-transhumanesisches Manifest niedergeschrieben haben…), fehlen andererseits die – mehr oder weniger verkappt – Rot-Braunen nicht, die uns schöne Augen machen. Dieser Morast ist zutiefst historisch (als Produkt einer bestimmten Phase des Kapitalismus und eines so nie stattgefundenen Angriffs auf alle menschlichen Fähigkeiten: auf die Wahrnehmungen, die Gefühle, die Gedanken, die Körper, die Fähigkeit, sich zusammenzuschliessen…) und kann nicht einfach durch Anathema oder etwelche anti-(faschistischen, sexistischen, rassistischen, usw.) Listen erledigt werden. Umso weniger durch die pawlowsche Reflexe wie: wenn sich auch die Reaktionären mit gewissen Themen beschäftigen, dann reden wir von Anderem.

Die Mobilisierung gegen den „sanitären“ Passierschein ist, von diesem Blickwinkel aus, ein guter Indikator (sowohl der sich nähernden Eisberge als auch der Stimmungen, die in der Crew des Schiffes umlaufen).

Die Bestandteile des Konfliktes (die Verschlingungen zwischen biomedizinischer Experimentierung und Ausweitung der digitalen Kontrolle), sein „monströses“ Wesen, sowie die Tatsache, dass die Positionierungen von vielen linksextremen Ausdrücken das Spiel der verschiedenen Faschisten, Rot-Braunen und Reaktionären begünstigen: das alles war leicht voraussehbar. Nicht dank von wer weiss welcher Klarsichtigkeit der revolutionären Theorie, sondern auf Grund zweier Elemente, die man durch die Betrachtung der Dynamiken ausmachen kann anstatt sich in den Details zu verrennen. Das erste Element ist, dass, sobald es den „Autopiloten“ eingeschaltet” hat, das technokratische Kommando das zur “nicht auszuschliessenden Hypothese erklärt”, was es schon am verwirklichen ist, und somit seine Schachzüge voraussehbar macht. Das Zweite ist einfach die Umkehrung des Ersten: wenn man nicht das gesamte “Chronoprogramm” platzen lässt (zuerst die Einsperrung mit offenen Fabriken, dann die Ausgangssperre, dann die Ernennung eines Nato-Generals als Sonderkommissar für den Notstand…), dann akzeptiert man wegen einer absonderlichen abwärts-trendigen Kohärenz auch den Passierschein, der letzte – zunächst – Zug der Kommandosteuerung.

Hier einige Denkanstösse:

«Nicht wichtig, dass das EU-Parlament die Anwendung von GMO basierten Impfstoffen und Anti-Covid-Behandlungen erlaubt hat: nach Jahrzehntelangen Kämpfen zur Verhinderung der GMO in der Landwirtschaft und im Teller werden die nun, wegen der enormen Bedrohung des Coronavirus, wie selbstverständlich – und erst noch unter allgemeiner Begrüssung! – direkt in unsere Körper gespritzt, mit unvorhersehbaren Folgen. Nicht wichtig, dass all das eine Einschränkung unserer, sicher nicht grosszügigen, Freiheiten bedeutet; denn, jenseits des Geschwätzes über die zwingende Vorschrift oder nicht, sind wir sicher, dass es keinerlei Strafbarkeit geben wird (gar Geldbussen, oder Einschränkungen in den Bewegungen, etc.)?» (“L’impazienza”, n. 4, Oktober 2020).

«Die Botschaft ist eindeutig: wenn ihr es nicht bereitwillig aus einem „Geiste der Verantwortlichkeit” heraus akzeptiert, werden wir euch dazu zwingen, es zu akzeptieren. Vielleicht nicht mit einem direkten Zwang, sondern mit einer indirekten Erzwingung: der Gouverneur der Region Kampanien hat schon einen neuen sanitären Ausweis vorbereitet, der nur den Geimpften den Zugang zu gewissen Orten und Dienstleistungen erlauben wird. Kurz, das chinesische System des “sozialen Kredits” nähert sich» (Note urgenti contro la campagna militar-vaccinale / Dringende Anmerkungen gegen die militärische Impfkampagne, il rovescio, gennaio 2021).

«Die Geschehnisse von Capitol Hill werden die „anti-systemische“ Anziehungskraft des Trumpismus auch in weniger (oder überhaupt nicht) bürgerlichen Sektoren verstärken. […] Wie man auf die Massnahmen der Regierung zum Covid-19 antworten wird (bei der „militärischen Impfkampagne” beginnend) wird für die Richtung der Auseinandersetzung ziemlich bestimmend sein. Denken wir dran. Aber wirklich» (Sui fatti di Capitol Hill, ilrovescio, Januar 2021).

«Nichts weniger als ein Spross der Kennedy hat [in Berlin] vor einer Menge eine Rede gegen die “sanitäre Diktatur” gehalten und letztlich dazu aufgefordert, die Verfechter der Freiheit in Washington tatkräftig zu unterstützen. Was selbstverständlich die Gründe und vor allem die Heterogenität der Zusammensetzung des sozialen Protestes nicht einfach verdrängen kann, der sich nach einer mRna Impfkampagne neu beleben sollte, die immer mehr die Eigenschaften einer biopolitischen Experimentierung auf Massenskala anzunehmen scheint» (aus einer Anmerkung des Dopo Trump – Nach Trump von Raffaele Sciortino, Januar 2021).

«Setzen wir voraus, dass eine Krankenschwester und ein Lehrer, die in jener Gewerkschaft [USB] sind, entscheiden, den Impfstoff mRNA zu verweigern und deshalb mit Sanktionen oder der Entlassung bedroht werden: wie würden die wohl von denen verteidigt, die sie als Dummköpfe betrachten, die nur „mit ein bisschen Erschrecken“ endlich verstehen würden”? Wenn jene oder jener kein vorbildliches “politisches Bewusstsein” hat, sondern der Wissenschaft des Staates vertraut, wird sie oder er sich etwelcher Gruppe zuwenden, die sich gegen die „sanitäre Diktatur“ erklärt. Und dann wundert man sich über die Erfolge des Trumpismus auch im proletarischen Felde…» (La posta in gioco, ilrovescio, febbraio 2021).

«Die Impfpflicht [für das sanitäre Personal] zurückzuweisen, ist für alle wichtig: falls nicht, wird man ohne Impfpass bald nicht einmal mehr ins Restaurant gehen können…» (Fermiamo la Vaccelerazione, Collettivo salute e libertà, April 2021).

Bevor wir uns mit den “Protesten no green pass” als Prisma dieser historischen Phase beschäftigen, kehren wir ein wenig zurück und versuchen, einige Fäden wieder anzuknüpfen.

In den vergangenen Jahren widmeten wir einige Analysen dem, was wir reaktionäre Mobilisierung nannten. Wir bezogen uns dabei nicht auf eine angebliche Gefahr einer Rückkehr zu faschistischen Regierungsmodalitäten – die demokratische Hülle bleibt für die Diktatur der Kapitalisten, der Technokraten und der Militärs die tauglichste Form –, sondern auf die Gefühle, die in der Gesellschaft umgehen und auf die Ausdrücke, welche die Proteste annehmen. Nun, diese Gefühle und Ausdrücke unterscheiden sich nicht scharf von den allgemeinen reformistischen und legalitären Illusionen, sondern haben einige Besonderheiten, die bestimmte historisch faschistische „Mythen“ aktualisieren und gleichzeitig die laufenden Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Lagern des Kapitals und der Macht widerspiegeln. Wir denken an das Mussolinianische Konzept von “Produzent”, das jenem von „Spekulant“ entgegengesetzt wurde. Der “Produzent” in faschistischem Sinne – die nationalisierte Version des Diskurses von Proudhon und Sorel – beinhaltet sowohl den Lohnempfänger als auch den Kapitalisten als komplementäre und zum nationalen Reichtum notwendige Figuren. Das “nationale Gewerkschaftswesen” ist dann jene Form der Verhandlung, womit die Synthese zwischen den Interessen der Arbeitenden und jenen der Industriekapitäne hergestellt wird. Die finanzielle Spekulation ist, im Gegenteil, die heimatlose Unternehmung, deren Profite die Nation ausrauben anstatt zu bereichern. Es handelt sich eben um “Mythen”, denn in der realen Welt des Profits gibt es keinerlei Trennung zwischen industriellem und finanziellem Kapitalismus. Von diesen “Mythen” existiert auch eine linke Version, die nicht nur jene von Togliatti ist, sondern auch die von Gramsci: die arbeitende Klasse als historisches Subjekt, das die Interessen der Nation vollständig realisieren kann, gegen eine Bourgeoisie, die für die eigenen Profitbedürfnisse die Entwicklung der nationalen Produktion und Industrie bremst. Die Tatsache, dass der aktuelle “Souveränismus” ein zweigesichtiger Janus ist – mit einem rechten und einem linken Gesicht – darf nicht überraschen. Die Illusion, die nationalen Interessen – und in demselben Rahmen erneut eine grössere Verhandlungskraft gegenüber der eigenen Herrschaft zu haben – der “Diktatur” des „weltweiten“ Finanzkapitalismus gegenüberzustellen, dessen Grausamkeit direkt proportional zu der Intelligenz der von ihm einverleibten Maschinen ist, ist nicht aus der Luft gegriffen: sondern der Reflex der proletarischen Schwierigkeiten auf internationaler Ebene zu kämpfen, und der Proletarier, sich als menschlich zu begreifen und als solche zu kämpfen.

Der gekreuzte historische Prozess der Digitalisierung der Gesellschaft und des Engineering der Körper greift die Fähigkeiten der menschlichen Art insofern an, als dass er mit der eigenen eisernen klassistischen Ferse zuschlägt. Es sind arme und farbige Körper, die sich in Coltanminen, in den MGO-Feldern oder in den Hallen der Logistik auslaugen müssen, damit das totale Kapital die gesamte Menschheit entfremden kann. Durch ihre Rolle in der Gesellschaft – und sicher nicht durch ihre angeblich wesentlichen Tugenden – können die Ausgebeuteten sich selbst nur befreien, wenn sie die Menschheit befreien – und umgekehrt.

An diesem Punkt befassen wir uns kurz mit dem Protest gegen den “green pass”.

Wieso hat sich in einer interklassistischen Mobilisierung auf der Suche nach “Gegenmächten”, die eine illusorischer als die andere ist (die Verfassung, die Richterschaft, die guten Polizisten, Nürnberg…) einen regelrechten „Mythos“ der Hafenarbeiter ausgebildet? Sicher nicht wegen der Ideologie dieses oder jenes Hafenarbeiters, sondern weil die Hafenarbeiter der Wirtschaft und folglich der Regierung echt weh tun können; weil sie es von ihrem Arbeitsplatz ausgehend können; weil ihre Aktion ohne „gewalttätig“ zu sein wirksam sein kann (das Tabu der “Gewalttätigkeit” begleitet seit Jahrzehnten jeden Massenprotest, wenigstens hier in Italien). Aber um die „souveränistischen“ Illusionen zu zerstreuen, genügt der Einsatz an sich eines Klassensektors und eines Elementes der Stärke nicht. Und die manichäische Trennung zwischen hier die Arbeitenden und dort die reaktionären und faschistischen Kräfte ist nur lächerlich; nicht nur weil, ganz banal, auch Faschisten Lohnempfänger sein und auch Ausgebeutete reaktionäre Ideen haben können, sondern auch weil sowohl die seit langem bestehende reaktionäre Mobilisierung als auch die demokratische Ideologie gerade auf das Verhältnis zwischen Individuen, Klassen und Menschheit einwirken. Ohne eine Ausweitung des Konfliktes – und hier ziehen wir einen Schleier des Mitleides über jene Sektoren des Basissyndikalismus, die absichtlich entschieden haben auf dem eigenen Terrain den sozialen Kampf gegen den Passierschein nicht aufzunehmen, um hingegen den gewerkschaftlichen Kampf um die von den Unternehmen zu bezahlenden Gratistampons aufzunehmen –, ist der Arbeitende (auch wenn er sich aus einem lobenswerten und richtigen Sinn für Solidarität bewegt) von den Blutsaugern umgeben: sowohl jene, die aus ihm ein Verteidiger der Verfassung machen als auch jene, die aus ihm einen “Helden der Nation” gegen die “globalistischen Eliten” machen (im Gegenteil, gerade mitten in den Ersteren können die Zweiten sich geschickt verstecken). Die Blutsaugerei macht sich mit dem Angebot materieller Unterstützung breit, z.B. mit jener Rückendeckung für die Streiks, die weder die Basisgewerkschaften noch der Staat gewähren wollten. Wie bei der FISI (Federazione Italiana dei Sindacati Intercategoriali), die aus der Konvergenz zwischen bekennenden Faschisten und einigen Elementen des „Links-Souveränismus” entstanden ist. Fügen wir noch die systematische Arbeit der Medien zur „Eingrenzung“ des Protest gegen den Passierschein hinzu, indem sie andauernd die Trommel der Gleichungen no green pass = no vax = complottisti (Verschwörungstheoretiker) = estrema destra (extreme Rechte)1 rührt, gewürzt mit einer mehr als grotesken und lügnerischen „alerta antifascista” (zur Verteidigung, einmal mehr, der Verfassung, was konkret die Verteidigung der nationalen Einheit heisst) und der Nebel wird noch dichter.

Obwohl sowohl in Italien als auch auf internationaler Ebene regelrechte verschwörungstheoretische think tank überhaupt nicht fehlen (und ihr Einfluss kann in den Diskursen auf der Strasse leicht erkannt werden), ist die sog. „Verschwörungstheorie“ (complottismo) – ein Wort, das nunmehr eine regelrechte Begriffsgranate im psychologischen Krieg der politisch-militärischen-medialen Maschine gegen jegliche Widerstandsform darstellt – auch der Ausdruck eines sozialen Bedürfnisses: für historische Geschehnisse vereinfachte Erklärungen zu finden. Das Motiv ist kein Mysterium. Die Schlussfolgerung, dass einzig ein revolutionärer Bruch den Planeten und damit auch unsere gemeinsame Menschheit retten kann, ist nicht nur überhaupt unmodisch, sondern in der Einsamkeit der persönlichen alltäglichen Kämpfe gegen das totale Kapital sehr schwer zu deklinieren. Es ist sicher beruhigender, den rasanten Verlust aller eigenen Macht über das eigene Leben und die eigenen Körper einem Gates oder den Transhumanisten von Google zuzuschreiben, als den strukturellen Dynamiken eines ganzen sozialen Systems. Das gilt aber nicht nur für die Strassenproteste “no green pass”. Das gilt auch für die Arbeitenden, die die eigene Entlassung der besonderen spekulativen Gier des Multis zuschreiben, der einen voll produzierenden Betrieb schliesst, und die dann die Regierung auffordern, gegen einen solchen „Skandal“ einzugreifen.

Je mehr man sich vom ökonomizistisch-gewerkschaftlichen Konflikt entfernt und auf Terrains der Auseinandersetzung zu geht, für die eine ethisch-soziale Bewertung der Welt, in der wir leben, notwendig wird, umso untauglicher werden die Schemas. Den transhumanistischen Projekten (die sehr wohl bestimmten Kapitalfraktionen entsprechen, jedoch den Weg für die gesamte kapitalistische Herrschaft vorzeichnen2) kann keine formell mehr oder weniger radikale gewerkschaftliche Verhandlung entgegengesetzt werden, sondern eine Vorstellung des Menschlichen, der Natur und der Geschichte. Und genau dort zeigt der linke Progressismus die Elemente auf, die er mit dem, was die Technoindustrie zu verfolgen behauptet, gemeinsam hat (ein Google-Chef kann die Gender-Diskriminierung seelenruhig verabscheuen, da für ihn alle Menschenwesen gleich sind: Maschinen). Aber auch dort ist es, wo die revolutionäre Kritik der Technowissenschaften wenn auch ungern ein “Nein” mit der extremen Rechten und mit dem katholischen Integralismus teilt (zur Genmanipulierung, zum Beispiel). Und wieder dort kreuzen sich die Proteste gegen den Klimawandel mit den Bedürfnissen eines gewissen Kapitalismus, in neue Technologien zu investieren (die Technokraten machen überhaupt kein „Blabla“ sondern verwandeln durch die Eroberung neuer Profit- und Herrschaftsbereiche jeden Notstand in eine Flucht nach vorne). Wie wenn ein atlantistischer Premier es sich sogar erlauben kann, den Klimaaktivisten zu danken („weil sie die Route aufzeigen”), was sowohl den Braunen als auch den „Roten“, für die Putin die Alternative ist, erlaubt, dieselben Aktivisten als Schachfiguren der globalistischen Elite darzustellen…

Nun, gewisse angebliche “Konvergenzen” sind keine historische Neuigkeiten in absolutem Sinne. Und auch nicht ihre Ausnützung durch die verschiedenen sich im Krieg befindenden kapitalistischen Fraktionen. Im ungarischen Aufstand von 1956 mussten sich die Anarchisten und die revolutionären Marxisten, die sie als proletarisch, anti-bürokratisch und antikapitalistisch verteidigten, dem Kreuzfeuer und den Fallen aller Ideologien stellen. Die Stalinisten stellten die Rebellen damals als Faschisten dar, die Atlantikpakt-Treuen als Demokraten und die Faschisten als Nationalisten und Antikommunisten. Nicht um zu sagen, dass es in Budapest wie auch in anderen Städte Ungarns keine Berufungen auf die Demokratie oder nationale Fahnen gab (und auch “Weisse”, die Monarchisten, usw. waren dabei), aber das Element, das den Herrschenden sowohl im Westen als auch im Osten dermassen Angst machte, war ein ganz anderes: eine Revolte von bewaffneten und zur Selbstbestimmung entschlossenen Arbeitenden.

Heute, angesichts des grausamen Angriffs auf die Bedingungen der Lohnempfänger und auf die Fähigkeiten der Menschen als solche, werden die Kreuzfeuer und Fallen noch hinterhältiger. Somit, während bei den Menschlichen eine mildere Version der Behandlung als seit langem bei den Tieren in den industriellen Betrieben angewendet wird (wenn den Zweiten – wie jemand klarsichtig angefügt hat – mit der Impfung direkt Mikrochips eingepflanzt werden um sie via Scanner verfolgen zu können, zwingt man erstere andauernd einen QR Code vorzuweisen um durch eine App des Smartphones zu verifizieren, ob sie geimpft sind), prangern tausende „von zuhause Weggelaufene” an, dass das Ziel die Bevölkerungskontrolle ist, und werden von gewissen linken Intellektuellen und Militanten ausgelacht, für die der Techno-sanitäre Passierschein nicht anderes als eine Art Fahrausweis wäre…

Was sagt uns die Tatsache, dass die Proteste gegen den “green pass” die in den letzten Jahrzehnten wohl am stärksten kriminalisierten, mystifizierten, verzerrten und lächerlich gemachten Proteste sind? Es ist die Angst, das sich im Dreck einiger ihrer unmittelbaren Formen eine verbreiteter Widerstand gegen die Maschinen-Welt entwickeln könnte (in der die digitalen Befehle nicht diskutiert werden: sie werden ausgeführt). Dass ein solcher Widerstand durch demokratische, reaktionäre oder gleichheitliche Mythen, oder durch den Mythos Verfassung, des Erzengels Michel oder Ned Ludd genährt wird, ist für die Technokraten sekundär (denn wann haben, die, je Prinzipien gehabt). Das Verbrechen eines solchen Widerstandes ist einfach, dass es ihn gibt.

Der Notstand verstärkt das kybernetische Paradigma in jedem Bereich. Die Kybernetik – die, ihrer Etymologie nach, die Kunst der Steuerung ist – entsteht historisch durch die Verschmelzung verschiedener Sektoren: der militärische Komplex, die wissenschaftliche Organisation der Produktion und die Verhaltenspsychologie, die sich dezidiert zur regelrechten sozialen Physik entwickelt. Es geht um die „kapitale Utopie“ der Gewinnung von immer „exakteren“ Daten aus den menschlichen Verhaltensweisen, mit dem Zweck, das gesamte soziale System wissenschaftlich und rationell zu organisieren. In anderen Worten, aus der Gesellschaft ein permanentes Labor zu machen, dessen Verwaltung den Experten anvertraut wird. Die erklärte Absicht ist, der „Politik“ ein Ende zu bereiten – deren Meinungsverschiedenheiten durch die Vielfalt der Meinungen und der Werteurteile aber auch durch die allzu zufällige Verteilung der Kommando- und Exekutivrollen entsteht. Solch einem menschlichen, allzu menschlichen Chaos setzt die kybernetische Maschine „objektive“ – bzw. indiskutable – Organisationskriterien gegenüber. Um eine solche „Utopie“ – ein unbehindert funktionierendes Labor – zu verwirklichen, müssen zwei kulturelle Barrieren überwunden werden: der „Mythos“ der Individualität und jener der Natur. Mit den entsprechenden Folgen: in die ihr Leben charakterisierende Reaktionsbündel zerlegt, können die Menschlichen durch ein präzises System von Anreizen und Beschränkungen erzogen und organisiert werden; es ist nicht möglich, wissenschaftlichen Experimenten zum vorneherein ethische und soziale (bzw. „subjektive“) Beschränkungen zuzuweisen. Man macht mal, und sieht dann, was geschieht. Die Erfindung des DNA hat diesem Programm der Zerlegung der Einmaligkeit der Individuen eine Art von molekularer Genauigkeit geliefert: das Genom mit seinen Gesetzen. Um jegliche Idee von „Natur“ (jenes “Gewebe der Notwendigkeiten”, in das die Menschlichen wohl eingreifen, es aber weder abschaffen noch fabrizieren können) zu demontieren, bedient sich die Kybernetik hingegen der Beiträge der poststrukturalistischen Philosophie. Der Entwicklung der digitalen Technologien und der Gentechnik – mit der unauffälligen Präsenz der Militärs – gelang dann, die gesamte Wirklichkeit auf einen Informationsfluss zu reduzieren. Und für die, die dem Prinzipien entgegensetzen (religiöse, humanistische oder revolutionäre), sind die Anathema schon bereit: “Essentialist“ und reaktionär. Für wen keine Prinzipien hat, hingegen, gibt es keine Grenzen, sondern bloss eine Kosten-Nutzen Rechnung.

Wie Simone Weil klarsichtig erfasst hatte, wenn wir von den „Pflichten gegenüber dem Menschenwesen“ – jene Prinzipien, die für sie übernatürlich und für uns völlig irdisch sind – in die Verhandlung über Rechte auf der Grundlage des technisch Machbaren gleiten, sind wir unbewusst schon ins Labor eingetreten.

Das kybernetische Paradigma schreitet immer im Namen eines übergeordneten Wohles voran. Andererseits, worauf vor einigen Jahren der afroamerikanische Schriftsteller Ta-Nehisi hinwies, «gab es nie ein goldenes Zeitalter, in dem die Bösewichte ihrem Gewerbe nachgingen indem sie es als solches in alle Welt hinausposaunten». Darum muss man, wenn die Herrschenden die Frage stellen, ob das individuelle Recht auf Freiheit oder das kollektive auf Gesundheit vorherrschen solle, resolut jede Antwort verweigern. Unser Klassismus ficht nicht einfach jene oder die andere Massnahme der Regierung an, sondern die Tatsache selbst, dass der Staat sich als Garant des „Gemeinwohls“ präsentiert; unser Humanismus gründet auf einer anderen Vorstellung sowohl von Freiheit als auch von Gesundheit.

