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Thesen zum (Ethischen) Konsum

I

Die Ethik des sogenannten Ethischen Konsums kann zweifelslos und ohne jede Ausnahme bloß jener kapitalistischen Ethik entsprechen, die den Konsum überhaupt erst erschaffen hat. Das ist unmittelbar einleuchtend, denn wenn es nicht die Handelsbeziehungen zwischen den Menschen sind, die in der Ethik des Konsumierens in den Vordergrund gerückt werden, welche Beziehungen wären es sonst? Folglich ist die Ethik des Ethischen Konsums (und wir können ihn ebenso “kritischen Konsum”, usw. nennen, das spielt keine Rolle) eben jene Ethik, die auch das bürgerliche Subjekt erschafft, jene Ethik, die durch die fortgesetzte Domestizierung durch Arbeit ebenso wie (koloniale) Genozide jene Subjekte erschafft, die der bürgerlichen Ordnung treu ergeben sind.

II

Den Ethischen Konsum als ein Mittel des Kampfes zu erwählen muss also letztlich, auch entgegen anderer Absichten, darin scheitern, den eigenen Kampf gegen den Kapitalismus (und sowieso nichts anderes) zu richten. Wenn der Kapitalismus darauf basiert, durch die Verdinglichung all unserer Bedürfnisse bis tief in die Beziehungen von Individuen vorzudringen, diese zu vergiften und sich selbst einzuverleiben, dann kann ein nach bestimmten Regeln irgendeiner Ethik praktizierter Konsum unmöglich dazu beitragen, den Kapitalismus, geschweige denn irgendein anderes Herrschaftssystem zu untergraben. Nein, vielmehr festigt der Konsum (ob mit Ethik, bzw. mit einer bestimmten Ethik, oder ohne) die Strukturen des Kapitalismus, indem er auch weiterhin die Handelsbeziehungen in den Vordergrund stellt, die sämtliche andere Beziehungen zwischen Individuen entweder verdrängen, oder aber vergiften. Dies gesagt, ist jedoch zugleich offensichtlich, dass auch ein Nicht-ethischer Konsum unsere Beziehungen vergiftet, uns durch die Verdinglichung die Logik des Kapitalismus auferlegt und uns an das kapitalistische System bindet.

III

Der Konsum ist die Gegenseite des Medallions der Arbeit. Während die Arbeit dazu dient, uns unserer Arbeitskraft zu berauben und mithilfe dieser die soziale, ebenso wie buchstäbliche Maschinerie des Kapitals zu ölen, sie zu erweitern und zu befeuern, so dient der Konsum dazu, die Erpressung der Arbeit vollständig zu machen. Sicher wäre ein Kapitalismus ohne Konsum denkbar, er würde jedoch die Form offener und alleine mit Mitteln der Repression im Zaum zu haltender Sklaverei annehmen. Der Feudalismus enteignete den Großteil seiner Subjekte eines Teils der Mittel, die diese benötigten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, also konkret jener Früchte der Felder, die diese bestellten, um sich selbst und ihre Sippe zu ernähren, und gab diese an seine Soldaten, die wegen ihrer Tätigkeit für die Herrschaft nicht in der Lage waren, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Der Kolonialismus deportiert(e) seine Sklav*innen aus jenen Gebieten, in denen diese in der Lage waren, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, in die Minen und auf die Plantagen, wo sie einerseits gefangen gehalten wurden, andererseits jedoch dafür, dass sie das absolute Minimum an Nahrung erhielten, das sie benötigten, um zu überleben, jene beschwerlichen und schädlichen Arbeiten verrichten mussten, die ihren Herren ein Vermögen einbrachten. Faschismus (Arbeitslager) und Kommunismus (Gulags) bedienten sich dieses Prinzips ebenfalls. Der Kapitalismus jedoch vermochte aus den Bauern- und Sklavenrevolten zu lernen. Die Sklaverei vermochte zwar den Willen der brutal unterjochten Subjekte oft erfolgreich zu brechen, aber sie würde diese niemals zu begeisterten Anhängern der eigenen Ideologie machen. Er erfand also die Lohnsklaverei. Nun war es permanente Verhandlungssache zwischen den unterworfenen Subjekten und den Inhaber*innen der Fabriken, die Entlohnung für diese Sklaverei festzulegen. Man saß also, wenn schon nicht im gleichen Boot, immerhin schon einmal am selben Verhandlungstisch. Aber so ganz wollte das noch immer nicht funktionieren. Erst wollten die Arbeiter (will heißen, die widerwärtigen Politiker unter ihnen, die allzeit bereit waren, sich mit ein paar Brotkrummen für die Arbeiter und einer gehobenen Position für sich selbst abspeisen zu lassen) mehr als nur einen Kanten Brot zu essen, dann wollten sie weniger arbeiten. Und hier entsteht das, was wir heute als Konsum kennen. Weniger arbeiten, das hätte schließlich bedeutet, dass die Arbeiter sich ihrer Fähigkeit erinnert hätten, ihr Brot selbst zu backen und nicht mehr bei der Arbeit erschienen wären. Also bedurfte es einer schillernden Scheinwelt, mit der sich der Arbeiter die Illusion eines zufriedenstellenden Lebens ins eigene Heim holen konnte, für die es sich zu arbeiten lohnen würde. Vom Automobil über allerlei Haushaltsgeräte im Zuge der Elektrifizierung, bis hin zu den kleinen und großen Propagandamaschinchen des Rundfunks, Fernsehens, sowie des Internets kann man sagen, dass die Strategie des Konsums die bislang wohl erfolgreichste Kampagne gewesen ist, die Sklaven davon zu überzeugen, an ihren Plätzen zu bleiben. Zugleich entmündigt der Konsum uns Sklaven immer weiter, macht immer mehr Bereiche unseres Lebens abhängig von jenem System, das von Anfang an ausschließlich unserer Unterdrückung diente. Der Konsum macht die Sklav*innen also zu Komplizen des Systems. Er verleiht dem, was man Arbeit nennt, einen Sinn und zerstreut zudem sämtliche Bestrebungen, sich aus den Fängen dieses Systems zu befreien. Es mag absurd scheinen, dass die Lohnsklav*innen für nichts anderes arbeiten, als dass sie von ihren Herren besser indoktriniert werden könnten (denn das ist der Fall, wenn die Löhne für Fernseher, Smartphones und Computer ausgegeben werden), und doch ist es so.

IV

Der heutige Konsumbegriff hat jedoch eine gewisse Unschärfe. Egal ob ich mir etwas zu Essen kaufe, ob ich Miete bezahle, oder ob ich mir einen Fernseher anschaffe, all das gilt als Konsum. Das ist aus einem gewissen Blickwinkel verständlich, immerhin gibt es sowohl erheblich qualitative (bzw. teilweise auch nur stilistische) Unterschiede zwischen den einzelnen Waren, die die gleiche Ware entweder als Luxusgut oder aber als überlebensnotwendiges Gut erscheinen lassen – dazu gleich mehr. Zugleich gibt es nur sehr, sehr wenige etablierte Praxen zu leben, bei denen weder Essen, noch Obdach konsumiert werden müssten und so gut wie immer sind diese von der Gunst der Herrschenden und damit oft auch von einer anderen Art des konsumierens abhängig (Auf einem Stück Land zu leben, das man sich gekauft hat, lässt sich wohl kaum als frei von Konsum beschreiben). Und gewiss gibt es die Praxis für Waren nicht zu bezahlen und die Miete für zur Verfügung gestelltes Obdach nicht zu entrichten, aber es ist auch bekannt, dass man sehr wohl auch durch Diebstahl in der Lage ist, zu konsumieren und wenn schon der Erwerb von Brot als Konsum gilt, dann leuchtet es kaum ein, warum der Diebstahl von Kaviar beispielsweise nicht als solcher gelten sollte. Ich denke, die Probleme, die sich hier abzeichnen haben damit zu tun, dass man sich mit der Argumentation rund um Konsum bereits in der kapitalistischen Logik verirrt hat. Wenn das System Nahrung in verschiedene Klassen einteilt, von denen die günstigeren mehr vergiftet sind, während die teureren weniger Giftstoffe enthalten (zumindest wird das so behauptet), so ändert das doch nichts daran, dass der Zugang zu unvergifteter Nahrung weder eine Frage des finanziellen Vermögens, also zumeist des Grads der materiellen Involviertheit in das kapitalistische System, sein sollte – und wenn schon, dann eher im Gegenteil –, noch lässt sich die vergiftetere Nahrung als Befriedigung eines Grundbedürfnisses verkaufen, der Verzehr weniger vergifteter Nahrung jedoch als ein überflüssiges Bedürfnis, das durch die Propaganda des Konsums überhaupt erst geschaffen wurde. Und in beiden Fällen ist man selbst letztlich ohnehin abhängig von jenem System, das diese Nahrung produziert, nicht zuletzt auch deswegen, weil dieses System so total geworden ist, dass eine so simple Frage wie die Nahrungsbeschaffung außerhalb von ihm mindestens von der Duldung durch selbiges abhängig ist (etwas, was ohnehin selten ist).

V

Wenn man also davon spricht, dass der Konsum selbst, egal ob er als “ethisch” gilt oder nicht, unsere Beziehungen vergiftet und dem kapitalistischen System einverleibt, aber zugleich klar ist, dass wir dem Netz des Konsums, wie man ihn in einem strengen Sinne vielleicht definieren mag, nicht zu entrinnen vermögen, ohne das System ernsthaft herauszufordern, dann drängt sich vor allem die Frage auf, warum die Frage des Konsums überhaupt diskutiert wird und nicht vielmehr die universelle Frage dessen, wie eine ernsthafte Herausforderung des Systems organisiert werden könnte. Und gewiss lässt sich sagen, dass an dieser Frage häufig, wenn nicht so gut wie immer, zwei Fraktionen aneinander geraten, die sich auf zwei unterschiedliche Arten innerhalb des kapitalistischen Systems eingerichtet haben, sich aber gerne als Rebellen betrachten und folglich gezwungen sind, irgendeine Art von Dialektik zu produzieren, die die in ihrem Leben zutage tretenden Widersprüche in Einklang miteinander erscheinen lässt, sprich ihre Komplizenschaft mit dem System rechtfertigt. Die Fraktion ethischer Konsum errichtet in diesem Prozess die Illusion einer Welt, in der eine “faire” Bezahlung der – nicht weniger durch Erpressung abgerungenen – Arbeitskraft die dadurch verursachten Beschädigungen des Lebens kompensiere und deshalb erstrebenswert mache. Als “fair” gilt dabei meist jene Menge an Geld, die den Vorarbeitern in den Kolonien gerade so viel Geld beschert, dass sie das Leben eines westlichen, verarmten Kleinbauern nachahmen können, sprich dass sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang der Bewirtschaftung ihrer Felder nachgehen können und dadurch genug zu Essen für sich selbst, ihre Familie und ihre Knechte auf den Tisch stellen können. Damit man also jene “faire” Bezahlung entrichten kann, die immerhin oft nur unerheblich teurer ist, weil es ja ohnehin ein Interesse des Systems ist, dass sich die Arbeitskraft der Arbeiter*innen mit deren Hungertod nicht ständig in Luft auflöst, zumindest eben nicht die der “gelernten” Vorarbeiter, strebt man beispielsweise Karrieren in der Technologiebranche an oder – und das ist gewiss kein zu vernachlässigendes Phänomen – heiratet in diese Sphäre ein, die es einem erlauben, etwas weniger auf das eigene Geld schauen zu müssen. Die Fraktion Es gibt kein richtiges Leben im Falschen macht gewissermaßen einen richtigen Punkt wo sie die Fraktion ethischer Konsum als verlogene Heuchler kritisiert. Aus diesem Verdienst baut man sich dann jedoch oft akademische Karrieren auf, die das System legitimierende Scheiße hervorbringen, und konsumiert fortan weder nach dem Kriterium ob das nun richtig sei, oder falsch, eben genau das, wonach einem das Herz – oder ist es nicht vielleicht vielmehr das von der Werbung ebenso wie der Akademie weich gewaschene Gehirn? – begehrt. Was über all diese künstlichen Konflikte jedoch in Vergessenheit gerät: Die Frage des Konsums trägt überhaupt nichts zur Zerstörung des kapitalistischen Systems bei.

VI

Weil eigentlich niemand, der an der Zerstörung des kapitalistischen Systems interessiert ist, irgendeine dieser beiden herkömmlichen Fraktionen ernst nehmen kann, hat man die Frage des Konsums in bestimmten Kreisen in einem neuen Gewand aufgeworfen. Dass man essen muss, will man nicht verhungern, das ist den meisten Vertretern einer neuen Form des ethischen Konsums immerhin bewusst, aber es gibt da ja noch ein weites Spektrum der Produktpalette an Nahrungsmitteln, an dem man sich abarbeiten kann. Indem sie letztlich den Habitus der über alle weniger “ethischen” Konsumenten die Nase rümpfenden, bürgerlichen Mittelschicht übernehmen – immerhin entspricht das in vielen Fällen eben auch der Herkunft dieser Zeitgenossen –, moralisieren die neuen Verfechter*innen des ethischen Konsums, nennen wir sie Veganer*innen, fortan darüber, ob Menschen Waren essen, die aus Tier bestehen. Und wie die Fairtrade-Bewegung nehmen sie dabei an der Erschaffung einer ganzen neuen Industrie teil. Nun, man muss der Fairtrade-Bewegung vielleicht zugute halten, dass sie immerin “bloß” eine beschönigende Form des Kolonialismus hervorgebracht haben. Das kann man den Veganer*innen gewiss nicht zugute halten: Die von ihnen erschaffene Industrie lässt sich vielmehr als eine neue Welle des Kolonialismus beschreiben, in deren Rahmen neue Plantagen angelegt werden, denen ganze Ökosysteme weichen müssen und auf denen neue Sklav*innen schuften, um dann zu allem Überfluss auch noch eine ganz neue Form industriell produzierter Scheiße auf den Markt zu werfen, die als Fleischersatzproduktpalette ganze Supermarktregale füllt. Und weil dieser Prozess beim besten Willen nicht als “ethisch” beschrieben werden kann, schafft sich diese Bewegung ein neues Vokabular, dass sich rund um den Begriff Tierquälerei ansiedelt. Sicher gibt es solche und solche Veganer*innen, aber von Leuten, die sich aus lauter Tierliebe (in einer Stadtwohnung) einen Hund anschaffen, braucht sich gewiss keine*r etwas über Tierquälerei erzählen lassen. Außer vielleicht diese Leute würden beginnen, aus der Sicht notorischer Sadisten von Tierquälerei zu berichten. Nun wie dem auch sei. Verlogen und heuchlerisch ist das Ganze mit Hund als Haustier, ebenso wie ohne. Denn zweifelslos ist die (industrielle) Tierhaltung eine widerliche Abart des kapitalistischen Systems, die angegriffen und zerstört gehört, aber zu glauben, dass dies irgendetwas mit dem Verzehr von Fleisch – das es im Kapitalismus ebensowenig ohne Tierqäulerei gibt, wie vegane Fleischersatzprodukte, pflanzliche Nahrungsmittel, Kosmetika, Medizin und alle möglichen anderen Produkte – zu tun hat, grenzt an Blödheit. Und blöd sind sie ja nicht, unsere lieben Veganer*innen, oder? Vielmehr produzieren auch sie eine gewisse Dialektik, die eben die Widersprüchlichkeiten des eigenen Lebens in Komplizenschaft mit dem System überdecken soll und die hauptsächlich darin besteht, ihren Veganismus zur rebellischen Handlung zu erklären. Im Übrigen lohnt es sich vielleicht zu betonen, dass ich mich weder dafür interessiere, wer was isst, noch irgendeine Haltung dazu habe, was Veganer*innen essen sollten. Sonst wäre ich sicher Foodblogger geworden und nicht Anarchist.

VII

Wenn sich also zu ethischem Konsum bestenfalls feststellen lässt, dass er dazu dient, eine bestimmte Art von Subjekt, jene, die angesichts eines gewissen Elends ein Gewissen entwickelt, wieder fest innerhalb des kapitalistischen Systems zu verwurzeln und sich von Konsum im Allgemeinen bloß sagen lässt, dass er, wo er entsprechend darüber hinausgeht, dass wir uns das nehmen, was wir brauchen, um zu Überleben, tendenziell unsere Beziehungen vergiftet und – sofern er etwa nicht durch Diebstahl begünstigt wird – uns zudem anfälliger macht (weil man mehr Geld braucht) für die Erpressung durch die Arbeit, zugleich aber klar ist, dass die Wiederaneignung der Fähigkeit das eigene Leben jenseits von Konsum zu bestreiten nur in absoluter Feindschaft und im erbitterten Kampf gegen das kapitalistische System überhaupt denkbar ist, dann muss die Tatsache, dass die Frage des (ethischen) Konsums doch wieder und wieder aufgeworfen und diskutiert wird, den Verdacht erregen, dass es sich dabei vielmehr um ein Instrument der Aufstandsbekämpfung handeln könnte. Und tatsächlich scheinen die Bedingung dafür günstig zu sein. Gewiss spricht nichts dagegen zu verstehen, wie der Konsum – seinerseits eine Strategie der präventiven Aufstandsbekämpfung – unsere Beziehungen zueinander und zu der uns umgebenden Welt vergiftet. Aber wann nimmt die Frage nach dem “richtigen” Konsum jemals die Form an, zu diskutieren, welche Waren es (neben Nahrung, Waffen und Obdach) vielleicht wert sind, enteignet zu werden und welche nicht? Und ich will nicht vorschlagen diese Frage in den Mittelpunkt zu stellen. Vielmehr denke ich, das dies die einzig kohärente Frage wäre, wenn man schon so einen Wirbel um Konsum macht. Die Tatsache jedoch, dass diese Frage kaum Gegenstand der Debatte ist, lässt mich vermuten, dass die Debatte um den “richtigen” Konsum vielmehr eine Kampagne für Konsum ist. Mit den selben Absichten, die schon früher hinter der Entwicklung von Konsum gestanden haben mögen. Ich schlage also vielmehr vor, die Moralerei über den richtigen Konsum zu unterlassen und stattdessen die viel wichtigeren Debatten darum zu befeuern, wie sich unsere Leben wahrlich gegen das kapitistische System führen lassen, wie wir uns die Fähigkeiten unseren eigenen Lebensunterhalt (und zwar nicht in Form von Geld und Waren) zu bestreiten, wieder aneignen können und wie wir die Scheinwelt des Konsums ein für alle Mal zerstören können.

[Mailand, Italien] Eine Bombe gegen Unicredit

Das Getose der Revolte durchbrach die Stille einer eisigen Winternacht. Die Anarchistische Gewalt wurde gegen Unicredit entfesselt, wo sie in der Nacht gegen eine ihrer Mailänder Filialen in der Nachbarschaft von Barona explodierte. Ein Sprengsatz, der auf der Schwelle der Filiale platziert worden war, zerstörte den Eingang und die benachbarten Geldautomaten.

Der Bankenriese, dem der ehemalige Wirtschaftsminister Padoan vorsitzt, ist die zweitgrößte Bank in Italien und hat seine Filialen in 18 Ländern. Sie hat jahrelang den Export von Waffen und Militärsystemen finanziert und unter ihren Aktionären ist auch Black Rock, einer der weltweit größten Investmentfonds. In einer Welt, in der Banken die Macht besitzen, die Preisentwicklung und das Leben der Menschen zu beeinflussen, ist der direkte Angriff auf diese Strukturen eine der geeignetsten Waffen des Kampfes.

Revolutionäre Solidarität und Komplizenschaft mit anarchistischen Gefangenen auf der ganzen Welt, die stolz auf ihren Weg des Kampfes sind.

Nichts ist vorbei.

Keine Kapitulation.

Fragmente für einen aufständischen Kampf gegen den Militarismus und die Welt, die ihn benötigt

Die Anarchisten sind schliesslich gegen den Antimilitarismus (oh weh, da habt ihr den Versprecher, seht, ein Versprecher passiert nie völlig zufällig, tatsächlich sind die Anarchisten auch gegen eine gewisse Art von “Antimilitarismus”). Wie auch immer, um unangenehme Missverständnisse zu vermeiden, lasst uns versuchen, deutlicher zu sein. Ich korrigiere mich: die Anarchisten sind gegen den Militarismus. Daran besteht kein Zweifel. Sie sind gegen den Militarismus, und dies nicht im Namen von einer einstimmigen pazifistischen Auffassung. Sie sind vor allem gegen den Militarismus, weil sie eine andere Auffassung des Kampfes haben. Das heisst, sie haben nichts gegen Waffen, sie haben nichts gegen das Konzept der Verteidigung vor der Unterdrückung. Aber sie haben hingegen viel gegen einen bestimmten, vom Staat gewollten und befehligten, und von den repressiven Strukturen organisierten Gebrauch der Waffen. Sie haben viel einzuwenden gegen einen militärischen Gebrauch der Waffen. Während sie aber einverstanden sind, oder zumindest in ihrer überwiegenden Mehrheit einverstanden sind, mit dem Gebrauch der Waffen gegen den Unterdrücker, mit dem Gebrauch der Waffen gegen jene, die unterdrücken und ausbeuten, mit dem Gebrauch der Waffen in einem Befreiungskrieg. Mit dem Gebrauch der Waffen gegen bestimmte Personen, gegen bestimmte Realisierungen der Ausbeutung.

Es ist also falsch, zu sagen: „Die Anarchisten sind Antimilitaristen, was das gleiche ist, wie zu sagen, dass sie Pazifisten sind”. Die Anarchisten sind nicht gegen den Militarismus, weil sie alle Pazifisten wären. Sie haben nichts gegen das Symbol der Waffe, und ebenso wenig können sie eine Verurteilung des bewaffneten Kampfes im Generellen akzeptieren, um hier diesen streng technischen Begriff zu gebrauchen, der eine ausgedehnte Betrachtung verdienen würde. Sie sind hingegen völlig einverstanden mit einem bestimmten Gebrauch der Waffen: Welchen? Jenen, bei dem diese Gegenstände gebraucht werden, um sich zu befreien, da keine Befreiung auf friedliche Weise möglich sein wird. Denn jene, die die Macht besitzen, werden nie so höflich sein, sich in aller Seelenruhe beiseite zu stellen, ohne Widerstand zu leisten und ohne zu versuchen, diese um jeden Preis zu erhalten.

Aus Alfredo Bonanno. »Wie ein Dieb in der Nacht.«

Was ist Krieg? Was ist Militarismus?

Über die unterschiedlichen Epochen haben sich Kriege auf verschiedene Arten und Weisen geäußert. Einige (frühe) Eroberungsfeldzüge, bei denen sich eine zivilisatorische Imperialmacht bisher nur von staatenlosen Gemeinschaften bewohnte Gebiete einverleibt, mögen dabei zumindest seitens der staatenlosen Gemeinschaften anders geführt worden sein, als jene Kriege in denen die Armeen von Monarchen, Aristokraten, Kauf- und Geschäftsleuten, Kirchen oder Nationalstaaten aufeinandertreffen. Möglicherweise haben sie sogar mehr mit bestimmten modernen Formen des Krieges gemein, auf die ich noch zurückkommen werde. Vorerst will ich die Frage danach, was Krieg und Militarismus ist jedoch ausgehend von jenen althergebrachten Konflikten unter den Herrschenden beantworten, in denen sie ihre Armeen aufeinander hetzen, um irgendwelche Herrschaftsansprüche zu klären oder gar persönliche Streits auszutragen.

Der Fürst, der eine eigene Armee befehligt etwa, er mag mannigfaltige Gründe haben, um gegen die Armee eines anderen in den Krieg zu ziehen. Vielleicht wurde er gedemütigt, vielleicht buhlt er damit um die Liebe einer Prinzessin, bzw. vielmehr die Anerkennung und Gunst ihres Vaters, vielleicht behagt ihm der Verlauf einer seiner Reichsgrenzen nicht und er möchte sie ein Stück nach außen verschieben, vielleicht will er einen Schatz erobern oder sich das Recht zur Ausbeutung weiterer Bauern sichern. Manchmal trachtet er einem anderen, höherstehenden Fürsten nach dessen Position, manchmal mag er auch eine Eingebung Gottes gehabt haben oder irgendeinen Mythos allzu ernst genommen haben. Egal was sein Grund ist: Für seine Untertanen und Söldner dürfte dies schwerlich Grund genug sein, ihr Leben und ihre Unversehrtheit für ihn und seine Sache zu geben. Es mag vielleicht sogar den einen oder anderen Untertan geben, der zwar ebenfalls nicht für des Fürsten Sache in den Krieg zieht, allerdings die eigene Sache (einen höheren Posten, einen Anteil der Beute, usw.) mit der des Fürsten verbunden betrachtet. Die Zahl solcher Untertanen wird aber immer gering sein und wie auch der Fürst sind sie selbst ebensowenig bereit, ihren eigenen Kopf hinzuhalten, wenn Schwerter auf Schilde prallen, Pfeile Rüstungen durchbohren und Lanzen an dem zerbersten, was vielleicht einmal der unversehrte Leib eines Menschen gewesen sein mag.

Um eine Armee aufzustellen muss sich der Fürst also etwas einfallen lassen, wie er das Interesse irgendwelcher Untertanen – es müssen ja auch nicht notwendigerweise die eigenen sein – wecken kann, den ihnen zugedachten Platz im Gemetzel einzunehmen und dort – wenn es sein muss – bis zum bitteren Ende zu bleiben. Eine einfache Möglichkeit, dieses Interesse zu wecken besteht darin, seine Krieger*innen zu bezahlen. Der Fürst nennt diese Söldner und er weiß um das Problem, dass diese wankelmütig sein werden. Schließlich hat er sie nur durch Bezahlung oder das Versprechen einer Bezahlung – manchmal auch durch das Versprechen eines Anteils einer reichen Beute, ein äußerst gewiefter Trick, weil er auch gleich das Interesse des Söldners siegreich zu sein weckt – dazu bewegen können, ihm zu dienen. Und der Fürst weiß, dass nicht nur er Geld besitzt, sondern auch sein Feind. Auch kommt es nicht selten vor, dass Söldner angesichts einer feindlichen Streitmacht oder während der Schlacht mit ihr mitsamt ihrem Sold und den an sie ausgegebenen Waffen desertieren, dass sie sich als kampfuntauglich erweisen oder dass sie sich überhaupt weigern, etwas zu tun, wofür sie ihrer Auffassung nach nicht genügend Sold erhalten haben. Söldnerheere sind deshalb nicht besonders beliebt bei unserem Fürst. Das sogenannte Lehnssystem ist ein Versuch, diese rein monetäre Bindung der Söldner um eine Abhängkeit der fortan Vasallen genannten Untertanen zu ersetzen. Im Austausch für das Recht, selbst einmal Despot zu sein und einen kleinen Teil der Ländereien des Fürsten zu verwalten, die darauf lebenden Bauern zu knechten und einen gewissen sozialen Status zu erlangen, leistet der Vasall seinem Fürsten, dem Lehnsherren alle möglichen Dienste, vor allem zieht er für ihn in den Krieg – und verpflichtet auch einige seiner Untertanen dazu. Was der Söldner für das bisschen Sold, das er bekam nicht zu tun bereit war, das tut der Vasall, dieser edle Ritter, nun mit Freuden im Austausch für etwas noch viel schmutzigeres: Eine schmucke Rüstung und eine Position in der Verwaltung des Reiches seines Fürsten. Der Militarismus ist geboren.

Der fortan gepanzerte Vasall wird im Gegensatz zum Söldner nie wieder in der Lage dazu sein, seine eigene Sache zu vertreten, denn wenn er von einem langen, ermüdenden und kräftezehrenden Feldzug an die heimische Feuerstelle zurückkehren wird, dann wird er sich dort um die Verwaltung des Reiches seines Lehnsherren kümmern, er wird den Bauern auf dem von ihm verwalteten Land Steuern abpressen, wird die nötige Bürokratie erledigen und sich auf die nächste Schlacht vorbereiten, denn nach dem Krieg ist für ihn vor dem Krieg. Er mag glauben, dass es seine Sache wäre, für die er hier eintritt, aber er wird zeitlebens höchstens ein betrogener Egoist bleiben.

Sein Lehnsherr dagegen, unser Fürst, er reibt sich in seiner Burg, seiner Pfalz oder seinem Schloss die Hände und stößt auf seinen cleveren Einfall an. Nicht nur, dass er sich fortan nicht mehr darum zu kümmern braucht, seine Ländereien zu verwalten, er kann nun wann immer er will, Kriege führen und seine Vasallen werden ihm beinahe bedingungslos folgen. Schnell werden diese Vasallen, der sogenannte Schwertadel, Untervasallen einsetzen und diese wiederum Untervasallen. Die dabei entstehenden Hierarchien ermöglichen nicht nur die Verwaltung schnell wachsender Reiche, sondern bestimmen auch die Heeresordnug und sichern funktionierende Befehlsketten. Denn nicht nur im Krieg werden Gehorsam und vor allem Disziplin fortan die wichtigste Tugend eines Untertanen sein, auch in Friedenszeiten wird diese militaristische Tugend beständig eingeübt, wenn die Vasallen ihren jeweiligen Herren im zivilen Staatsleben dienen.

Diese militaristische Ordnung bleibt trotz zahlreicher Machtstreitigkeiten, Intrigen und Putsch(versuche) solange bestehen, bis eine neue Klasse nach der Macht greift und dieses System von außen stürzen wird: Das Bürgertum. Spätestens nachdem in Frankreich die Köpfe des Adels rollen, bedarf es auch einer Umstrukturierung des Militärs. Ein sich zur neuen Oberklasse erhobener Mittelstand kann freilich nicht die militärischen Dienste des Adels für sich in Anspruch nehmen und ohnehin wäre dessen Treue nun nicht mehr gesichert, wo wir es nicht länger mit kleinen Despoten in der Gunst eines befehlshabenden Fürsten zu tun haben. Das Bürgertum bedient sich weiterhin der militaristischen Logik, benötigt nun aber neue Untertanen, die für ihre Sache streiten werden. In Frankreich und den USA und später auch in der gesamten westlichen Welt entstehen die ersten Nationen und es wird der Mythos einer nationalen Einheit, der Nationalismus sein, der fortan die Untertanen für die Sache der Herrschenden in den Krieg mobilisieren wird. Können die Vasallen noch als betrogene Egoisten gelten, weil sie geglaubt haben mögen, dass sie für ihre eigene Sache, d.h. für ihre Macht, ihren Einfluss und ihren Status in die Schlacht zogen, so gelingt es dem Bürgertum jeglichen Egoismus im Militärwesen auszurotten. Man zieht fortan für eine fiktive, aber einem eigen geglaubte Nation, fürs Vaterland, in den Krieg, ist bereit, sich fürs Vaterland das halbe Gesicht wegschießen zu lassen, Gliedmaßen weggesprengt zu bekommen oder später auch Giftgas zu inhalieren. Die verwalterische Teilhabe an der Herrschaft, die die Disziplin der Vasallen auch in Friedenszeiten sicherte, entfällt und wird durch etwas viel schrecklicheres ersetzt: Fabriken. Im Takt der Maschine zu funktionieren, das wird fortan die nötige Disziplin des Marschierens im Gleichschritt in Friedenszeiten pflegen. Und während die Vasallen in Friedenszeiten gewährleisten mussten, dass sie allzeit genügend Kriegspferde zur Verfügung hätten, produziert die neue Unterklasse, das sogenannte Proletariat, in den Fabriken schnell auch in Friedenszeiten das Kriegsgerät, mit dem es im Kriege verstümmelt werden wird.

Die organisatorischen zivilen Hierarchien, die in der bürgerlichen Demokratie formell aufgelöst wurden, die aber im Kriege funktionierende Befehlsketten garantierten, werden in den Fabriken eintrainiert, die nicht zufällig nach einer militaristischen Logik organisiert sind. Auch wenn die meisten heutigen Staaten ein stehendes Berufsheer besitzen, das unter diesem Gesichtspunkt betrachtet vielleicht mehr dem Söldnerwesen gleichen mag, das ohnehin nie völlig verschwunden war – Söldner-Hilfstruppen waren oft einfach notwendig, um genügend Soldaten aufbieten zu können –, so zeigen doch die Erfahrungen der Weltkriege, sowie der Kriege der jüngeren Vergangenheit, dass eine Mobilisierung der Arbeiter*innen nicht nur notwendig ist, sondern dank der allgemeinen militaristischen Disziplin und dem antrainierten Gehorsam auch allzu gut funktioniert.

***

Aber das Zeitalter der Kriege der Nationen, es scheint sich dem Ende zuzuneigen, ja bis auf wenige Ausnahmen bereits vorbei zu sein. Spätestens mit dem Ende des kalten Krieges haben sich die zwei verbliebenen, militärisch-imperialen Fraktionen in eine internationale Staatengemeinschaft integriert, in der Konflikte weniger über herkömmliche territoriale Kontrolle, sondern zunehmend über Ansprüche auf Ressourcen und weltpolizeiliche Uneinstimmigkeiten entstehen. Das heißt freilich nicht, dass es keine Kriege mehr gäbe. Aber wir müssen unser Verständnis von Krieg aktualisieren, wenn wir heutige Militäroperationen ausreichend verstehen wollen.

Die Kadaver der nationalen Armeen, sie bestehen zwar aus einer Reihe nostalgischer Gründe weiter, werden jedoch in Militärbündnissen wie der NATO zu einem neuen Militär zusammengeschweißt und in internationalen Interventionseinheiten wie den UNO-Blauhelmen für vorrangig weltpolizeiliche Missionen eingesetzt, die der Sicherung von Rohstoffen dienen. Obwohl das internationale Kapital auf dieses staatlich organisierte Militär beinahe beliebig zugreifen kann, stellt es in verschiedenen Teilen der Welt zunehmend auch eigene Sicherheitstruppen auf (beispielsweise in Südamerika), die dort den Ausbau einer extraktivistischen Infrastruktur überwachen und Widerstand dagegen niederschlagen. Wo allerdings der Haupteinsatzzweck eines zunehmend internationaleren Militärs die Niederschlagung von Aufständen, die Intervention in Bürgerkriege und der Schutz wirtschaftlicher Interessen der Kapitalistenklasse ist, da bröckeln auch die nationalistischen Mobilisierungsstrategien. Auch wenn sich offenbar noch immer jede Menge Nazis in den Reihen des Militärs tummeln, die dort ihre Sehnsucht stillen, ihrem Vaterland zu dienen, lässt sich eine Mehrheit der Menschen nicht länger so plump täuschen. Anstatt feindlicher Nationen bedarf es in Zeiten globaler Völkerverständigung und internationaler Staatengemeinschaft nun eines neuen Feindes, gegen den wenigstens die Sympathien der Menschen für die Streikräfte ihres Landes erweckt werden können. Und in Zeiten, in denen das internationale Militär den Einsatz im städtischen Raum trainiert, in denen Bürgerkriegsszenarien und Aufstandsbekämpfung vom Militär eingeübt werden, da ist es auch erforderlich, dass sich dieser Feind unter der Bevölkerung versteckt.

Der Feind heißt spätestens seit 2001, aber nicht erst seitdem, internationaler Terrorismus. Und es ist vermutlich ein genialer Schachzug, dass er so ohne weiteres kaum auszumachen ist. Bereits zuvor erprobte rassistische Motive lassen sich gegen ihn ebenso mobilisieren, wie ordnungspolitische Ängste vor einer anarchistischen oder anderweitig subversiven, aufständischen Verschwörung, die Chaos in eine gleichgeschaltete und im Gleichschritt getaktete Welt bringt. Und natürlich lassen sich Revolten in der Dritten Welt, in denen die Versklavten gegen ihre Ausbeuter*innen aufbegehren, ebenso leicht zu Terrorismus erklären, wie das Regime eines Landes, das sich weigert den Ölinteressen eines Imperiums zu entsprechen.

Wie viele US-Amerikaner*innen können sich mit denen identifizieren, die unter den beiden Bürotürmen des Welthandels begraben worden sind, wie wenige waren es im Vergleich mit den Toten des Afghanistan- und Irakkriegs? Und doch genügt dieses Ereignis und dessen propagandistische Ausschlachtung nicht nur zahlreiche US-Amerikaner*innen, sondern auch unzählige Europäer*innen gegen etwas zu mobilisieren, das es so vermutlich gar nicht gibt, bzw. das rückwirkend betrachtet überhaupt erst durch diese Kriege entstanden ist. Aber der „Krieg gegen den Terror“ hat nicht nur in den entlegenen Regionen der Weltmächte Kriege gegen ein Gespenst ausgelöst, sondern auch eine Kriegsführung gegen die eigenen Bevölkerungen in den Metropolen der Macht begründet. Fortan ist jede*r Bürger*in potenzielle*r Terrorist*in. Und zwar in dem Grade, in dem er*sie „arabisch“ aussieht, muslimischen Glauben praktiziert oder anderweitig rassifiziert werden kann. Die seit 2001 frei drehende US-Flugsicherheitsbehörde TSA etwa ist der Überzeugung Terrorist*innen nicht nur an althergebrachten Rassemerkmalen wie Hautfarbe oder Kopfform zu erkennen, sondern auch an der spezifisch-terroristischen Barthaartrimmung.