Da der Kapitalismus – ausser er möchte sich selbst abschaffen – die strukturellen Ursachen der Epidemien (Entwaldung, immer masslosere urbane Ballungen, intensive Zucht, verdorbene Nahrung, konstante chemische Aggression gegen das Immunsystem usw..) nicht beseitigen kann, stopft er bloss deren Effekte und auferlegt, selbstverständlich, Massnahmen mit klaren Klassen- – und geschlechtsbezogenen – Leitlinien, und verlangt in der Zwischenzeit von der Technowissenschaft etwelche Mittel zuzubereiten, damit es weiter so gehen kann. Die von der Technowissenschaft zur Verfügung gestellten Mittel spiegeln nicht bloss die im kapitalistischen System unüberwindbaren Interessen und Konkurrenzmechanismen wider, sondern beinhalten auch immer eine gewisse Anschauung des Menschlichen, der Körper und der Natur. (Wie wir oben gesehen haben, ist diese Anschauung seit langem im kybernetischem Paradigma enthalten, gemäss dem alles – vom unendlich Grossen bis zum unendlich Kleinen – als Informationsfluss betrachtet wird3). Aber zwischen dem Ziel, das System aufrecht zu erhalten, und den zur Verwirklichung dieses Zieles eingesetzten Mitteln, geschieht auch anderes. Die Technowissenschaft beschränkt sich nicht darauf, die eigenen Innovationen zur Verfügung zu stellen um etwelche „Krise“ zu lösen, sondern macht aus der „Krise“ eine unverzichtbare Möglichkeit, jene Innovationen „durchzudrücken“, die sie in normaleren Flughöhen nicht hätte durchsetzen können. Gerade weil die „Utopie Kapital“ soweit geht, die lebende Materie an sich (Körper miteinbezogen) zu fabrizieren, braucht es einen neuen Humanismus um jenem Sturm widerstehen zu können, der in den Ausnahmezuständen noch grausamer tobt.

Die Monate, die wir erleben, sind wirklich «eine Chronik, die nach Geschichte riecht» (Stefania Consigliere). Die kybernetische Logik des problem solving ist nicht nur der Punkt, auf den der Technokapitalismus konvergiert, sondern auch der “Flugschreiber der Daten”, der den Herrschenden jegliche klassizistische und anti-humane Massnahme im Namen der „Objektivität“ und der „harten Notwendigkeit” rechtfertigt. Da sie ein Instrument in den Händen haben, das jeglichen Dissens annullieren kann (das sind keine Meinungen, es sind Zahlen!), wieso auch sollten Kapitalisten und Technokraten darauf verzichten, ausser sie werden durch den sozialen Konflikt dazu gezwungen? Sind wir nicht etwa schon im „Klimanotstand”? Diese Antikapitalisten wollen doch nicht etwa mit den „Negationisten“ der globalen Klimaerwärmung verwechselt werden! In diesem falschen Spiel der Parteien ist keinerlei Raum für jene, die, wie der Poet sagt, feststellen: «ich weigere mich, in einem Schweinestall aufzuräumen».

Die “black box der Daten” – die wir nicht abstreiten können, weil wir nicht kontrollieren können – ist heute am Ruder des Schiffes. Über was können wir arme Schiffsjungen denn sicher sein, wenn nicht der Erfahrung, die wir zusammen im Kampf für eine Routenänderung machen?

Die gute Neuigkeit ist, dass die Ideen – nach Jahrzehnten, in denen man mehr oder weniger billig über alles irgend einer Meinung sein konnte – nun dazu gezwungen werden, sich in alltäglichen Gesten zu äussern, in gut erkennbaren minima moralia (die Ausgangssperre nicht einhalten, nicht auf Umarmungen verzichten, den Passierschein nicht runter zuladen…) Form anzunehmen.

Wenn, wie Ingeborg Bachmann in einem ihrer wunderbaren Gedichte schrieb, «das Unerhörte alltäglich geworden ist / und der Schatten des ewigen Aufrüstens den Himmel bedeckt», ist weder ausweichen noch nachgeben mehr möglich. Man muss sich entscheiden.


* Ein Genosse hat uns darauf hingewiesen, dass im Text Anti-tech revolution Kaczynski in Bezug auf Die Industriegesellschaft und ihre Zukunft eigentlich «mein eigenes…» sagt (unsere Präzisierung, 17. November 2021).

1) Unter den zahllosen möglichen Beispielen wählen wir ein lokales. Am vergangenen 10. Oktober in Trento wie in vielen anderen Städten gab es eine Solidaritätskundgebung vor dem Sitz der Cgil als Antwort auf die Geschehnisse in Rom. Damals trat eine Gruppe AnarchistInnen mit einem klaren Spruchband auf: «No fascismo / No green pass / Landini servo (Landini Diener». Die Medien haben in ihrer Berichterstattung darüber nicht die sonst bei solchen Protesten üblichen Kategorien gebraucht: wenn nicht gerade “anarchici” so doch “antagonisti” (vielleicht noch dazu “aufrührerische”, “gewalttätige” und sogar “terroristische”, aber jedenfalls von der Seite). In der “neuen Normalität”, hingegen darf man ja nicht wissen lassen, dass es jene Seite ist, die sich gegen die Faschisten, gegen Landini und gegen den Passierschein stellt. Wer war es dann? Schnell gesagt: «ein Grüppchen no vax, no mask, no green pass». Da man nicht “fascisti” sagen kann, muss man jedenfalls auf zweideutige und unklare Leute hinweisen, nicht wie die Anarchisten!

2) Um nicht als Erste die totalitären Versprechen der Technoindustrie beim Wort zu nehmen, darf man niemals vergessen, dass dieser „Weg“ sowohl mit den ökologischen (der digitale Apparat gründet auf einem immer krasseren Rohstoffabbau und benötigt immer mehr Elektrizität) als auch mit den sozial-kapitalistischen Richtlinien kollidiert. Der Mangel an Mikrochips und die Unterbrechung der globalen logistischen just in time Ketten – sowie der nicht erklärte Streik von Millionen Proletarier, die sich in den USA weigern unter gewissen Bedingungen zu arbeiten – beweisen, dass die Mechanisierung der Welt und der Menschlichen ein ganz und gar nicht linearer und hindernisfreier Prozess ist.

3) Seit einiger Zeit leben wir in der Epoche der Ängste, in jenem Gewebe aus Furcht und Faszination, der die dystopischen Serien oder Filme dermassen attraktiv macht (und wenn wir die anschauen, sind wir, klar doch, auf der Seite der Rebellen). Wie schon bemerkt wurde (https://www.piecesetmaindoeuvre.com/spip.php?page=resume&id_article=1576), ist die Furcht, dass mit den GMO-Impfstoffen auch Mikrochips in die Körper eingeführt werden, zweifellos paranoid, aber wer kann ausschliessen, dass es sich um eine zeitlich vorgreifende Paranoia handelt? In Schweden haben sich zehntausend Menschen freiwillig Mikrochips unter die Haut implantieren lassen. Und was den „kulturellen Kontext“ angeht, so könnte man wetten, dass nicht wenige es schon heute praktischer fänden in eine Bar zu gehen und den Arm vorzuhalten anstatt das eigene Handy mit dem entsprechenden QR Code rausholen zu müssen.

Ist es wirklich „rationaler“, die Massen-Experimente mit Gentechnologien als völlig harmlos zu betrachten, oder deren Ziele paranoid zu übertreiben? Welche sind dann, in der berühmten Kosten-Nutzen Rechnung, die in Betracht gezogenen Folgen? Würde nicht etwa eine Forschung den Namen „Wissenschaft“ verdienen, die sich mit den gesamten sozialen Auswirkungen befassen würde? Unter denen man schon die Tatsache aufzählen kann, dass die GMO – wenn auch stillschweigend – sofort auch in der Landwirtschaft verbreitet wurden; dass die ersten Transplantationen von genetisch veränderten Tieren auf den Menschen zur Verhinderung der Abstossung stattgefunden haben; usw. Aber vor allem die kybernetische Vorstellung des Lebenden schreitet voran, wie es die Beschleunigung sowohl in den digitalen Therapien als auch in der Telemedizin beweist.

Schlussendlich noch zwei Worte über Wissenschaft und Demokratie. Das ideale Land für die Wissenschaftler ist überhaupt nicht „das demokratischere”, sondern jenes, das ihnen eine weitgehende “Experimentierungsfreiheit” gewährt. Die amerikanischen oder europäischen Genetiker oder Mikrobiologen beneiden ihre chinesischen Kollegen, weil diese schon lange die menschlichen Embryonen klonieren dürfen oder weil sie in ihrer Forschung über den „Steigerung der Funktion“ der Viren (wie jene im Labor von Wuhan) nicht einmal die Unannehmlichkeit irgendeiner bürokratischen „bioethischen“ Kommission vermeiden müssen. Wie die Geschichte grosszügig aufzeigt, hat das Labor eine autarke Moral. Die angeblichen humanistischen Werte bleiben in den Umkleidekabinen, mitsamt der Zivilkleidung.

Von diesem Artikel gibt es eine englische Übersetzung, die ihr hier findet:

https://dipelle.kelebeklerblog.com/?p=86

Betroffen allesamt

Eines frühen Morgens, es fällt ein feiner Nieselregen, setzt ein 40-Tonner sich in Bewegung. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen dieser tausend Lkws, der den Transport von Waren sicherstellt, seine Mission ist weniger bedeutungslos. Mit eingeschaltetem Licht bewegt sich der Laster in die Vororte der bayerischen Hauptstadt München. Im Schlepptau die düstere Silhouette eines Krans, der bereit zu sein scheint, seine mechanischen Krallen in irgendeine Beute zu schlagen. Es handelt sich um einen ganzen Konvoi: der Lkw wird nämlich von Polizeifahrzeugen begleitet, jedoch ohne Blaulicht. Am Ziel angekommen springen die Polizisten aus ihren Fahrzeugen, rammen eine Tür ein und dringen in die Räumlichkeiten ein. Die Operation zielt nicht darauf ab, irgendetwas zu entdecken, sie sind da um etwas zu holen. Jedoch greifen sie sich keine Verdächtigen, wie man zuerst denken könnte. Auch keine hermetischen Kanister, die ein Vorbote von gut versteckten Sprengstoffen oder Waffen sind, deren Abwesenheit sicherlich nicht der Beweis für eine kaum zu empfehlende Unschuld in dieser tödlichen Welt ist. Ja nicht einmal der kleinste Benzinkanister liegt irgendwo herum. Doch das hat auch alles seine Richtigkeit, denn das war eh nicht das, worauf es die Polizisten abgesehen haben. Sie kamen um eine ganz andere Waffe zu stehlen, eine, die den Geist schärft und das Denken festigt. In München, an diesem 22. April 2022 [eigentlich war es der 26. April, Anm. d. Übs.], kamen die Bullen… um sich eine Druckerei einzuverleiben, die anarchistischen Schriften gewidmet war.

So berichteten später Gefährten von dort, dass die Polizisten die gesamte Druckerei raubten: „Vom Risograph (eine Druckmaschine) samt zugehörigen Trommeln bis zur Schneidemaschine, von der Sortier- bis zur Klebemaschine, ja sogar eine historische Letterpress und mehrere Bleisätze dafür wanderten allesamt in die Asservatenkammern der Bullen.“ Zehntausende Blatt unbedrucktes Papier, literweise Tinte und andere Verbrauchsmaterialien beim Drucken wurden außerdem mitgenommen, ebenso tausende Bücher, Broschüren und Zeitungen. Eine beachtliche Beute, die die Anwesenheit des Lkws und des Krans in diesem ekelhaften morgendlichen Konvoi erklärt.

Anderswo in der Stadt treten andere vom Staatsschutz (das K43, Kommissariat für „politisch motivierte Kriminalität“) koordinierte Mannschaften der Polizei die Türen von vier Wohnungen ein, durchsuchen mehrere Keller sowie die anarchistische Bibliothek Frevel. Der juristische Vorwand für diese ganze Operation ist nicht besonders originell: es handelt sich um den berüchtigten § 129, der Paragraph im deutschen Strafrecht, der auf die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ abzielt. Schon immer wurden die Anarchisten, per Definition Gesetzlose – zumindest in ihren Ideen (denn ihre Ränge wurden von der Krankheit des Legalismus und der lähmenden oder kalkulierten Angst vor jeder Überschreitung des Gesetzes nicht verschont) –, von den Staaten verfolgt, indem sie sich solcher Strafrechtsparagraphen bedienten. Bis heute sieht man die Staaten diese legalen Instrumente zücken, um anarchistische Zusammenrottungen zu unterdrücken, die organisationelle Informalität und affinitären Konstellationen anzugreifen, die aus den viel zu steifen Schemata einer ORGANISATION ausbrechen, die immer prekäre Lücke der öffentlichen Initiativen, Treffpunkte und Orte der Verbreitung anarchistischer Ideen einzuschränken, diejenigen, die anarchistische Schriften verfassen und verbreiten, zu entmutigen, wie etwa die anarchistische Wochenzeitung  Zündlumpen, die sich im Fadenkreuz der bayerischen Polizei befindet und die einen der Kleiderständer auszumachen scheint, an dem die Polizisten beabsichtigen andere Elemente ihrer Ermittlungen aufzuhängen.

Gegenteilig zu einer gewissen Rhetorik, die unglücklicherweise unter Gefährtinnen und Gefährten immer noch beliebt ist, die eher Ausdruck einer selbsttröstenden Therapie zu sein scheint, denken wir nicht, dass der Staat unsere Räume, unsere Publikationen und unsere Druckinfrastruktur angreift, weil er Angst vor dem hätte, was die Anarchisten zu sagen haben, oder dass er sich von der Verbreitung unserer Bücher und Zeitungen bedroht fühlen würde. Es ist für ihn nur etwas, das für ihn total einfach geworden ist. Die heutige anarchistische und antiautoritäre „Bewegung“ ist weder in der Lage tausende Personen auf die Straße zu mobilisieren, wenn eine ihrer Druckereien beschlagnahmt wurde (auch wenn es Momente in der Geschichte gab, in der sie das war),  noch ein Gewicht darzustellen, wenn ihre öffentlichen Initiativen von einer polizeilichen Übermacht erstickt werden. Das hat nicht nur mit einer – beachtlichen – quantitativen Verringerung der anarchistischen Reihen zu tun, sondern auch mit der tiefgreifenden Transformation der sozialen Beziehungen in den letzten Jahrzehnten. Die technologische Umstrukturierung der kapitalistischen Ausbeutung, die Einverleibung fast aller Lebensbereiche in die staatliche Verwaltung und die kapitalistische Sphäre, die Auslöschung jeglicher Gemeinschaftlichkeit, die nicht von der technologischen Hydra produziert wird (auch wenn es wahr ist, dass diese zahlreich sind), ganz zu schweigen vom fürchterlichen Angriff auf die Sprache, ihre furchtbare Verarmung und ihr Austausch mit transportierten Bildern auf allgegenwärtigen Bildschirmen, oder dem Abgrund der Oberflächlichkeit und der Verdummung, in den sich ein Großteil der Menschheit gerade stürzt (oder hineingestoßen wird, letzten Endes ist es egal): all das ist nicht ohne Konsequenzen für das anarchistische Handeln und die Verbreitung anarchistischer Ideen. Demselben ausgesetzt bleiben auch die Anarchisten nicht unbeschadet: auch sie sind von der Lawine der neuen Technologien betroffen, ja werden gar von ihr absorbiert, von der augenblicklichen vermittelten Kommunikation, von der Schwierigkeit, weiter als bis zum nächsten Tag zu denken, oder auch der Schwierigkeit, zwischen dem zu unterscheiden, von dem es wichtig wäre, es heute zu veröffentlichen und zu verbreiten, und dem, was nur ein tristes Zeugnis der existenziellen Leere ist, die sich ihrer ebenso wie ihrer Zeitgenossen bemächtigt.

Kurz, der Umstand, dass der Staat regelmäßig und mit einer immer sorgloseren Nonchalance die wenigen anarchistischen Räume, die noch sichtbar bleiben, angreift, ist kein Zeugnis unserer Stärke, sondern unserer Schwäche. Ehrlich, alles andere scheint nur leeres Gewäsch zu sein, das die notwendige Reflexion verhindert, ein rhetorisches Sich-Überbieten, um sich nicht mit der Frage zu konfrontieren, die mit jeder beschlagnahmten Zeitung, mit jeder Verfolgung von Anarchisten mit dem kläglichen Vorwand der unlauteren (wahlweise „kriminellen“; „terroristischen“, „subversiven“, „illegalen“, …) Organisation unumgänglich wird: wie weiter handeln in dieser Ära der technologischen Finsternis, wo das Bewusstsein erlischt und unsere geistigen Wälder gerodet werden? Mit welcher Methodologie, welchen Organisationsformen, welchen Initiativen, um [nicht] dieselben Fehler zu machen? Wenn man nur die stolze Versicherung teilen kann, dass wir uns bis zum Schluss weigern werden, unsere Ideen anzupassen, dass wir uns gegen die Verflachung zur Wehr setzen werden, auch wenn wir damit zu den letzten Mohikanern werden, die die Vorstellung einer vollständigen Freiheit verteidigen, glauben wir, dass wir die Konditionen, in denen wir handeln, verstehen müssen anstatt sie zu ignorieren.

Eine so grob totalitäre Operation wie die Beschlagnahme von Druckmaschinen (erinnern wir uns daran, dass zu Zeiten der systematischen Zensur, die auf anarchistische Publikationen angewandt wurde, der Staat sich zumeist darauf beschränkte, die als zu heftig oder den Rahmen der „freien Meinungsäußerung“ überschreitend, sodass sie zum „Aufruf zu Straftaten“ werden, eingestuften Passagen zu schwärzen, in den extremeren Fällen das Gedruckte – nicht aber die Druckwerkzeuge – zu beschlagnahmen) etwas ist, das alle Anarchisten betrifft, egal, welchen Aktivitäten sie sich verschreiben oder welche Wege sie zu beschreiten gewählt haben. Nicht weil sie den Beweis liefert, dass das anarchistische Wort immer eine Gefahr für die Stabilität des Staates darstellt, noch dass sie den alten Glauben wiederbelebt, der das Nahen der Revolution als Resultat des Aufwachens des eingeschlafenen Bewusstseins dank der unermüdlichen Aktivitäten der anarchistischen Propagandisten, die selbst nie schlafen, betrachtet. Nein, sie betrifft uns alle, weil sie ein Hinweis auf den Zustand der Welt ist, den Zustand der sozialen Beziehungen und der nahen Zukunft, in der wir gezwungen sein werden zu handeln – oder aufzugeben. Ohne in den Chor der legalistischen Empörung einstimmen zu wollen, kann man dennoch sagen, dass die Beschlagnahme von Druckereien, die Schließung öffentlicher Treffpunkte, die Auflösung relativ offener Gruppierungen uns in eine andere Dimension der Repression versetzen, die letztlich absolut „normal“ oder „logisch“ ist, die darauf abzielt, diejenigen außer Gefecht zu setzen, die herrschaftliche Strukturen und Personen physisch angreifen. Auch wenn diese beiden Dimensionen immer zusammengehören und nicht so getrennt sind, wie es einige gerne glauben würden, erinnert das Mitbringen eines 40-Tonners, um eine Papierschneidemaschine und eine Letterpress mit Bleisätzen zu beschlagnahmen, eher an geläufige Maßnahmen in anderen Regimen. In dieser Epoche der industriellen und technologischen Flucht nach vorn, die offen pluralistisch, aber zutiefst totalitär ist, könnte uns eine solche Praxis, die überflüssig geworden zu sein schien, erneut überraschen – besonders da die beste Art und Weise, um jede mögliche Gefahr zu neutralisieren, die von der Verbreitung anarchistischer Schriften ausgehen könnte, natürlich in der laufenden Virtualisierung besteht, in ihrer technologischen Derealisierung. Doch nichts verschwindet für immer und alles bleibt potentiell präsent.

Die Verallgemeinerung der Lohnarbeit hat die Sklaverei nicht vollständig abgeschafft, die Errichtung von Atomkraftwerken hat die Kohleminen nicht verschwinden lassen, die Rationalisierung der Produktion hat die handwerklichen Minen nicht in den Mülleimer der Geschichte verbannt. Dieser Fortschrittsmythos scheint heute die Kehrseite der Realität zu erleiden, die den Schleier der Derealisierung zerreißt. Viele Dinge, die der Mythos in eine Vergangenheit verbannt hatte, die nie mehr wiederkehren würde, sind heute dabei ihren Platz in einer Realität einzunehmen, aus der sie letztlich niemals vollständig verschwunden waren. Der Krieg bricht erneut auf dem europäischen Kontinent aus, Knappheit wird sogar in den Supermarktregalen sichtbar, die Bedrohung einer atomaren Vernichtung addiert sich zu den genozidalen Praktiken, die die Konflikte begleiten, der Klimawandel lässt das Schreckgespenst der Hungersnot und der Ausrottung  über immer mehr Bewohner dieses leidenden Planeten schweben: In einem solchen Szenario sollte uns die Beschlagnahme einer anarchistischen Druckerei nicht überraschen. Die Epoche, in der es notwendig war, Druckereien zu verstecken, unauffällige Papierlager anzulegen, eine unterirdische und feine Verteilung der Neuigkeiten des Kampfes und der Vertiefungen des Denkens zu organisieren, ist sicherlich nicht von der Weltbühne verschwunden. Die Konditionen für solche Szenarien, auch im Schatten westlicher toleranter Demokratien, vereinigen sich immer mehr und werden sich verschärfen, je mehr die sozialen Spannungen steigen und die Ungleichgewichte sich ausbreiten.

 

Das ist der Grund, aus dem die Beschlagnahme einer anarchistischen Druckerei in München eine Angelegenheit ist, die uns allesamt betrifft.


Aus Avis de Tempêtes #53 vom 15. Mai 2022.

Kriegslogiken

Seite beziehen. Wenn während des ersten Weltkriegs die furchtbare Stellungnahme von Kropotkin für den Sieg eines Teils der Krieg führenden Staaten im Namen der emanzipatorischen Hoffnung selbst berühmt geworden ist, trotz der damaligen Antworten anderer Anarchisten darauf, so liegt das zweifelsohne daran, dass sie das immer mögliche Versagen des Internationalismus und des Antimilitarismus verkörpert. Eine nicht mal originelle, Seite beziehende Position, da die damals wesentlichen sozialistischen Parteien und Arbeitergewerkschaften bereits den Sirenen der nationalen Einheit verfallen waren und sich hinter ihren eigenen kriegstreibenden Staaten eingereiht hatten. Auch wenn es absurd wäre zu vergessen, dass einige Anarchisten manchmal unter Zugzwang ins Wanken gerieten – auch in anderen Situationen wie etwa im Bürgerkrieg (erinnern wir uns an das Dilemma „Krieg oder Revolution?“, in dem die spanische CNT sich für ersteres aussprach) –, wäre es trotzdem etwas voreilig, nur das in Erinnerung zu behalten.

Im Laufe der Kriege, die im letzten Jahrhundert geführt und in die die Gefährten verwickelt wurden, konnten auch zahlreiche subversive Interventionen kompromisslos gegen diese gerichtet umgesetzt werden, angepasst an den Ort, an dem sich die Gefährten befanden, wie etwa autonome (normalerweise dezentralisierte und koordinierte) Kampfgruppen zu bilden, Hilfsnetzwerke für Deserteure beider Seiten aufzubauen, Sabotagen gegen den militaro-industriellen Apparat hinter der Front zu verüben, die Mobilisierung der Menschen zu untergraben und die nationale Einheit zu sprengen, die Unzufriedenheit und die Kriegsverdrossenheit zu schüren und zu versuchen, diese Kriege für das Vaterland in Aufstände für die Freiheit zu verwandeln. Man wird uns vielleicht entgegnen, dass die Umstände sich seit diesen Experimenten stark verändert hätten, aber sicherlich nicht zu dem Punkt, dass man nicht mehr aus diesem Arsenal schöpfen könnte, wenn man in diese Feindlichkeiten hineinintervenieren möchte, d. h. indem man zuerst von den eigenen Ideen und Projektualitäten ausgeht als vom geringeren Übel, das darin besteht die Seite und die Interessen eines Staates gegen einen anderen zu unterstützen. Denn wenn wir gegen den Frieden der Herrschaft sind, gegen den Frieden der Verdummung und des Gehorsams, sind wir natürlich auch gegen den Krieg. Weil Krieg und Frieden tatsächlich zwei Begriffe sind, die eine gleiche Kontinuität der kapitalistischen Ausbeutung und der staatlichen Herrschaft abdecken.