Der Krieg gegen internationalen Terrorismus ist auch in Europa die ultimative rassistische Argumentationsstrategie gegen Migration geworden. Wer aus den Kriegsgebieten dieser Welt in Richtung der wohlhabenderen Metropolen flieht, könnte ja ein*e Terrorist*in sein. Wer dagegen in den Metropolen ausrastet und Amok läuft, der*die bleibt der verhältnismäßig harmlose, irregeleitete Amokläufer aus der Nachbarschaft. Ich muss hier sicherlich nicht alle Aspekte der Angst vor dem Terrorismus erläutern, sie dürfte den meisten Leser*innen nur allzu präsent, ihre gezielte Schürung und anschließende Instrumentalisierung durch die Politik in Form von technologischer Aufrüstung der Polizei – die mittlerweile Panzer fährt und Handgranaten zu ihrem Arsenal zählen darf – und des Militärs, sowie ein Ausbau der Grenzregime, ganz besonders in Europa, noch in Erinnerung sein.

Es lässt sich festhalten, dass das Gespenst des Terrorismus, wie es uns heute durch die gehirngewaschenen Köpfe spukt, das ideale und mit großem Aufwand produzierte Feindbild ist, um die Militärstrategien zu legitimieren, die von einem zunehmend global aufgestellten Militär zur Sicherung eines weltumspannenden Imperiums trainiert werden.

***

Doch auch dieses modernisierte Verständnis von Krieg muss dieser Tage überdacht werden, erleben wir doch seit mittlerweile mehr als einem Jahr eine neue Form des Kriegs, genauer gesagt, des Bürgerkriegs. Der Terrorismus, er ist weithin obsolet geworden, füllt höchstens noch die Randspalten der Tageszeitungen. Stattdessen füllt ein anderer, noch fiktiverer Feind, die Schlagzeilen: Covid-19. Dieser unsichtbare Superterrorist, der die Menschen unsichtbar und hinterhältig heimsucht, der hinter jeder Brührung, was sage ich, hinter jeder Begegnung, lauert, er ist der ultimative Feind und seine Bekriegung, sie erfordert eine ganz besondere Form der Massenmobilisierung: Die Mobilisierung zur Abwesenheit. Der moderne Kriegsheld, er – oder sie, diese moderne Armee hat nun wirklich jegliche Geschlechterunterschiede überwunden – lümmelt sich zuhause auf dem Sofa, frisst Junkfood in sich hinein und verfolgt gespannt den minütlich über alle Bildschirme flimmernden Frontbericht. Und auch wenn dort mittlerweile längst keine Toten mehr gezählt werden, sondern nur mehr noch von einer wenig aussagekräftigen „Inzidenz“ die Rede ist, fiebern die kriegsbegeisterten Massen noch immer mit. Und alle anderen? „Die Beste Medizin heißt Disziplin“, so oder so ähnlich lautet der Slogan einer der jüngsten Werbekampagnen der Bundesregierung, mit der die Nation zum „Durchhalten“ aufgefordert wird. Und Disziplin ist wahrhaft vonnöten, um als Soldat*in in diesem Krieg zu kämpfen. Der klassische Krieg kannte von Zeit zu Zeit wenigstens einen „Fronturlaub“, ebenso wie wenigstens ein Teil der Bevölkerung gar nicht in den Krieg zu ziehen brauchte, der moderne Virenkrieg dagegen rekrutiert die gesamte Bevölkerung und kennt höchstens eine „Lockerung der Maßnahmen“ und selbst dabei fragt sich die*der aufmerksame Beobachter*in, wie es kommt, dass eine immer weiter verschärfte Maßnahmensituation (Lockdown und Kontaktbeschränkungen sind eigentlich die ganze Zeit geblieben und zuletzt noch um Ausgangssperren erweitert worden) doch immer wieder als „Lockerung“ verkauft werden kann.

Und wer nun aufrichtig behaupten wird, die Kriegsrhetorik bisher nicht bemerkt zu haben und folglich der Ansicht sein mag, dass es sich hier überhaupt nicht um einen Krieg handele, die*der möge mir vielleicht erklären, wie es kommt, dass außgerechnet Rheinmetall und andere Rüstungskonzerne Corona-Schutzmasken produzieren.

Aber es ist freilich nicht bloß die Kriegsrhetorik, sozusagen zum guten Zweck (was auch immer das wäre), mit der wir es hier zu tun haben. Wem auch immer das entgangen sein mag, den*die erinnere ich gerne noch einmal daran, dass wir uns in einem globalen Ausnahmezustand befinden. Ein Ausnahmezustand, der nicht nur die zuvor bestehenden, nationalen Grenzen schloss, sondern der auch ganz neue Grenzregime errichtet hat. Ob globales Freiluftgefängnis (wobei „Freiluft“ mittlerweile als allzu optimistisch entlarvt wurde) oder das von einem philosophierenden Demokraten aufgestellte „Lager als Nomos der Moderne“, das heute gar nicht mehr besonders philosophisch zu sein scheint, die momentane Realität hat etwas von beidem. Auch wenn das Quarantäne-Gefängnis (meist) keine Fenstergitter und Stacheldrahtzäune mehr kennt, sondern hier und da mit elektronischen Fußfesseln auf modernere Instrumente der Einsperrung zurückgreift und anderswo in einem gigantischen Selbstversuch die noch modernere Form der Selbsteinsperrung testet, das Risikogebiet-Lager (oft – es gibt durchaus Ausnahmen) keine allzu festen Grenzen kennt, keine Einzäunung und Flüchtende meines Wissens nach zumindest in Deutschland – Vorfälle in direkten Nachbarstaaten und anderswo auf der Welt stellen das natürlich auch für hier in Aussicht – bisher nicht von Wärtern erschossen wurden, so muss einem die Corona-Maske doch gehörig die Sinne vernebelt haben, wenn man diese Analysen noch immer zurückweist. Dazu kommen jede Menge neuer Papiere, vom Passierschein in Form eines negativen Coronatests und einer Bescheinigung des Arbeitgebers bis hin zum internationalen Ausweisdokument eines elektronischen Impfpasses. Greencard wird das zuweilen unkritisch von der Kriegspropaganda genannt.

Aber während an all den neuen Grenzen wenigstens vorerst noch nicht allzu oft geschossen wird, Grenzübertritte je nach Person und Situation auch einmal geduldet werden und die Bullenschweine immerhin metaphorisch auf 1,5 Meter Abstand bleiben, hat sich die Situation an den Nationalstaatsgrenzen, sowie ganz besonders an den europäischen Außengrenzen noch einmal dramatisch verschärft. Die Situation in den noch viel realeren Lagern vor dem Festland, die weder des Stacheldrahts, noch den scharf schießenden Wachen entbehren, sie verschärft sich immer mehr. Und die ohnehin immer nur humanistische Hilfe der Linken… Sie befindet sich im Lockdown. Meist aus Überzeugung. Als im letzten Jahr die Bilder des brennenden Morias einen Funken Hoffnung aufkeimen ließen, da forderten die Linken ein neues, hygienischeres Lager. Aber was hat das mit dem Krieg zu tun? Leider eine ganze Menge, beweist es doch, dass es in Deutschland erstmals in der Geschichte eine spezifisch Linke Armee gibt. Jene, die früher den „Dienst an der Waffe“ ablehnten und im Zweifel lieber „Zivilidienst“ verrichteten, man hat sie auf ihrem ursprünglichen Metier rekrutiert: In den Krankenhäusern und Pflegeheimen, eben dort, wo man schon früher lieber Patienten den Hintern abwischte, anstatt sich die Waffe aushändigen zu lassen und zu desertieren. Und folglich ist es heute auch nicht das Sturmgewehr, mit dem die Corona-Avantgarde in die Schlacht zieht, sondern die – nur für die größten Idioten harmloser wirkende – Spritze. Das bevorzugte Werkzeug des „Todesengels“, möchte man da fast einwerfen.

Was bedeutet das also für ein anarchistisches Verständnis von Krieg? Fest steht: weniger moderne Formen des Kriegs sind mit diesem modernen Krieg ebensowenig ausgestorben, wie der Krieg gegen den Terrorismus die althergebrachten Staaten- und Bürgerkriege nicht obsolet gemacht hat. Der Virenkrieg, auch wenn einem eigentlich unmissverständlich seine Kriegspropaganda ins Auge springen muss, er wird von vielen gar nicht als Krieg wahrgenommen. In Tradition des Anti-Terror-Kampfes, des „Friedenseinsatzes“ von Blauhelmen und dem „diplomatischen Wert“ der Atombombe verspricht der Virenkrieg ebenfalls Frieden oder schlimmer noch, Gesundheit. Und er scheint dieses Narrativ dadurch sogar zu perfektionieren. Die militaristische Logik der Disziplin, die derzeit jeglichem sozialen Leben auferlegt wird, die irrationale und willkürliche Reglementierung aller sozialen Beziehungen außerhalb der bereits seit Ewigkeiten institutionalisierten Beziehungen der Familie, sie dienen der Rekrutierung einer Armee von Moralist*innen und Denunziant*innen, die fortan effizienter als jede Polizei Delinquent*innen disziplinieren und verfolgen soll.

Der moderne Krieg, er wird also nur noch in den Peripherien mit Waffengewalt ausgetragen, er gibt nur noch die „Unbelehrbaren“, die „Terrorist*innen“, die „Verbrecher*innen“, usw. der vernichtenden Gewalt von Armeen preis und zieht es selbst bei diesen vor, sie zu verhaften, einem Gericht vorzuführen und ins Gefängnis – oder in ein Lager – sperren zu lassen. Unterdessen jedoch kennt er zunehmend weniger eine Unterscheidung zwischen Territorien des Friedens und jenen des Krieges. Ist es die Polizei, die sich zunehmend die Strategien des Militärs aneignet oder ist es vielmehr das Militär, das selbst in den Gebieten des Krieges eine polizeiliche Logik verfolgt? Ich denke schon diese Frage offenbart einen gewaltigen Irrtum: Polizei und Militär sind in Wahrheit ein und das selbe; sind es möglicherweise immer schon gewesen. Die Propaganda des modernen Rechtsstaats mag hier naheliegenderweise ein anderes Bild zeichnen, aber ebenso wie der Krieg von manchen immer schon als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln betrachtet wurde und wieder andere zu dem Schluss kamen, dass umgekehrt, die Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sein müsse, unterscheidet sich die Polizei vom Militär ebenfalls höchstens in den angewandten Mitteln und selbst hier hat die Entwicklung moderner Kriegstechnologien und eine jüngere, militärische Aufrüstung der Polizei diese Unterschiede zunehmend verwischt.

Falsche Verbündete im Kampf gegen den Militarismus

Man muss nicht auf das Manifest der Sechzehn zurückgreifen – in welchem bekannte Anarchisten dazu aufriefen, sich dem Lager Frankreichs wegen seiner revolutionären Tradition anzuschließen und gegen den kaiserlichen Absolutismus Deutschlands zu kämpfen – um angesichts des Krieges Beispiele für den kompletten Verlust der Orientierung und des Gespürs für die involvierten Interessen seitens der Anarchisten zu finden. Der Großteil des heutigen „antifaschistischen“ Diskurses reproduziert im Miniaturformat die gleichen Fehler und spiegelt die Ideen des in den 70er Jahren weit verbreiteten „Antiimperialismus“ wieder: Demokraten vs. Faschisten hier, Staaten der Dritten Welt gegen Staaten des Westens dort. In jüngster Zeit akzeptieren die Unterstützer des Kampfes gegen „den Faschismus“ der Dschihadisten in Syrien sogar die Streitkräfte der US-Luftwaffe im eigenen Lager. Eine Position die bereits während jenes Krieges präsent war, welcher zum Zerfall des ehemaligen Jugoslawien in den 90er Jahren führte. In gleichem Maße verteidigen viele mit gerümpfter Nase die internationalen Interventionen, um die Grausamkeiten einzudämmen, die während der „Bürgerkriege“ in vielen afrikanischen Ländern begangen wurden (bevorzugt die Interventionen der Blauhelme, welche weniger Ablehnung provoziert als die der französischen Fremdenlegion oder die einer Koalition der NATO). Heutzutage hat es fast den Anschein, dass die westlichen Armeen eher freiwillige Rekruten einsetzen, anstatt einer Massenrekrutierung, um ihre Drecksarbeit durchzuführen. Sprich, der einzige Faktor der uns davor verschont zu sehen, wie Libertäre sich in die Armeen einreihen, um die „Bösen“ zu bekämpfen, die noch stärker konter-revolutionär sind, als die Anhänger der kommerziellen Demokratie.

Aus Die Reihen Durchbrechen. Gegen den Krieg, Gegen den Frieden, für die soziale Revolution.

Man sollte meinen, das erübrige sich zu bemerken, dass ein Staat niemals ein Verbündeter im Kampf gegen den Militarismus sein könne. Und doch scheinen vergangene und jüngere Parteinahmen von Antimilitarist*innen dringend einer solchen Klarstellung zu bedürfen. Und wenn ich in diesem Kontext Staat sage, so meine ich auch jede militaristische Bestrebung mit der Absicht, einen Staat zu gründen oder anderweitig staatliche Aufgaben zu übernehmen. Was aus einer antimilitaristischen Perspektive, so wie ich sie verstehe, mindestens unlogisch erscheint, lässt sich mit einer anarchistischen Perspektive dagegen überhaupt nicht vereinbaren. Was sich bereits früher in Solidaritätsbewegungen mit dem bolschewistischen Regime, der Fatah und Hamas oder in der Kuba-Solidaritätsbewegung beobachten ließ, findet seinen Ausdruck dieser Tage beispielsweise bei jenen, die buchstäblich die Fahnen von YPG und YPJ schwenken. Schöne Anarchist*innen und Antimilitarist*innen sind das, die da die Banner militärischer Verbände spazieren tragen, die Verhaftungen durchführen, Gefängnisse und Lager betreiben und von ihren Söldner*innen die militaristische Disziplin des Tötens auf Befehl einfordern.

Aber es ist weniger interessant, die Tatsache, dass dies so ist, festzuhalten, sondern weitaus spannender ist doch die Frage des Warum? Wie kommt es, dass unverhohlen militaristische und autoritäre Organisationen schließlich von ihren eigentlichen Gegner*innen verteidigt werden als „geringeres Übel“ – was noch die ehrlichste Betrachtungsweise ist – oder gar als „Notwendigkeit“ im Krieg gegen den imperialistischen Militarismus. Dass der Antimilitarismus hier als eine Mobilisierungsstrategie für den Militarismus dient, mag wie eine grausame Ironie erscheinen, ich unterstelle jedoch, dass hier vielmehr jene Rekuperationen des Antimilitarismus sichtbar werden, die die Abwesenheit von Krieg, die Ordnung des sozialen Friedens und die repressive Kontrolle über jegliche diese Ordnung störenden Tendenzen zum Ziel eines jeden Antimilitarimus umzudeuten versuchen. Dies mag vielleicht auch das Ziel eines humanistischen, kommunistischen oder demokratischen Antimilitarismus sein, als Ziel eines anarchistischen Antimilitarismus scheint es mir jedoch völlig unzureichend. Spannend finde ich am aktuellen Beispiel der Rojava-Solidarität, die auch unter Anarchist*innen, wenn sie nicht gar unkritisch übernommen wird, so doch weitestgehend unkommentiert bleibt, wie eine bestimmte Art und Weise der Argumentation reproduziert wird, die umgekehrt bei einer staatlichen, kapitalistischen oder nationalistischen Legitimation von und Propaganda für Militarismus zu Recht kritisiert wird. Es ist das Narrativ einer nationalen Verteidigung – auch wenn dieses nationale Motiv vielleicht verschleiert werden mag und sich teilweise hinter identitätspolitisch ansprechenderen Begriffen wie „Frauenrevolution“ (jaja, das Ziel 40% der Posten mit Frauen besetzen zu wollen und die gezielte Präsentation weiblicher Militärs durch die Propaganda scheint da heute bereits zu genügen) oder „ökologischer Revolution“ verbirgt – gegen einen im Anmarsch befindlichen Feind. Ein Narrativ, das sofortige „Lösungen“ verlangt, die oberste Priorität haben und denen folglich alles andere untergeordnet werden muss und wird. Dieses Narrativ dient nicht nur der Legitimation einer Miliz, sondern es soll auch all das Übrige rechtfertigen, was vielleicht durch die Propaganda der neuen Verwaltung anders versprochen wird, in der Praxis jedoch entsprechend autoritär daherkommt. „Noch keine Zeit gehabt, sich darum zu kümmern.“ Eben ganz die Propaganda, derer sich auch etablierte Staaten bedienen, wenn sie im Kriegszustand die Arbeiter*innenschaft zu persönlichem Verzicht zugunsten der Interessen der Nation aufrufen und zugleich die militärischen Operationen im In- und Ausland als dringlich, alternativlos, sowie als Grundvoraussetzung für eine Bearbeitung des entsprechenden Problems in der Zukunft darstellen.

Es mag vielleicht überraschen, dass gerade eine antimilitaristische Bewegung dieses Narrativ nicht als ein klassisches Stilmittel der Kriegspropaganda erkennt und man könnte sicher noch seitenlange Überlegungen niederschreiben, warum das so überraschend vielleicht gar nicht ist. Aber ich will stattdessen zum eigentlichen Thema dieses Textes zurückkommen: Wie könnte eine aufständische Perspektive aussehen, die nicht nur den Militarismus des türkischen Regimes, den der NATO und den des IS angreift, sondern die sich eben auch gegen den Militarismus von YPG und YPJ und ihrer sozialdemokratischen bis leninistischen Parteien, der PYD und der PKK, sowie überhaupt gegen jede Herrschaft, auch gegen die dessen, was Demokratischer Konförderalismus genannt wird und sowieso nur in den Augen eines Trotzkisten, der sich kurzerhand zum Anarchisten erklärt hat, als anarchistisch im Sinne des Begriffs gelten kann, richtet?

Fluchtpunkte einer antimilitaristischen Praxis des Angriffs

(i) Die Kriegsproduktion

Jüngere antimilitaristische Kampagnen, die im Burgfrieden dessen, was manchmal die „Festung Europa“ genannt wird, agierten, haben die Produktion von Waffen, Munition und sonstigem Kriegsgerät als ein Feld der Intervention für sich entdeckt. Wenn der aus dieser Produktion stammende Nachschub die Frontlinien des Krieges, die sich anderswo auf der Welt befinden, nicht mehr erreicht, so würde auch der Krieg zum Erliegen kommen. Und tatsächlich: Ohne eine ununterbrochene Kette an Nachschublieferungen wären die Kriege der Vergangenheit und Gegenwart unmöglich fortzusetzen (gewesen). Soweit jedenfalls die Theorie des Ganzen.