Energie. Unter den verschiedenen großspurig angekündigten Sanktionspaketen, die von den westlichen Staaten verhängt wurden, um ihren russischen Gegenspieler an seinem Kopf und seiner Basis zu treffen, hätte jeder die ausgefeilten kleinen Betrügereien bemerken können. Unter den gewichtigen Ausnahmen dieser Sanktionen (die momentan ihre vierte Salve abfeuern) befinden sich momentan tatsächlich die russischen Exporte energetischer (Erdöl und Gas) und bergbaulicher Rohstoffe. Und das trifft sich gut, da Russland 40 % des Palladiums und 25 % des Titans auf der Welt produziert, der weltweit zweitgrößte Produzent von Aluminium und Gas ist, sowie der drittgrößte von Nickel und Erdöl. Alles Stoffe, deren Kurse seit dem Beginn der Invasion in das ukrainische Gebiet explodieren, sodass Russland noch mehr Einnahmen abgreift… die ihm übrigens hauptsächlich von den Mächtigen derselben Länder verschafft werden, die ununterbrochen humanistische Schreckensschreie aufgrund der momentanen Situation ausstoßen. Um nur ein Beispiel zu nennen: seit Kriegsbeginn zahlt die Europäische Union Russland täglich 400 Million Dollar für sein Gas und etwa 280 Millionen Dollar für sein Erdöl, deren Zahlungen die beiden Banken in Empfang nehmen, die von den Finanzsanktionen verschont wurden (und das aus guten Gründen!), die Sberbank und die Gazprombank. Die enormen Summen von all dem Rest, der für die westliche Automobilindustrie (Palladium), Aeronautik und Verteidigung (Titan) und die westlichen elektrischen Batterien (Nickel) unerlässlich ist, ersparen wir euch an dieser Stelle mal.

Wenn man sagt, dass der Krieg hier beginnt, dann ähnelt das häufig einem einfachen Wiederkäuen eines alten ideologischen Slogans des letzten Jahrhunderts, doch wenn heute jemand auf die Idee käme sich zu fragen, wer tatsächlich den russischen Angriff finanziert, könnte er sich denselben zuwenden, die die Gegenseite, die ukrainische Verteidigung, finanzieren: es handelt sich um das techno-industrielle System der westlichen Staaten, das für so eine Kleinigkeit nicht aufhören wird in vollen Touren zu laufen, insbesondere da der Krieg, die Massaker und die Zerstörungen auf dem Planeten bereits intrinsisch Teil seiner Funktionsweise sind.

Und um die Ironie perfekt zu machen, gibt es unterschiedliche Interessen, von denen die beiden Kriegsparteien sich tunlichst hüten, diese in diesem mörderischen Krieg aufs Spiel zu setzen, um ihren gemeinsamen westlichen Financiers nicht zu schaden: die zwei gigantischen Gaspipelines Brotherhood und Soyouz, die aus Russland kommen und anschließend das ganze ukrainische Gebiet durchqueren, ehe sie in Richtung Deutschland und Italien abzweigen. Ähnlich verhält es sich auch damit, dass keine der beiden Kriegsparteien andere ebenso für die nationale Wirtschaft empfindliche Ziele anzurühren wagt, weil sie lebenswichtig für die aeronautischen Industrien der europäischen Verteidigung sind (insbesondere Airbus und Safran), wie die Titanfabrik der Gruppe VSMPO-Avisma, die sich in der immer noch unter ukrainischer Kontrolle stehenden Stadt Nikopol befindet, und trotzdem direktes Eigentum des Hauptexporteurs des russischen militaro-industriellen Komplexes Rosoboronexport istDas, was wie ein Paradoxon wirken könnte, ist in Wirklichkeit nur die bittere Illustration einer der Charakteristiken zwischenstaatlicher Kriege: auch wenn sie sie ohne zu zögern im Namen des nationalistischen, religiösen oder ethnischen Hasses vom Zaune brechen, sind es selten die Mächtigen, die dafür zahlen müssen – da sie offensichtlich in der Lage sind sich wenn nötig untereinander zu einigen –, sondern die Bevölkerungen, die alle mörderischen Konsequenzen erleiden müssen. Ein bisschen wie der Umstand, dass Frankreich Russland von 2014 bis 2020 weiterhin mit Wärmebildkameras beliefert hat, um seine Panzer auszustatten, die momentan im Krieg in der Ukraine eingesetzt werden, oder mit Navigationssystemen und Infrarotdetektoren für seine Jagdflieger und seine Helikopter, während Frankreich nun die Ukraine mit Luft- und Panzerabwehrraketen ausstattet. Was die Energie wie das militärische Equipment betrifft, sind die Financiers und die Profiteure des Krieges ebenfalls hier, und hier ist es auch, wo wir sie bekämpfen können.

Einer der Vorteile der Bildung kleiner autonomer Gruppen, die über ihre Ziele wie über ihre Zeitlichkeit – für jene hier, die den Krieg mit einem anderen Blick betrachten, und jene, die woanders nicht die Gelegenheit zur Flucht haben oder sich freiwillig dafür entscheiden zu bleiben –selbst entscheiden, könnte also beispielsweise in der Sabotage der gemeinsamen kapitalistischen und strategischen Interessen der Herrscher beider Staaten und ihrer Verbündeten liegen, die so anschließend weder dem einen noch dem anderen von Nutzen sein können, egal wer der Sieger ist. Gewiss, eine andere Möglichkeit, die aber keineswegs vom Himmel fallen kann angesichts der Schwierigkeiten, die es zu meistern gilt, was eventuell bedarf, dass sie bereits vorher entwickelt und vorbereitet wurde, insbesondere mithilfe organisationeller Werkzeuge, die das Teilen von Bemühungen, Wissen und adäquaten Mitteln erleichtern. Diese alte Frage der Interessen im Spiel hat übrigens bereits die Netzwerke französischer Widerstandskämpfer unter der deutschen Besatzung beschäftigt, deren Kommando wie das der anglo-amerikanischen Dienste selbstverständlich darauf bestand, dass ihre Industriesabotagen von jenem sensiblen Standort oder jener Struktur auf jeden Fall behebbar bleiben müssten, sodass die Produktion des Feindes nur verlangsamt wurde, oder dass sie nur Ziele zerstören, die für das zukünftige Neustarten des Landes nicht kritisch sind.

Subjekte. In diesem schmutzigen Krieg, in dem momentan intensive Kämpfe in städtischen Zonen vermieden werden, ist die russische Armee seit mehreren Wochen damit beschäftigt mehrere Städte einzukreisen und intensiv zu bombardieren, einer Taktik gemäß, die sich bereits in Aleppo bewährt hat. In Mariupol beispielsweise, wo 300 000 Personen belagert unter fürchterlichen Bedingungen überleben, haben viele auf ihre Kosten verstehen müssen, dass sie in Wirklichkeit unter dem Feuer beider Staaten als Geiseln genommen wurden. Inmitten der zerstörten Gebäude ist es so ihre eigene Armee, der zahlreiche kleine Gruppen von hungernden Zivilisten entgegentreten müssen, wenn sie sich aus ihren Unterschlüpfen wagen, um in den verlassenen Geschäften nach Nahrungsmitteln zu suchen.

Um sein Monopol in den Ruinen aufrechtzuerhalten und weiterhin jegliche Ressource prioritär den bewaffneten Männern zukommen zu lassen, hat der ukrainische Staat also den Freiwilligen der Brigaden der Territorialen Verteidigung (Teroborona) nicht nur die Aufgabe übertragen, seine kritischen Infrastrukturen in zweiter Linie zu verteidigen, sondern auch jene, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, was beispielsweise die Plünderungsversuche der Verzweifelten umfasst. Für einen Staat, der das Kriegsrecht ausgerufen hat, während er in den bombardierten Städten kontrollierte Formen der Selbstorganisierung, die erlauben die eigenen Mängel zu ergänzen, wesentlich toleriert, sei es natürlich die patriotische Pflicht, auf die einem zugestandenen Krümel mit leerem Bauch zu warten, während man das Wasser aus den Heizkörpern trinkt, da es wohlbekannt ist, dass Plünderungen des allerheiligsten verlassenen Eigentums nur von feindlichen Soldaten oder von Verrätern kommen kann, wie es die täglichen Befehle einhämmern. Und über die tragische Situation in Mariupol hinaus handelt es sich um dieselbe Logik, die in der Hauptstadt Kiew, während sie immer weiter von den russischen Truppen eingekreist wird, zur Anwendung kommt, diesmal mit Ausgangssperren, bei der die letzte nicht mehr nächtlich war, sondern 36 Stunden am Stück umfasste, um der Armee und der Polizei die Priorität zu geben, und in der man „jede Person, die sich in diesem Zeitraum auf der Straße befindet, als Mitglied von Gruppen feindlicher Saboteure“ betrachtete, mit allen Konsequenzen, die das mit sich zieht.

Auch hier ist die Feststellung, dass der Staat seinen eisernen Arm in Kriegszeiten noch mehr als in Friedenszeiten nicht nur auf den Geist, sondern auch auf die Körper all seiner Subjekte auflegt, nicht nur eine abgedroschene Phrase: Kanon- oder Bombenfutter, auf der Suche nach Essen oder nach Komplizen, um sich außerhalb des staatlichen Joches selbst zu organisieren, oder auch nur um eine andere Luft zu atmen als die in der Enge der Unterschlüpfe oder um sich selbst ein Bild zu machen, jeder Individualität wird befohlen, sich auf dem Schachbrett der zwei anwesenden Armeen freiwillig oder mittels Zwang aufzulösen. Eine Situation, die sich offensichtlich bis an die westlichen Grenzen der Ukraine erstreckt, die mehr als drei Millionen Flüchtende bereits überquert haben… nachdem sie penibel kontrolliert wurden, um alle wehrfähigen Männer zwischen 18 und 60 Jahren unter ihnen zu entfernen. Während sich eine Welle der Unterstützung der Familien auf beiden Seiten der Grenze ausgebreitet hat, betrifft einer der bemerkenswertesten Aspekte jedoch die feine Solidarität mit jenen, die sich weigern zu kämpfen und nicht die Möglichkeit haben den korrupten ukrainischen Grenzern 1500 € zu zahlen, die gerade anfängt sich trotz der Feindseligkeit eines Teils der Bewohner zu bilden. Insbesondere durch das Verteilen gefälschter Atteste und Spenden biometrischer Pässe, das einzige offizielle Dokument, das in Ungarn oder in Rumänien während der ersten zwei Wochen des Konflikts akzeptiert wurde, um die Geflüchteten ihr Territorium betreten zu lassen.

Sortieren, auswählen, piorisieren, registrieren, klassifizieren, um an den Grenzen die guten Armen von den schlechten Armen (ihre Nationalität eingeschlossen, wie es die Staatsangehörigen von afrikanischen Ländern am eigenen Leib erfahren mussten) zu trennen, ist natürlich keine Besonderheit des ukrainischen Staates in Kriegszeiten, sondern die Kontinuität einer weitläufigen Hölle der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit, ökonomischen Kuhhandels und geostrategischer Imperative. Das ist der Grund, aus dem die einen dazu verurteilt werden im Mittelmeer zu ertrinken, die anderen in den Lagern des UNHCR zu vegetieren, um in benachbarten Territorien festgehalten zu werden, und die letzten glorreich ihrem Vaterland zu dienen oder als Lohnsklaven in reichen Ländern, die immer auf der Suche nach ausbeutbarer Arbeitskraft zu einem Spottpreis sind. Denn letzten Endes rührt die Grausamkeit der Herrschaft – die sich nie so sehr enthüllt wie in Kriegen, im Elend und den Massakern, die sie hervorruft – zuerst vielleicht davon her: ihrem intrinsischen Anspruch, als Herrin im Namen ihrer eigenen Interessen auf dem Gebiet, das sie kontrolliert, zu herrschen, und zu versuchen jedes Lebewesen, das sie beherrscht, in austauschbare Subjekte zu verwandeln, zum Preis ihrer Vernichtung als Individuen.

Dringlichkeit. Seit Jahren schon werden Wellen von Bedrohungen aus allen Windrichtungen hochgehalten und instrumentalisiert, um die Angst innerhalb einer immer militarisierteren Verwaltung des sozialen „Friedens“ zu destillieren: Terrorismus, Naturkatastrophe, Covid-19… oder nun die mögliche nukleare Entfesselung in der Ausweitung des Konflikts an den Außengrenzen Europas. Und natürlich wird die kleine Musik des xten Opfers, das gebracht werden muss, um in Reih und Glied hinterm Staat zuzustimmen, immer schriller. Doch ist es im Grunde vielleicht wahr, dass es etwas zu opfern gäbe, ohne dass man dafür tausende Kilometer zurücklegen muss. Denn dieses weitläufige System des Todes im großen Maßstab, wird es nicht von einer Energie, einer Industrie, Transporten, Kommunikationen und einer Technologie genährt, die täglich vor unserer Nase vorbeiziehen? Den Krieg der Welt zurückzugeben, die ihn hervorbringt, indem man seinen Nachschub unterbricht, wäre also eine andere Art und Weise, um die Reihen des Feindes zu durchbrechen, indem man überall den Konflikt gegen ihn verbreitet.


Übersetzung aus dem Französischen, „Logiques de Guerre“, Avis de Tempêtes #51, 15. März 2022.

Zu anarchistischem Antimilitarismus

[Die folgende Übersetzung wurde der beim Maschinenstürmer Distro erschienenen und äußerst empfehlenswerten Broschüre Inmitten der Nachschublinien des Krieges entnommen.]

In den vergangenen Monaten ist das Thema Krieg in beinahe jeder Publikation präsent gewesen, inklusive der anarchistischen. Krieg zieht herauf, ist kurz davor auszubrechen, die beiden großen internationalen Blöcke steuern auf den Krieg zu: wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um zu verhindern, dass die Welt durch einen wahnsinnigen Impuls unserer Herrschenden vollständig ausgelöscht wird.

Aber wie so oft, wenn wir uns eines Problems annehmen, das in unseren Inneren eine so komplexe Stimmungslage und Angst auslöst, sind wir nicht in der Lage dazu – oder zumindest erscheint mir das so – das Problem tiefgreifend genug zu verstehen.

Tatsächlich müssen wir uns, wenn wir uns darauf vorbereiten gegen einen Feind zu kämpfen, der uns bedroht, fragen, was dieser Feind beabsichtigt, so dass uns ein Maximum an Informationen erlaubt, zurückzuschlagen, uns zu verteidigen und zum Gegenangriff überzugehen. Folglich scheint mir, dass wir uns die grundlegendste Frage bislang nicht gestellt haben: Was ist Krieg? Wir haben das nicht getan, weil wir alle auf die eine oder andere Weise glauben, bereits ganz genau zu wissen, was Krieg ist und wir deshalb in der Lage wären das zu tun, was notwendig ist, um diejenigen zu bekämpfen, die ihn vom Zaune zu brechen beabsichtigen.

Tatsächlich jedoch sind unsere Ideen nicht so klar. Dass selbst die bourgeoise Presse keine klaren Vorstellungen vom Thema hat, ist für uns nur von geringem Interesse, da wir gewiss nicht von ihr erwarten sollten, dass wir dort das finden, was wir benötigen, um das Minimum an Analyse zu entwickeln, die unsere Handlungen kohärent und bedeutsam macht.

Die meisten anarchistischen Publikationen lesen sich jedoch wie überarbeitete und korrigierte Ausgaben der progressiven bourgeoisen Presse, wenn nicht wie irgendwelche internationalen Rechtsgutachten mit einigen Abwandlungen in der Sprache und etwas größerer Naivität in ihrer Perspektive.

Die Schwammigkeit bourgeoiser Vorstellungen ist sehr gut verständlich: Für die Verwalter der Herrschaft ist Krieg das Mittel, das ihre Fortsetzung garantiert, zumindest innerhalb bestimmter Grenzen. Aber was bedeutet Krieg für ihre Feinde?

Für die Bosse ist Krieg nichts anderes als der nachdrücklichere Gebrauch derselben Mittel, die sie immer schon angewandt haben. Es gibt Armeen, Bomben und auch Waffen. Kriege haben beständig stattgefunden und brechen noch immer hier und dort gemäß einer Geografie und Logik aus, die auf gewisse Weise den Regeln der Entwicklung und des Überlebens des Kapitalismus folgt. Für die Bosse gibt es kein großes Problem, das gelöst werden müsste. Sie können nicht damit beginnen Krieg zu führen, aus dem einfachen Grund, dass sie nie aufgehört haben, Krieg zu führen. Für diejenigen, die auf der anderen Seite beabsichtigen dagegen zu kämpfen, liegen die Dinge anders, da sich ihr Kampf durch eine Reihe von Interventionen und Aktionen verbreitet, die ihre Gültigkeit aus ihrer Beziehung zu ihrem eigenen Verständnis des Phänomens Krieg erlangen.

Das wiederum wird durch ihre eigenen Klasseninteressen bestimmt, durch ihr beschränktes Wissen über soziale und politische Phänomene, ideologische Interpretationen der Realität und so weiter, und das in einer Situation wie der derzeitigen, wo von der Möglichkeit eines nuklearen Krieges (wir wissen nicht wie nah oder fern) gesprochen wird, der in der Lage dazu ist, alles und jeden innerhalb weniger Sekunden zu vernichten.

In der Theorie sollte jede*r gegen den Krieg sein, ganz besonders gegen die Art von Krieg, die nun im Raum steht, da wir alle der Aussicht unserer Auslöschung entgegensehen. Wie kann es dann erklärt werden, dass nicht jede*r gegen Krieg ist? Wir lässt es sich erklären, dass Regierungen Unterstützer*innen und Vollstrecker*innen ihrer sogenannten Wahnsinnigkeit finden? Es kann durch die einfache und bedeutende Tatsache der Klasseneinteilung erklärt werden. Es ist offensichtlich, dass nicht alle Angst vor dem Krieg haben, oder zumindest nicht alle auf die gleiche Weise. Offensichtlich überwinden viele, vor allem jene, die den Hebeln der Macht und Ausbeutung am nächsten sind, wenn nicht die Bosse oder Inhaber der Macht selbst, ihre Angst vor dem Krieg durch die Aussicht auf eine Festigung ihrer privilegierten Situation.

Folglich können die Gedanken, die diese Personen in ihren Zeitungen und Programmen produzieren, nicht umhin das Verlangen widerzuspiegeln, Krieg als etwas Unmittelbares zu betrachten. Ich sage nicht, dass das nicht möglich wäre, sondern dass, im Gegenteil, wir diese Schlussfolgerung nicht akzeptieren sollten, sondern durch unsere Analyse den Schwindel darin enttarnen sollten, der von den Organen der Macht unterstützt wird.

Also kommen wir zurück zur grundlegenden Frage: Was ist Krieg? Die Publikationen, die sich derzeit diesem Thema annehmen, sowie unsere eigenen Seiten, enden oft darin bloß irgendwelche Mitläufer oder Verstärker der Propaganda des Regimes zu sein, wenn sie sagen, dass Krieg bevorstünde. Es wird dann behauptet, dass, vorausgesetzt dass Krieg droht, alles in unserer Macht Stehende getan werden müsse, um ihn zu verhindern, weil Anarchist*innen immer gegen Krieg waren, weil Krieg ein großes Unheil ist, das jeden treffe, keine Sieger, sondern nur Verlierer kennt und ein großes Verbrechen gegen die Menschheit ist.

Wunderschöne und zutiefst humanitäre Argumente, die nur eine Unvollkommenheit haben: Sie ändern nicht das geringste an den staatlichen Programmen des Genozids und sagen niemandem irgendetwas Neues.

Lasst uns eine Hypothese aufstellen, die sich auf das bezieht, was in der Vergangenheit passiert ist und was einst einige Anarchist*innen aus bester intellektueller Tradition infiziert hat (z. B. Kropotkin und das Manifest der Sechzehn). Wie gesagt, wir sind alle gegen Krieg (in Worten!). Selbst die überzeugtesten Unterstützer*innen der bewaffneten Lösungen für staatliche Konflikte haben niemals den Mut das offen zu sagen, abgesehen von ein paar delirerischen Wahnsinnigen, die sofort von ihren vorsichtigeren und gerisseneren Kollaborateuren in die Schranken gewiesen werden. Diejenigen, die sich auf den Krieg vorbereiten, sind stets die leidenschaftlichsten Propagandisten des Friedens. Zudem stützen sie ihre Friedenspropaganda auf die Behauptung, dass es um jeden Preis notwendig wäre, alles Menschenmögliche zu tun, um die Werte der Zivilisation zu bewahren, Werte, die systematisch von allem bedroht würden, was sich auf der Seite des Gegners abspielt. (Der Gegner umgekehrt, handelt und argumentiert auf die gleiche Weise). Wir müssen alles tun, um Krieg zu verhindern, und oft führt das dazu, dass die Menschen zu der Überzeugung gelangen, dass alles dafür zu tun, bedeuten könne, in den Krieg zu ziehen, um eine größere Katastrophe zu verhindern. Bei Ausbruch des ersten „Welt“kriegs gelangten Kropotkin, Grave, Malato und andere berühmte Anarchist*innen zu der Überzeugung, dass es notwendig wäre, sich am Krieg zu beteiligen, um die Demokratie (vor allem Frankreich) gegen die Bedrohung der zentralen Imperien (vor allem Deutschland) zu verteidigen. Dieser tragische Fehler war möglich und wird immer möglich sein, weil der gleiche Fehler gemacht wurde, der heute wieder gemacht wird: Sie haben keine anarchistische Analyse entwickelt, sondern haben auf eine anarchistische Aufbereitung der Analyse vertraut, die von den Intellektuellen und Boten im Dienste der Bosse erarbeitet worden war. Davon ausgehend war es für sie leicht zur Überzeugung zu gelangen, dass obwohl Krieg noch immer eine gewaltige und schreckliche Tragödie für sie war, er dem schwerwiegenderen Übel vorzuziehen sei, das aus dem Sieg des teutonischen Militarismus resultieren könne. Gewiss waren nicht alle Anarchist*innen blind gegenüber den schwerwiegenden Abweichungen von Kropotkin und Co.; Malatesta reagierte hefig, als er aus London dagegen schrieb, aber der angerichtete Schaden verursachte nicht unbedeutende Konsequenzen in der anarchistischen Bewegung überall auf der Welt.

Heute machen auf eine ähnliche Art und Weise viele anarchistische Gefährt*innen keinen Halt bei den unverzeihlichen Oberflächlichkeiten, die in einigen unserer Zeitungen und Zeitschriften gelesen werden können. Aber lasst uns für einen Moment zu den Verallgemeinerungen zurückkehren, die in unseren Analysen reichlich vorhanden sind. Es genügt gewiss nicht, zu universeller Brüderlichkeit, Menschlichkeit, Frieden, den Werten der Zivilisation aufzurufen, um jene Kräfte zu mobilisieren, die wirklich beabsichtigen, den Staat zu bekämpfen. Warum vermeiden wir sonst, wenn wir Probleme im Hinblick auf soziale und ökonomische Konflikte (Arbeitslosigkeit, Wohnen, Schulen, Krankenhäuser, etc.) behandeln, sonst die Zuflucht bei solchen Banalitäten? Nun, da wir uns mit Krieg beschäftigen, ist es uns plötzlich erlaubt, uns auf die Ebene der Verallgemeinerungen radikaler Humanist*innen zu begeben?

Tatsächlich flüchten wir uns in diese Gemeinplätze aus Angst, als kleinsten gemeinsamen Nenner, weil wir nicht wissen, was wir tun oder sagen sollen, und auch nicht, was das Phänomen des Kriegs in Wahrheit – in der derzeitigen Situation der Macht in Italien, Europa und der Welt – wirklich ist.