Gemessen an ihrer Praxis müssen diese Interventionen bislang jedoch als weitgehend gescheitert betrachtet werden. Blockaden vor Produktionsstandorten der Rüstungsidustrie, oft lange im Voraus angekündigt und somit in die Produktionspläne dieser Firmen einplanbar, hielten oft nur wenige Stunden an und lösten sich nicht selten nach einer gewissen Zeit von selbst wieder auf, als die Teilnehmer*innen der Blockade Hunger verspürten oder in die Annehmlichkeit ihrer Nachtlager zurückkehren wollten, oder an die Rückreise denken mussten, um am nächsten Tag wieder ihrer Arbeit nachzugehen. Ich will mit dieser Beurteilung überhaupt nicht klein reden, dass solche kollektiven Bemühungen des Protests nicht ihren eigenen Wert haben, aber wer glaubt, mit der Teilnahme an einer derart vorhersehbaren, einkalkulierbaren und im höchsten Maße symbolischen Blockade tatsächlich einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Kriegsproduktion in dem Maße blockiert wird, dass das irgendeinen Effekt auf die Kriegsführung in den Kriegsgebieten hätte, die*der lügt sich schlicht selbst etwas vor. Aber es gab nicht nur diese Form massenhafter Blockaden: Sabotagen an Gleisen, Brandanschläge auf Firmenfahrzeuge von Rüstungskonzernen und ihren Zulieferern, sowie den Fahrzeugen von Logistikunternehmen, die deren Kriegsgerät verschickten, usw., sowie eine vielleicht noch größere Serie an Farbangriffen auf die Sitze dieser Unternehmen boten und bieten bis heute eine militante Perspektive der Intervention in die Kriegsproduktion.

Und doch: Mir wäre es neu, dass dabei jemals die Nachschublieferungen an die Fronten der Kriege zum Erliegen gekommen wären. Zu geringfügig war die Unterbrechung der Produktion, zu unbedeutend die Sabotage der Logistik. Nichts, was nicht durch eine zusätzliche Nachtschicht aufgeholt hätte werden können. Und der finanzielle Schaden? Nun ja, sagen wir die Geschäftsführungen der betroffenen Unternehmen rechnen in anderen Dimensionen.

Es ist keineswegs meine Absicht, diese Interventionsversuche klein zu reden, Leute zu entmutigen auch dann anzugreifen, wenn der Feind übermächtig zu sein scheint und der eigene Handlungsspielraum im Vergleich zu klein, der eigene Widerstand zu unbedeutend erscheint. All das ist für mich kein Grund, vom Angriff abzusehen. Vielmehr denke ich, dass es sich lohnt, etablierte Strategien von Zeit zu Zeit zu überdenken und gegebenfalls einer Überarbeitung zu unterziehen, wenn sich herausstellt, dass das eigene Handeln in ihnen weitestgehend wirkungslos verhallt oder kalkulierbar wird.

Die heutige Hightech-Produktion – und die Produktion von Kriegsgerät fällt definitiv in diese Kategorie – ist an sich eine äußerst labile Angelegenheit. Sie ist abhängig von zahlreichen teuren und schwer zu beschaffenden Ressourcen – ironischerweise jene Ressourcen um deren Sicherung sich der ein oder andere Krieg dreht – und besteht aus einer langen Produktionskette an Zwischenprodukten und deren Logistik an die Produktionsstandorte, an denen das Endprodukt, sei es nun ein Panzer, ein Militärjet, eine Drohne, ein Raketenwerfer oder irgendetwas anderes, aus tausenden oder Millionen von Einzelteilen zusammengesetzt wird. Die produzierenden Unternehmen durchschauen oft selbst nicht vollständig, wer die Zulieferer ihrer Zulieferer sind und noch weniger, wer deren Zulieferer wiederum beliefert. Das gilt, selbst wenn es in der Rüstungsindustrie – mehr noch, als irgendwo sonst – durchaus Bestrebungen gibt, diese Produktionsketten nachzuvollziehen und – sofern sie für den Produktionsprozess unverzichtbar sind – entsprechend abzusichern, zumindest teilweise auch für die Hersteller von Panzern, Flugzeugen, Drohnen und Co. Es soll in der Geschichte der Produktion von Hightech-Gütern – und auch in der der Rüstungsindustrie – jedenfalls schon das ein oder andere Mal vorgekommen sein, dass Produktionshallen tagelang still standen, weil eine bestimmte Mutter, die nicht ohne weiteres im Baumarkt nachgekauft werden konnte, nicht geliefert worden war oder weil ein Zulieferer Bankrott machte und erst einmal Ersatz für das von ihm gelieferte Bauteil aufgetrieben werden musste. Und als vor einigen Jahren einmal die Weltmarktpreise für seltene Erden explosionsartig in die Höhe schnellten, weil China seine Exporte senkte, da gab es bei den Zulieferern der Autoindustrie – und was man für Autos braucht, das braucht man in der einen oder anderen Form oft auch für gepanzerte Fahrzeuge – erhebliche Lieferengpässe.

Ich will hier aber gar nicht allzu konkret werden. Jedenfalls scheint mir die Möglichkeit interessant zu sein, dass jenseits der oft mit Militärtechnologie überwachten, direkten Produktionsstandorte der Rüstungsindustrie in meist ohnehin unsympathischen Gegenden die vernachlässigte industrielle Peripherie dieser Sparte manchmal entlegen in kleinen Käffern, manchmal am Rande irgendwelcher weitaus sympathischeren Industriegebiete der Großstädte schlummern mag und eine große Menge Potenzial für zündenden antimilitaristischen Ideenreichtum liefert.

Auf eine ähnliche Art und Weise ließe sich vielleicht auch im Bereich der Logistik strategisch nachbessern. Die oftmalige Güterschienennetzanbindung der Produktionsstandorte von Rüstungsunternehmen und die Namen der Logistikunternehmen der die Werkstore passierenden LKWs könnten hier Ansatzpunkte offenbaren, auch wenn ich denke, dass der qualitative Gewinn für eine antimilitaristische Praxis des Angriffs hier vor allem darin bestehen könnte, tatsächliche Frachten an die und von der Rüstungsindustrie auszumachen und zu blockieren/zerstören, wenn nicht gleich das gesamte logistische System, in dem diese verschifft, verladen, mit der Bahn oder dem LKW transportiert werden angegriffen und sabotiert wird, anstatt sich auf – in diesem Sinne eher symbolische – Angriffe auf diese Logistikunternehmen im Allgemeinen zu beschränken, die zwar sicherlich einen finanziellen Schaden anrichten, jedoch effektiv kaum Auswirkungen auf den reibungslosen Betrieb der Kriegsproduktion haben dürften.

Dabei bleibt zu bemerken, dass verschiedene aufständische Projekte der Vergangenheit vor allem dort Erfolge verzeichnen konnten, wo sie entsprechende Schwachstellen in Produktions- und Lieferketten identifizierten und ihre Angriffe auf diese konzentrierten.

(ii) Die Infrastruktur des Krieges

Armeen fürchten seit jeher Wälder, Berge und Wildnis, sprich jene Umgebungen, in die ihre Zivilisation bislang nur spärlich oder überhaupt nicht vorgedrungen ist und in der es ihnen an notwendiger Infrastruktur, sowie oft auch an geografischem Wissen und Erfahrung mangelt, um ihre Umgebung erfolgreich zu kontrollieren. Kein Wunder, dass eigentlich sämtliche Spezialabteilungen des Militärs ihre „Elitesoldaten“ auf – außerhalb einer militärischen Ausbildung Todesmärsche genannte – Expeditionen durch die raue Wildnis schicken, sie entgegen der üblichen militaristischen Logik darin üben, in gewisser Weise eigenverantwortlich zu agieren, eigene Entscheidungen zu treffen und unabhängig von den Bewegungen anderer Einheiten ihrer Armeen zu kämpfen. Diese Spezialabteilungen sind das militärische Instrument, um in Gebiete vorzudringen, die frei sind von einer für die übliche militärische Intervention notwendigen, minimalen Infrastruktur. Aber gewissermaßen handelt es sich bei diesen Einheiten um ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Moderne Kriegstechnologie baut vor allem auf Drohnen, Satteliten, Aufklärungsflüge, (Infrarot-)Überwachungstechnologie, usw., um jederzeit selbst in die entlegensten Gebiete dieser Welt vordringen zu können. Und in den wenigen Fällen, in denen sich in der Vergangenheit die Wildnis als allzu undurchdringbar erwies, wusste man sich mit Pflanzengiften, Napalm und anderen biochemischen Waffen zu helfen. Die römischen Legionen rodeten Wälder, um das geeignete Schlachtfeld für ihre Truppen zu schaffen, die US-Army versprühte das Umweltgift „Agent Orange“, um ihre Feind*innen aus der Deckung zu locken. Das sind natürlich nur zwei der populärsten Beispiele dafür, wie sehr die totale Kontrolle über ihre Umgebung damals wie heute eine bedeutende Rolle für Militärs spielte. Auch wenn die strategische Zerstörung der Umwelt auch heute noch eine wichtige Rolle in diesem oder jenem militärischen Konflikt spielt, so lässt sich doch behaupten, dass die Kriegstechnologie zumindest nach Wegen sucht, Umweltzerstörungen eines solchen Ausmaßes (im Zuge ihres lokalen Einsatzes, denn natürlich zerstört alleine die Rohstoffproduktion für Militärgerät die Umwelt in gigantischem Ausmaß) nach Möglichkeit zu vermeiden und stattdessen mithilfe von HighTech in jeden bislang „toten Winkel“ vorzudringen.

Dabei spielen längst nicht nur die militärischen Technologien eine Rolle, mit denen bislang unbekanntes „Feindesland“ ad hoc während oder im Voraus einer militärischen Intervention erschlossen werden soll, sondern gerade dort, wo sich Kriege vornehmlich gegen einzelne Bevölkerungsgruppen in einem ansonsten erschlossenen Gebiet richten, seien es indigene Bevölkerungen, Rebell*innen, Invasor*innen, das was heute mit dem Begriff Terrorist*innen gemeint ist, oder schlicht verarmte Bevölkerungsteile, die nicht bereit sind, dem Bau einer Mine, einer Fabrik, einer Straße, usw. zu weichen, sind es vielmehr die „zivilen“ Technologien, die den Armeen und/oder der Polizei oder auch privaten Sicherheitskräften den Weg bereiten. Alles was dazu beiträgt, den Raum kontrollierbar zu machen, lässt sich selbstverständlich auch militärisch zu eben jenem Zwecke nutzen. Auf Straßen und Schienen kann das Militär schnell in jeden erschlossenen Winkel vordringen, Brücken helfen dabei, natürliche Hindernisse wie Flüsse, Schluchten und Täler zu überwinden und landwirtschaftlich genutzte Flächen ermöglichen es nicht nur, große Areale von einem einzigen Aussichtspunkt aus zu überblicken, sondern sie erleichtern vor allem auch das Vorrücken abseits der Straßen; soweit dürfte man das schon einmal mitbekommen haben. Tatsächlich sind dies jedoch nur die offensichtlichsten Infrastrukturen derer sich die Armeen bedienen. Für die Schiffahrt mithilfe von Schleusen und Talsperren begradigte und vertiefte Flussläufe ermöglichen einen verlässlichen Transport von Kriegsgerät bis weit ins Inland hinein, Häfen ermöglichen das schnelle Landen von Kriegsgerät, ebenso wie nicht nur Flughäfen militärisch genutzt werden können, sondern auch diverse schnurgerade Autobahnabschnitte als Start- und Landebahnen für Kampfflugzeuge dienen und teilweise auch als solche angelegt sind.

Jenseits einer solchen logistischen Infastruktur benötigt ein modernes Heer natürlich auch eine stabile und verlässliche Kommunikationsinfrastruktur. Eigens militärisch genutzte Sattelitenkommunikation, deren Bodenstationen sich auf Militärbasen überall auf der Welt befinden und vom Militär mobil aufgespannte Ad-Hoc-Funknetzwerke, über die verschiedene Einheiten untereinander und mit ihrem Kommandostab kommunizieren können sind ebenso zu nennen, wie bereits etablierte und durch diverse Funkmasten aufgespannte Behördenfunk- und Mobilfunknetze, die sich selbstverständlich auch zu militärischen Zwecken anzapfen lassen (der Behördenfunk ermöglicht es der Polizei immerhin bereits von beinahe überall nach Verstärkung zu funken). Insbesondere Drohnen und jede andere Form von unbemanntem Vehikel benötigt derartige Funknetze, um Informationen zu übermitteln, sowie Kommandos zu empfangen. Auch das vorrangig für das Internet verlegte Glasfasernetz lässt sich zu militärischer Kommunikation nutzen und ein funktionierendes Stromnetz, das so gut wie überall eine beinahe unbeschränkte Menge an Energie zu liefern vermag erleichtert jede militärische Operation. Nicht zu vernachlässigen ist dabei vor allem auch die in Städten überhand nehmende Beleuchtung, die es selbst Nachts ermöglicht, hunderte Meter weit in Straßenschluchten, Parks, Hinterhöfe, usw. hineinzublicken und aus der Nähe beinahe in jede dunkle Ecke blicken zu können. Und die ebenfalls überhand nehmende Videoüberwachung ermöglich schon jetzt ein immer engmaschigeres Netz polizeilicher Kontrolle.

Wir leben in einer vermessenen und kartographierten Welt, die solange ihre Infrastruktur intakt ist, militärisch leichter zu kontrollieren ist, als dies den Anschein macht, wenn man sich die Berichte über militärisch schwer kontrollierbare Guerilla-Widerstandskämpfer in anderen Teilen der Welt verinnerlicht. Dazu ist es jedoch erforderlich, sich in dieser Welt jenseits der kontrollierten Pfade bewegen zu lernen, eine Fähigkeit die nicht einfach über Nacht erlernt werden kann, ebenso wie es erforderlich ist, die neuralgischen Punkte ausfindig zu machen, die die kritischen Infrastrukturen zum kollabieren bringen. Und diese – selbst wenn im Detail – nur zu kennen genügt vielleicht nicht, wie in dem Text „Fahrtenbuch“ (Die Reihen durchbrechen) argumentiert wird, es bedarf auch des spezifischen Wissens, wie diese erfolgreich sabotiert werden können, von der Herstellung der dafür erforderlichen „Betriebsmittel“, bis zu deren fachgemäßen bzw. unfachgemäßen Gebrauch.

Ich denke, dass gerade dieser Aspekt des Wissens in Ländern, in denen gerade kein offener Krieg gegen die eigene Bevölkerung geführt wird, oft unterschätzt wird. Umso bedeutender wird dieses Wissen in dem Szenario eines Aufstandes, auf den wir schließlich nicht nur alle gespannt warten, sondern auf den wir uns auch vorbereiten. In einer solchen Situation zu wissen, wie die Infrastruktur des Krieges unschädlich gemacht werden kann, das könnte sich womöglich als entscheidend erweisen.

(iii) Die Kriegspropaganda

Für das Funktionieren des Militarismus und insbesondere für die Mobilisierung nicht nur der Soldat*innen im Kriege, sondern auch jener Teile der Bevölkerung, die einen Krieg immer mittragen, ist in der heutigen Epoche die Propaganda von entscheidender Bedeutung. Vielleicht vergleichbar mit der Weltkriegspropaganda erweist sich heute die Virenkriegspropaganda, die wir seit über einem Jahr erleben. Längst sind alle Medien, von den Zeitungen, übers Radio und Fernsehen bis hin zu den sogenannten sozialen Medien auf eine Art und Weise gleichgeschaltet, die ich persönlich vorher nicht für möglich gehalten hätte. Und alle machen sie mit, vom wirtschaftsliberalen Tagesblatt bis zur linken Monatszeitschrift, vom Staatsrundfunk bis hin zu Techgiganten wie Google und Facebook, die auf ihren Internetplattformen die staatliche Sicht der Pandemie prominent bewerben und kritische Stimmen entweder algorithmisch abwerten und somit verstecken oder unverhohlen zensieren. Wer hätte das gedacht, dass die Unternehmen, die einst (natürlich zu Unrecht) von sich behauptet hatten, den Arabischen Frühling möglich gemacht zu haben, nun, wo es die westlichen Staaten sind, die (Internet)zensur vorantreiben, sich so bereitwillig als Vollstrecker andienen. Achso, ja, eigentlich stand das zu erwarten.

Die gesamte Kommunikationstechnologie, von der Zeitung über den Rundfunk bis hin zum Cybernetz, sie war schon immer das Mittel der Wahl propagandistischer Indoktrination. Wie sonst könnte man auch die Massen erreichen. Die heute vielfach behauptete Medienvielfalt, sie existiert ebensowenig wie das Internet ein Instrument der Meinungsfreiheit ist. All diese Technologien erweisen sich im Kriegszustand mehr als jemals zuvor als Werkzeuge der Propaganda.

Auch wenn man sicherlich so einiges darüber sagen könnte, mit welchen Strategien die Herrschenden es erreichen, bei einem Großteil der Bevölkerung nicht nur die notwendige Angst vor dem Virus zu schüren, sondern sie auch gleich noch auf die Notwendigkeit des längst tobenden Virenkrieges einzustimmen, so wäre diese Analyse im Endeffekt doch unnötig, würde vielleicht sogar nur den Herrschenden etwas bringen, die ihre Mechanismen dadurch verfeinern könnten. Aus der notwendigen Distanz betrachtet, muss man meines Erachtens nach zu dem Resultat kommen, dass es die schiere Existenz von Massenmedien ist, die diese Kriegspropaganda ermöglicht und folglich eine effektive Bekämpfung dieser nur auf die Zerstörung dieser Massenmedien hinauslaufen kann.


Übernommen von Zündlumpen #083.

[München] Forstmaschinerie im Forst Kasten sabotiert

Rund 20.000 Euro Sachschaden haben Unbekannte im Zeitraum zwischen dem 06. und 07. Januar 2022 angerichtet, als sie einem im Forst Kasten abgestellten Rückezug, sowie einem zugehörigen Anhänger der städtischen Forstverwaltung die Reifen zerstachen, sowie Bauschaum in den Auspuff des Rückezugs füllten und die Gefährte mit den Parolen „Den Wald verteidigen“ und „Verpisst euch“ besprühten.

Die Forstmaschinen waren wohl im Zuge der alljährlichen Durchforstung des Waldes dort abgestellt. Ein Rückezug dient dazu, gefällte Bäume aus dem Wald an den mit LKW befahrbaren Wegesrand zu transportieren. Um eine mögliche Rodung des Forst Kastens zum Zwecke des Kiesabbaus hatte es im Frühjahr und Sommer 2021 bereits verschiedene Proteste von Bevölkerung, ebenso wie Klimaaktivist*innen gegeben. Dass sich einige dieser Klimaaktivist*innen in den Medien von dieser Sabotage distanzierten, folgt einem lange anhaltenden Trend der Distanzierung selbiger von vorangegangenen Sabotagen in diesem Kontext. Siehe auch den Beitrag „[München] 600 Meter Förderband in Kiesgrube gehen in Flammen auf„.

Freiheit für Claudio Lavazza!