Von der Panik unserer Unfähigkeit erfasst, zutiefst der Tatsache bewusst, dass weder unsere glorreiche antimilitaristische Tradition (mit oben genannter Ausnahme) noch das ebenso glorreiche Gepäck anarchistischer Ideen uns retten kann, suchen wir Zuflucht in den analytischen Laboratorien der Macht. Und so verwandeln wir uns in stümperhafte Gelehrte internationaler Konflikte. Unsere Magazine füllen ihre Seiten mit Betrachtungen, bestenfalls lächerlich zu nennen, der Beziehung zwischen USA und UDSSR, zwischen der NATO und dem Pakt von Warschau, zwischen den Ländern des Mittleren Ostens und Europa; ökonomische Probleme überlappen sich mit militärischen Strategien; technische Daten hinsichtlich der Atom-, Wasserstoff- und Neutronenbomben finden den Weg in unsere Seiten (und Köpfe) und haben den Effekt psychologischer Propaganda. Was folgt ist eine große Verwirrung, die das eigentliche Maß dafür ist, wie weit wir von der Realität des Kampfes entfernt sind und wie sehr jeder unserer Versuche ihm näher zu kommen, uns weiter vom Ziel entfernt. Also werden wir prahlerisch. Wir bestehen darauf, unsere Analysen mit mehr und mehr Daten zu untermauern, die wir aus den staatlich produzierten Handbüchern entliehen haben, und wir erklären den Menschen mit Angst als dem zentralen Argument unserer Erklärung. Wir erkennen nicht, dass wir dadurch dem Teil der Ausrichtung der Bosse dienen, der genau auf diese Angst setzt, um zwei entscheidende Ergebnisse zu erzielen: die ausgebeuteten Massen von der zunehmenden, schwerwiegenden Ausbeutung, die sie erwartet, abzulenken und sie, warum nicht, auf Krieg vorzubereiten. Lasst uns nicht vergessen, dass der beste Weg die Massen zur Akzeptanz von Krieg zu drängen, darin besteht, die Angst vor dem Krieg zu verbreiten. Morgen wird sich diese Angst vor totalem Krieg mit wenigen Anpassungen in der Propaganda des Regimes leicht in den Willen und das Verlangen nach einem begrenzten Krieg verwandeln, um einen totalen Krieg zu verhindern, und wer weiß schon, ob nicht ein neuer Kropotkin auftauchen (aus den Reihen der vielen Neo-Kropotkinianer, die unsere Seiten heimsuchen) und die Notwendigkeit eines kleinen Krieges angesichts des totalen unterstützen wird. (Nicht zuletzt gilt doch „small is beautiful“.)

Natürlich sind wir Anarchist*innen gegen alle Kriege, so klein oder groß sie auch sein mögen, aber wenn wir uns einmal darauf beschränken unser Argument exklusiv oder fundamental auf Angst basieren zu lassen, dann stellen wir uns auf die extrem linke Seite des Kapitals und verschaffen ihm den Türöffner, den es braucht, um den Dissens abzuschwächen, der automatisch innerhalb der Massen der Ausgebeuteten erzeugt wird.

Schlimmer noch, wenn wir erst einmal unsere Kritik eines totalen Atomkriegs voll entwickeln und zeigen – wodurch wir zum Sprachrohr der extremen Linken des Kapitals werden –, wie schwerwiegend die Auswirkungen jeder Art und Stufe von Atombombe sind und wir einmal hinzufügen, als einfacher Nebensatz, dass wir nicht nur gegen Atomkrieg sind, sondern gegen jede Art von Krieg zwischen Staaten, weil jede Art von Krieg Genozid ist, ein furchtbares Verbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschheit, und so weiter mit ähnlichen Gemeinplätzen, dann werden wir äußerst widersprüchlich und schädlich. Tatsächlich unterstützen wir wohlausgearbeitete, wissenschaftliche und konkrete Elemente gegen Atomkrieg (weil diese vom Kapital selbst vorgebracht werden), aber beschränken uns auf die üblichen humanitären Allgemeinplätze hinsichtlich eines nicht-atomaren Krieges und bringen die Menschen (die von humanitären Gemeinplätzen zu Recht angwidert sind) damit unfreiwillig dazu, sich einer Ablehung von Atomkrieg und einer möglichen Akzeptanz des „kleinere Kriegs“ anzuschließen. Und wer weiß, ob es nicht genau das ist, was das Kapital von uns will.

Da jedoch unsere guten Absichten nicht bezweifelt werden können, bleibt nur tiefer vorzudringen und uns zu fragen, ob wir unsere Anti-Kriegspropaganda nicht besser entwickeln sollten.

Und hier kommen wir auf das ursprüngliche Problem zurück: Wir wissen nicht wirklich, was Krieg ist. Denn in dem Moment indem wir uns darauf vorbereiten uns des Problems anzunehmen, begreifen wir, dass Krieg nur einen bestimmten Aspekt der Gesamtstrategie der Ausbeutung, die vom Kapital verfolgt wird, ausmacht.

Lasst uns das genauer erklären. Für Staaten existieren formale Aspekte, die den Unterschied zwischen einem Zustand des Krieges und einem Zustand des Friedens auf der Ebene internationalen Rechts erfassen können. Es ist offensichtlich, dass diese Unterscheidung für Anarchist*innen nicht von Interesse sein kann, die, um den wahren Zustand des Krieges zu verstehen, gewiss nicht darauf warten müssen, dass Staat A Staat B den Krieg erklärt. Die Aufgabe von Anarchist*innen besteht prinzipiell darin, so weit möglich und so lange wie möglich den formalen Schleier aufzubrechen, den Staaten vor die Augen der Menschen ziehen, um sie auszubeuten und sie zur Schlachtbank zu führen. Um das zu tun, können wir folglich nicht darauf warten, dass die Formalitäten internationalen Rechts abgearbeitet werden, wir müssen der Zeit voraus sein und die wahre Situation des Krieges in Aktion anprangern, selbst wenn kein offiziell erklärter Zustand des Krieges existiert.

Um die Wahrheit zu sagen: Der Verdacht, dass es unmöglich ist, eine klare Grenze zwischen Krieg und Frieden zu ziehen, existiert auch unter den Theoretikern der Unterdrückung selbst. Zu seiner Zeit fühlte sich Clausewitz dazu genötigt, eine Analyse des Kriegs als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln zu entwickeln. Auf die gleiche Weise ist zeitgenössischen Gelehrten (Bouthoul, Aron, Sereni, Fornari, etc.) das Problem bewusst geworden und sie haben versucht, die Elemente zusammenzustellen, die wenigstens eine minimale Unterscheidung zwischen einem Zustand des Krieges und einem Zustand des Friedens möglich machen. Nach der Erkundung der Elemente, die einen bewaffneten Konflikt ausmachen, dem Massenphänomen und der Spannung, die durch die öffentliche Meinung verursacht wird – Elemente, die nicht exklusiv einen Zustand des Krieges ausmachen – mussten diese Gelehrten schlussfolgern, dass das, was Krieg ausmacht, sein rechtlicher Charakter wäre und dass dieser rechtliche Charakter darauf hinausläuft, atypisch gegenüber der juristischen Strukturen zu sein, die die kriegsführenden Staaten üblicherweise, in „Zeiten des Friedens“ bestimmen. In anderen Worten: Krieg wird als die Legitimation von Mord durch die Justiz charakterisiert, welche in Zeiten des „Friedens“ weder Morde noch Massaker erlaubt.

Daran können wir klar sehen, dass die Kriterien, die den Krieg vom Frieden unterscheiden, keine sind, die von Anarchist*innen für gültig erachtet werden können. Wir sind nicht bereit zu akzeptieren, dass der formell von der Staatsmacht erklärte Zustand des Krieges unverzichtbar ist, um eine tatsächliche Situation des Krieges zu unterscheiden, anzuprangern und anzugreifen. Und der Staat seinerseits weiß sehr gut, dass der formale Aspekt einer Kriegs-„Erklärung“ nur ein einfaches juristisches Alibi ausstellt für eine Ausweitung des Todesprozesses, den er normalerweise durch den spezifischen Charakter seiner schieren Existenz ausübt. Der Staat ist ein Instrument der Ausbeutung und des Todes und folglich ein Instrument des Kriegs. Staat bedeutet Krieg. Es existieren keine Staaten im Krieg und Staaten im Frieden. Staaten, die Krieg wollen und Staaten, die Frieden wollen, exisitieren nicht. Alle Staaten sind aufgrund der einfachen Tatsache ihrer Existenz Instrumente des Krieges. Um uns davon zu überzeugen und um den Einwand derjenigen, die uns des Maximalismus beschuldigen, oder die um jeden Preis einen Unterschied sehen wollen, wo nichts als Gleichförmigkeit ist, zu widerlegen, genügt es, sich an die offensichtliche Tatsache zu erinnern, dass es gewiss nicht die Zahl der Toten, die eingesetzten Mittel, das Schlachtfeld oder die Ziele der Soldaten sind, die den Unterschied zwischen einem Zustand des Krieges und einem Zustand des Friedens ausmachen. Systematisch ein Dutzend Arbeiter jeden Tag an ihrem Arbeitsplatz zu töten ist ein Phänomen des Krieges, das sich aus unserer Sicht bloß numerisch von den Toten auf dem Schlachtfeld unterscheidet, die in die tausende gehen. Darüber hinaus ist es nicht möglich, eine tatsächliche Situation des Friedens unter der kapitalistischen Herrschaft herauszugreifen, sondern nur den scheinbaren Zustand des Friedens, der im Endeffekt identisch mit einer tatsächlichen Situation des Krieges ist.

Wir behaupten daher, dass Krieg eine Aktivität des Staates ist, die nicht eine vorübergehende und eingegrenzte Periode seiner Handlungen ausmacht, sondern Teil der Essenz seiner Strukturen während des ganzen Verlaufs der Ausbeutung war, soweit wir wissen. Die sozialdemokratischen Illusionen einseitiger Abrüstung, der achtbare Pazifismus und die bourgeoise Gewaltfreiheit brechen also in sich zusammen. Wer auch immer pazifistische Theorien unterstützt und diese dazu nutzt, den Staat vom Kriegführen abzuhalten, ist im wesentlichen selbst ein Krieger, ein Reaktionär, der den fortgesetzten Zustand des Krieges des Staats unterstützt und ihn einem anderen Zustand des Krieges vorzieht, der als unterschiedlich betrachtet wird, aber im Grunde das Gleiche ist, und in der Praxis nicht mehr als eine Ausweitung des bereits im Gange befindlichen Konflikts ist.

Das erklärt, wie die Parteien in der Regierung und diejenigen, die die Ideale der Arbeiter verraten haben, oder die die humanitären Marotten der radikalen Bourgeouisie nähren, mit so großer Unverschämtheit oder durch dumme Ignoranz der Realität große Reden gegen den Krieg schwingen können. Eigentlich sind es ihre Reden, die die Struktur des eigentlichen Krieges garantieren, die die Massen darauf einstimmen, eine zukünftige (immer mögliche) Ausweitung des kleinen Krieges zu akzeptieren, um einen größeren zu vermeiden, der auf ewig verschoben wird, während der wirkliche Zustand des Konflikts aufrechterhalten und weiterentwickelt wird.

Diese Konzepte sollten – und im Grunde werden sie es – mehr oder weniger von allen Anarchist*innen akzeptiert werden. Aber wie es angesichts vieler in den letzten paar Monaten in unserer Presse veröffentlichten Artikel scheint, ist es beim Thema Krieg zu leicht, in eine Dimension abzurutschen, die diesen als etwas betrachtet, das vermieden werden kann oder das alleine als eine Form des Kampfes begriffen werden kann, die in der Lage ist, die revolutionären Kräfte zu vereinen.

Es wurde gesagt, dass wir uns plötzlich, aus allen Wolken fallend, mit der Gefahr eines weltweiten Konflikts konfrontiert sehen würden, der alles in der Vergangenheit Vorstellbare übersteigt. Es wurde gesagt, dass wir sofort etwas unternehmen müssten, um den bevorstehenden Weltkrieg zu verhindern, gegen die Zunahme der Atomwaffen sowohl auf Seiten der USA, als auch der UDSSR. Es wurde gesagt, dass es Augenblicke im Leben eines Volkes oder eines Kontintents gäbe, in denen soziale, ökonomische und politische Probleme weitaus drängendere und wichtigere Bedürfnisse überwiegen würden, indem sich auf absolute Kategorien wie Überleben, Frontopposition und verrückte mörderische Hegemonie, etc. bezogen wurde.

Es ist ja schön und gut, gegen Krieg, Militarismus, Bomben, Armeen, Generäle, Raketenbasen zu kämpfen. Aber wenn der Grund sein soll, dass dies die einzige Ebene der Intervention ist, die die anarchistische Bewegung aufwirft, dass alle anderen Interventionen unmöglich sind, dann müssen wir uns selbst fragen, was passiert. Es genügt nicht, sich Hals über Kopf in die einzige Aktivität zu stürzen, die uns offen bleibt, weil wir Schwierigkeiten in anderen Bereichen haben. Wir sollten uns fragen, ob die Anerkennung des Themas Krieg und die Unfähigkeit, dieses Thema innerhalb der spezifischen Logik des States zu verorten, nicht vielleicht eine Konsequenz unserer Unfähigkeit ist, uns an die eigentlichen im Gange befindlichen Kämpfe zu richten? Und ob, wenn wir unsere Köpfe in den Sand unserer Schwäche stecken und das Problem des Kampfes gegen Krieg ohne ein Minimum an militanten Strukturen angehen, wir nicht Gefahr laufen, die phantasiereichen Träger einer maximalistischen Ideologie zu werden, die darin endet, bequem für den Staat zu sein?

Diese Fragen mögen von vielen Kamaraden nicht geteilt werden, aber sie bleiben dennoch bestehen, wie so viele Punkte, die es erforderlich machen, überdacht und diskutiert zu werden. Es genügt nicht, sie zu leugnen, mit der Schulter zu zucken und weiterzumachen.

Unserer Meinung nach ist es notwendig, die allgemeinen Bedingungen des heutigen Klassenkonflikts zu untersuchen und die Funktion, die Anarchist*innen innerhalb des Konflikts selbst entwickeln können, neu zu überprüfen, entweder als eine spezifische Bewegung oder als eine organisierende Kraft, die in der Lage ist, sich innerhalb der allgemeinen Bewegung der Ausgebeuteten auszudrücken. Es ist dringend notwendig, dass wir unsere Schwächen sofort und ohne Kompromisse ausfindig machen, ohne die Hartnäckigkeit unserer alten Laster, dem auf der Stelle tretenden Ideologisieren, das so viele Bereiche unserer Bewegung verpestet, der sozialdemokratischen Infiltration, Ernsthaftigkeit, Zögern angesichts des Handelns, dem Wahn von a priori Beurteilungen und kirchlicher Verschlossenheit, dem aristokratischen Überbleibsel, das uns dazu bringt, uns als die einzigen Träger von Wahrheit zu betrachten.

Die extremen Konsequenzen unserer effektiven Möglichkeiten des Kampfes zu analysieren bedeutet keineswegs das Problem des Krieges beiseite zu legen und wir sollten in der Lage dazu sein, eine weitaus präzisere und bedeutungsvollere Antwort zu geben, ein weitaus detaillierteres Herausarbeiten und Projekt der Intervention, als das was gerade passiert und was uns nur als Unterstützer aufbereiteter Theorien der Bourgeoisie und vulgäre Propagandisten eines humanitären Maximalismus, der von allen geteilt werden kann und aus genau diesem Grund niemand geneigt ist, ihn zu unterstützen, betrachtet.

Vielmehr, indem wir unsere Anstrengungen auf die Neuorganisierung der Bewegung richten und auf die Erkenntnis dessen, was nötig ist, um diesen Rückfall zu überwinden, sollten wir vermeiden unseren Diskurs schlicht auf die Angst vor dem Krieg zu beschränken, der durch seine Schwammigkeit und seine Gemeinplätze fortwährend Gefahr läuft, in einen Interklassismus zu verfallen.

Wir sollten nicht vergessen, dass unsere Beurteilungen eines Problems – und Krieg ist da keine Ausnahme – oft auf den materiellen Bedingungen basiert, in denen wir uns persönlich und die Bewegung im Allgemeinen befinden.

 


Aus: Insurrection Dossier COMISO: Towards anarchist antimilitarism. Original: La guerra, la pace e l’azione anarchica oggi, A.M. Bonanno, in Elementi per la ripresa di un una pratica anarchica dell’antimilirarismo rivoluzionario. Edizioni Anarchismo 1980. Diese Übersetzung folgt der englischen Fassung in Insurrection.

Deutsche Übersetzung entnommen aus „Inmitten der Nachschublinien des Krieges“.

[UK] Gegen ihren Krieg, Gegen ihren Frieden! Für den Aufstand, Freiheit und Anarchie.

2. März 2022.

Vor unseren Augen ziehen sich die imperialistischen Armeen in der Ukraine zusammen, lass dich nicht täuschen, sie bereiten sich einmal mehr auf ein allgemeines Gemetzel vor. Die britische Armee entsendet bereits Truppen und ‚Hightech‘-Waffen, inklusive Raketensystemen, die entlang der ukrainischen Küste installiert werden sollen. Die Russische Armee zieht gleichfalls tausende von Truppen entlang der Grenze zusammen und bereitet sich auf den totelen Krieg vor.

Die Ukraine ist von strategischem Interesse in der anhaltenden Energiekrise, die Europa verschlingt. Eine Reihe von Oligarchen will eine neue Pipeline bauen, die den weltvergiftenden Treibstoff von Russland in den Westen transportiert. Eine andere Gruppe will diesen Versuch stören, damit ihre eigene nationale Bourgeousie profitiert. Zusätzlich dazu wollen die USA und das UK die Ukraine in die NATO aufnehmen, ihre gangster-imperialistische internationale Organisation, die nur von endlosem Krieg und Plünderungen träumt, besonders jetzt, da Afghanisten all seiner Schätze beraubt wurde, des Erdöls, ebenso wie seines Opiums (das weiterhin die westlichen Städte als Raubgut des Krieges flutet!). Auch Russland hat brutale imperialistische Ambitionen, der einzige Weg auf dem seine ekelhafte Regierung aus hohlköpfigen Autokraten, Dieben und Mördern sich selbst aufrechterhalten kann besteht darin, den Klassenwiderspruch der russischen Gesellschaft durch einen nationalistischen Zusammenstoß zwischen Russland und ‚dem Westen‘ zu übertünchen.

Dementsprechend bietet dies einen hervorragenden Vorwand dafür, wahren Staatsterror zu sponsern, anstatt die lächerlichen Eskapaden auf die die britischen Medien die Aufmerksamkeit zu richten versuchen, wie die Unterstützung auf allen Ebenen der grauen Bürokraten-Gliederpuppen, die im Grund alle austauschbar sind,  und die Belarus und Kasachstan beherrschen und sich dabei selbst bereichern, ebenso wie diejenigen, die sie bestechen können, während sie ihre Polizei nutzen, um jedes Anzeichen eines mutigen Aufstands niederzustampfen.

Nichtsdestotrotz gibt es einige Fälle, in denen sich diese Mächte einig sind, ganz besonders hinsichtlich des faschistischen kleinen Mannes in der Türkei, Erdogan. Zunehmend gehen die Maffias NATO und Russland um den Tisch herum, um Erdogans Zerstückelung Armeniens zu erleichtern, in Abstimmung mit seinem Stellvertreter bei den Behörden von Aserbaidschan. Wenig überraschend sind sie sich auch zunehmend einig, hinsichtlich des Rechts der türkischen Armee die Territorien von Nordsyrien, die als ‚Rojava‘ bekannt sind, einzunehmen und zu unterwerfen. Diese Zielsetzung impliziert ausdrücklich etwas, das man nur einen ‚Genozid‘ nennen kann. Wir sollten uns nicht einmal ausmalen, dass eine mögliche ‚Lösung‘ des bis an die Zähne bewaffneten Standoffs zwischen NATO und Russland, durch Erdogans Vermittlung erreicht werden könnte, die diese allumfassende Allianz althergebrachter Mächte und Gangster-Kapitalisten zum Erhalt des ‚Systems‘ oder des ‚Gleichgewichts‘ der jeweiligen Mächte bestätigen würde.

Die Regierungen jedes Landes, das an diesem brodelnden potentiellen Massengemetzel beteiligt ist, sind ähnlich fragil. Sie zanken sich alle an einem Runden Tisch darum, die Beute der Welt aufzuteilen, um ihren Wohlstand und ihre Macht zu sichern und zu erhalten, was ein Synonym für mörderische Ausbeutung, sowohl der lebendigen Erde, als auch ihrer Plebejer und Ausgeschlossenen ist, sowohl ‚im Inland‘, als auch durch ihre imperialistischen Unternehmungen. Keine dieser globalen Mächte spielt auch nur noch vor, dass sie irgendeine Ideologie hätten, die das rechtfertigen würde. Ohne ‚Kommunismus‘ oder ‚Demokratie‘ als fingierte Rechtfertigungen für ihre Brutalität setzen die NATO und Russland ihre Aktivitäten mit einem habgierigen Hunger nach Kontrolle und Unterwerfung fort UND RICHTEN IHRE ZUNEHMEND AUTOMATISIERTE, ZERSTÖRERISCHE HIGH-TECH BEWAFFUNG NICHT AUFEINANDER, SONDER AUF UNS, die Menschen, die unter der Herrschaft dieser konkurrierenden Kartelle leben! Die erbärmlichen Feiglinge, die diese Länder beherrschen wollen aufeinander zeigen, um uns in Gehorsam und möglicherweise, wenn die Dinge so weitergehen, in die zerhackende Maschinerie eines weiteren imperialistischen Krieges zu ängstigen.

ABER WIR WISSEN GENAU WER VERANTWORTLICH IST. Die Rüstungsunternehmen, die Kassernen, die Banken, die Stützpunkte, die Waffenhersteller und unsere miefenden ‚demokratischen Abgeordneten‘. Wenn wir nur eine einzige Barrikade auf ihrem Voranschreiten auf dem blutigen Pfad, auf den sie uns geführt haben, errichten wollen, dann müssen wir den Krieg teuer für jene machen, die durch die ganze Geschichte hindurch ungestraft Tod und Zerstörung organisiert haben, ja die sich in dem absolut gewöhnlichen Fall von Blair sogar für einen Orden für ihre Verdienste vor der Queen verbeugt haben.

Gefährt*innen aus der ganzen Welt haben uns edle Beispiele des direkten Angriffs auf die mörderischen Kapazitäten der europäischen Staaten gezeigt.

Ein jüngeres Communiqué aus Deutschland lautet:

„Krieg als realistische Option, die schulterzuckend hingenommen wird. Manchmal scheint es, als hätten uns all die „alternativlosen“ Kriegseinsätze stumpf gemacht. Manchmal. Angespornt durch den Angriff auf den Rüstungskonzern OHB im November in Bremen haben wir uns vorgenommen, den Krieg hier zu bekämpfen. Deswegen haben wir in den frühen Morgenstunden des 7.12 einen Bundeswehrfuhrpark in der Bremer Neustadt – auf dem Gelände der Kriegsprofiteure von MAN – mit Feuer angegriffen.

Ganz nach der alten Parole: Was in Deutschland brennt, kann anderswo keinen Schaden anrichten.“

Sechs Monate zuvor in Schweden:

„Wir haben drei große Anhänger des britisch-niederländischen Unternehmens Shell an der Tankstelle des Unternehmens in Lund (Schweden) in der Nacht des 27. August [2021] in Brand gesteckt. Unser Grund Shell anzugreifen ist Shells Beteiligung am Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 als Investor. Diese Aktion wurde im Rahmen der Internationalen Woche der Solidarität mit anarchistischen Gefangenen (23. bis 30. August) durchgeführt.