Das Gefängnis ist eine der wesentlichen Säulen der Gesellschaft. Das Gefängnis dient entgegen der Rhetorik demokratischer Regierungen, die uns das einreden wollen, nicht der Umerziehung und Reintegration. Stattdessen verfolgt das Gefängnis die Bestrafung, Unschädlichmachung und Eliminierung derjenigen, die in seinen Mauern eingeschlossen sind – das heißt derjenigen, die für das Funktionieren der Gesellschaft und seiner Wirtschaft nutzlos oder hinderlich sind. Das Inhaftierungssystem des französischen Staates, der seit der Revolution die Parole „Liberté, Egalité Fraternité“ [dt. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“] geprägt hat, ist da keine Ausnahme. Obwohl die Todesstrafe 1981 abgeschafft wurde, wurde die Guillotine doch nur durch den Willen, auf eine „sauberere“ Art und Weise zu töten, nämlich durch das langsame und monotone Verstreichen der Haftzeit, ersetzt.

Unter den vielen Leben, die sich im eiserenen Griff der demokratischen Gesetze gefangen finden, ist auch das des Anarchisten Claudio Lavazza.

In den 70ern war er Teil einer der vielen bewaffneten Gruppen in Italien, die versuchten, den Horizont des revolutionären Traums zu erstürmen, indem sie an Enteignungen, bewaffneten Angriffen und Gefängnisausbrüchen mitwirkten, um diejenigen zu befreien, die im Netz der Repression gefangen waren. Erst wählte Claudio ein Leben im Untergrund, wurde dann jedoch zur Flucht gezwungen und beging weiterhin Banküberfälle, um subversive Bewegungen in ganz Europa finanziell zu unterstützen. Nach einer Schießerei bei einem schief gelaufenen Bankraub wurde er 1996 in Spanien festgenommen und zu 25 Jahren Knast verurteilt, die er abgesessen hat – acht Jahre davon verbrachte er in einer speziellen Isolationsabteilung. 2021 wurde er nach Frankreich ausgeliefert, wo ihn 10 weitere Jahre erwarteten. Obwohl die europäische Gesetzgebung vorsieht, dass seine Haftstrafe in Frankreich zusammen mit der Zeit, die er in Spanien abgesessen hatte, ebenfalls abgesessen sei, verweigert ihm die Hexagon-Regierung durch ihre Schergen in Gerichtsroben seine Freilassung, indem sie die Gefängnistüren mit bürokratischen Hindernissen und juristischen Formsachen verriegelt.

Der französische Staat rächt sich an Claudio dafür, dass er an einem der größten Bankraube der Bank von Frankreich im Jahre 1986 beteiligt gewesen sein soll, aber vor allem dafür, dass er sich nicht von seinem bewaffneten Kampf gegen alle Staaten und etablierten Autoritäten distanziert.

Die Befreiung von Claudio Lavazza, der heute beinahe 70 Jahre alt ist, geht alle Liebhaber*innen der Freiheit etwas an. Ihn aus den Fängen des französischen Justizsystems zu befreien, das seine eigenen Gesetze missachtet, in dem absichtlichen Versuch, ihn langsam zu töten, ist die Aufgabe aller, die leidenschaftlich für eine Welt frei von den Ketten der Gefängnisse und der Autorität kämpfen.

Auf zur Tat!

Damit sich die Gefängnistüren für Claudio umgehend öffnen!

Anarchist*innen.

Download als Plakat (PDF)


Dieser Text ist die Übersetzung eines unter anderem bei Act for Freedom Now! veröffentlichten Plakats, das ab dem 7. Januar 2022 zu einer Welle der Solidarität mit Claudio Lavazza aufruft.

Geduld

Meiner Meinung nach basieren viele der falschen Vorstellungen bezüglich demokratischer Verwaltung auf der Zweideutigkeit des Konzepts von (sozialem) Konsens. Die folgenden Absätze geben eine Argumentationslinie wieder, wie sie heute von vielen Anarchist*innen verfochten wird.

Als die sichtbare Grundlage der Herrschaft der gewaltvolle Zwang war, war den Ausgebeuteten die Notwedigkeit zu rebellieren nur allzu bewusst. Wenn sie dennoch nicht rebellierten, so lag das an der Erpressung, die Polizei und Hunger ihnen auferlegten, damit sie in Resignation und Elend verharrten. Folglich war es notwendig mit Entschlossenheit gegen diese Erpressung vorzugehen. Heute jedoch profitieren die Institutionen des Staates von der Beteiligung der Massen, die durch ein mit Nachdruck verfolgtes Unterfangen der Konditionierung zu ihrer Einwilligung (Konsens) bewogen wurden. Aus diesem Grund sollte die Revolte auf die Ebene der Delegitimierung verlagert werden, mit dem Ziel des graduellen und sich ausbreitenden Zerfalls des sozialen Konsenses. Folglich müssen wir mit unserem Projekt der sozialen Transformation ausgehend von jenen kleinen Zonen beginnen, in denen die Autorität ihre Legitimation bereits verloren hat, sie sozusagen eingeklammert wurde. Andernfalls wird die Rebellion bestenfalls zu einem Selbstzweck, einer nutzlosen und missverstandenen Geste und im schlechtesten Fall zu einem Beitrag zur Repression und einer gefährlichen Abweichung von den eigentlichen Bedürfnissen der Ausgebeuteten. Mir scheint, dass dies der Kern einer immer widerkehrenden Debatte in unterschiedlichen Gewändern ist.

Tatsächlich basiert diese gesamte Argumentationslinie auf einer falschen Vorannahme, und zwar auf der Unterscheidung zwischen (sozialem) Konsens und Repression. Es ist offensichtlich, dass der Staat diese beiden Kontrollinstrumente benötigt und meiner Meinung nach erliegt keiner dem fatalen Fehler das zu leugnen. Aber zu erkennen, dass die Macht nicht alleine mit der Polizei oder alleine mit dem Fernsehen bestehen kann, genügt nicht. Es ist wichtig zu verstehen, wie die Polizei und das Fernsehen zusammenspielen.

Legitimation und Zwang erscheinen nur dann als unterschiedliche Zustände, wenn man (sozialen) Konsens als eine Form von immateriellem Apparat betrachtet, der die Materialität von Befehlen formt; in anderen Worten: Wenn man annimmt, dass die Produktion eines bestimmten psychologischen Verhaltens – das der Akzeptanz – irgendwo anders liegt, als in den Strukturen der Ausbeutung und Unterdrückung, die auf einer solchen Einstellung basieren. Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist es irrelevant ob eine solche Produktion früher (zur Vorbereitung) oder später (als Rechtfertigung) stattfindet. Von Interesse ist nur, dass es nicht zur gleichen Zeit passiert. Und genau hier findet sich die Trennung von der ich gesprochen habe, wieder.

In der Realität existiert die Trennung zwischen der inneren Sphäre des Bewusstseins und der praktischen Sphäre des Handelns nur in den Köpfen – und Projekten – von Priester*innen aller Coleur. Aber schließlich sind selbst sie gezwungen ihren himmlischen Phantasien eine irdische Basis zu verleihen. So wie Descartes die Pinealdrüse zu dem Ort machte, an dem sich die Seele befindet, so wie die Bourgeoisie das Privateigentum zur Festung ihrer dürftigen Heiligtümer auserkor. Auf eine ähnliche Art und Weise muss der moderne Demokrat, der nicht weiß, wo er den (sozialen) Konsens hernehmen soll, auf Wahlen und Meinungsumfragen zurückgreifen. Als Letzter verortet der zeitgemäße Libertäre die Delegitimierungspraxis in einer “nicht-staatlichen, öffentlichen Sphäre” mit mysteriösen Grenzen.

(Sozialer) Konsens ist ebenso eine Ware, wie ein Hamburger oder das Bedürfnis nach einem Gefängnis. Wenn die totalitärste Gesellschaft diejenige ist, die weiß wie man den Ketten die Farbe der Freiheit verleiht, dann ist er tatsächlich zur Ware par excellence geworden. Wenn die effektivste Repression von der Sorte ist, die die bloße Sehnsucht nach Rebellion auslöscht, dann ist (sozialer) Konsens präventive Repression, die Polizierung von Ideen und Entscheidungen. Seine Produktion ist materiell, wie die der Kassernen oder der Supermärkte. Zeitungen, Fernsehen und Werbung sind Machtinstrumente, die Banken und Armeen ebenbürtig sind.

Wenn man das Problem auf diese Art und Weise formuliert, wir klar, dass die sogenannte Legitimation nichts anderes ist als ein Befehl. (Sozialer) Konsens ist Zwang und seine Auferlegung wird durch bestimmte Strukturen ausgeübt. Das bedeutet – und das ist die Schlussfolgerung, die niemand ziehen will – dass er angegriffen werden kann. Andernfalls würde man mit einem Phantom ringen, das, sobald es sichtbar wird, bereits gewonnen hat. Unsere Fähigkeit zu handeln wäre gleichbedeutend mit unserer Impotenz. Ich könnte die Umsetzung der Macht sicherlich angreifen, aber ihre Legitimation würde immer – und keiner wüsste woher – zurückkehren, sowohl vor, als auch nach meinem Angriff, und dessen Bedeutung annulieren.

Wie man sehen kann, beeinträchtigt mein Verständnis von der Realität der Herrschaft meine Fähigkeit die Revolte zu begreifen. Und umgekehrt.

Die Beteiligung an den Projekten der Macht hat sich ausgedehnt und der Alltag wird zunehmend davon kolonisiert. Stadtplanung macht polizeiliche Kontrolle teilweise überflüssig und virtuelle Realität zerstört jeden Dialog. All das erhöht die Notwendigkeit eines Aufstands (sicherlich eliminiert es ihn nicht). Wenn wir darauf warten würden, dass alle Anarchist*innen würden, bevor wir Revolution machen, sagte Malatesta, dann hätten wir ein Problem. Wenn wir auf die Delegimierung von Macht warten, bevor wir sie angreifen, dann haben wir ein Problem. Aber glücklicherweise ist zu Warten keines der Risiken der Unersättlichen. Die einzige Sache, die wir zu verlieren haben, ist unsere Geduld.

 


Übersetzung aus dem Englischen. Massimo Passamani. Patience in Freedom’s Disorder – A Collection of Texts by Massimo Passamani, erschienen bei Roofdruk Edities.

[Wuppertal] Ticketautomat angezündet

[In der Nacht auf den 06. Januar 2022] ging in Wuppertal Steinbeck ein Ticketautomat in Flammen auf. Dies soll eine Warnung und ein Vorgeschmack zugleich sein, auf das was auf die Wuppertaler Repressionsbehörden zukommt sollten sie sich entscheiden das Osterholz zu räumen.

Die Stadt ist unser Spielfeld, die Dunkelheit unsere Gefährtin und Ziele sind genug vorhanden.

Osterholz bleibt!

Einem Feind der Polemik ins Glas spucken …

Nein Danke, es bedarf keiner paternalistischen Vulgarisierung der kompromisslosen Feindschaft gegenüber jeder Herrschaft durch dahergelaufene “Schreibtisch-Täter”

Ein bisschen hängengeblieben ist es ja schon, immer wieder den selben Schwachsinn von sich zu geben und natürlich könnte man die Meinung vertreten es wäre ebenso schwachsinnig, wenn immer wieder darauf geantwortet wird. Aber bei aller Kritik an den Herausgeber*innen des Zündlumpens, die sich immerhin erst durch die Aufgabe ihres Projekts als verweichlichte Idioten herausgestellt haben, ist es bei einem Unterfangen wie dem diesen, nämlich der Übernahme einer Zeitung, wohl auch notwendig, gleich all die falschen Kritiker*innen von Bord zu stoßen. Denn wenn wir gegen alle Waschlappen sind, auch gegen jene, die sich für Zündlumpen halten mögen, so sind wir natürlich auch und vor allem gegen alle Waschlappen, die nicht einmal auf die Idee kämen, sich für Zündlumpen zu halten.

Ja, geneigte Leser*innen des Zündlumpens mögen es ahnen, die Rede ist hier von keinem geringeren als Jonathan – “Antifaschistische Schutztruppen”, Waschlappen – Eibisch, jenem berüchtigten “Schreibtisch Täter”, der von Zeit zu Zeit “den Insurrektionalist*innen” ein bisschen über den Kopf streichelt, sie für ihre Technologiekritik lobt und für ihre Kohärenz tadelt. Und manchmal wird er eben bei diesem Versuch gebissen, weil eben wirklich keine*r das herablassende Geseier eines Möchtegern-Intellektuellen braucht. Vielleicht sollte der liebe Jonathan Eibisch ja auch endlich mal die Disziplin wechseln. Er scheint ja ohnehin mehr damit beschäftigt zu sein, irgendwelche halbgaren, den armen Narziss verunglimpfenden, Theorien über “selbsthassende Narzisst*innen” aufzustellen, als irgendeinen relevanten Beitrag zu “anarchistischer Theorie” zu leisten. Warum sich dann nicht gleich als Psychiater verdingen, immerhin stehen die Chancen dort gar nicht so schlecht, dass seine neu erfundene Persönlichkeitsstörung, an einem eingewiesenen Subjekt diagnostiziert, dazu dient, gefährliche Anarchisten Zeit ihres Lebens wegzusperren. Und uns würdest du gewissermaßen auch einen Gefallen damit tun, Jonathan, dann hätten wir endlich einen Grund, dich einfach abzuknallen, Haha.

Naja, wir wollen dir mal abnehmen, dass dies zumindest nicht deine Absicht ist, Jonathan, deshalb stecken wir die Waffe wieder weg und bedienen uns lieber der Worte. Und es wäre ja auch schade, wenn wir (und ich würde das w ja gerne so seltsam schreiben wie du, damit sich da jede*r nach eigenem Gutdünken mit mir assoziieren kann, aber ich weiß nicht wie das geht …) unseren Liebslingsintellektuellen mit gewissen Sympathien für Anarchist*innen verlieren würden, mit wem würden wir (ja, auch hier füge man die Eibischsche Eigenart des assoziativen w’s ein) uns sonst den lieben langen Tag so zanken?

Also fangen wir an, sehen wir doch zunächst einmal, was du dem lieben Narziss so alles anlasten willst. Ein bisschen befremdlich finde ich es ja schon, von einem, der aus seinem Anarchist-sein soetwas wie eine (extra)wissenschaftliche Karriere macht, den Vorwurf zu vernehmen, bei jenen, die sich nicht überall damit brüsten müssen, ihren Long-John-Silver unter ihre Texte zu setzen, würde es sich um Narzissten handeln. Und um selbsthassende noch dazu. Nun, ok, “es handelt sich sozusagen um den Schrei der bedrängten Kreatur”, schreibst du, das mag ja von mir aus noch stimmen und ist soweit ja sympathisch, auch wenn du es letztlich vielleicht eher hysterisch finden magst. “Egoismus als Ausgangspunkt und Verfallserscheinung des Anarchismus”? Ach weißt du, mit solchen rhetorischen Spielchen habe ich nicht so viel am Hut. Es ist ja wohl klar, dass wer Anarchist ist, auch Egoist sein muss, sonst wird da nicht viel draus werden, aber sicher ist das für dich “verwirrter Dogmatismus”; Es wäre ja auch ein wenig mühselig über solche Differenzen zu streiten und mich deucht ohnehin, dass du eigentlich sehr gut verstehst, was ich meine und es nur eben nicht so gerne einräumen willst. Sei’s drum. Aber was hast du nur mit diesem Narzisstischer Selbsthass-Vorwurf? Sicher wirst du dich nicht auf die klinisch-psychiatrische Kategorisierung nicht (ganz) erfolgreich domestizierter Menschen berufen, aber worauf dann? Auf die Sage, wie sie etwa Ovid wiedergibt, in der Narziss von allen möglichen Leuten angebaggert wird, aber selbst kein Interesse an seinen Verehrer*innen hat, dann von der Nymphe Echo belästigt wird, und schließlich verflucht wird, sich in sein eigenes Spiegelbild zu verlieben? Ich verstehe nicht ganz. Willst du den Insurrektionalist*innen deine Liebe gestehen? Aber was ist dann mit diesem Selbsthass? Oder denkst du, als Insurrektionalist*in, wie du uns vielleicht nennen magst, würde man sich an seinem eigenen, “dunklen” Spiegelbild abarbeiten, wie man das mit sehr sehr viel Wohlwollen vielleicht als wenigstens einmal von deinem geheimen Freund Jens Störfried theoretisiert – wenngleich auch mit erbärmlicher Argumentation und in fortwährender Ignoranz der ihm entgegen gehaltenen Einwände und Widerlegungen – in der Behauptung, Insurrektionalist*innen würden letztlich in ihrer Rebellion nach reiner “bürgerlicher Selbstverwirklichung” streben, durchgehen lassen könnte. Aber vielleicht interpretiere ich da ja auch zu viel hinein und du willst einfach nur irgendeine Beleidigung aussprechen, die möglichst klug klingt. Aber warum? Weil niemand so recht mit dir diskutieren will, wie du kritisierst? Ich meine: Du musst schon verstehen, dass es wenig Interesse gibt, mit Leuten zu diskutieren, die bloß irgendetwas theoretisieren wollen, dabei sogar noch akademische Anwandlungen haben, und kein Interesse daran zu haben scheinen, ihre Anarchie auch in die Tat umzusetzen. Ebenso wurde beispielsweise im Zündlumpen eben auch eine Trennlinie zu Bullen jeder Coleur, sowie zu allen anderen Verteidigern des Bestehenden, etwa zu Linken und Wissenschaftsgläubigen gezogen. Und jenseits dieser Trennlinie, das kannst du als jenseits dieser Trennlinie stehender natürlich kaum bemerkt haben, wurde sehr fleißig diskutiert und sehr wohl eine gemeinsame Debatte entwickelt, manchmal ja sogar mit linken Aktivist*innen und hat sich nicht sogar eine Ausgabe größtenteils dir altem Akademiker gewidmet? Was ich im Übrigen bis heute eine Papierverschwendung finde.

Aber man nimmt die Dinge halt auch manchmal so wahr, wie man sie eben wahrnehmen will …

Aber weißt du, was ich eine ziemliche Frechheit von dir finde? Offenbar hast du ja das Statement gelesen, in dem die Opfer vom Zündlumpen die Einstellung ihres Blattes verkünden. Und ob das von deiner Lebensrealität nun vor allem deshalb zu weit entfernt ist, weil du dich zu einem Schreibtisch-Täter entwickelt hast, oder nicht, so steht in dieser Erklärung eindeutig, dass die Herausgeber*innen sich mit einer Situation der Denunziation konfrontiert sehen und sie das Blatt deshalb einstellen, es ist also völlig an der Sache vorbei zu behaupten, der Zündlumpen wäre an “Selbsthass erstickt”, außer man will in irgendeiner Form Denunziation gutheißen oder verteidigen. Und wir sind hier nur einer Meinung, dass man deshalb nicht derart rumzuopfern braucht, wenn auch du der Meinung bist, dass man Snitches vielleicht lieber mal einen kleinen Hausbesuch abstatten sollte, Journalist*innen in ihrem Wohnzimmer aufsuchen und spekulierende denunziationsfreudige Linke beim nächsten Gang zum Impfzentrum auflauern sollte. Und irgendwie bezweifle ich, dass wir hier das gleiche meinen, denn nichts davon klingt nach der Waschlappen-Haltung eines Schreibtisch-Täters.

Und eines noch: Keine*n interessiert es, ob aus “dieser Ecke” inhaltliche Punkte aufgemacht werden, von denen du gut findest, dass es sie gibt. Der Anarchismus brauchte noch nie irgendwelche Akademiker, die ihn vulgarisierten und in verträgliche Häppchen zurechtschnitten, um sie der Bevölkerung im Rahmen einer Befriedungsstrategie Stück für Stück anzubieten. Und sicher braucht er das auch heute nicht.


Dieser Text beschäftigt sich mit Jonathan Eibischs Nachruf auf den Zündlumpen mit dem Titel „Polemik am Selbsthass erstickt„.

Im permanenten Kampf gegen die Gesellschaft und das Phantom der Politik

Eine kritische Analyse der insurrektionellen Methode

“(…) jeder ist völlig frei, sich zu dem Bestehenden nach eigenem Gutdünken zu verhalten, ob Anarchist oder nicht. Es ist aber auch nötig, dass jeder Anarchist gerade als solcher, sich fragt ob man die bestehende Macht bloß treffen oder wirklich endgültig niederschlagen will. Um diese grundsätzliche Frage kreist all unser Handeln und Verhalten gegenüber dem Bestehenden.

Denn, obwohl Anarchist, kann ein Individuum an die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Revolutionierung in libertärem und selbtsbestimmtem Sinne glauben oder nicht. Aber wenn ein Anarchist an die revolutionäre Möglichkeit glaubt, dann muss die Auseinandersetzung mit der bestehenden Macht jene großen Maße des subalternisierten Sozialen in Betracht ziehen, die in den Kampf miteinbezogen werden muss, nicht nur zum Zwecke der Erreichung einer genügenden Kraft zur Zerstörung des Bestehenden, sondern auch um sie anzuregen, Delegierungen, Enttäuschungen und Passivität zu überwinden und sich der Praxis der direkten Aktion, der Selbstverwaltung des Lebens an sich und der individuellen und kollektiven Selbstbestimmung anzueignen.

Genau darum sind die individuellen Aktionen zur offenen Bekämpfung der politisch-ökonomischen Macht und ihrer Strukturen und Personen – wenn sie sicherlich auch positiv sind, da sie zumindest die soziale Befriedung verhindern und, entgegen ihrem Anspruch, absolut und unangreifbar zu sein, die Schwäche der Herrschaftsmacht aufzeigen – auf der Ebene der aufständischen Revolution doch völlig ungenügend, wenn sie den Reaktionsweisen der proletarischen Massen auf ihre Ausbeutung und Unterdrückung nicht systematisch innewohnen. Anders gesagt, wenigstens wie ich es sehe, öffnet sich die aufständische Gelegenheit, worin der Anarchismus – bzw. die antiautoritäre Praxis – eine grundlegende soziopolitische Rolle übernehmen kann, nur wenn sich die individuellen Instanzen von Kampf und Angriff mit der Forderungen und Protesten reziprok durchdringen können, die von Fall zu Fall aus mehr oder weniger bedeutenden Massensektoren des unterdrückten Sozialen kommen. Wenn diese Einfügung bzw. diese gegenseitige Durchdringung fehlt, wird sich unser Handeln nicht nur als unverständlich, sondern Wo sind sie nur hin, die Nazissogar als weitab jeglicher Wo sind sie nur hin, die Nazisallgemeinen Wahrnehmung herausstellen, vor allem durch die terroristische Verfälschung, die der Staat und das Kapital bewerkstelligen werden.”

Auszug eines Briefes von Costantino Cavalleri an Luca Farris (Nihil, Nr. 3-4 S. 36-37).

Dieser Abschnitt von Constantino Cavalleri drückt die Grundvorraussetzungen der sogenannten “insurrektionellen Methode” (oder anders gesagt, der “insurrektionalistischen” Herangehensweise des Anarchismus) klar aus. Die Bestrebung mit den Massen aufständische Versuche zu unternehmen, die schon seit dem neunzehnten Jahrhundert von einigen Anarchist*innen theoretisiert und experimentiert wurde, wovon der bekannteste Errico Malatesta ist (der auch verschiedene Texte hinterlassen hat, in denen von dem die Rede ist, was die anarchistische Herangehensweise an den Aufstand sein sollte), ist zwischen Ende der 70er bis Anfang der 80er Jahre in den Texten von Alfredo Maria Bonanno, Pierleone Porcu, Costantino Cavalleri und anderen Genoss*innen wiederaufgenommen und revidiert worden. Diese haben den zentralen Corpus intakt gelassen, wollten aber die organisatorischen Strukturen revidieren.

Eine der Grundvoraussetzungen der insurrektionellen Herangehensweise ist der alte Mythos der sozialen Revolution. Das ist das ideale Ziel, indem eine radikale Transformation der Strukturen der Gesellschaft im anarchistischen Sinne erreicht werden kann, auf dessen Basis die insurrektionellen Anarchist*innen jeden eigenen Eingriff in die Realität betrachten; eine romantisierte Anschauung der ärmsten Klassen, wonach ihnen die marginalisierte soziale Stellung und Vertrautheit mit der Gewalt des täglichen Überlebenskampfes eine potentielle Neigung zur Revolte und eine ideale Komplizität mit denen verleihen würde, die gegen die Autorität kämpfen; folglich ein Glaube in die Erweckung der ausgeschlossenen und ausgebeuteten Massen, der den Veränderungen wenig Rechnung trägt, die in den letzten Jahrzehnten die westlichen menschlichen Gesellschaften in spasmodische Konsumgesellschaften verwandelt haben, die vom Spektakel und der fortgeschrittenen Technologie einer immer stärkeren Entfremdung unterworfen sind, und wo die verschiedenen sozialen Klassen (die aufgrund der ökonomischen Unterschiede fortbestehen) immer mehr dieselben ethischen Werte der Verteidigung des herrschenden Systems und die Bestrebungen zur immer stärkeren Integration teilen, anstatt sie zu zerstören. Folglich hat sich die Situation gegenüber dem neunzehnten Jahrhundert bedeutend verändert. Heutzutage erscheinen die wirklich revolutionären Möglichkeiten immer ferner zu sein. Dieses Vertrauen in eine eines Tages zur Anarchie führende Revolution – was Stirner als ein weiteres der zahlreichen Phantome, die die Wirklichkeit überlagern, identifizieren würde – brachte einige Anarchist*innen zur Entwicklung von Methodologien des Eingriffs ins Soziale, die den revolutionären Prozess beschleunigen oder dann zumindest einige Personengruppen, die aus Gründen ihres täglichen Überlebenskampfes eh schon mit der Autorität in Konflikt stehen, dazu bringen möge, improvisierte Momente der Konfliktualität und der Selbstverwaltung auszudrücken, in der Hoffnung, dass sich der Konflikt danach bis zur Auslösung des allgemeinen Aufstandes verbreite.

Um zur Passage Costantino Cavalleris zurückzukommen, es ist überflüssig sich zu fragen ob man die Macht “wirklich definitiv stürzen” oder bloß treffen will; klar wollen alle Anarchist*innen die Macht niederschlagen. Das Problem ist, dass der Wille wohl auf einen unendlich fernen Horizont gerichtet werden kann, aber man muss sich mit den aktuellen realen Bedingungen, wogegen sich dieser Wille äußert, ehrlich auseinandersetzen. In Zeiten eines wie heute verbreiteten sozialen Friedens und völlig anderen sozialen Zustandes, bedeutet der Vorschlag einer gegenüber einem Jahrhundert vorher substantiell unveränderten Analyse der Wirklichkeit etwas aufzubauen, das eher einer Religion, als einer plausiblen Aktionspraxis gleicht.

Die Kritik, die ich vorlegen will, bezieht sich vor allem auf einige Versuche der praktischen Anwendung der insurrektionellen Methode, die in den vergangenen Jahren von einigen Anarchist*innen aufgrund einer besonderen Auslegung des Insurrektionalismus gemacht wurden und ein weiteres Gespenst aufkommen ließen, nämlich das der Politik. Wie, das werden wir detaillierter sehen. Aber sie richtet sich auch gegen einige dieser Herangehensweise innewohnenden Grundvoraussetzungen, die meiner Meinung nach, von Anfang an schon problematisch sind und solche Verirrungen möglich machen.

Ich nehme den Denkanstoß aus einem kürzlich erschienen Essay aus dem spanischen Raum “Cuando se senala la luna. A vueltas con el insurreccionalismo” (Wenn man auf den Mond zeigt. Manchmal mit dem Insurrektionalismus) auf, das von einigen Anarchist*innen geschrieben wurde. Ein Buch, das ein für alle Male über die Bedeutung der insurrektionellen Methode Klarheit verschaffen und auf die Kritiken entgegnen möchte, die im Verlaufe der Zeit von verschiedenen Kreisen (vor allem von linken und hauptsächlich von marxistisch-leninistischen) erhoben wurden. Was mich betrifft, bestätigt es bloß einige von mir schon gehegte Zweifel.

In diesem Artikel beziehe ich mich auf das, was als “klassische” Auslegung des Insurrektionalismus verstanden wird, wie sie fast wortwörtlich seit ihrer anfänglichen Formulierung von einigen Anarchist*innen interpretiert wurde, die einige ihrer heikelsten Aspekte sogar verschärft haben, wie die qualvolle Suche nach sozialem Konsens als Voraussetzung für jeglichen aufständischen Versuch.

Ich bin mir jedoch der Tatsache bewusst, dass der Insurrektionalismus kein Monolith aus Konzepten und Praktiken ist, die im Laufe der Zeit feststehen und gegen jegliche Infragestellung immun sind. Seit Ende der 90er Jahre sind denn auch verschiedene anarchistische Aktionsgruppen in Erscheinung getreten, die obwohl sie sich theoretisch sehr wohl auf den Insurrektionalismus bezogen haben, demselben eine stark veränderte Interpretation gegeben und einige derselben Aspekte in Frage gestellt haben, womit ich mich in diesem Artikel auseinandersetzen werde: Diese Gruppen und Individuen haben sich zu Beginn ihres persönlichen bewaffneten Aufstandes entschieden ohne den Konsens der Massen abzuwarten. In Anbetracht der drastischen Veränderungen, die sie an einigen der Grundvoraussetzungen dieser Herangehensweise vorgenommen haben, stelle ich mir die Frage, ob sie unbedingt die Definition “Insurrektionalismus” beibehalten mussten? Jedenfalls scheint die Tendenz dieser neuen informellen anarchistischen Gruppen eine progressive Abwendung von diesem Begriff und dessen historischem Erbe zu sein.

Vor allem muss geklärt werden, was man unter insurrektioneller Herangehensweise versteht. Es handelt sich um eine Herangehensweise an den Kampf, die aus Folgendem besteht: “von einer Hypothese des Eingriffs in die soziale Konfliktualität auszugehen um die verschiedenen Mechanismen der Herrschaft – Strukturen, Personen und Mittel – zu erforschen und anzugreifen, mit dem Ziel der Gemeinsamkeit in einem selbstorganisierten und destruktiven Weg, der den Aufstand anspornen kann” (Cuando se senala la luna S. 140).

Ihre Anhänger*innen legen Wert darauf klarzustellen, dass es sich weder um eine Ideologie noch um eine Theorie handelt, sondern bloß um eine Methode der Organisierung oder des Eingriffs, die sich so oder so mit ihrer praktischen Anwendung auf dem Terrain der Wirklichkeit auseinandersetzen muss. Da in den von uns bewohnten Gegenden ein spontaner Aufruhr der Bevölkerung eher selten vorkommt, wurde die “insurrektionelle” Methode in den letzten Jahren zu einer anarchistischen Methode des Eingriffs in schon bestehende soziale Kämpfe oder zum Maßstab zur Schaffung neuer mit dem Zweck des direkten Miteinbezuges auch von Menschen ohne vorgängigen politischen Weg, von anderen “Ausgebeuteten”, “Ausgeschlossenen”, “Proletarier*innen” oder “Lumpenproletarier*innen”, wie sie im kommunistischen/anarchistischen Sprachgebrauch genannt werden. Selbstverständlich wäre die Absicht des Ganzen, die Rebellion dieser Menschen zu unterstützen oder anzuregen, um gemeinsam aufständische Bewegungen anzustoßen. Aber wo, wie so oft der Fall, beim größten Teil der Menschen der Mangel an rebellischem Geist mit Händen greifbar ist, genügt der Eingriff der Anarchist*innen nicht, um dort eine Revolte anzuregen, wo der Drang danach schon von Anfang an fehlte. Ab und zu sind es dann schlussendlich gerade die Anarchist*innen, die ihre eigenen Tonlagen und Inhalte niedrig halten, um sich der Stimmungslage der Leute anzupassen.

Es geht also nicht nur darum, wie einige meinen, die spontanen aufständischen Momente nicht zu verpassen und sich an ihnen mit schon vorbereiteten spezifischen technischen Kompetenzen und den richtigen Mitteln zu beteiligen, und auch nicht darum, die individuellen und kollektiven Aktionen des Bruches (mit dem System), die andere inspirieren mögen, sofort zu vollziehen um anderen affinen Geistern die Tür offen zu halten. Die insurrektionalistische Methode sieht eine langfristige Projektualität und komplexe Strukturen (die jedoch als “fluide” beschrieben werden), und einerseits Affinitätsgruppen und andererseits Vollversammlungen, Komitees und Koordinierungen vor, im Versuch, Kampfprojekte zu schaffen, die eine anarchistische Minderheit mit anderen sozialen Kategorien vereinen können.

Die in den 80er Jahren getätigte theoretische Überprüfung der insurrektionellen Methode entstand aus der Ablehnung vieler Anarchist*innen der vor allem früheren formal starr und synthetisch organisierten Strukturen, die heute in einer immer marginaleren Position überleben. In unserem Land ist Federazine Anarchica Italiana (FAI) die Bekannteste. Die zwischen den 70er und den 80er Jahren stattgefundenen Veränderungen in der kapitalistischen Produktionsweise, die Abschwörungen und Reuebekundungen vieler Menschen die in den Jahren vorher am kollektiven Kampf gegen den Staat teilgenommen hatten und das Gefühl der Niederlage und Befriedung der 80er Jahre analysierend, schlugen einige italienische Genossen zum Eingriff in die Realität der Kämpfe eine Modalität vor, die sich vom schalen Anarchismus der Föderationen und der Großbuchstaben unterschied.

Als Antwort auf diese alten sklerotischen Organisationsformen schlug die insurrektionelle Herangehensweise an die Anarchie vor, die Kämpfe auf einige Grundprinzipien zu gründen: nämlich Selbstorganisierung, permanente Konfliktualität, Affinitätsgruppen und Angriff, mit dem Zweck bessere Grundvorraussetzungen für einen Massenaufstand zu schaffen. Selbstorganisierung, Konfliktualität, Affinität und Angriff sind jedoch schon immer die Methoden einer bestimmten Art, Anarchie zu leben, die am Rande der großen Organisationen eh schon immer existierte. Es gibt zahllose historische Beispiele, wie Feind*innen der Autorität sich so organisierten, um gegen die Macht zu konspirieren, unter anderem ohne die Notwendigkeit der Unterstützung des Volkes und ohne zu viele Theoretisierungen. Wenn überhaupt, dann waren es die großen Organisationen, die mit ihrer Rigidität an einem gewissen Punkt der Geschichte eingriffen, um einen Teil dieses anarchischen Spontaneismus einzudämmen und abzuwürgen. Daher kommt die Frage auf, woher dieses Bedürfnis kommt, Seiten um Seiten mit Theorien über die Bedeutung der Affinitätsgruppen und der informellen Organisation zu füllen (übrigens oft auf sehr abstrakte Weise), wenn es in Wirklichkeit doch nichts Neues ist und es genug wäre, einige historische Kampferfahrungen der anarchistischen aber auch anderer Bewegungen erneut hervorzuholen, um auf Anhieb verständlich zu machen, was man meint, und um den Sinn des Diskurses erneut praktisch umzusetzen.

Es stimmt, dass diese Basiskonzepte von den am stärksten bürokratisierten Splittergruppen des Anarchismus missachtet wurden, indem sie gewerkschafts- und parteiähnliche stabile Bünde bildeten, die der Einzelinitiative Grenzen setzten. Wohl davon kommt in jenem besonderen historischen Kontext die Notwendigkeit einer Neudefinierung des Insurrektionalismus, um damit den Bruch mit den alten Methoden zu vollziehen und um andere Möglichkeiten der Organisierung, “informellere” eben, zu stärken. Aber wie wir sehen werden, ist auch die insurrektionelle Methode gerade wegen ihrer Zielsetzungen nicht vor der Gefahr gefeit, auf dem richtigen Wege, den es zu beschreiten gilt, Einschränkungen aufzuerlegen und Richtlinien vorzugeben.

Jenseits der zitierten und schon immer auch dem individualistischen Anarchismus eigenen Aspekte (Affinität, Selbstorganisierung, Angriff) ist für die insurrektionelle Herangehensweise der Wunsch charakteristisch, über das insurrektionelle Projekt mit der Gesellschaft zu interagieren. Da die soziale Revolution der ideale Horizont des Insurrektionalismus ist, ist eine seiner Grundvoraussetzungen denn auch die Notwendigkeit, mit den “Leuten” zusammen zu kämpfen, bzw. mit Menschen ohne schon bestehende Affinität, was eine ganze Reihe von Schwierigkeiten und Gegensätzen mit sich bringt.

Wenn sich die Menschen in Zeiten einer wie heute kargen sozialen Konfliktualität ohne ein erweitertes Bewusstsein der Herrschaftsverhältnisse an einem gewissen Punkt ihres Lebens gegen irgendwas mobilisieren, tun sie es sicher nicht für große Ideale, sondern aus rein egoistischen und unvorhergesehenen Gründen. Menschen, die sich nie um die verschiedenen “Ungerechtigkeiten” in ihrer Umgebung gekümmert haben, sind in einigen Fällen bereit, sich aufs Spiel zu setzen, wenn diese Ungerechtigkeiten etwas treffen, was ihre Grundbedürfnisse angeht (Lohn, Wohnung, Arbeit, usw.). In der Mehrheit der Fälle sind diese Menschen nur an der spezifischen und sie betreffenden Frage interessiert und teilen unsere Analyse der Wirklichkeit, unsere revolutionären Bestrebungen oder unsere Methoden nicht, die sie als zu extrem, kontraproduktiv oder unverständlich betrachten, als mit der Gegenseite zu wenig dialogbereit und folglich wenig geeignet, um sofortige Resultate zu erzielen.

Diese Gegensätze werden von den Anarchist*innen, die sich mit nicht affinen Personen auf soziale Kämpfe einlassen, in der Regel auf zweierlei Weisen gehandhabt. Selbstverständlich werde ich schematisieren müssen, da diese Positionen nicht immer so scharf umrissen sind, sondern es darunter auch Mittelwege geben kann.