Nord Stream 2 gehört zum russischen Staatsunternehmen Gazprom und ist ein strategisches Projekt von Putins Regime. Die Gaspipeline wird eine ernstzunehmende Waffe in den Händen seiner Diktatur werden. Nichtsdestotrotz helfen Shell und verschiedene weitere westliche Unternehmen dem russischen Staat ökonomisch …“

Und schließlich einige Jahre zuvor in der Schweiz:

„Wie ein schwarzer Faden zieht sie sich durch die Geschichte – die aufständische Gewalt gegen die Herrschaft in allen Farben und Schattierungen.
Allen Versuchen zur Integration, aller Repression, aller scheinbaren Auswegslosigkeit und Verwirrung zum Trotz, lodert die Leidenschaft der Freiheit bis heute fort.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag (16.12.18) schwappte dieses Feuer auf zwei Fahrzeuge über:
Zum Einen ein Auto von Siemens. Durch ihre Geschichte – von der aktiven Beteiligung am Nationalsozialismus, der Herrstellung von Kriegs- und Kontrollgeräten und der Entwicklung sogenannt ’smarter’ Technologien – geriet dieses Unternehmen immer wieder ins Visier der Aufständischen. Der technologische Fortschritt ist dabei alles andere als ein neutraler Prozess, vielmer die nächste Etappe der kapitalistischen Enteignungsgeschichte.
Zum Anderen ein Lieferwagen der Baufirma Implenia, die am Bau der heutigen Knäste, Lager und Repressionstempel ihr Geld verdient.

Auf dass diese alte Welt zugrunde geht!
Es lebe die Anarchie!“

Wir können sehen, dass durch den Angriff auf die Tentakeln dieses scheinbar abstrakten und transnationalen Monsters, eine vielgestaltige Gefahr für die Kriegstreiber, die uns regieren und ausbeuten, erzeugt werden kann. Die beispiele sind in den Dekaden des Kampfes gegen ihre Projekte und Personen dargelegt, die Methoden lassen sich leicht in die Praxis umsetzen. Was wichtig ist, ist DASS DIES DER PFAD EINES ECHTEN KAMPFES GEGEN DAS KAPITAL UND SEINE KRIEGE IST. Die bescheuerten Streiche der ‚Stop the War Coalition‘ haben bereits ihren ‚Frieden‘ mit einem Zustand des unaufhörlichen Krieges geschlossen. KEINE dieser aktivistischen Gruppen, großen Bündnissen, Einthemenkampf-‚Kampagnen‘, hat irgendein Interesse daran dem Klassenfeind eine unmittelbare Konsequenz für deren imperialen Abenteurertum zu zeigen und folglich müssen wir verstehen, dass SIE KEIN INTERESSE DARAN HABEN, DEN KOMMENDEN KRIEG ‚TATSÄCHLICH‘ ZU STOPPEN.

Während Covid-19(84) seinen Einsatz als ‚Ausnahmezustand‘, um uns zu Gehorsam zu zwingen, überdauert, wurde eine neue Grenze, die die lange-abgelaufene Legitimität unserer Herrscher und der Oligarchen, die sie repräsentieren unterstützt, aufgedeckt.

Alle können gegen ‚Russland‘ zusammensetehen, so hofft man, vielleicht selbst die Anarchist*innen. Und bis sich die ‚Menschenrechtsverletzungen‘ wie die Vergewaltigugnen, Folter und Verwüstung, wie sich auf die vom letzten, zwanzig Jahre währenden Krieg in Afghanistan, angerichteten Verbrechen beinahe euphemistisch bezogen wird, die rechtschaffene Empörung des liberalen Bewusstseins entflammen werden, wird es bereits zu spät sein.

Dieser verwesenden Ordnung, diesem Freiluftgefängnis, das UK genannt wird, sind die Legitimationen für sich selbst ausgegangen – es glaubt an Nichts mehr und was bleibt ist bloß weltverschlingende Gier. Während gute Bürger Ausflüchte machen und durch ihre Newsfeeds scrollen, wird ein Abgrund neuer Schrecken, hervorgerufen von unserer eigenen Passivität sichtbar. WIR HABEN IM GEGENSATZ DAZU EINE IDEE VON FREIHEIT UND LEIDENSCHAFT, DIE IHRE LÄNGST GESCHRIEBENEN PLÄNE EINER VERGIFTETEN ERDE, EINES VON KAMPFDROHNEN VERDUNKELTEN HIMMELS UND EINES LEBENS ZU GNADEN VON FEIGLINGEN, DIE SICH ALS UNSERE HERREN AUFSPIELEN, UND DENEN WIR DURCH UNSERE EIGENE TATENLOSIGKEIT ERLAUBEN, IN IHREN BLUTBEFLECKTEN LABORATORIEN DER KONTROLLE VERSCHWENDET ZU WERDEN, ZUNICHTEMACHEN KANN

Lasst uns ihren Krieg zu ihnen nach Hause bringen: Mit Plakaten, Graffiti, Gegeninformation und all den rebellischen Techniken direkter Aktion! Mit einer gewandten, scharfen Analyse, die den Feind enttarnt, wo er sich vor unseren Augen als Strukturen und Personen versteckt, sowie in kleinen, informell organisierten Gruppen, die auf Affinität basieren, lasst uns die Todesmaschinerie von NATO/Russland bekämpfen!

GEGEN IHREN KRIEG, GEGEN IHREN FRIEDEN

INTERNATIONALE SOLIDARITÄT UND REBELLION!

Anarchist*innen


Übersetzung eines Flugblatts aus dem UK.

Sich vorantastend…

Alleine im Wald?

»Isère: Verschwörungstheoretiker voller Wut gegen den Staat fackelte Funkmasten ab«

»Drôme: Der Brandstifter von Pierrelatte: Gegen 5G, aber nicht gegen Glasfaser«

»Rhône: Zwei Mönche für das Abfackeln von 5G-Funkmasten verhaftet«

»Paris: Der Impfgegner sabotiert 26 5G-Antennen, um Frankreich vor den Covid-19-Verschwörungen zu retten«

Presseschlagzeilen der letzten Monate

Die Staatsbehörden haben seit 2018 hunderte Sabotagen gegen Telekommunikationsinfrastruktur registriert. Abgefackelte Funkmasten, durchgeschnittene Glasfaserkabel, verkohlte Verteiler, zerstörte Telefonschränke: diese Praktiken haben sich auf das gesamte Territorium ausgebreitet und haben definitiv in den letzten zwei Jahren eine quantitative Steigerung erfahren. Die Qualität der nächtlichen Aktivitäten der Saboteure und Saboteurinnen scheint ebenfalls einen Sprung gemacht zu haben: es kam zu Sabotagen, die besonders sensible Knotenpunkte trafen, andere waren koordiniert oder wiederholten sich in derselben geographischen Zone, andere zielten auf die Störung der Kommunikation einer genauen Struktur, Zone oder eines genauen Moments ab… Kurz, trotz der wiederholten Warnungen der Autoritäten, der Alarmschreie der Anbieter und einer nicht zu vernachlässigenden Zahl an Festnahmen zielen Angriffe weiterhin auf diese Infrastrukturen, die sich schwer vor einem verstohlenen Schnitt mit der Zange oder einem nächtlichen Brand schützen lassen.

Während letztere unleugbar die Venen der technologischen Herrschaft anvisierten, bleiben die individuellen Beweggründe und die darüber hinausgehenden Sehnsüchte der Hände, die diese vollbrachten, hingegen häufig im Dunkeln. Die Repression, deren eine primäre Aufgabe es natürlich ist, die Urheber der Missetaten, die das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft durcheinander bringen, zu identifizieren, hat dennoch ein wenig die Diversität der Personen enthüllt, die sich auf Spaziergänge im Mondschein begeben. Auch wenn man dabei mit den Informationen vorsichtig sein muss, die in den Zeitungen veröffentlicht werden, ebenso wie mit den Anliegen der Verurteilten, die von Journalisten „zitiert“ werden, und ebenso vermeiden will, für uns die „Profile“ und „Kategorien“ zu übernehmen, die von den Staatsbehörden zum Zwecke der Kartographierung, der Aktenführung und der Repression etabliert wurden, hat man in diesen letzten Jahren äußerst unterschiedliche Personen gesehen, die für Angriffe auf die permanente Konnektivität verurteilt wurden. Während der Glanzzeiten der Gelbwesten haben beispielsweise zahlreiche Kleingruppen Sabotagen innerhalb oder am Rande dieser Bewegung der heterogenen Revolte verübt. Andere Verurteilte betonten vor dem Gericht ihre ökologische Sensibilität, ihren Widerstand gegen 5G wegen seiner schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Umwelt, ihre linke Gesinnung oder ihre Verweigerung der Kontrolle. Andere wieder, auch mit belastenden Beweisen und letzten Endes Verurteilungen konfrontiert, weigerten sich bis zum Ende vor Gericht oder in der Presse lange Erklärungen abzugeben. Hinter ihrer sturen Stummheit könnten sich sicherlich wenig freiheitliche Ansichten verstecken, allerdings heißt der Umstand, dass man keinen Sinn darin sieht, seine Spannungen und seine Ideen einem Journalisten zu erklären, sicherlich nicht, dass man notwendigerweise kein „Problem damit hat mit Verschwörungstheoretikern oder Rechtsextremen in Verbindung gebracht zu werden“. Genauso wie der Umstand, dass man nicht Teil eines mehr oder weniger „militanten“ Milieus ist, dass man kein „Solidaritätskomitee“ hat, das die eigenen Ideen verteidigt, sobald die Bullen sich auf einen stürzen, dass man keine öffentlichen Briefe schreibt, um unsere Handlungen zu erklären, nicht heißt, dass man automatisch Teil der „Faschos“ ist, die planen einen Rassenkrieg durch das Verursachen von Chaos auszulösen, oder der „Verschwörungstheoretiker“, die sich den Kopf im digitalen Netz vollstopfen lassen, oder der „Fundis“, die die neuen Technologien als Werk des Teufels betrachten.

In den letzten Monaten haben Presseschlagzeilen wie jene am Anfang des Textes zitierten etwas, das einige das „Wohlwollen“ gegenüber dem Schweigen der Urheber von Angriffen nennen würden, strapaziert, was sogar so weit ging, bei Gefährten einen existenziellen Fieberschub auszulösen. Die Logik scheint dabei standzuhalten: wenn es erwiesenermaßen hinter all den anonymen Angriffen – ja, das muss man hier erklären, die meisten Angriffe gegen die Telekommunikationsinfrastruktur wurden nicht von einem Communiqué begleitet und haben weder den Ermittlern noch den wachsamen Hütern der Genealogie einen Hinweis auf die ideologische Gesinnung gegeben – manchmal wenig empfehlenswerte Leute wie Gotteserleuchtete, patriotische Aktivisten oder besonders verwirrte Personen gegeben hat, die sich in irgendwas verrannt haben,… dann muss also jeder anonyme Angriff als etwas behandelt werden, das möglicherweise, sehr möglicherweise, von wenig empfehlenswerten Leuten kommt.

Der logische Fehler springt einem sofort ins Auge, doch was für eine Bedeutung haben schon die Überlegungen, die Argumente, die kritischen Evaluationen oder die Vertiefungen, wenn es einfacher ist sich alleine im Wald zu wähnen anstatt zu begreifen, dass nicht verachtenswerte Personen, die man nicht kennt und die vielleicht, ja wahrscheinlich, sehr unterschiedliche Visionen und Empfindsamkeiten von den unsrigen haben, ebenfalls durch das Unterholz schleichen könnten. Alleine im Wald, alleine wie Anarchisten, edle Diener eines höheren Ideals, ohne Widersprüche in unserem Leben, ohne „Schandflecken“ auf unserem ererbten Wappen, ohne Zweifel in unserem Denken und ohne „Fehl und Tadel“ in unseren Beziehungen und unserer Lebensweise, klar wie ein Vollmond und ohne eine einzige „revolutionäre“ oder „aufständische Illusion“. Trotzdem, auch wenn es immer möglich ist, sich selbst in die Tasche zu lügen, auch wenn es immer möglich ist sich ein Kartenhaus zu errichten, das der erste Windhauch der Realität wie Sand davonfegen wird, gibt es auch andere Wege, die sich nicht von der Welt, die uns umgebt, abgrenzen, die es nicht nötig haben unsere Ideen und jene, die sie verkörpern, auf ein Podest überhalb jeder Möglichkeit eines Fehlers zu erheben, um dem Kampf einen Sinn und unserem Leben Bedeutung zu verleihen.

Denn wir sind im Wald nicht allein. Wir sind nicht die einzigen menschlichen Faktoren der Unordnung, genauso wie die Menschen nicht mal der einzige Faktor sind, der die fragilen Gleichgewichte, auf denen die Welt in voller vernichtender Niederlage sich fortzubewegen sucht, ins Schwanken bringt. Andere Personen handeln, vielleicht mit weniger vertieften Ideen als den deinen, mit feineren Empfindsamkeiten als den meinen, von einem unmittelbaren Verlangen nach Rache gegen ein tödliches System bewegt, von einer finsteren Rache gegen ein Leben, dem jeder Sinn genommen wurde, ebenso wie von einem ideologischen oder religiösen Glauben, der in Konflikt ist mit dem technologischen Marsch der Welt.

Die Gründe

»Weil im Grunde das Wesentliche der Frage nicht die vermuteten Beweggründe von absoluten Unbekannten, über die man sowieso niemals etwas wissen wird (außer im Falle einer eventuellen Verhaftung, die wir niemandem wünschen), betrifft, sondern wie wir, innerhalb des sozialen Krieges, unsere Handlungen, die zu uns sprechen und mit unseren Ideen vibrieren, widerhallen lassen wollen. Ob sie nun kollektiv sind oder individuell, diffus oder sehr konkret, breit teilbar oder bösartig ketzerisch, komplett anonym oder subversiv gelabelt, im Schatten der Projektoren oder von ihren Urhebern auf verschiedene Weisen publik gemacht.«

Wanted interconnectés, Juli 2021

Angesichts der Feststellung, dass der Wald nicht nur Anarchisten Schutz bietet, öffnen sich im Großen und Ganzen zwei Möglichkeiten mit wie immer tausenden dazwischen liegenden Nuancen.

Die erste besteht darin zu denken, dass angesichts dessen, dass niemand anderes als wir anarchistische Ideen teilt (zumindest in ihrer Ganzheit, die sie stark von anderen Ideologien unterscheiden, die man mehr oder weniger je nach Situation und Präferenz des Moments in Stückchen zerschneiden kann), alle „Akte der Revolte“, alle „Momente der Unordnung“, alle „Fragmente des sozialen Kriegs“ oder wie auch immer man das nennen will, sicherlich das Panorama, den Hintergrund ausmachen, in dem wir handeln, aber dass wir uns davor hüten müssen, ihnen irgendwelche Beweggründe zu unterstellen. Dann, je mehr im Laufe der Zeit Beweggründe dem Zwielicht des Waldes entfliehen und diesen Handlungen eine bestimmte Farbe verleihen, eine Farbe, die uns aus Prinzip schon nicht ganz und gar gefallen kann (da schließlich die Anarchisten die einzigen sind, die anarchistische Ideen teilen), desto mehr wird es nötig sein unsere Absichten und Beweggründe gegenüber denen der anderen zu betonen oder klarzustellen. Denn jedes Schweigen von unserer Seite aus könnte Wasser auf den Mühlen der Absichten und Beweggründe sein, die wir nicht teilen. Wir sind also dazu gezwungen Fackeln inmitten des Wald zu entfachen, und dafür zu sorgen, dass die Scheiterhaufen, die wir damit entzünden, stärker, höher und heller brennen als die der anderen. Und dabei stark zu riskieren, dass in Wirklichkeit die anarchistische Identität unsere Hauptsorge wird, dass man damit endet (einschließlich in unseren eigenen Kreisen) eine Art von Katechismus zu etablieren, der die guten und die schlechten Punkte abhakt, und damit letztlich darin versagt, die Diversität und den Reichtum der Individualitäten als eine Frucht der Freiheit zu begreifen, sondern als eine fürchterliche Bedrohung.

Die zweite Möglichkeit bleibt immer noch diejenige, von uns selbst auszugehen, von unseren anarchistischen Ideen und Antrieben, aber die anderen „Faktoren der Unordnung“ nicht als Dinge zu begreifen, die es zu assimilieren oder sie derart zu präsentieren gilt, als seien sie – unbewusst und begraben – vom heiligen Feuer der Anarchie inspiriert, sonder einfach als Elemente, die ihr Gewicht und ihre Bedeutung im konkreten (und nicht etwa platonischen oder idealistischen) Krieg, der von den Menschen geführt wird, haben. Ein „sozialer“ Krieg, wenn man so will, im Sinne, in dem dieser die ganze Gesellschaft durchzieht und um die Frage der Herrschaft (in all ihren Deklinationen) kreist, und wo die Anarchisten jene sind, die die Notwendigkeit der Zerstörung der Herrschaft anstatt ihrer Reorganisierung verteidigen. Dieser „soziale Krieg“ ist nicht der Ausdruck einer Spannung in Richtung der „totalen Befreiung“ oder „der Anarchie“, er macht nur den Konflikt aus, aus dem die sozialen Beziehungen geboren werden und sich verändern, die wiederum im Gegenzug die Modalitäten dieses „sozialen Krieges“ prägen. Die von jenen, die an diesem Krieg beteiligt sind, stillschweigend oder explizit geäußerten Beweggründe müssen also in ihren historischen Kontext platziert und nicht extrahiert werden, um sie dann im Pantheon der Abstraktionen zu vergleichen.

Ohne natürlich ihr Gewicht zu leugnen, nimmt diese zweite Möglichkeit (entschuldigt mich für diese viel zu grobe Schematisierung) damit diese Beweggründe nicht als die einzige Referenz, als einzigen Hinweis der Realität, sondern als eine unter anderen. Das Bedürfnis eine Genealogie der „Akte der Revolte“ herzustellen, die Beweggründe der Urheber herauszufinden, ist viel weniger spürbar – ebenso das Bedürfnis systematisch Erklärungen der eigenen zu liefern. Der Erklärung der Handlungen macht damit Platz für die Elaborierung einer Projektualität, die danach strebt über jede einzelne von ihnen hinauszugehen, und der Umstand, dass diese Projektualität aufständische (die Entfesselung einer Situation des Bruchs) oder andere Absichten hat, macht dabei nicht notwendigerweise einen großen Unterschied. Es stimmt, wie es einige Kritiken betonen, dass dies dazu führen kann, das Gewicht der Beweggründe komplett beiseite zu schieben und damit zu riskieren, angesichts dieses Faktors blind zu werden, der tatsächlich zwar nicht der einzige ist, trotzdem aber einer bleibt. In diesem Fall, wenn die „Beweggründe“ hinter den Akten der Revolte nicht das exklusive Element sind, die die Anarchisten in dem, was sie verursachen, interessiert, darf das aber ebenso nicht dazu führen, ihren Einfluss auf die Realität des sozialen Kriegs komplett zu leugnen.

Handlungen, die für sich selbst sprechen?

»Nichts von dem, das geäußert wird, kann so von Drohung beladen sein wie jenes, das es nicht ist.«

Stig Dagerman

In der komplexen Realität, die die unsere ist, sind die Dinge natürlich noch komplizierter und enden sogar damit, jeden Schematismus und jedes Begreifen in ein schönes Chaos zu stürzen und dabei einige zusätzliche Bemerkungen nötig zu machen.

Einerseits, wenn das Schweigen der Aufständischen manchmal letztlich das Gewicht der Beweggründe verdunkelt, antwortet es andererseits auf die praktische Notwendigkeit, dem staatlichen Feind keinen Hinweis zu geben. Auf dieselbe Weise, wenn man einerseits nur schwerlich die Notwendigkeit bezweifelt, seine Gründe in einem wirren Kontext klarzustellen, ja gar in einem Kontext der scharfen Unzufriedenheit, die mit einer strategischen Projektion der Neofaschisten zusammenprallt (wie der gegenwärtige Widerstand gegen den »Pass Sanitaire« und die Angriffe auf Strukturen wie die Impfzentren), muss man andererseits klarsichtig bleiben, was das begrenzte Gewicht von Worten betrifft und was sie auszudrücken und zu vermitteln vermögen. Das gilt natürlich für jeden sprachlichen Ausdruck, vom Plakat zum Flyer und der Diskussion bis hin zur Zeitung oder einem Bekennerschreiben: alle sind von der Fähigkeit des anderen abhängig, das, was geschrieben oder gesagt wurde, zu verstehen.

Wenn man beispielsweise weiterhin in der Lage sein will, die Handlungen der anderen als diverse Ausdrücke innerhalb des „sozialen Krieges“ gut zu finden – von Angriffen auf Bullen in den Banlieues bis hin zu anonymen Infrastruktursabotagen –, muss man offensichtlich eine andere Weise finden das zu tun, als alles auf der kleinen Waage des Anarchismus abzuwägen. Oder wenn doch, müsste man sich definitiv darauf beschränken nur Handlungen zu erwähnen, zu denen sich vorschriftsgemäß Anarchisten bekannt haben, das einzige Mittel um radikal jedes Risiko der Spekulation, voreiligen Zustimmung oder ungesunden Nachforschung zu vermeiden – wohl wissend, dass auch das nur vorläufig sein kann, weil der Anarchist, der gestern eine schöne Handlung vollbracht hat, sich heute immer noch als Drecksack in seinen alltäglichen Beziehungen entpuppen oder morgen seine Meinung ändern kann…

Auf jeden Fall bleibt es im Grunde natürlich wichtig sich die Zeit zu nehmen unsere Beziehungen zu den anderen Lebewesen im Wald auf kritische Art und Weise zu vertiefen, ebenso unsere Art und Weise zu handeln. Jedoch, ebenso wie es tatsächlich weder ein Rezept gibt, das man einfach anwenden, noch ein Dogma, das man einfach hinunterbeten kann, kann es umgekehrt auch keine zu befolgenden Bedienungshinweise dazu geben, „wie man etwas macht“, deren Missachtung mit der Anklage, sich hinter Faschos und anderen Erleuchteten verstecken zu wollen, geahndet wird. Niemand, nicht einmal die borniertesten unter ihnen, werden wagen den Gefährtinnen und Gefährten die Verpflichtung aufzuerlegen ihre Handlungen zu erklären, ihr Projekt detailliert vorzustellen und zu rechtfertigen, ihre Handlungen hinsichtlich gewisser Vorgaben zu labeln, nur um der Bissigkeit irgendeines Chronisten des sozialen Krieges zu entgehen. Es wird immer jeder und jedem einzelnen zufallen, so zu handeln, wie es ihr oder ihm am besten scheint. Auf die Gefahr hin, die einen in Unwissenheit und Unverständnis zu lassen, und den Schatten zu bewahren um die Aktivitäten der anderen zu decken. Auf die Gefahr hin, die einen durch eine Erklärung, die als zu unredlich beurteilt wird, zu enttäuschen, oder andere durch die klare und präzise Darlegung von Ideen und Gefühlen, die einen zur Handlung inspiriert haben, zu inspirieren.

Denn sprechen letzten Endes die Handlungen für sich? Einerseits ja, in dem Sinne, dass sie die Verwirklichung eines konkreten Angriffs auf eine Struktur oder eine bestimmte Person ist. Die Zerstörung eines Funkmastes ist die Zerstörung eines Funkmastes, egal, wie man das gerne interpretieren würde. Andererseits nein, denn sie können nicht in sich selbst alle Beweggründe, Spannungen, Empfindsamkeiten ausdrücken, die den Urheber dazu motiviert haben diesen umzusetzen. Damit sind Handlungen das, was sie sind, ein materieller zerstörerischer Fakt, der die Vorstellungskraft anregen oder öffnen kann (oder auch nicht), nicht mehr, nicht weniger. Gleichzeitig sind es auch all diese Handlungen, die das Panorama ausmachen, in dem wir handeln, und von dem wir Teil sind. Sie erhalten ihren Sinn also auch in einem Kontext, und nicht nur durch die eventuelle ausdrückliche Äußerung der Urheber. Da sie das Leben anderer Menschen durcheinanderbringen, auf den Kopf stellen, infragestellen, können sie niemals das exklusive Eigentum ihrer Urheber sein, so wie auch die Urheber niemals die einzigen sein werden, die ihnen einen Sinn geben (egal ob es darum geht sie gutzuheißen oder sie zu verurteilen). Angesichts dessen ändert der Umstand sich zu einer Handlung zu bekennen oder auch nicht, nicht radikal etwas an der Ausgangssituation. „Die Anderen“ sind nicht einfach passive Zuschauer, die die Handlungen ebenso wie die Erläuterungen, die die Urheber ihnen manchmal gerne geben wollen, regungslos empfangen: sie sind direkt beteiligt, denn ihr Leben wurde (auf mehr oder weniger kurzlebige Art und Weise) von der Handlung durch den Ekel oder den Enthusiamus, den diese bei ihnen hervorruft, etc., etc. verändert.

Kann also eine Bekennung zum Verständnis einer Handlung beitragen? Natürlich, ebenso wie sie sie umgekehrt ihren Lesern unverständlich machen kann, indem sie sie beispielsweise so sehr aufbläht oder mit so vielen Wort umgibt, dass letztere die Handlung letzten Endes beinahe in ihrem Referat ertränken und damit den einfachen Vorschlag begraben, den diese immer enthält: lasst uns kaputt machen, was uns kaputt macht. Und kann außerdem der Umstand sich zu bekennen wirklich davor bewahren mit wenig empfehlenswerten Menschen in einen Topf geworfen zu werden? Da der Wald weitläufig ist und die Handlungen deutlich weiter und über unsere Worte hinaus widerhallen (die „Auswirkungen“ der Propaganda, ob sie nun von anarchistischen Zeitungen oder von anarchistischen Bekennerschreiben ausgeht, werden immer begrenzt bleiben), würde man eher dazu neigen, dies zu relativieren, und auf jeden Fall die Bekennung nicht als eine Art Zauberlösung zu betrachten, als ein Wundermittel, das alle Probleme lösen soll, die die Handlungen und ihr mögliches Verständnis hervorrufen.

Links, rechts, links, rechts: jenseits davon!

»Dass die Linken seit Wochen Hand in Hand mit Faschos/Verschwörungstheoretikern auf die Straße gehen, sollte uns eine Warnung vor der Gefahr der Idee eines gemeinsamen Kampfes sein, die dazu führt, dass es uns egal ist, mit wem wir kämpfen, solange man die gleiche Praxis und das gleiche Ziel hat. Man vergisst, dass die Menschen, deren Handlungen man bejubelt, oder mit denen man demonstriert, Positionen haben, die hinsichtlich quasi allem mit den unseren in Widerspruch stehen, und dass wir in anderen Kontexten ihr Angriffsziel sein werden.«

Einige solidarische Widerborste, ihn ihrem Bekennerschreiben eines Orange-Fahrzeugs in Grenoble, September 2021

Seit mehreren Monaten scheint ein Großteil des Widerstands gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung von Personen aus dem rechten Spektrum auszugehen. In anderen Ländern ebenfalls, wie in Italien, in den Niederlanden oder in Deutschland sind Faschos in großer Zahl auf die Straße gegangen und haben ihre Anwesenheit bei Mobilisierungen des sehr heterogenen Restes klar deutlich gemacht. Mehrere Male wurden Anarchisten sogar von faschistischen Gruppen angegriffen, und glücklicherweise hat das auch umgekehrt stattgefunden. Trotzdem bedeutet sich auf einem selben Konfliktfeld wiederzufinden nicht notwendigerweise sich das ekelhafte Vokabular von Opportunisten, die auf der Suche nach einer „Querfront“ sind oder „objektive Allianzen“ als politische Strategie theoretisieren, angeeignet zu haben. Wenn man auch immer noch die Möglichkeit hat die Tür zuzuknallen und ein Kampffeld aufzugeben, das uns keine subversive oder Handlungsmöglichkeit, die die Freiheit in sich trägt, mehr zu bieten scheint, wird jedoch kein Konflikt jemals vollständig den antiautoritären Kriterien entsprechen. In einem Konfliktfeld, das nicht „rein“ ist (aber welches Konfliktfeld ist das schon?), zu handeln bedeutet natürlich nicht den Autoritarismus zu unterstützen, der dort vorhanden sein kann, und die Frage wird immer viel eher jene bleiben, wie wir handeln, und mit welcher Perspektive.

Auf der anderen Seite des Rheins gibt es große Teile der linksradikalen und libertären Bewegung, die jenen, die die anonymen Angriffe auf die Telekommunikations- und Energieinfrastrukturen verteidigen, vorwerfen, eine Querfront mit den Nazis zu bilden, oder zumindest ihr Spiel mitzuspielen (weil die militanten Nazis im Allgemeinen nicht so versessen auf Bekennerschreiben sind und ebenfalls den Angriff auf Infrastruktur theoretisieren, um so den Tag X herbeizuführen, den Tag des gesellschaftlichen Zusammenbruchs und den Beginn des „Rassenkriegs“). Da außerdem ein Großteil des Terrains rund um den Widerstand gegen 5G von offen verschwörungstheoretischen und der extremen Rechten wohlwollend gegenüberstehenden Komitees („Querdenker“) besetzt zu sein scheint, werden Angriffe auf die Infrastruktur nicht mehr als Sabotagen gegen die Technowelt wahrgenommen, sondern als Beweise für die Virulenz der Nazis. Vom hohen Ross der antifaschistischen Kollektive und Kreise der Bewegung aus werden also Handlungen, zu denen sich niemand bekannt hat, diskreditiert, sobald das para-polizeiliche Prinzip, dass „eine Handlung gegen eine Infrastruktur, zu der sich niemand bekannt hat, einer Nazi-Aktion entspricht“, erst einmal etabliert wurde. Was noch für viele von ihnen dadurch verstärkt wird, dass sie im Allgemeinen als gute Jünger:innen des kollektiven und zivilisatorischen Fortschritts die subversive Tragweite von Angriffen auf dieses „Gemeingut“, das in ihren Augen die Elektrizität und die virtuelle Konnektivität sind, nicht zu erkennen vermögen.

Angesichts der aktuellen technologischen Restrukturierungen der Herrschaft, und egal von welcher Seite aus man diese betrachtet, bleibt ein kleiner Satz von Orwell – beileibe kein Feind jeglicher Herrschaft – beunruhigend aktuell: „Die wahre Spaltung besteht nicht zwischen Konservativen und Revolutionären, sondern zwischen Autoritären und Libertären.“ Jenseits des Rheins klagen diese Stimmen der deutschen radikalen und/oder libertären Linken also nicht nur die Anarchisten an mithilfe von Angriffen auf die Infrastruktur (die zum Hauptziel haben Chaos zu stiften und die technologischen Ketten anzugreifen, Praktiken, die in eine aufständische Projektualität eingebettet sein können oder auch nicht) einen „Bürgerkrieg“ auslösen zu wollen, sondern sie bestehen dann auch erhobenen Zeigefingers darauf, dass solche Angriffe deshalb zumindest von politischen Beteuerungen des guten Willens („soziale Gerechtigkeit“ und „progressive Emanzipation“ statt der Entfesselung der Freiheit, „gegen die Herrschenden“, aber immer indem man sich verständnisvoll gegenüber der Unterwerfung und Zustimmung der Beherrschten zeigt) begleitet sein müssten. Tatsächlich verlangen sie lediglich die Fortsetzung der guten alten opportunistischen Tradition, die sicherlich motiviert ist sich der Waffe der Sabotage zu bedienen, aber nur zu der Bedingung, dass sie als Medium und Sprachrohr für die politischen Pläne dient.

Und wenn nun die Anarchisten hier und anderswo letzten Endes mehr oder weniger dasselbe tun würden? Wenn sie Erklärungen für jeden Akt der Infrastruktursabotage verlangen würden, wenn sie sich faktisch von jeder Handlung, zu der sich nicht als „anarchistisch“ bekannt wurde, distanzieren würden, wenn sie überall nur noch die Hand der Nazis, der Verschwörungstheoretiker – und warum nicht, ein Klassiker des letzten Jahrhunderts: der ausländischen Geheimdienste – hinter den Sabotagen, deren Urheber sich dazu entscheiden im Schatten zu bleiben, sehen würden? Sie würden also darin enden, jede Projektion und jeden Willen, die eine unkontrollierte Vervielfachung der Sabotagen an Telekommunikations-, Energie- und Logistikinfrastruktur erhoffen und daran arbeiten, über Bord zu werfen, um nur noch ihre einer ideologischen Kontrolle unterworfene Vervielfachung zu akzeptieren und wertzuschätzen. Würde das bedeuten die Freiheit zu verteidigen oder eher sich vor ihr zu fürchten?

Der Umstand, dass Faschos/Verschwörungstheoretiker oder sogar Mönche einige Funkmasten angegriffen haben, nimmt kein einziges Gramm Richtigkeit daran einfach all diese Strukturen anzugreifen, zu Sabotagen gegen diese ermutigen zu wollen, die unkontrollierbare Vervielfachung letzterer zu erhoffen und daran zu arbeiten. Jedoch könnte uns das dazu zwingen noch mehr darüber nachzudenken, warum diese Handlungen vorgeschlagen werden könnten, warum wir wirklich ihre Verbreitung wollen, d. h. darüber nachzudenken um unsere Perspektiven zu verfeinern. Wenn die Terrains zu verlassen, wo andere auch aktiv sind, keine Option ist, wenn systematisch jede Handlung zu labeln nicht die Frage nach dem „selben Terrain“ löst, dann bedeutet das, dass man noch weiter suchen muss: in der Perspektive, die wir unserem Handeln geben, in den Ideen, die wir verbreiten, in den Methodologien, die wir vorschlagen, in den Projekten, die wir entwickeln.

Welche Freiheit?

Die Freiheit zu entfesseln bedeutet das Unvorhersehbare zu akzeptieren, das die Unordnung in sich trägt. Es bedeutet zu akzeptieren, dass die Freiheit nicht immer sanft ist, sondern dass sie auch ein blutiges Gesicht annehmen kann, wir wollen sie trotzdem. Wir wollen keine Freiheit, die von Risiken befreit wurde, noch wollen wir von der Freiheit verlangen, dass sie ihre Bescheinigungen, die ihr ein gutes Leben und Gebräuche attestieren, mitbringt, ehe wir sie bei uns einlassen. Das wäre keine Freiheit, das wäre Domestizierung, die sich mit libertärer Kleidung getarnt hat, der beste Boden, auf dem der Keim der Autorität wieder beginnen würde zu wachsen.“

La Forêt de l’agir, April 2021

Welche Perspektiven kann man also erkunden? Man könnte mit jenen beginnen, die man verstehen kann, uns aber am wenigsten inspirieren. Zum Beispiel diejenige, die häufig zwischen den Zeilen hindurchschlüpft, es aber schwer hat explizit ausgesprochen zu werden: es handelt sich um jene Perspektive, die die Existenz und die qualitative wie quantitative Verstärkung der anarchistischen Bewegung zum Hauptziel hat. Eine stärkere, größere, besser organisierte Bewegung, die in der Lage wäre sich den obskuren Kräften des Faschismus, der verschwörungstheoretischen Manipulation von sehr realer Wut, den linken Ideologien, deren Rolle wohl zu sein scheint den Kapitalismus und die Herrschaft in eine nachhaltigere, technologischere, fairere Zukunft zu begleiten, entgegenzustellen. Eine Bewegung, die es wagt sich selbst als Referenzpunkt zu betrachten, und die eine ausreichende Fähigkeit der Verbreitung, des Angriffs und der Relevanz entwickelt um eine wahre Kraft zu sein, die in der Lage ist in der öffentlichen Debatte Gewicht zu haben, den Unterschied in dazwischenliegenden Kämpfen zu machen, Nazis von Demonstrationen zu verjagen.

Bei einer solchen Perspektive gibt es ein starkes Risiko, dass die quantitative Verstärkung der anarchistischen Bewegung, die an sich bereits schwer vorstellbar ist (denkt man alles in allem wirklich, dass anarchistische Ideen heutzutage von Massen von Personen geteilt werden könnten?), sich letztlich mit der Repräsentation einer solchen Verstärkung zufrieden geben wird. Der Spiegeleffekt verführt leicht zum Exhibitionismus und entleert damit rasch den Kampf, um ihn mit einem Bild zu ersetzen, das man für real hält. Letztlich endet eine solche Perspektive normalerweise damit die anarchistische Identität zu verstärken, um dann mit leidenschaftlicher Feindschaft… die anderen Waldbewohner anzugreifen. Um dies zu tun hat diese Identität also Tendenz sich überdimensioniert aufzublähen, der Form den Vorrang vor der Qualität der Substanz zu geben, und endet damit, sich mittels Vergleichen im Spiegel der Repräsentation mit allen anderen Identitäten zu messen.

Andere Wege bleiben jedoch möglich, die sicherlich etwas düsterer und gefährlicher sind. Wege, die nicht für jene gemacht sind, die sich vor Schlamm fürchten oder die es nicht ertragen können im Schatten zu arbeiten. Wege, an deren Ende keine Garantie existiert, keine Anerkennung, die uns erwartet, die nicht die bloße Existenz von Anarchisten und ihr Überleben als das Alpha und Omega der Subversion oder der Anarchie betrachten. Es handelt sich um den Weg, der sich mal steil aufwärts, mal steil abwärts durch die Landschaft schlängelt, um den Zug des Fortschritts und der aktuellen Gesellschaft zum Entgleisen zu bringen. Ohne dabei die Verbreitung unserer Ideen (mittels verschiedener Mittel) aufzugeben, ohne die Nützlichkeit und die Notwendigkeit der anarchistischen Kritik zu unterschätzen, zielt der Weg, von dem wir hier sprechen, insbesondere darauf ab, zur Erschütterung der Situation, zur aufständischen Explosion, zum Zusammenbruch dessen, was die produktiven und sozialen Strukturen aufrechterhält, beizutragen. Dieses Projekt, diese Projektualität zielt weder auf das numerische Wachstum der anarchistischen Bewegung, noch auf die Vergrößerung ihres Rufs, sondern darauf, die sozialen Konflikte auf eine umfangreichere Umwälzung auszuweiten; weil auf eine unkontrollierte Vervielfachung der Handlungen und auf den unerwarteten Abbruch der Verbindung hinzuarbeiten das Aufkommen von Freiheit erlauben könnte, ja besser noch, sie ist eines der Gesichter, die die Freiheit, die heute losstürzt, annimmt.

Der Umstand, dass einige, deren Beweggründe wir sicher nicht teilen, sich ebenfalls daran beteiligen, dass andere, von denen wir überhaupt nichts wissen, sich auch darauf verlegen, verursacht in uns keine lähmende Angst, und treibt uns auch nicht dazu an einem exhibitionistischen Sichüberbieten teilzunehmen (eine Falle so alt wie die Welt, von allen gestrigen und heutigen Nachrichtendiensten bekannt und gestellt), sondern treibt uns vielmehr dazu, unsere Vorschläge, unsere Projektualität, unsere Ethik weiter zu verfeinern. Und vor allem mit unseren Mitteln und bescheidenen Fähigkeiten die dringende Zerstörung der aktuellen Gesellschaft voranzutreiben.


Übersetzung aus dem Französischen,  „En tâtonnant…“, Avis de Tempêtes #46, 15. Oktober 2021

Kammmolche [1] fackeln Molchschule ab – Warum wir die ZAD angegriffen haben

Attaque, 29. Juli 2021

„Ich hatte ganz einfach nicht gesehen, wo diesmal, diskret, aber sicher, der Reformismus durchschlüpfen würde, da, wo man doch tausende Male von Aufstand und Autonomie spricht.“

Die Bewegung ist tot… Es lebe die Reform. 2017

Die Zad, sie war unser Piratenschiff, die Mutter aller Zads. Sie erschien in einer Epoche ohne Ausweg, und es war, als würde die Welt ein bisschen erträglicher werden. Wie ein kurzer Lichtschein, eine Möglichkeit, die den dicken und klebrigen Nebel unserer Zukunft durchbrach. Für uns, die ein bewegtes Leben außerhalb der Norm führen, war es die Gewissheit, dass es immer einen Ort geben wird, um uns im Falle einer Flucht aufzufangen. Ein Ort, wo der Staat nicht hineingehen würde um uns zu holen. Ein Ort, an dem wir immer Verbündete finden würden, um uns zu nähren, zu kleiden und uns in den Falten seiner Bocage-Landschaft zu verstecken.

Und eben diesem Staat, der uns erdrückt, uns tötet, uns jagt, wurde die Zad vor drei Jahren von einer Handvoll Opportunisten übergeben. Von jenen, die bis zum Vortag noch dieses Territorium als „vom Staat getrennt“ verkündet haben.

Dieser abscheuliche Verrat im Rücken derer, die auf den Barrikaden gegen die Bullen kämpften, wird nicht vergessen werden. Besonders nicht, wenn die lokale Komintern das Projekt einer Molchschule startet, um drei Jahre dessen zu feiern, was ihnen als Sieg herhalten muss.

Auf den Planchettes [2] wiederaufbauen?  Wie nicht angesichts dieser xten Provokation vor rasender Wut frohlocken? Wie nicht zur Rache für den zerstörten Osten aufrufen?

Und dieses langsame Abrutschen, das sich in der ZAD abgespielt hat, um in den Armen des Feindes zu landen? Wir müssen noch einmal diese schreckliche Geschichte zusammensetzen, uns wieder und wieder fragen, was hätte gemacht werden können, um dieses Fiasko zu verhindern. Seitdem finden wir nichts besonderes in den Kämpfen mehr, denen wir begegnen, als wären wir nach diesen Ereignissen blind geworden.

Das ist die Geschichte, wie wir sie erlebt haben.

Lange haben wir an die Erzählung der Einheit und der Diversität der Taktiken geglaubt, wie man sie in den seelenlosen Pamphleten von Mauvaise Troupe finden kann. Die Jahre vergehen, das Leben in der ZAD ist geprägt von Querelen, die uns anstrengen, und Räumungsgerüchten, die uns Sorgen bereiten. Für sie fahren wir in die südlichen Länder um zu trainieren, testen wir Molotow-Cocktail-Rezepte, vergraben wir Kisten voller Material im Wald von Rohanne.

Ja, die Jahre sind schnell vergangen seit César [3], die Geschichten der Auseinandersetzungen mit dem Hof von Saint-Jean-Du-Tertre werden immer hartnäckiger. Stück für Stück wird der visionäre Spitzname, den man Saint-Jean gegeben hat, Teil der Alltagssprache, und beendet damit wütende Tiraden.

Die Konflikte, die rund um die Aufspaltung in Klassen [innerhalb der ZAD][4] begonnen haben, vertiefen sich. Am Vortag der Räumungen distanziert sich eine ganze Reihe der privilegiertesten Besetzer.innen vom „Zadismus“ [5], verlässt das Bewohner.innen-Plenum um das Nutzungs-Plenum zu gründen: diese neue Entscheidungsinstanz spricht sich das Recht zu, über die Zukunft des Bodens zu entscheiden und integriert in diesem Prozess bürgerliche und Vereins-Orgas, die nichts mit der Besetzung zu tun haben.

Anfang 2018 verkündet die Macht die Aufgabe des Flughafenprojektes. Im Fernsehen kann man einige Gesichter bekannter Besetzer.innen sehen, die in der Vacherie feiern und vor den Kameras posieren. Dieselben Gesichter, die man in dieser Zeitung mit einer Cap des [zweitgrößten Gewerkschaftsbunds in Frankreich] CGT gesehen hat, in jenem Aufstand in schwarzer Regenjacke. Dieselben Gesichter, die willkürlich und im Namen der Bewegung versprechen, die D281 wieder aufzumachen [6], zentraler Strang des Nervenkriegs, der zum Sieg gegen die César-Operation geführt hat.

Am Tag nach der Ankündigung der Regierung werden wir Zeug.innen einer Farce eines Plenums, wo über das Schicksal der Route des Chicanes entschieden wird. Einer der neu eingesetzten Chefbürokraten bestimmt die Gesprächsgrundlagen: die Menschen, die die Zone nicht bewohnen, haben kein Mitspracherecht. All jenen, die seit zehn Jahren bei der kleinsten Krise, beim geringsten Fieber auf diesem Territorium zu Hilfe eilten, spricht man, nun, wo das Ganze vorbei ist, jedes Recht ab, Einfluss auf das Schicksal und die Rettung des Mutterschiffs zu nehmen.

Da die Versammlung zu keinem Konsens hinsichtlich der Route des Chicanes kommt, wird der abscheuliche Julien Durand dies mit der Unterstützung des CMDO [7] und aller aus der Schicht der Meistprivilegierten der Bewegung [8] mittels des gewaltsamen Abrisses entscheiden. In diesem bestürzenden Video [9], das von der Groupe G.R.O.I.X. gedreht worden ist, sieht man (5’29), wie das CMDO anstelle der Polizei eine Hütte räumt. In den Sekunden, die dem vorangehen, erklärt uns der abscheuliche Julien Durand die Strategie, die da umgesetzt wird.

Am 26. Januar erzählt die sympathische Camille den Kameras, dass der Abriss der D281 eine Entscheidung ist, die von der gesamten Bewegung getroffen worden ist. [10] Man wird sie einige Monate später mit der Präfektin Nicole Klein bei ihrem Besuch zur Begutachtung der Wiedereroberung [11] anstoßen sehen, begleitet von ihren Freunden von der Riotière und Saint-Jean-Du-Traitre.

Einen ganzen Zwangs- und Normalisierungsapparat setzt die Regierung nun in Gang, und das ohne einen einzigen Aufseher in die Zone gesetzt zu haben.

Diese progressive Übernahme, die in der ZAD stattgefunden hat, erzeugt in uns ein starkes Gefühl des Déjà-Vu:

Die Konstruktion eines Gründungsmythos, das sich vergangene Siege zuschreibt (Plogoff, Larzac), die Inkarnation einer Bewegung durch ein „Wir“, das die Erzählung von vorneherein ausrichtet, da diese nur die reformistischsten und vorzeigbarsten Ränder der Bewegung integriert, die Verwendung eines Neusprechs, das alles möglichst breit vereinen will: Squats werden Communs, das eisige „Kamerad“ hat die „copaines“ [Freund.innen] ersetzt. Eine ganze Literatur entfaltet sich, in der man von Nutzung statt von Eigentum spricht, von Befreiung der Böden statt von Grundbesitz.

Und dann dieses kalte und autoritäre Gesicht, das uns auf einmal bekannt vorkommt, das sich einige grobe Gesten erlaubt, vielleicht um wissen zu lassen, dass der Zwang nicht nur politische Umwege nimmt und sich auch bedrohlicher zeigen kann: im Oktober wird ein Besetzer, der gegen die Freiräumung der D281 war und einen Teil der Straße beschädigt hatte, zusammengeschlagen, in einen Kofferraum gepackt und vor einer Psychiatrie gefesselt liegen gelassen. [12] Anfang November zensiert das CMDO einen Text, der die Abreise von Radio Klaxon [13] von der ZAD erklärt.

All jene jedoch, die weit weg von all diesen Intrigen waren, sind trotzdem bei den ersten Kriegsvorzeichen in die Zone geeilt. Was für ein seltsames Gefühl, wieder in der ZAD zu kämpfen, sechs Jahre nach César, und nur noch eine immobile, gleichförmige und kriegerische Masse vorzufinden, die sich hinter einem Frontzug einreiht und machtlos vor den Barrikaden steht. Wo sind die Clowns? Wo die Ungehorsamen? Und die alte Dame, die weiße Rüben auf die Baggerlader warf? Ein ästhetischer Reichtum ist verloren gegangen.