In der ersten, meiner Meinung nach einzig akzeptablen Herangehensweise, gibt es die totale Transparenz, indem im Moment der Lancierung eines neuen Kampfes die eigenen Ansichten und Absichten mitgeteilt werden. Durch Diskussionen, Texte, Flugblätter, usw. offenbaren die Anarchist*innen klar und deutlich ihre über den von ihnen aufgenommenen, spezifischen Kampf hinausgehenden Analysen der Wirklichtkeit und der Herrschaftsverhältnisse. Ihr Vorschlag ist klar: weder Vermittlung, noch Bevollmächtigung. Das Einzige was zu tun ist, ist der direkte Angriff auf die Verantwortlichen der Unterdrückung, mit dem Ziel der totalen Subversion dieser Sachlage. In dieser Herangehensweise sehe ich keinerlei Gegensatz. Der Wille, die Tür für eventuell neue Kompliz*innen offen zu lassen ist da, ohne sich selbst und die eigenen Ideen zu kompromittieren. Einige vergangene und gegenwärtige Beispiele dieser Herangehensweise sind der Kampf gegen das Mega-Gefängnis von Brüssel, der Kampf gegen das Abschiebelager “Regina Pacis” in Leece und der Kampf gegen die Räumung der “Banc Expropriat” in Barcelona. Alles Beispiele, die unter anderem im Buch “Cuando se senala la luna” ausführlicher beschrieben werden.

Wenn diese Transparenz gepflegt wird, bleiben uns jedoch, leider, die dermaßen erwünschten “unterdrückten” Splittergruppen der Gesellschaft fern. Manchmal nähern sich uns sogar die nicht an, die von den Projekten, die man zu bekämpfen versucht, eigentlich am stärksten bedroht sind, außer in seltenen und isolierten Fällen, und der Kampf wird dann schlussendlich von derselben anarchistischen Affinitätsgruppe weitergeführt, die ihn begonnen hat. Diese Menschen werden lieber zuhauf jenen Komitees und Vereinigungen beitreten, die klassischer demokratische und weniger radikale Methoden vorschlagen und auf legale und medienwirksame oder hochsymbolische Aktionen ausgerichtet sind.

Wenn der Kampfvorschlag nicht von den Anarchist*innen kommt, sie aber versuchen, sich in einen schon bestehenden Kampf einzufügen, kommt es bei der transparenten Herangehensweise früher oder später mit großer Wahrscheinlichkeit bisweilen zu unlösbaren Konflikten und Divergenzen mit den anderen teilnehmenden Menschen. Die Diskussionen um dermaßen voneinander entfernte Weltanschauungen oder über die Notwendigkeit, diesen oder jenen Kompromiss einzugehen, werden immer reger. In dieser Auseinandersetzung werden die mit der besseren Rhetorik siegen, oder wahrscheinlich die, die mit dem richtigen Schwung die sinnvolleren Dinge (aus der Sicht des herrschenden Gedankengutes) sagen werden. Logischerweise werden die im Lande oder Stadtteil bekannteren Personen etwas mehr Gewicht haben, auf ihre Meinungen wird man eher hören als auf die Meinungen jener, die wie die Anarchist*innen extremistisch denken, oder, noch schlichter gesehen, von außen kommen oder sich schwarz kleiden. Wie aus der Sackgasse herauskommen wenn es keinen Konsens zu dem gibt, was zu tun ist? In einigen Fällen werden die Anarchist*innen versuchen, sich in Beharrlichkeit zu üben um ihre Ideen durchzusetzen und die Dinge überstrapazieren, was die Gefahr birgt, autoritär zu erscheinen, oder sie werden der Versammlung fernbleiben und sich außerhalb derselben weiter organisieren. In anderen Fällen werden sie schlussendlich einige Kompromisse eingehen, die sie gegenüber sich selbst auf verschiedene Weisen zu rechtfertigen versuchen werden, in der Gewissheit, dass die Zeit ihnen recht geben wird. Wenn eine solche Situation sich eine gewisse Zeit lan hinzieht, wird die Frustration in einem der beiden Lager überhand nehmen und eine große Anzahl Menschen die Gruppe verlassen.

Da insurrektionelle Anarchist*innen auf dem Terrain erfahren haben, wie sehr diese Herangehensweise schlussendlich oft scheitern wird, haben einige insurrektionalistische Anarchist*innen in den letzten Jahren eine graduelle Herangehensweise und Verwässerung der eigenen Inhalte bevorzugt. Auf diese Herangehensweise konzentriere ich meine Kritik.

Das Ziel einiger dieser Versuche war, jenseits der spezifischen Ausgangsfrage mit der Zeit bei den Menschen Konsens und Vertrauen aufzubauen, um ihnen “beizubringen”, anarchistische Methoden zu übernehmen (Selbstorganisierung, Ablehnung der Bevöllmächtigungen, usw., als könne man die Freiheit lehren) und sie graduell zu einer schärferen Konfliktualität zu treiben. Aber hier schleicht sich der Keim der Politik ein. Tatsächlich heißt Gradualismus die wirklich eigenen Ideen und Absichten anfänglich nicht kundzutun und in Erwartung besserer Zeiten die bittere Pille einiger inakzeptabler Kompromisse zu schlucken. Das heißt oft die Mittel zu übernehmen, die der traditionellen Politik gehören: Anpreiserei, Halbwahrheiten, Populismus. Das bedeutet, das eigene Langzeitprojekt nicht offenzulegen und die Aufmerksamkeit auf partielle Forderungen zu lenken, mit denen man manchmal nicht einverstanden ist, um den Konsens und das Vertrauen der Anwesenden zu gewinnen und so das wirkliche eigene Ziel zu erreichen. Das heißt oft auch über jene zu richten, die nicht dieselbe Methode anwenden, weil man dann beginnt, einige Praktiken (falls sie nicht zum Zeitpunkt und am Ort angewendet werden, die man für die richtigen hält) als Störung der langsamen Vertrauensaufbauarbeit zu betrachten, die man im entsprechenden Kontext voranbringt.

Diese Herangehensweise, die in den letzten Jahren in verschiedenen sozialen Kämpfen, an denen die Anarchist*innen in Italien teilgenommen haben, übernommen wurde, weist viele heikle Punkte auf, die ich vertiefen will. Angefangen bei der Frage des Endzieles der Praktizierung dieser Methode, des Horizontes den man erreichen will: den Aufstand, als die höchste Motivation, die alle vorherigen Kompromisse entschuldigen sollte.

Wir sehr die gewichtigsten Theoretiker*innen des aufständischen Anarchismus auch andauernd darauf beharren, dass von einer Methode und nicht von einer Theorie die Rede ist, so ist es doch so, dass auch der Insurrektionalismus von einigen Grundvoraussetzungen, von einigen Hypothesen und mittel- und langfristigen Zielen ausgeht, also eine Theorie ist.

Das mittelfristige Ziel ist die Schaffung von Bruchmomenten und die Verbreitung einer schärferen Konfliktualität. Die spezifischen Kämpfe, auch wenn die Forderungen nicht gänzlich geteilt werden, sind für die aufständischen Anarchist*innen ein Sprungbrett für ein anderes Ziel: Die Bildung eines Beziehungsnetzes, die Verbreitung der Praxis der Selbstorganisierung und der Konfliktualität gegen die Macht, die Anhebung der Konfliktebene in einer auf die Zukunft ausgerichteten Perspektive. Die insurrektionelle Methode hat mittelfristig das Ziel, ihre sichtbare Verbreitung zu erleben. “Das Wichtige an einer Methode und der Möglichkeit, dass ihre Praktizierung sinnvoll ist, ist ihre mögliche Verallgemeinerung” (Cuando se senala la luna).

In den insurrektionellen Analysen und Praktiken setzt man meiner Meinung nach zu sehr auf die Methode zum Nachteil der Motivationen, die zum Kampf treiben, zum Nachteil der Analysen der Wirklichkeit und deren Herrschaftsverhältnisse, zum Nachteil der uns bewegenden Spannung und Bewusstwerdung. “Was zählt, ist die Methode” (A. M. Bonanno). Was aber ist eine Methode, wenn sie von der Motivation und den Zielen getrennt ist, die die Hände, das Herz und den Kopf zum handeln bewegen?

Viele Anarchist*innen werden von der Zentralität des insurrektionellen Projekts bewegt, an partiellen und spezifischen Kämpfen teilzunehmen um mit anderen sozialen Splittergruppen in Kontakt zu treten. Wenn das klare, exoterische und unvorhergesehene Ziel einer gewissen Mobilisierung mit diesen kleinen oder großen Personengruppen geteilt wird, mit denen man sich organisiert (gegen Hausräumungen, den Bau einer Hochgeschwindigkeitslinie oder einer Müllverbrennungsanlage, die Neubestimmung eines Stadtteils, Entlassungen, usw.), hat es andere mittel- und langfristige Ziele, die denselben Menschen mit denen man kämpft unbekannt sind, aber den eigentlichen Antrieb des insurrektionellen Projektes darstellen.

Es stimmt, dass diese Kämpfe auch zu konfliktuellen Momenten führen können, aber diese bleiben letztlich kurzlebig wenn die Beteiligten keine weitergehendere und vertiefendere Kritik des Bestehenden entwickeln – wozu es oft genau kommt, weil die Anarchist*innen “praktisch bleiben” wollen und sich nicht allzuviel Sympathien verscherzen möchten. Sich mit etwelchen sporadischen “Bruchmomenten” zufriedenstellen zu lassen, wo auch einige Stadtteilbewohner*innen oder Landsleute (eine oft minderheitliche und passive Präsenz) dabei sind, bedeutet nach Monaten oder Jahren an leeren Vollversammlungen und Kompromissen aller Art ein Spiel mit immer tieferem Einsatz zu betreiben. Das einem Zufall zu verdankende Konfliktmoment wird bald enden wenn sich zwischenzeitlich keinerlei weitere Reflektion und Bewusstwerdung im Kopf der Teilnehmer*innen entwickelt hat, und wer daran teilgenommen hat, wird ohne allzuviele Fragen zu stellen, zum vorherigen Leben als Rädchen im System zurückkehren.

Übrigens ist das alles unvermeidlich, wenn der Akzent einzig auf die Methode und nicht auf die tiefsten Gründe gelegt wird, für die es sich zu kämpfen lohnt. Hier taucht ganz offensichtlich das Erbe der linken Mentalität und des historischen Materialismus in den Kämpfen mit aufständischen Bestrebungen auf, die auf der Suche nach Konsens um jeden Preis verlaufen. Die Wahl des Eingriffsbereiches bezieht sich oft nur auf die Befriedigung der materiellen Grundbedürfnisse der in den größten Schwierigkeiten steckenden Menschen, wie etwa ihr Bedarf nach einem Dach über dem Kopf, einer Arbeit, einer Aufenthaltsbewilligung. Kämpfe, die in eher zwielichtige Positionen münden können, wenn sie nicht von einem Diskurs der ausdrücklichen Ablehnung der Arbeit, des Staates und seiner Gesetze, der Identitätskarten, usw., also des Systems als Ganzes münden, was sicher nicht von allen beteiligten Menschen geteilt wird. Das scheint nicht als unüberwindbares Problem betrachtet zu werden, mit dem Ergebnis einer grundlegenden Zweideutigkeit in den Forderungen, die oft die Idee zu bestätigen oder zu bekräftigen scheinen, dass das Problem nicht so sehr der Staat, sondern eher dessen Ineffizienz in der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen sei. So endet man in der unfreiwilligen Förderung einer stärkeren Abhängigkeit vom System, anstatt für die Freiheit aller die Notwendigkeit seiner Zerstörung zu unterstützen.

Oft werden diese Kämpfe auf die Beziehung zu den Menschen ausgerichtet, die von den materiellen Privilegien der üppigen westlichen Gesellschaften ausgeschlossen sind. Das nicht so sehr und nicht nur, weil man dieselben sozialen Probleme teilt, oder sie empathisch fühlt obwohl man sie nicht selbst erlebt, sondern weil sie auf Grund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage als potentielle revolutionäre Subjekte (oder “insurrektionelle”) betrachtet werden und man folglich ihr Vertrauen gewinnen will.

Darüber hinaus stellt sich in dieser Art von Kämpfen von der Befriedigung der materiellen Bedürfnisse einmal abgesehen, folgende Frage: wieviel Raum wird denn den Reflektionen über die Wünsche, die existenziellen Bedürfnisse, die Lust nach einem vollen und erfüllenden Leben auch auf der persönlichen und beziehungsmäßigen Ebene gelassen? Fast keiner.

In der Praxis sieht diese Art sich zu organisieren kleinere Gruppen aus wenigen Menschen vor, die von einer tiefen Bekanntschaft und einem großen Vertrauen vereint sind (Affinitätsgruppen) und größere Gruppen, die sowohl Anarchist*innen, als auch “andere Ausgebeutete” miteinbeziehen (Basiszellen, Koordinierungen). Sie drückt sich in einer langen Reihe von mehr oder weniger breiteren Versammlungen und Treffen aus, die oft die typisch schädlichen Mechanismen der Vollversammlung reproduzieren: Leadership, Machteifer, Weitschweifigkeiten und Zeitverschwendung … Dermaßen, dass man sich manchmal fragen kann, was in einer solchen Struktur an Informellem überhaupt noch übrig bleibt.

Das langzeitliche Ziel, das Exoterische, Stillschweigende, der sich vielleicht nie realisierende Traum ist der allgemeine Aufstand, der bestenfalls zur dermaßen ersehnten Sozialen Revolution führen könnte. Oder, als Alternative, falls er unabhängig von unserem Willen stattfände, zur Anführung des Aufstandes mit einem zuvor ausgearbeiteten Projekt ausgerüstet zu sein – um so zu versuchen, das Rennen mit anderen politischen Gruppen zu gewinnen, die sich die Straße (und die Macht) nehmen wollen. Die anarchistische Spannung wird so zu einer weiteren politischen Partei unter allen anderen.

“Diese Momente sind der mächtige Reflektor, der ein revolutionäres und anarchistisches Projekt umsetzbar macht, aber dieses Projekt, wenn auch nur in seinen methodologischen Linien, muss von vorneherein bestehen, muss vorher ausgearbeitet werden und, wenn auch nicht in allen Details, soweit wie möglich erprobt werden” (A. M. Bonanno “insurrektionalistischer Anarchismus”).

Man kämpft heute, ohne unnötige Warterei, in auch minderheitlichen Fragen mit Bezug zu den realen strategischen Knoten der Herrschaft, aber “auf eine mögliche zukünftige Verwirklichung” ausgerichtet. “Es gibt kein Projekt ohne einen Glauben in die Zukunft”. “Der anarchistische Insurrektionalismus als Projekt und als Aktion, der sich nie vervollständigen wird, weil er sich permanent auf die Zukunft ausrichtet” (A. M. Bonanno).

Methode und Strategie haben keine Existenzberechtigung außer als pragmatische Hypothese zur Erreichung eines Zieles. Und das Ziel ist in diesem Falle die gute alte Soziale Revolution oder zumindest der Aufstand (der manchmal nicht als Vorbote einer möglichen Revolution betrachtet wird und die, die nicht mehr daran glauben, würden sich mit ein bisschen gesunder nihilistischer Zerstörung begnügen). Aber Aufstand von wem gegen wen? Zu welchem Zwecke? Mit welchen Motivationen? Das scheint der insurrektionalistischen Analyse nicht so wichtig zu sein. Die dem Aufstand gewidmeten Seiten sind in vielen anarchistischen Texten reine Poesie, choralische Höhenflüge der Phantasie darüber, wie jeder Moment des Aufstands mit jeglichem etablierten sozialen Verhältnis, mit jeglicher mentalen Barriere zu brechen bedeute und die unendliche Gelegenheit zur Rache sei.

Man will hier die Freude nicht bestreiten wenn man, und sei es auch nur einen Tag lang, mit hunderten anderen Menschen Auseinandersetzungen mit der Polizei oder die Brandschatzung von Stadtfetzen erlebt und daran teilnimmt. Aber etwas anderes ist es, sich der Illusion hinzugeben, es könne zu einer sozialen Veränderung in libertärem Sinne führen. Viele der insurrektionellen Momente, die in den letzten Jahren in den westlichen Metropolen u.a. immer seltener ausgebrochen sind, haben eher als improvisiertes Ventil für sehr viele ausgeschlossene, ausgebeutete oder diskriminierte Menschen funktioniert, bevor sie nach der ersten Dosis Repression wieder völlig zum Alltag der Herrschaftsverhältnisse zurückgekehrt sind.

Andererseits kann ein Geschehnis nicht von seinen ursächlichen Motivationen abgespaltet werden, und doch ist das der Fehler, den viele Anarchist*innen machen, wenn sie den Akzent weiterhin einzig auf die Methode und nicht auf die Motivationen setzen, die zur Aktion treiben. Wie würden wir uns verhalten, wenn der Aufstand gegen die Regierung ausbrechen würde weil sie als nicht präsent genug betrachtet wird (die Grundvoraussetzung derjenigen, die z.B. das “Recht auf Wohnraum” einfordern)? Ist das Bild von lumpenproletarischen Massen negativ oder positiv, die Elektronikgeschäfte plündern, weil auch sie einen der neuesten Computer oder das neueste Handy haben wollen? Und wenn wirtschaftlich benachteiligte Personengruppen zum Aufstand bewegt werden, weil sie rassistisch ablehnen, Immigrierte in ihrem Territorium aufzunehmen, da sie diese als Bedrohung im Wettstreit um Arbeit betrachten? Was soll man denn zum Aufstand vor einigen Jahren gegen die Regierung in der Ukraine sagen, der wohl von einer allgemeinen sozialen Frustration, aber auf von überhaupt nicht zu teilenden pro EU Bestrebungen ausgelöst wurde, und Arm in Arm mit neonazistischen und rechtsextremistischen Gruppen verlief? Denken wir wirklich, der Aufstand habe unbedingt eine anarchistische Seele oder sei leicht in diesem Sinne zu kanalisieren?

Abgesehen von ihren Motivationen läuft die insurrektionalistische Analyse manchmal große Gefahr, einer Verherrlichung der rebellischen Geste an sich zu verfallen; vor allem einer Verherrlichung der rebellischen Geste, wenn sie von vielen Menschen gleichzeitig vollbracht wird. Doch wenn heutzutage in der westlichen Welt Aufruhr ausbricht, handelt es sich oft um die Reaktion auf eine erneute Situation von Gewalt, Diskrimnierung und Missbrauch, die eine bestimmte soziale Kategorie trifft, oder um den unerfüllten Wunsch der Ausgeschlossenen nach einem Zugang zur schillernden Welt der Waren, des Geldes und des materiellen Wohlstandes, die anderen Klassen zugägnglich ist. Substantiell ist es der Wunsch nach einem Miteinbezug in die verrottete kapitalistische Welt, die wir hingegen zerstören möchten.