Doch das ist nicht alles, der „Support“ wird in gewisse Sektoren einquartiert und in absoluter Unwissenheit über die laufenden Verhandlungen gehalten. Auf den Barrikaden ist das CMDO zu beschäftigt, um anwesend zu sein, und Mauvaise Troupe scheint sogar so beschäftigt damit zu sein „die ZAD zu verteidigen“, dass sie eine touristische Reise ins Baskenland unternimmt [14]. Aus dem Westen erreicht uns per Hörensagen, dass eine sehr wichtige Gruppe von Freund.innen, die gekommen waren um zu kämpfen, von den Bewohner.innen weggeschickt worden sind.

Nicht nötig Bürokrat.in der Politikwissenschaften zu sein um zu verstehen, dass da etwas faul ist. Am 20. April 2018, während hunderte Personen aus ganz Europa herbeiströmen um die ZAD zu verteidigen und seit zwei Wochen Gas und Granatenexplosionen ausgesetzt sind, verrät das CMDO den Kampf und übergibt der Präfektur die Normalisierungsdossiers, die vom Staat verlangt wurden und die ausschließlich die festen Bauwerke beinhalten. [15]

Die Mitglieder des CMDO erklären alsdann den Medien, einen Schritt auf den Staat zugegangen zu sein, und dass sie im Gegenzug einen Gegenschritt in ihre Richtung von ihm erwarten würden. Auf dieses antwortet die Präfektin Nicole Klein folgendes: „Wenn Sie wollen, habe ich mir gedacht, dass sie das viel früher hätten machen können. Sie haben eine beachtliche Arbeit geleistet, sie haben uns Tabellen, Namen, Projekte präsentiert, also haben sie die Arbeit gemacht. Das heißt, dass sie immerhin fast so weit waren.“ Sich davon ausgehend vorzustellen, dass einige Orte ihre Bewahrung vor der Räumung verhandelt haben, würde eine Verschwörung aufdecken, nicht wahr?

In diesem toxischen Klima, in dem die Masken Stück für Stück fallen, verdient der Schriftsteller Alessi Dell’Umbria den Orden fürs Überlaufen, der mittels des Mediums Lundi Matin am 19. April erklärt: „Die Bewohner der ZAD werden sich also vollständig gefesselt den Verwaltungsbehörden ausliefern müssen, die genau damit beauftragt sind, die Zerstörung der bäuerlichen Welt voranzutreiben; sich ihren Normen und ihren absurden Prozeduren unterwerfen, die dazu gemacht sind nur die Agro-Industrie überleben zu lassen.“ [16] Dann, am 1. Mai, zitiert er ohne rot zu werden einen historischen Bauern des Kampfes: „In jedem Krieg verhandeln die Feinde… Das ist offensichtlich.“ [17] Offensichtlich! Wir haben hier die perfekte Illustration der Reversibilität der französischen Autonomie.

Am 14. Mai verkündet die Regierung, dass von 40 Dossiers, die bei der Präfektur eingereicht worden sind, 15 für einen befristeten Pachtvertrag geeignet sind. Am 14. September macht der französische Staat seine Wiedereroberung des verlorenen Territoriums der Republik offiziell. [11]

In der Folge wird das CMDO und Konsorten die Seile zum aufständischen Erbe kappen, mithilfe dessen sie sich bereichert haben.

Mauvaise troupe wird ein grobes Storytelling über den Sieg in Notre-Dame-des-Landes auffahren, das auf ein aus Ökos bestehendes Publikum abzielt, die sich im letzten Moment auf die Seite der ZAD geschlagen haben, und Mitgliedern der wohlhabenderen Klassen. Publikum, das sogar die Kohle locker macht, das „die Erde befreien wird“, indem man Grund kauft. [18] Zufällig entdecken wir in einem Magazin eines Bioladens eine Fotoreportage, in der Besetzer.innen, ohne sich auch nur ein bisschen zu schämen, vermummt vor einer Barrikade posieren und Geige spielen. [19] Einige Wochen nach der Räumung wird das inzwischen bettlägerige „Maison de la Grève“ [Streikhaus] sogar die Dreistigkeit haben, die Zone als „kommunistische Kriegsmaschine“ [20] zu bezeichnen.

Wir wissen, dass der Organisationsmodus und die Ideen, die am Ursprung des Kompromisseschließens mit Staat und Wirtschaft stehen, im „appelistischen“ Milieu wurzeln. Trotzdem denken wir, dass es absurd wäre, diese Praktiken heute auf dieses historische Netzwerk zu beschränken. Wenn auch die vorherrschenden Ideen innerhalb der Autonomie auf gewisse Art zutiefst von den Imaginären des Unsichtbaren Komitees beeinflusst sind, so hat man die letzten Jahre beobachten können, wie sich diese mit einem feministischen und ökologischen Lack überzogen haben, um die Rekrutierung attraktiver zu machen.

Als Sahnehäubchen dieses authentischen Fiaskos, das die Verteidigung der ZAD gewesen ist, verkündet das CMDO, zum 3. Geburtstag seines Sieges eine Molchschule auf einem der historischen Orte, die während der Räumung zerstört worden sind, zu errichten: Les Planchettes.

In der Schlacht, die sich dort abgespielt hat und die sich anderswo in jedem Moment unseres Lebens abspielt, versuchen wir eine Realität zu weben, um leben zu können.

Während der Kapitalismus und alle Herrschaftssysteme auf ihrer Seite einen allgemeinen Rahmen gestalten und auferlegen, der uns zwingt, von dieser Realität aus zu handeln, erschien die Zad wie eine gastfreundliche Insel.

Es stimmt, dass, wollen wir uns von der Tyrannei dieser Bestie befreien, die alle anderen Realitäten auffrisst, man zweifelsohne ein Universum gestalten muss, das uns eigen ist und das mithilfe unserer List und unserer Entschlossenheit nicht verschlungen werden wird.

Was wir hauptsächlich in der Zad wiederentdeckt haben, auf den Zads, ist der Wald. Da, wo einige nur Nutzung und eine klingende und wohlgewichtete Summe an Ressourcen gesehen haben, um die Autonomie aufzubauen, haben wir auf unserer Seite die Möglichkeit eines radikal anderen Lebens wiederentdeckt. Dieses Leben ist für uns ein Erlernen der Freiheit gewesen. Die Zad ist für uns vor allem die Geschichte eines Teils der westlichen Welt, der die Möglichkeit eines Lebens außerhalb der Prinzipien der Zivilisation wiederentdeckt.

Ein bisschen weiter von der Stadt entfernt, von den familiären Verpflichtungen getrennt, den aktivistischen Pflichten, der produktivistischen Logiken, die man bis weit in unsere sogenannten befreiten Zonen mit ihren Märschen voller Fantastereien und messianischen Figuren wiederfindet, haben wir wieder angefangen ein volles und komplexes Leben zu führen.

Dort haben wir Möglichkeiten erhaschen können, um zu entfliehen und bescheiden unsere kleinen Hüttenwelten neu zu erlernen und zu erfinden, die Prämissen einer neuen Magie zu gestalten und uns vor den Blicken derer zu verstecken, die ihre Gesetze auferlegen, um besser wiederaufzutauchen und anzugreifen.

Andere wiederum haben im Gegenteil vor allem die Möglichkeit gesehen neue Räume zu restaurieren und Kalorien aus dem Boden zu ziehen. Der Kampf hat sich bald in eine Buchhalterlogik eingefügt, in eine Logik zu rettender Orte und zu nutzender Ackerböden. Wieder einmal hat die aktivistische und materialistische Planifizierung über die poetische und feinfühlige Dimension gesiegt, welche aus einer Revolte mehr als nur einen Haufen an Techniken macht, die man der Welt entgegenstellt, nämlich gut und gern eine Lebensart.

Jene, die kalt strategisieren und an unserer statt ihre Kämpfe planen, werden uns immer was von Sentimentalität, Neugestaltung der Welten und von Allianzen erzählen. Ihr Blick auf die Natur ist nur das, was hinsichtlich der vorherrschenden Ökobewegung am vorteilhaftesten ist: eine Verschiebung des reformistischen Standpunkts, der in diesen Zeiten ausreichend Resonanz findet, um Orte zu besetzen und sich als neues System der Gouvernementalität zu etablieren.

Es stimmt, dass die Herrschaft in Zeiten der Antiglobalisierungsbewegung weiterhin fortgeschritten ist, indem sie sich neu konstituiert hat. Dieser ruhige kleine Kampf, unter dem Deckmantel der Inklusivität, der gegenseitigen Anerkennung von Vermittlung und Dialog, scheint die moderne Strategie zu sein um sich dem anzunähern, was bisher vollkommen verschieden war, um es besser zu erreichen und zu assimilieren. Die Allianz nützt einem jeden, die Rekonstituierung absorbiert und erodiert auch das Zerbrechlichste.

Schnell hat sich der herrschende Rand der Zad, der sich in der Politik des CMDO verkörpert, welche der Partisanenlogik seiner hochrangigsten Mitglieder treu ist, als politische Walze etabliert.

Diese Realität, nach dem Vorbild der unterschiedlichen Herrschaftssysteme, will unaufhörlich das, was ihr nicht ähnelt, absorbieren, verschlingen, verdauen und auflösen.

Wenn eine Welt um jeden Preis ihren Aufschwung strategisiert, ihr Wachstum optimiert und ausrichtet, ohne die Ethik, die doch die Nahrung ihrer Revolte gewesen ist, mit einzubeziehen, dann gesellt sie sich zum Marsch der Welten des Todes und der Vernichtung, die es zu bekämpfen gilt.

Ihr könnt uns viel von Kohlmeisen und japanischem Staudenknöterich erzählen. Ihr erwartet von den Pflanzen und den Vögeln, dass sie eure eigenen Pläne umsetzen, von deren Legitimität ihr überzeugt seid. So steuert ihr die materialistische Entfremdung der sozialen und Arbeiterkämpfe bis in die wilden Gebiete, indem ihr gemeinsame Absichten mit dem vorgebt, was euch nicht ähnelt, um es besser zu assimilieren. Doch es gibt Dinge, die weder ihr noch die, die nach herrschaftlicher Kontrolle lechzen, jemals kontrollieren werdet. Umso besser.

Es wurde alles getan, damit von der unglaublichen Vielseitigkeit der Verhältnisse zur Welt, die auf der Zad vorhanden waren, nur die triumphierende Vitrine der Sieger übrig bleibt.

Diejenigen, die das Monopol ihrer Anwesenheit organisiert haben, indem sie mit dem Staat verhandelt haben, diejenigen, die aus der Ferne zugesehen haben, als die Hütten von den Bullen dem Erdboden gleicht gemacht wurden, haben in ihrem Größenwahnsinn ein Ensemble von Zeichen, Praxen und eines Glaubens erschaffen, um die Arbeit der Kolonisierung unserer Vorstellungskraft fortzusetzen.

Bald hat die Forstverwaltung unsere Biwaks im Wald ersetzt.

Da, wo wir versucht haben, direkte Beziehungen bei Konflikten zwischen Individuen oder kollektiven Konflikten neu zu erlernen, sprachen sie von gemeinschaftlicher Mediation [médiation communautaire].

Grundstückskäufe wurden in ihrem Mund Landnahmen.

Der Nicht-Utilitarismus des Lebendigen wurde dadurch ersetzt, in den Versammlungen zu entscheiden, welche Bäume sie fällen wollen.

Die Stämme derjenigen ohne Boden, ohne Eigentumsrecht wurden letztlich von den Bauernkollektiven niedergestreckt.

Die sogenannte kommunale Horizontalität [horizontalité communale] hat die individuelle freie Assoziation gesprengt.

Was uns betrifft, wählen wir lieber das Feuer als ihren falschen Frieden.

Ihr Museumsökologismus ist eine Lüge.  Einige der befreiten Leben haben mehr zwischen den Hecken und den Hochwäldern dieser Zone gelernt, als man jemals auf den selbstgebauten Bänken dieser Schule unterrichten wird.

Die wahren Räume zum Lernen haben sie zum Tode verurteilt. Eure Schule, wie der Rest, ist nur ein weiteres Räderwerk um eine Welt nach eurem Bilde herzustellen.

Auf unserer Seite haben wir gelernt, dass viele Fallen und Schwierigkeiten sich auf den Wegen zur Emanzipation verstecken können, dass das, was sich uns entgegenstellt, unterschiedlichste Formen annehmen kann und dass es nie zu spät ist, um sich zu rächen. Die Schutzrunen auf dem Dachstuhl werden daran nichts ändern.

Zapatistische Compas, hört und seht jene, die euch aufnehmen.

Ihr werdet zweifelsohne trotz der heuchlerischen Masken die Kälte und das Kalkül jener lesen können, die von sich behaupten, dem willkürlichen Terror der Herrschaft entkommen zu sein, um diese nach ihren Vorstellungen neu zu lenken.

Im Bild der indianischen Kriege gesprochen verbünden sich einige Stämme mit dem Eroberer. Auch wenn das Überleben eines Volkes unter bestimmten Umständen eine solche Entscheidung aufzwingen kann und es kompliziert wäre hier darüber zu debattieren, ging es auf der Zone nur um ein bisschen Land.

Kein Weg ist perfekt. Einige haben ein Herz. Andere sind nur ein Hauch von Arroganz und Kalkül.

Aus all diesen Gründen haben wir uns entschieden, ins Herz dieser Expansionslogik zu schlagen, die inzwischen die Zad beherrscht, und jener, die sich mit ihr verbünden. Der Bau einer Schule der Erde im Herzen des Ostens, der von der Aufgabe des Kampfes verwüstet wurde, hat eine klare Antwort verdient.

In der Nacht vom 5. auf den 6. Juli haben wir uns im Morgengrauen in die Planchettes geschlichen, wo sich die Baustelle des zukünftigen Bauwerks befindet. Während wir erwarteten, ein Werk vorzufinden, das am Rande seiner Vollendung steht, sind wir auf einen nackten Dachstuhl getroffen, der in eine Betonplatte eingelassen war. Da wir nicht die Mittel hatten, das Ganze vollständig abzufackeln, haben wir die Hauptbalken durchgesägt, ehe wir zu ihren Füßen Bauholz aufgeschichtet haben, das wir angezündet haben. Außerdem haben wir alle Zelte und Baustellenstrukturen sorgfältig aufgeschlitzt, die vor Ort zu finden waren.

Während unserer Operation befand sich eine Person nur wenige Meter entfernt in einer Behausung. Das hat uns weder daran gehindert in ihre Kompostklos zu scheißen noch unsere Rache zu vollenden. Wir haben geduldig gewartet, dass ihre Stirnlampe ausgeht, und mehrere Brände gelegt, ehe wir wieder mit der Nacht verschmolzen.

Wir widmen diese Aktion allen Personen, die die toxische und repressive Logik erlitten haben, die vom CMDO und seiner Welt auferlegt worden ist.

Einige Geister


[1]  Anm. d. Übers: Die Gegend rund um die Zad von Notre-Dame-des-Landes ist das Habitat des „triton crêté“, des Kammmolchs, eine vom Aussterben bedrohte Salamanderart. Über die Jahre sind die „tritons crêté“ (das französische Wort crêté bezeichnet auch den Irokesenschnitt und ist auch ein Wort für „Punks“) eine ironische Bezeichnung für Personen geworden, die die ZAD verteidigen.

[2] Anm. d. Übers.: Les Planchettes war ein historisches Zentrum auf der ZAD gewesen, das 2012 zerstört und dann wieder besetzt worden war. Später war es Teil des „Osten“-Viertels, und grenzte direkt an die Route des Chicanes/D281, was die Gegend war, die am meisten von den Räumungen 2018 zerstört wurde.

[3] Anm. d. Übs.:  Am 16. Oktober 2012 haben die französische Bereitschafts- und Militärpolizei die ZAD angegriffen, um sie zu räumen. Die starke Verteidigung vor Ort und die massive Mobilisierung in ganz Frankreich (mit vielen Solidaritätsangriffen – siehe „Avé César, adieu! Chronologie des actions en solidarité avec la ZAD sous expulsion“) war erfolgreich darin, diesen Räumungsversuch zu stoppen.

[4] „A propos de mépris de classe“: https://zad.nadir.org/spip.php?article1798

[5] „Le mouvement est mort Vive la… réforme!“: https://infokiosques.net/spip.php?article1530

[6] Pressekonferenz über die ZAD – 17. Januar 2018

[7] Definition aus Zadissidences 2: „Comité pour le Maintien De l’Occupation“ [Komitee zur Aufrechterhaltung der Besetzung] ist eine Gruppierung von Besetzer-innen unterschiedlicher Orte in der ZAD, deren Initiativen hauptsächlich darauf abzielen, sich mit den „Komponenten der Bewegung“ zu spektakulären Ereignissen gegen den Flughafen zu organisieren und sich „eine Zukunft ohne Flughafen“ auszumalen. Diese anfangs geheime Gruppe hat sich mit der Zeit vom Rest der Besetzung „autonomisiert“, da sie die Kritiken – nämlich mit den anderen „Komponenten“ die Entscheidungen der Bewegung zu privatisieren – nicht akzeptierte, die, sobald ihre Existenz bekannt wurde, wegen ihrer Methoden gegen sie vorgebracht wurde.

[8] Zadissidences 1, s. den Artikel „Contre l’aéroport – et pour son monde, ou quoi?“ [„Gegen den Fluhafen – aber für seine Welt, oder was?“]
https://infokiosques.net/lire.php?id_article=1549

[9] https://www.youtube.com/watch?v=TMw1dpEeSEE

[10] NDDL: die ehemalige „Route des Chicanes“ freigeräumt

[11] France 3 TV, „Notre Dame des Landes: La reconquête [Die Wiedereroberung]“: https://www.youtube.com/watch?v=NTDygyO5jBU

[12] ZAD von Notre-Dame-des-Landes: Perquisitions en cours [Laufende Ermittlungen]

ZAD de Notre-Dame-des-Landes : Perquisitions en cours (MAJ du 25/01)

[13] Notre-Dame-des-Landes: Silence Radio. Radio Klaxon est morte… vivent les radios pirates! [Radio Ruhe. Radio Klaxon ist tot… es leben die Piratensender!]
https://fr.squat.net/2018/11/04/notre-dame-des-landes-silence-radio/

[14] 15. Mai 2018 „Découvrir Errekaleor. Un quartier intégralement squatté au Pays basque nouvelle brochure de la Mauvaise troupe“ [Errekaleor entdecken: Ein vollständig besetztes Viertel im Baskenland neue Broschüre von Mauvaise troupe]: https://zad.nadir.org/spip.php?article5813

[15] Notre-Dame-des-Landes: 40 projets nominatifs ont été déposés [40 namentliche Projekte beantragt] – https://youtu.be/XjUU1s8rKyo

[16] https://lundi.am/ZAD-pour-l-autodefense-et-la-communalite-par-Alessi-Dell-Umbria

[17] https://lundi.am/ETRE-SUR-ZONE-Par-Alessi-Dell-Umbria

[18] https://encommun.eco/

[19] Magazin Kaizen Nr. 52

[20] Lundi Matin, la Zad est morte, vive la Zad. [Die Zad ist tot, es lebe die Zad.]

Von der politischen Aktion zur aufständischen Aktion

Viele Gefährten – und, um ehrlich zu sein, auch wir – sind in Begeisterung geraten, indem sie sich von einem deplatzierten Triumphalismus mitreissen liessen, aufgrund von einer Überbewertung der Ereignisse, die im Verlaufe der Demonstration vom 10. Oktober 1986 in Trino Vercellese geschahen.

Wie bekannt ist, hat die antagonistische Bewegung, über den Haufen werfend, was von den Organisatoren dieser Demonstration (Pazifisten, Grüne, Umweltliga, Parteien und Gewerkschaften) geplant war, erst die Bohrer und Bagger auf der Baustelle des in Bau befindlichen Atomkraftwerks eingeschlagen und in Brand gesteckt, und sich dann nach Trino begeben. Vor dem Rathaus angelangt, warf sie eine stattliche Anzahl Farbeier gegen die amtierenden Parlamentarier und die zur Verteidigung des Gebäudes aufgestellten Polizeikräfte. Betreffend dieser Ereignisse wollen wir eine konstruktive Kritik anbringen, sicherlich nicht, um die Begeisterungen und den Willen einzufrieren, die von den Gefährten gezeigt wurden, und auch nicht, um uns von dem loszusagen, was getan wurde, alles andere als das. Unsere Absicht ist es, neue Handlungsweisen in der sozialen Konfrontation zu suchen, damit sich das gegenwärtige subversive Potenzial nicht erschöpft und, wie es in jüngster Vergangenheit oft geschehen ist, bitteren Enttäuschungen zum Opfer fällt. Es ist also nützlich, die verschiedenen Aktionsformen zu studieren, um jene zu verwerfen, die wir zur Erreichung unserer Ziele für ungeeignet halten.

Die politische Aktion

Die politische Aktion wird von den Spezialisten der Repräsentation bevorzugt, weil sie die institutionelle Aktion par excellence ist. Sie tendiert einerseits zur Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse und andererseits dazu, die dem Staatsapparat inneren Prozeduren zu legitimieren und zu bestätigen, indem sie die Ersetzung und die Auswechslung des Führungspersonals ermöglicht.

Daher erweist sich die politische Aktion im Verlaufe des Kampfes, egal unter welchen Umständen sie vorgeschlagen wird, immer als schädlich für die Zwecke eines proletarischen Selbstemanzipationsprozesses. Wird sie einmal verwirklicht, und sei es auch unter dem Vorwand einer tristen Notwendigkeit des Moments, endet sie darin, innerhalb der Kampfsituationen zu einem Hindernis zu werden, das die revolutionäre Perspektive blockiert.

Was dies betrifft, genügt es, zu betrachten, was oft in der selbstverwalterischen Bewegung für die Besetzung von Häusern und die Wiederaneignung von sozialen Räumen geschieht. Viele Gefährten begehen, kaum haben sie einen Raum besetzt, den Fehler, sich einzig darum zu kümmern, sofort zur Stadt zu rennen, um die berühmten “politischen Verhandlungen” mit dem amtierenden Stadtrat aufzunehmen. Sie diskutieren mit diesem aus einer Position von grösster Schwäche, während sie die Aspekte der sozialen Intervention in dem Gebiet, wie die Gegeninformation und das Vorantreiben der in der Umgebung des besetzten Ortes zu realisierenden sozialen Agitation, gänzlich unterlassen. Anstatt sich ausgehend von einer Praxis der direkten Befriedigung der Bedürfnisse zu bewegen, enden sie auf diese Weise darin, deren Lösung an die städtischen Institutionen zu delegieren. All die wunderschönen Vorsätze, die zu Beginn des Kampfes auf die Fahnen geschrieben wurden, werden unter dem Drängen einer politischen Logik, die sie dazu führt, sich von den Betreibern-Verwaltern der Metropole unterwerfen und rekuperieren zu lassen, immer mehr zurückgestellt. So wird der Kampf ausschliesslich auf die Erhaltung eines Mietvertrags ausgerichtet.

Jenseits des schwammigen Geredes, das darauf abzielt, diese Entscheidung zu rechtfertigen, zeigt sich im Wesentlichen die Tatsache, dass für diese Gefährten das, was jetzt wichtiger ist, nicht der Kampf und seine Entwicklung ist, sondern die Tatsache, die eigene Situation aus einem legalen Blickwinkel zu regularisieren. Was für diese Logik der Vermittlung und des politischen Kompromisses bezahlt wird, ist das Aufgeben an allen Fronten von jedem Konflikt- und Angriffsverhältnis gegenüber den Strukturen der Herrschaft, was dazu führt, selbst jene minimalen Inhalte zu verleugnen, die ursprünglich den Kampf selbst motiviert hatten. Uns bringen jene zum Lachen, die von politischem Sieg, von siegreicher Strategie und anderem ähnlichen Unsinn sprechen, nur weil es ihnen gelungen ist, aus den Verhandlungen mit den Institutionen etwas herauszuholen. Es muss noch immer abgewägt werden, zu welchen Bedingungen sie es herausgeholt haben, um zu verstehen, ob in einer Situation, die auf diese Weise legal geworden ist, noch etwas antagonistisches übrig geblieben ist. Sehr oft verbergen solche Siege, als zu bezahlenden Preis, eine neue Knechtschaft. Viele Gefährten, wenn sie einmal ins hirnzermürbende institutionelle Räderwerk geraten sind, kommen daraus nicht mehr heraus und verlieren sich darin.