Wir uns verschiedene historische und zeitgenössische Beispiele zeigen, können Aufstände aus völlig unterschiedlichen Motivationen ausbrechen und eine libertäre, sowie reaktionäre Schubkraft haben. Jedenfalls sind es in der Regel spotane und unvorhersehbare Bewegungen, die in Zeiten ohne etwelche soziale Gärung, nicht von einer Minderheit vom grünen Tisch aus verursacht werden. Das Projekt, sich nicht unvorbereitet überraschen zu lassen und schon klare Ideen darüber zu haben, was zu tun ist, falls und warum auch immer eine Volksbewegung im eigenen Territorium ausbricht, ist richtig und stichhaltig. Aber hier ist von etwas anderem die Rede.

Die Entscheidung, alle eigenen Energien in Kämpfe einer bestimmten Art zu investieren, die gegenüber anderen vorgezogen werden, weil man denkt, sie könnten mehr Menschen mobilisieren und die besseren Chancen bieten, kurzfristig lokale Konflikte mit der Autorität und zukünftig vielleicht einen breiteren Aufstand zu verursachen, bleibt oft eine nicht diskutierte und nie in Frage gestellte Selbstverständlichkeit. Das nicht explizit genannte ideale Ziel ist, den Großen Tag einer anerkannten Maßgeblichkeit bei “den ausgebeuteten Menschen” zu erreichen, um den Aufstand dank der Präsenz eines breiteren Kreises von miteinander bekannten Menschen, die so zur Befolgung unserer Weisungen bereit sind, anführen zu können.

Diese Annahmen setzen Entscheide voraus. In der praktisch auf einem messianischen Glauben in die Zukunft basierenden insurrektionellen Perspektive (aber ist denn wirklich wahrscheinlich, dass gerade wir eine aufständische Bewegung ins Leben rufen werden? Oder dass sie genau im Stadtteil geschehen wird, wo wir jahrelang unsere Beziehungen aufgebaut haben?), fällt der Entscheid zum bestmöglichen Einsatz der eigenen Energien auf die kontinuierliche Teilnahme mit nicht affinen Menschen an einigen bestimmten Arten von Kämpfen – die unter anderem keinerlei Garantie bieten, die erhofften Resultate zu erzielen – anstatt die eigenen Energien in ein individuelles Angriffsprojekt gegen die Herrschaft oder in die eigene Affinitätsgruppe zu investieren, deren Bedeutung hingegen herabgewürdigt wird:

“Das charakterisierende Element dieses Projektes ist jenseits der Worte oder der Motivationen, die es analytisch mehr oder weniger vertiefen und praktisch wirksam machen, durch die Präsenz der Ausgeschlossenen, also der Leute oder der mehr oder weniger zahlreichen Massen gegeben (…). Die Teilnahme der Massen ist also das grundlegende Element des insurrektionellen Projekts und da Letzteres von einem Zustand der Affinität der einzelnen teilnehmenden anarchistischen Gruppen ausgeht, ist es auch das grundlegende Element dieser Affinität selbst, die armselige elitäre Kameraderie bleiben würde, falls sie sich auf die gegenseitige Suche nach einer vertiefteren persönlichen Bekanntschaft unter Genossen beschränken würde” (A. M. Bonanno).

Jenseits von allem, wieso sollten ein oder mehrere Tage allgemeiner Auseinandersetzungen, die man (bestenfalls) nach Jahren zunehmender Mobilisierung erreicht, mehr wert sein, als hunderte von direkten Aktionen, die von verschiedenen Affinitätsgruppen kapillar durchgeführt wurden? Könnten die von anarchistischen Individuen und Gruppen durchgeführten Projekte außer ihrem Wert an sich, nicht ebenfalls andere Menschen mit rebellischem Geist zum Handeln inspirieren? Was mir keine unwahrscheinlichere Annahme zu sein scheint als zu denken, dass sich aus einem Stadtteilkampf heraus ein Aufstand entwickeln kann, der zur Anarchie führen wird.

Manchmal entsteht der Eindruck, dass viele Anarchist*innen unter einem Minderwertigkeitskomplex leiden, der sie veranlasst, den Wert einer direkten Aktion mit anderen Maßstäben einzuschätzen wenn sie von Anarchist*innen anstatt von “jedermann” durchgeführt wird, und der zweiten Annahme ein enorm größeres Gewicht zuzuschreiben. Dieselben konfliktuellen Praktiken, die kollektiv oder individuell schon lange und dauerhaft von sich als Anarchist*innen definierenden Leuten umgesetzt werden, scheinen einen enormen Mehrwert anzunehmen, wenn sie von der Präsenz etwelcher weiterer Individuen angereichert werden, die nicht in diesem Sinne definiert werden können. Und schon wieder verfällt man der Idealisierung der ausgebeuteten sozialen Klasse … Und wenn dann vielleicht endlich mal etwelche unerwartete Kompliz*innen auftauchen, werden sie auf ein Podest erhöht anstatt sie uns als ebenbürtig zu betrachten, womit die unter rebellischen Leuten bestehende Trennung erneuert wird, die man aufheben wollte.

Ein weiteres, extrem wichtiges, Grundsatzproblem der insurrektionellen Herangehensweise ist die Beziehung zu den Menschen, mit denen man anscheinend um eine Frage, die ihnen nahegeht, gemeinsam kämpft. Die insurrektionelle Methode betrachtet diese Menschen eigentlich als Handlanger eines größeren Spieles. Aber wissen denn diese Menschen, dass sie Teil eines uns gehörenden, weiterreichenden und langzeitlichen Projektes sind? Teilen sie es? Instrumentalisiert man nicht etwa ihre Bedürfnisse und Schwierigkeiten? Betreibt man nicht etwa Politik und Avantgardismus, wenn man in Wirklichkeit andere Zwecke verfolgt, auch wenn man denkt sie seien “zum Besten” der Menschen? Stellt man sich nicht etwa über diese Menschen, wenn man sie als zu ignorant betrachtet, um zu verstehen, was wirklich auf dem Spiel steht und man sich verhält, als müsse man ihnen etwas beibringen (wie man sich selbst organisiert, wie man kämpft, was für sie besser ist)? Wir erleben hier die Spaltung zwischen Ethik und Politik, mit einer klaren Vorherrschaft des Zweiten.

Für mich heißt Anarchie leben, fraglos nach der totalen Subversion dieser Welt und der Zerstörung jeglicher Herrschaftsform zu streben, ohne die utopischen Bestrebungen – die “Phantome” – über die Wirklichkeit und meine individuelle Integrität obsiegen zu lassen. Wichtig ist mit der praktischen Umsetzung der Anarchie sofort zu beginnen, sich als Individuen anerkennen, die anderen als Individuen anerkennen, sich von den Ketten der sozialen Zwänge zu befreien, andere Beziehungen auf der Basis der Transparenz und der gleichen Augenhöhe zu schaffen, sich in die Lage zu versetzen, autonom Entscheidungen zu treffen und aufhören unsere eigenen Leben zu delegieren, den Bruch mit der eigenen Abhängigkeit vom System in Gang zu setzen, Kompliz*innen zu finden und die Macht mit allen Mitteln anzugreifen… Das beinhaltet, sich selbst von der Politik, von den falschen und heuchlerischen Beziehungen, von der hinterlistigen Berechnung zu befreien und aus dem eigenen Leben ein nachhaltiges Kampfterrain zu machen, wo es keine Trennung zwischen Kampf und Leben gibt, also genau das Gegenteil einer Logik des Kampfes als Spezialisierung und Politik.

Wenn die Mittel, die wir uns geben, auch unsere Zwecke widerspiegeln sollen, dann ist die Gründung unserer Beziehungen aufs Ungesagte, auf Falschheiten und Opportunismen sicher keine gute Visitenkarte zur Illustrierung unserer Vorstellung von Anarchie. Die in einer gewissen Art des Eingriffs in soziale Kämpfe implizit vorhandene Heuchelei, die von einer nicht erklärten und daher den “Ausgebeuteten” obskur bleibenden Absicht diktiert wird, ist in einem Übergang wie diesem offensichtlich und bestätigt auch einige der vorhergehenden Kritikpunkte:

“Andererseits, wenn wir in Massenkämpfe und Auseinandersetzungen um mittelfristige Forderungen eingreifen, machen wir das etwa nicht fast nur um unsere methodologisches Erbe zu empfehlen? Dass die Arbeiter einer Fabrik Arbeit fordern und Entlassungen zu verhindern suchen, dass eine Gruppe von Obdachlosen versucht, sich eine Unterkunft geben zu lassen, dass die Gefangenen für ein besseres Leben in den Gefängnissen streiken, dass die Studenten gegen eine Schule ohne Kultur rebellieren, das alles interessiert uns bis zu einem gewissen Punkt. Wir wissen sehr wohl, dass, wenn wir an diesen Kämpfen als Anarchisten teilnehmen, das quantitative Ergebnis – abgesehen davon, wie diese Kämpfe auch enden mögen – im Sinne eines Wachstums unserer Bewegung sehr relativ ist. Die Ausgeschlossenen vergessen oft auch wer wir sind, und es gibt keinerlei Grund um sich an uns zu erinnern, und noch viel weniger einen, auf Anerkennung basierenden Grund. Tatsächlich haben wir uns mehrmals gefragt, was wir als Anarchisten und folglich Revolutionäre inmitten dieser Forderungskämpfe zu tun haben, wir, die gegen die Arbeit, die Schule, gegen jegliche Konzession des Staates, gegen das Eigentum und gar gegen jegliche Art von Vereinbarungen sind, die in den Knästen netterweise zu einem besseren Leben führen. Die Antwort ist einfach. Wir sind dabei, weil wir Überbringer einer anderen Methode sind.” (Alfredo M. Bonanno).

Die Massen unterschiedslos brefreien zu können ist eine vergebliche Illusion. Einige Individuen haben einen Geist, der sich nicht domestizieren lässt und leiden stärker an den Ketten, die von der Macht um ihre Glieder geschmiedet wurden. Sie sehnen sich nach Freiheit und Wildheit. Andere Individuen lieben ihre Ketten und halten es auch zum Preise der Freiheit selbst nicht aus, ohne jemanden zu leben, der sie anführt, der ihnen Sicherheit, Stabilität, Gewissheiten und Routine gewährt. Diese Menschen haben, auch wenn sie dazu fähig wären, keinen Willen zur Veränderung ihrer Lage und bevorzugen die Verteidigung des Systems, das sie unterwirft, weil ihnen ein Leben in Sklaverei lieber ist als die Unwägbarkeit der Revolte. Diese Menschen werden wir im Moment der Rebellion immer gegen uns haben. Was uns aufs Spiel zu setzen treibt, ist nicht ein philanthropischer Instinkt, sondern vor allem die Lust uns selbst von unseren eigenen Ketten zu befreien. Darum bekennen wir uns dazu, anti-sozial und nihilistisch zu sein.

Welchen Raum hat unsere Individualität in einem politischen Projekt, das, wie der Insurrektionalismus, auf Berechnung gründet? Wirklich wenig. Wir sollten unsere Individualität beiseite legen um für die allgemeinen Leute verständlicher zu werden, denn, so wird uns gesagt, müssen die Dinge graduell gemacht werden, ansonsten würde man uns nicht verstehen. Wir müssten unsere höchsten Bestrebungen beiseite legen und uns wirder nur ums Fressen kümmern. In der Perspektive eines mit dem Rest der Gesellschaft geführten Kampfes werden Fragen die die technologisch-industrielle Herrschaft, die Umweltzerstörung und die Ausbeutung der Tiere üblicherweise total weggelassen. Vielleicht weil sie angesichts der wirtschaftlichen Unterdrückung und der Klassenunterdrückung als Fragen von Privilegierten betrachtet werden, oder weil sie für den als ignorant und unsensibel eingestuften Pöbel als allzu schwer verständlich eingeschätzt werden.

Als wäre unser existenzielles und materielles Elend nicht auch damit verbunden und als würde der menschliche soziale Bereich in einer Blase über dem Planeten, auf dem er angesiedelt ist, und über den Beziehungen zu anderen Lebewesen, von denen er abhängig ist, hängen. Man sagt uns, wir sollten unsere Diskurse der Trostlosigkeit der aktuellen Wirklichkeit anpassen und realistisch sein, da es die einzige Art und Weise sei, um uns verständlich zu machen. Unser wirkliches Ich, unsere wirklichen Gedanken können wir immer noch in unseren Vorstellungen ausleben, am Abend, im Halbschlaf vor dem Einschlafen, sobald der Tag der “wahren” Militanz vorbei ist.

Wir sollten auch auf unsere unmittelbarsten Wünsche verzichten, nämlich auf den Angriff auf das Bestehende, der vom Bedürfnis nach Befriedigung eines innerlichen Wunsches und nicht von etwelchen langfristigen politischen Berechnungen bestimmt wird. Gemäß der Theorie des diffusen Angriffs muss die direkte Aktion anonym und mit einfachen Mitteln ausgeführt werden, mit einem für alle verständlichen Ziel, und umso besser innerhalb des Kontextes eines schon laufenden sozialen Kampfes, weil sie nur so “von allen Ausgebeuteten” (vergebliche Hoffnung) “übernommen und reproduziert werden kann”. Einige Anarchist*innen, die in Dogma verwandelt haben, was eigentlich ein Vorschlag der insurrektionalistischen Herangehensweise war um eventuelle eine größere Wirksamkeit der Aktion zu haben, sind soweit gegangen zu meinen, dass eine Aktion, die nicht in diese Parameter fällt, also zu früh oder als außerhalb des Kontextes stehend durchgeführt, oder für nicht anarchistische Menschen als unverständlich betrachtet wird, sogar kontraproduktiv sei.

“Diese Angriffe müssen Ziele der alltäglichen Unterdrückung wählen, die allen offensichtlich sind und leicht verständlich sein. Daraus ergibt sich eine interessante Kritik der Beknnungsschreiben und Derartigem: wenn ein Angriff, eine Sabotage, irgendeine Aktion mit langen Bekennungen (die in der Regel die gegenteilige Wirkung haben, da sie in einer Sprache geschrieben sind, die sogar den eigenen Genoss*innen unverständlich ist) erklärt werden muss, dann eindeutig weil das jeweilige Ziel nicht gut ausgewählt wurde, da eine Aktion für sich selbst sprechen sollte und das direkt (d.h. nicht mediatisiert). Dasselbe kann man von der Notwendigkeit sagen, dass der Angriff anonym sei: er gehört niemandem, sondern allen Menschen, die ihn beklatschen, teilen, selbst auch machen würden” (Cuando se senala la luna).

Wie Sinnvoll ist es, im eigenen Handeln, in der Wahl der zu treffenden Ziele, in der Zeit seiner Ausführung, in der Bedeutung, die man ihm verleiht, darauf zu achten, dass mehr Menschen uns beklatschen können? Der im zitierten Buch gebrauchte Ausdruck ist zutreffend, denn man hat den Eindruck, dass die groß herausposaunten Resultate von gewissen sozialen Kämpfen sich oft genau auf das reduzieren – nicht auf mehr Menschen, die sich langzeitig in einer konfliktuellen Praxis radikalisieren und sich in erster Person aufs Spiel setzen, sondern auf mehr Personen, die mal kurz das beklatschen, was die Anarchist*innen tun, schon immer taten und jedenfalls tun würden (und manchmal machen sie es schlechter, gerade weil sie sich von der eigenen Suche nach Konsens limitieren lassen) – um dann kurz danach wieder an die Urne zu gehen und Gerichte zu bemühen. Das Bedürfnis nach sozialer Legitimation um die Macht anzugreifen ist vielleicht ein weiteres Symptom jenes Mangels an Selbstvertrauen und jenes Minderwertigkeitsgefühls, unter denen ein Teil der anarchistischen Bewegung weiter leidet. Das abzuschütteln ist höchste Zeit, um wieder anzufangen, wirklich Nadeln im Fleisch zu sein.


Aus Fenrir. Übernommen von https://de.indymedia.org/node/14229.

[Sézegnin, Schweiz] Der Zementriese Holcim verliert zwei Karren

Am Dienstag, 4. Januar in der Früh, brennen in der Kiesgrube Holcim in Sézegnin zwei Autos vollständig aus. Daneben stehende Baufahrzeuge sind leicht beschädigt. Mehrere Graffiti werden auf Bauwägen und sonstigen Räumlichkeiten hinterlassen, „Bonne Année Holcim de merde“ [Frohes neues Jahr, Holcim Arschloch] und „Ouvrières, butez vos patrons“ [Arbeiterinnen, verjagt eure Bosse].


Frohes neues Jahr, LafargeHolcim!

Um das neue Jahr zu feiern wurde die Kiesgrube von Sézegnin (GE), die LafargeHolcim gehört, zum Schauplatz von etwas ungewöhnlichen Festlichkeiten zu Ehren des Zementriesen.

Liebe LafargeHolcim,

Mit großer Trauer bemerken wir am Anfang dieses neuen Jahres 2022 weiterhin den Horror dieser Welt, an dem du und deine Klassenkameraden aktiv und ununterbrochen teilhabt.

Wir bewundern deine Entschlossenheit deine Arbeiter.innxn auszubeuten, die Böden zu zerstören, die Atmosphäre und die Biodiversität zu verwüsten, und finanziell den Terrorismus zu unterstützen, um nur einige deiner vielen Übergriffe zu nennen, während du astronomische Geldsummen einheimst. Man muss anerkennen, dass der politische, ökonomische und soziale Kontext, indem du dich bewegst, dir diese Aufgaben massiv erleichtert.

Unter diesen Umständen braucht man sich nicht wundern, dass Menschen sich organisieren und einem das Fest ein bisschen vermiesen. In der Nacht vom dritten auf den vierten Januar, in deiner Kiesgrube von Sézegnin, hast du einen Vorgeschmack der Wut bekommen, die du in uns auslöst. In Ermangelung von Feuerwerk wurde in zwei deiner Firmenautos ein Freudenfeuer entfacht. Außerdem wurden mehrere andere Maschinen beschädigt um das neue Jahr zu feiern. Die Festlichkeiten fanden dir zu Ehre statt, doch leider wurden deine Einladungen aufgrund administrativer Schwierigkeiten nicht rechtzeitig zugestellt. Du warst trotzdem in unseren Herzen und Köpfen bei uns, die Liebesgrüße, die wir dir hinterlassen haben, zeugen davon: „Frohes neues Jahr, Holcim Arschloch“.

Angesichts des globalisierten Kapitalismus und seiner enthemmten Unternehmen wirst du uns zustimmen, dass die Sabotage ein sachdienliches, ja gar notwendiges Mittel des Widerstands ist. Sie ist eine Art uns unsere Welt zurückzunehmen und dich daran zu hindern, sie nach deinem Bilde zu formen. In der Welt, die wir verteidigen, werden wir dich an deinen rechtmäßigen Platz zurückverweisen, nämlich auf den Stuhl vor deinen brennenden Fahrzeugen.

Beste Wünsche 2022 dir und all deinen Freunden.

16 Zwerge


Beitrag übernommen von Sans Nom.