Die politische Aktion ist ein Ersatzmittel, worauf man aus Bequemlichkeit zurückgreift, um es zu vermeiden, sich den objektiven Schwierigkeiten zu stellen, die der subversive Kampf aufweist, um zu jedem Preis von Vorschlägen auszugehen, die realistisch und leicht praktizierbar sind, ohne allzugrosse Anstrengungen für die Masse. So entstehen die Führungsgrüppchen in den Kämpfen. Delegationen von Gefährten zu bilden, um mit den Institutionen zu verhandeln, ist der erste Schritt in diese Richtung.

Hat sich die politische Logik in einem Kampf einmal durchgesetzt, lässt sie ihn zu einem toten Kampf werden. Während, auf dieser oder jener politischen Linie, die Fraktionen entstehen, verwandelt sich die grosse Masse von Gefährten und Proletariern aus aktivem Teil in passive Zuschauer eines tristen Spektakels von Positionen, das einzig darauf ausgerichtet ist, die Versammlung zu dominieren, die sich auf diese Weise in einen kleinen Parlamentssaal verwandelt. Es erübrigt sich, zu erwähnen, dass die Masse schliesslich immer abhängiger von den kleinen Chefs wird, welche die siegreiche politische Gruppe leiten, wenn es dieser einmal gelungen ist, die Situation in die Hand zu nehmen.

Die politische Aktion stützt sich auf die Delegation, die eine gewisse Anzahl Individuen einer Führungsstruktur überträgt, die sich sozusagen um deren Angelegenheiten kümmern müsste. Ob sie sich nun Partei, Gewerkschaft oder Delegation nennt, die Substanz ändert sich nicht. Wir sind schon immer gegen die Prozessionen gewesen, und umso mehr sind wir gegen jene ritualisierten Prozessionen, die hin und wieder vor dem Stadtratsgebäude, der der Regionalregierung, Provinzialverwaltung, dem Stellenvermittlungsbüro, dem Sitz der Confindustria [Arbeitgeberverband], etc. abgehalten werden; gefördert von den Parteien, den Gewerkschaften und anderen ähnlichen Strukturen. Draussen steht immer die Masse, die lärmend mit Protestschildern wedelt, während die Delegierten in die Gebäude hineingehen, um mit dem Führungspersonal zu verhandeln.

Statt friedlich davor zu stehen, müsste man, unserer Meinung nach, über mögliche Wege nachdenken, um diese Orte zu zerstören. Aber das ist ein anderer Diskurs, der sich radikal vom politischen unterscheidet. Denn, was könnten wir von der politischen Klasse schon verlangen, konkret zu tun, ausser sich umzubringen?

Dann ist da die bewaffnete politische Aktion, welche die – gänzlich politische – Auffassung ausdrückt, die die Autoritären von der sozialen Revolution haben. Diese letzteren haben gewiss nicht die Absicht, die staatlichen Strukturen niederzureissen. Sie machen stets geltend, sie vorübergehend bewahren zu wollen, und damit können sie sich darauf beschränken, sie neu zu überstreichen. Das Ergebnis von dieser Art, die revolutionäre Frage zu denken, kennen wir. Das jüngste bewaffnete Spektakel, inszeniert von den combattentistischen politischen Organisationen, hat, in seiner Auflösung, den Betrug enthüllt. Hinter dem Schein einer In-vitro-Befreiung beanspruchten sie mit ihrer Aktion nicht nur, sich an die Stelle der wirklichen proletarischen Selbstemanzipationsbewegung zu setzen, sondern geradewegs, ihre Entwicklung mit einer Hypothek zu belasten, indem sie ihr die Kette der kämpfenden Führungspartei an den Hals legten. Viele dieser Akteure-Protagonisten sind heute zu pathetischen Gespenstern geworden (siehe die Phänomene “Dissoziation” und “Amnestie”), die, um aus dem Gefängnis zu kommen, feige gewiss nicht zögern, die Haut von denjenigen zu verkaufen, die einst ihre Kampfbrüder waren, während diese letzteren, trotz allem und viel würdevoller als sie, jegliches Paktieren mit dem Staat verweigern. Heute mehr als Gestern, denken wir erst recht, dass kein aufrichtiger Revolutionär, dem die Entwicklung der antagonistischen Bewegung am Herzen liegt, der Politik Vertrauen schenken oder den Spezialisten der Repräsentation zum Opfer fallen kann, sei es im sozialdemokratischen Gewand der parlamentarischen Politik oder im sogenannten revolutionären der bewaffneten Politik.

Die symbolische direkte Aktion

Die symbolische direkte Aktion ist heute zum offenkundigsten Zeichen dieser Gesellschaft des Spektakels geworden, die auf der ständigen Simulation von Handlungen und Beziehungen basiert, die in Abwesenheit von Authentizität als Ersatzmittel auf das soziale Leben einwirken und unser Dasein entfremden.

Diese Form von theatralischer Aktion wird für Gewöhnlich von den grossen pazifistischen Massenbewegungen praktiziert. Diese werden von den Massenmedien unterstützt, die ihre Wichtigkeit im Prozess zur Produktion von Kontrolle und Zustimmung in der Perspektive der Bewahrung eines gewissen institutionellen Rahmens verstanden haben. Deswegen bauschen die grossen Informationsmittel, innerhalb des Spektakels, den Wert der symbolischen Aktion auf. Dies ermöglicht die Umsetzung von jenem Prozess von Vermassung und Abflachung des Bewusstseins, der anders nicht realisierbar wäre. Tatsächlich trägt die symbolische Aktion stets das Zeichen einer Fiktion, die sich an Stelle der verändernden Aktion der Subjekte gesetzt hat. Sie ist der beste Notbehelf, um die Frustrationen der Masse abzulassen und ihr Potenzial unschädlich zu machen. Im entfremdeten Verstand von Millionen von Fernsehzuschauern, die in der Passivität das Zeichen ihrer Verlorenheit bekunden, neigen das Wahre und das Falsche dazu, sich zu vermischen. Alles scheint wahrscheinlich. Die Fernsehbilder dringen tief ins kollektive Unbewussteein, und verursachen konditionierte Reflexe. Der eigene soziale Lebensraum, die eigene Bewegung hat sich, proportional zur Anzahl Stunden, die vor dem magischen Auge des Fernsehers verbracht werden, stark reduziert. Die eigene Welt scheint heute zwischen den vier Mauern des modernen und komfortablen telematischen Hauses eingefasst. Die Verwalter der instrumentellen Kommunikation ersetzen die warme und widersprüchliche direkte Kommunikation zwischen den Individuen durch die kalte Mediation des mechanischen Mittels, das die Individuen dazu veranlasst, sich in passive Endverbraucher der Ware Information zu verwandeln.

Dies ist die modernste und ausgefeilteste Form der demokratischen Sklaverei, da sie die Individuen dazu führt, per Vermittlung durch Dritte vor den gläsernen Fernsehbildschirmen zu leben. Das alles hat der Theatralität der symbolischen Gesten Raum gegeben, die sich heute permanent an die Stelle jener authentischen setzen, welche der Zuschauer gerne realisieren würde. So formen und prägen die Spezialisten der Repräsentation über diesen Gesten, ganz nach ihrem Gutdünken, die soziale Vorstellungswelt der entfremdeten Masse, die sich mit solchen Gesten zu identifizieren scheint.

In der Informationsgesellschaft besteht das Wichtigste darin, jede Aktion auf einen reinen symbolischen Akt zu reduzieren, da das Spektakel einerseits jenen Genugtuung verschaffen muss, die sie realisieren, und andererseits die Toleranz des demokratischen Staates lobpreisen muss, der sie erlaubt, ohne sie niederzuschlagen. In diesem Spiel preisen die Ideologien die Kunst der Fiktion, die den Akteuren-Protagonisten der symbolischen Aktion ermöglicht, die richtige Pantomime als Ersatzmittel hinzustellen, das sich an Stelle des Kampfes setzt. Auf den Plätzen reduziert sich der soziale Protest auf ein Spektakel, bei dem Pappmache-Puppen verbrannt werden, die Figuren der Unterdrückung darstellen, und “kreativ” farbige Luftballons fliegen gelassen werden, während das Ganze im rituellen Konzert mit dem gefragten Sänger des Moments beendet wird. Die Anhänger dieser Praxis sind meistens unterhaltsame Personen, Strassenclowns, die die Kunst, die Masse heiter einzubeziehen, gut beherrschen. An ihre Demonstrationen zu gehen, ist besser, als ins Theater zu gehen, es ist nicht nur ein unentgeltliches Spektakel, sondern man kann sich auch direkt als Akteur daran beteiligen und jene Rolle einnehmen, die man wünscht. Man geht keine allzu grossen Risiken ein, angesichts der Tatsache, dass selbst die Polizei, die ebenso Teil dieser kunterbunten Choreografie ist, praktisch nie unter Einsatz der harten Manier interveniert.

Diese Bewegung stellt die Avantgarde der vermassten Ausdrucks- und Kommunikationsformen des Kapitals dar. Für einige Stunden erheitern sie die graue Metropole mit ihrem Karnevalstreiben, doch dann hinterlassen sie in der beteiligten Masse ein starkes Gefühl von Trostlosigkeit. Diese letztere scheint sich, wenn sie zu ihren normalen Beschäftigungen zurückkehrt, dem Betrug sofort bewusst zu werden, da sie sich wieder dabei sieht, die Rechnungen mit konkreten Problemen zu machen, die von solchen Akten sicher nicht gelöst, sondern allerhöchstens für eine sehr kurze Zeitspanne vergessen wurden. Unterdessen bereiten sich die Organisatoren, auf Rechnung der Strukturen der Herrschaft, darauf vor, weitere zu veranstalten, damit die Kontrolle dort, wo sie noch schwach ist, also in den Momenten der Freizeit, immer funktionaler wird.

Wie wir gesehen haben, erweist sich die symbolische direkte Aktion der Herrschaft als dienlich. Sie ist daher in einer konkret revolutionären Perspektive völlig wirkungslos, da sie nicht die Realität verändert, sondern, im Gegenteil, in der Masse, die sie praktiziert, ein starkes Ohnmachtgefühl erzeugt.

Tatsächlich ist diese Aktion das Schlachtross der künstlichen Opposition, das dazu eingesetzt wird, die Aufmerksamkeit der Proletarier davon abzulenken, gewaltsame Handlungen gegen die Strukturen der Herrschaft zu unternehmen. Darüber hinaus dient diese Praxis dazu, viel ernsthafteren Formen der sozialen Opposition, wie jenen, die die antagonistische Bewegung auf dem Gebiet realisieren will, präventiv den Boden zu entziehen. Die symbolische Aktion ist also zum Auslassventil geworden, womit man in Ruhe jegliche soziale Spannung versiegen lassen kann. Ausserdem bildet sie eine der wichtigsten Stützen der Rekuperations- und sozialen Integrationsaktion, die von den Parteien auf Rechnung der Institutionen realisiert wird. Daraus muss man folgern, dass sie nicht nur eine zu verwerfende, sondern aufgrund der schädlichen und verderblichen Auswirkungen, die sie auf die Ausgebeuteten hat, auch eine zu bekämpfende Aktionsform ist.

Die subversive direkte Aktion

Die subversive direkte Aktion ist ein sprengkräftiger Akt, der den ruhigen Verlauf einer bestimmten Realität gewaltsam erschüttert, doch die Tatsache, dass sie ein Akt ist, der ausschliesslich auf der momentanen Zerstörung von etwas basiert, das uns unterdrückt, markiert ihre Grenze. Im Dunkel der Metropole sind solche Aktionen Lichtblitze, die ein Zeichen hinterlassen, eine Spur vom Vorbeigehen von Gruppen von Gefährten, die revoltiert haben, aber dann, mangels einer revolutionären Perspektive und eines Projekts, das ihnen eine Kontinuität gibt, enden sie darin, sich zu verlieren. Alles kehrt ins allgemeine Grau zurück und man muss so einige Zeit warten, bis man andere Spuren sieht.

Nichtsdestoweniger ist die subversive direkte Aktion immer eine positive Tatsache, da sie jene, die es sich bequem gemacht haben, aufrüttelt und aus der Apathie aufzucken lässt. Es muss dennoch angemerkt werden, dass sie im Meer des Realismus, das uns überflutet, stets recht geringfügig ist. Ein signifikantes Beispiel ist die Aktion, die von einer Gruppe von sehr jungen anarchistischen Gefährten realisiert und mit einem “Fanzine” unter dem Titel “Spazio Nero” dokumentiert wurde. Diese Gefährten haben sich zur Brandstiftung einer Baustelle bekannt, als Protest gegen die Stahlbetonkäfige der Metropole, die sich ausdehnt und weitere Ghettoviertel kreiert, während sie das Land ausplündert. Dieses “Fanzine” wurde in unserer Zeitschrift [Anarchismo] in der Nummer 53-54 vollständig abgedruckt.

Die subversive Aktion auf den Strassen, von den (bereits erwähnten) Ereignissen, die in Trino Vercellese geschahen, bis zu anderen, kürzlicheren im Bereich des Kampfes gegen die Atomkraft, veranlasst, unter einem anderen Aspekt, dazu, einige Schlussfolgerungen zu ziehen. Die erste ist, dass diese Aktionsform, auf Dauer, darin endet, sich in einer sterilen und rituellen Gegenüberstellung zwischen Antagonisten und Polizeikräften zu erschöpfen. Die zweite Überlegung ist, dass diese Aktion, auch wenn sie in Formen des Protests ausgedrückt wird, die gewaltsam und an den direkten Angriff gegen die Strukturen der Herrschaft gebunden sind, aus Mangel an einem Diskurs, der mit bestimmten Inhalten und Projektualitäten verbunden ist, sich endlos abspielen und erneut abspielen kann, in einer Konfrontation, die sich als getrennt von sozialen Gründen erweist, die mit der unmittelbaren Einbeziehung der Ausgebeuteten Zusammenhängen. Die dritte ist schliesslich, dass eine solch Aktion, da sie sich als leicht voraussehbar erweist, auf repressiver Ebene vom Kontrollapparat des Staates besser verwaltbar ist.

Das alles führt dazu, zu sehen, wie diese Aktion in einem faktischen Nichts verpufft, während man mit dem bitteren Geschmack der Enttäuschung im Mund zurück bleibt, weil man es nicht geschafft hat, ihr einen positiven Ausgang zu geben. Und dann, wie es in solchen Fällen meistens geschieht, wenn der anfängliche Enthusiasmus gesunken ist, entfernen sich die vielen Enttäuschten. Man amüsiert sich nicht mehr. Selbst wenn man diese Art von Aktion unter dem besten Licht betrachten will, sprich, wenn man glaubt, dass sie zu einem Massenaufruhr führen kann, endet sie, mangels revolutionärer Perspektiven, auch in diesem Fall darin, in ein faktisches Nichts zu verbrennen, wie es im Übrigen bereits geschehen ist. Siehe diesbezüglich die verschiedenen Revolten, die sich im Ghetto-Viertel von Brixton in London ereignet haben, und die alle auf diese Weise endeten.

Es ist also wichtig, die subversive direkte Aktion in eine bewusste aufständische Aktion zu verwandeln. Daraus machen wir eine grundlegende Frage, eine qualitative Notwendigkeit, die sich im Verlaufe des Kampfes als unaufschiebbares Verlangen und Bedürfnis nach Veränderung einschaltet, das unsere Bestrebungen nach völliger Befreiung bündelt, wenn sie einmal wirklich der radikalen Veränderung zugewandt sind und beabsichtigen, dieser verdorbenen Gesellschaft der Herrschaft ein Ende zu setzen.

Bewusste aufständische Aktion

Wir sind es uns nicht gewohnt, ausserhalb der Gemeinplätze zu denken und zu reflektieren. Es fällt uns schwer, uns vorzustellen, dass es Aktionsformen geben kann, die fähig sind, über die begrenzte Bedeutung hinauszugehen, die wir ihnen in den Umständen des Moments geben.

Dem Grossteil unserer Aktionen fehlt es an einer Perspektive. Die direkte Aktion in aufständischen Begriffen zu denken, ist mit einer beträchtlichen Anstrengung verbunden, da es bedeutet, sie mit einer Perspektive auszustatten. Tatsächlich muss man, um die aufständische Aktion zu verstehen, den Zusammenhang begreifen, der sie mit einem Projekt von radikaler sozialer Transformation verbindet. Sie ist direkter Ausdruck einer revolutionären Theorie und Praxis: die sich im Anarchismus zusammenfassen.

Die aufständische Aktion ist, an sich, eine Aktion, die materiell nicht delegiert werden kann, da sie ein Akt ist, der unter allen Umständen die aktive und direkte Mitwirkung des Individuums voraussetzt, das sie, ob alleine oder gemeinsam mit anderen, in Praxis umsetzt. Sie widerspiegelt, besser als jede andere praktische Aktionsform, die Beweggründe und den Sinn der revolutionären anarchistischen Aktion. Die aufständische Aktion nimmt sich in ihrer Realisierung, im Innern der Klassenkonfrontation, die direkte Einbeziehung von immer breiteren proletarischen Schichten vor, indem sie diese dazu veranlasst, sich gewaltsam gegen alle bestehenden sozialen Bedingungen aufzulehnen, das Ganze durch eine Selektionspraxis für Ziele, die es im Verlaufe des Kampfes zu abzuwägen gilt. Ihre Wichtigkeit wird nie von der Begrenztheit des gewählten Ziels gegeben, sondern von dem, was dieses letztere, wenn es einmal in Gang gesetzt ist, imstande ist, innerhalb des Kampfes selbst zu erzeugen. Denn dieser Mechanismus kann im Verlaufe des Kampfes dazu führen, eben diese begrenzten Ziele, die sich seine Initiatoren vorgenommen haben, zu übersteigen und zu überwinden. So kann der Kampf radikaler werden und eine völlig unvorhergesehene, autonome Entwicklung nehmen.

Dies ist die Perspektive, worin sich die aufständische Aktion in die intermediären Kämpfe einfügt, um darin allmählich jene sozialen Bedingungen aufzubauen, die unerlässlich sind, um die generalisierte bewaffnete soziale Insurrektion auf allen Gebieten des sozialen Lebens hervorbrechen zu lassen. Dies ist der Schritt, den es notwendig ist, zu machen, da es kaum wahrscheinlich ist, dass sich mir nichts, dir nichts eine generalisierte Insurrektion verwirklicht, falls es aber der Fall sein sollte, dass sie sich aus irgendeinem Grund ereignet, würde sich die ganze bisher getane Arbeit als äusserst hilfreich erweisen, da uns das angesammelte Gepäck an Erfahrungen erlaubt, nicht unvorbereitet dazustehen, sondern, im Gegenteil, bereit, sie zu ergreifen wie in unseren lebendigsten Wünschen.

Im Mittelpunkt der aufständischen Aktion steht immer eine gegen die Strukturen der Herrschaft gerichtete, offensive Taktik und Strategie. Aufgrund dieser spezifischen und sprengkräftigen Charakteristiken ist das aufständische Handeln dem Angriff gewidmet, da es stets Inhalte des Bruchs mit der bestehenden Ordnung aufwirft. Die aufständische Aktion als eine defensive Aktion zu verstehen, ist eine präventive Art und Weise, sie zum Scheitern zu verurteilen. Wir denken nicht nur über uns selbst nach, sondern richten den Blick, für das Gelingen unserer Ziele, auf das, was mögliche Wege sein könnten, um jenes unerlässliche Verhältnis von direkter Einbeziehung der Masse der Ausgebeuteten zu realisieren, die wie wir die Last der Unterdrückung und der Ausbeutung erleben und auf sich spüren. Aus diesen und aus vielen anderen Gründen stellen wir auch die gewaltsame und bewaffnete Aktion in diese Perspektive, denn unserer Meinung nach kann sie nie von der sozialen Frage getrennt werden, die sie ausgelöst hat. Denken wir darüber anders, entgeht uns der grundlegende Sinn, der sie belebte. Tatsächlich liegt die Reproduzierbarkeit der bewaffneten Aktion immer in ihrer Fähigkeit, für möglichst viele Proletarier aneigenbar und generalisierbar zu sein.

Daher müssen wir, jenseits der Fluchten nach vorne des bewaffneten Spezialismus, der Rollen generiert, jenseits der ästhetischen Schönheit und des Effizientismus, der von der spektakulären Aktion ausgedrückt wird, stets darauf achten, ob sich die Aktion für die meisten als praktizierbar erweist. Falls sie dies nicht ist, hat sie keine Wichtigkeit für die Zwecke des Kampfes, den wir fördern, wobei, wohlgemerkt, klargestellt sei, dass uns jede bewaffnete Aktion, die gegen die Strukturen und Menschen der Macht realisiert wird, immer und sowieso Freude bereitet.

Es ist eine insurrektionalistische Auffassung, die Geltung einer revolutionären Aktion nicht anhand des schlichten Grades an Gewalt oder Illegalität, der von der Gruppe von Gefährten, die sie realisiert hat, ausgedrückt wird, sondern anhand ihrer Verwirklichung einer effektiven Erhöhung der laufenden Klassenkonfrontation zu bewerten. Dieser Anhaltspunkt wird aus den Analysen gewonnen, die von den laufenden, von den Ausgebeuteten unterstützten, sozialen Kämpfen gemacht werden, und sicherlich nicht daraus, schlicht das Pulver in Brand stecken zu wollen, weil man es satt hat, nichts zu tun. Die bewaffnete Aktion von Gruppen zur offensiven Verteidigung, entstanden aus der immer bestehenden Notwendigkeit, Menschen und Strukturen der staatlichen Repression anzugreifen, um ihre Offensive zurückzuschlagen, fügt sich in ein insurrektionalistisches Operieren ein. Aus all dem können wir den Sinn der aufständischen Aktion und die Gründe erfassen, weshalb sie gleichzeitig in mehrere Richtungen realisiert werden muss. Die Aktion (ob individuell oder in einer Gruppe), die wir als insurrektionalistisch definieren können, auch wenn sie andere Wege einschlägt als wir, realisiert sich, wenn sie gegen Ziele gerichtet ist, die nicht nur von den einzelnen agierenden Individuen und Gruppen, sondern von der ganzen oder zumindest von einem Teil der proletarischen Selbstemanzipationsbewegung ausgedrückt werden. Wir haben überhaupt kein spezielles Monopol über diese spezifische Aktionsform. Alle können sie anwenden, ja dies ist unser lebendigster Wunsch, im Gegensatz zu dem, was viele voreingenommen denken, nur weil wir einige ihrer Kampfvorschläge kritisiert haben.

Wir denken, dass es notwendig ist, über die Bedeutung der aufständischen Aktion nachzudenken, indem wir von der Vorstellung des 19. Jahrhunderts ablassen, sie bloss in Begriffen der Barrikade zu denken. Sie ist etwas viel komplexeres als diese dumme Behauptung, die eine Frucht aus Gemeinplätzen ist. Die aufständische anarchistische Aktion basiert vor allem auf der Erkenntnis, die darauf abzielt, Prozesse von radikaler sozialer Veränderung auszulösen, im Bewusstsein über die Notwendigkeit der Zerstörung. Und dies, während man sich ausserdem darüber im Klaren ist, dass eine materielle Umwälzung dieser vom Staat und vom Kapital dominierten Gesellschaft ohne die direkte Einbeziehung der Ausgebeuteten nicht möglich ist.


Auszug aus Pierleone Porcu. Reise ins Auge des Sturms (1987).